Holger ruft an (127)

Wie lustig ist es, wenn der Kanzler dazu auffordert, über ihn zu spotten?

Übermedien-Podcast. Olaf Scholz mit 2 Augenklappen: eine über dem Auge, eine über dem Mund
Montage: „Der Freitag“

Bundeskanzler Olaf Scholz ist beim Joggen gestürzt, hat sich verletzt und muss nun für ein paar Wochen eine Augenklappe tragen. Bevor andere über sein verändertes Äußeres spotten konnten, lud er selbst dazu ein:

Tatsächlich lief die Meme-Produktion sofort an. Auf Twitter wurden im Akkord Piratenbilder, -filme und -witze mit ihm produziert. Medien wie Funk und NDR2 füllten ihre Instagram-Accounts mit all dem, was ihnen an Sprüchen auf die Schnelle einfiel.

Die linke Wochenzeitung „Freitag“ bebilderte einen Artikel über den anscheinend auf Schweigen basierenden Regierungsstil des Kanzlers mit einem Artikel, bei dem Scholz eine weitere Klappe über dem Mund trug:

Fotomontage, bei der Scholz eine zusätzliche Augenklappe auf dem Mund hat
Screenshot: freitag.de

Der „Postillon“ machte Meme-Meta-Witze, die Piratenpartei einen Piratenpartei-Witz, die Supermarktkette Rewe einen Tiefkühlerbsen-Witz, und das ZDF musste angesichts seines Slogans nur noch verwandeln:

Wie lustig ist das alles wirklich? Und ist es nicht eigentlich falsch, Witze auf Kommando zu machen? Holger Klein spricht darüber in unserem Podcast mit Humorprofi Tim Wolff. Der sieht in Scholz‘ Tweet den „verzweifelten Versuch“ von Beratern des Bundeskanzlers, „dieser künstlichen Intelligenz Humor zu geben“. Es habe etwas Mechanisches und Berechnendes.

„Die ganze Situation ist einfach falsch. Wenn ein Kanzler so etwas in die sozialen Medien gibt und sagt: Hier, macht mal Witze, dann hat sich die ganze Öffentlichkeit in eine Art ‚Titanic‘-Redaktionssitzung verwandelt. Und ich kann mit sehr viel Erfahrung sagen: Die Welt sollte keine ‚Titanic‘-Redaktionssitzung sein.“

Wolff, der früher „Titanic“-Chefredakteur war und heute „ZDF Magazin Royale“-Chefautor ist, spricht darüber, woran man einen guten Witz erkennt, und ob es vielleicht Leute oder Institutionen gibt, die todernst sein sollten.

Und natürlich geht es auch um die Frage, warum das Satiremagazin „Titanic“ gerettet werden muss – und gerettet werden sollte. In der neuen Folge von „Holger ruft an“:

(Sie können den Podcast auch über die Plattform oder App Ihrer Wahl hören. Hier ist der Feed.)

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15 Kommentare

  1. Scholz‘ Präventiv-Post war PR vom Feinsten: Wäre er ohne Ankündigung öffentlich mit Augenklappe aufgetreten, hätte ihn eine Häme-Welle überrollt. Indem er selbst die Welt zum Spotten aufforderte, hat er allem, was dazu gewitzelt werden kann, die Spitze genommen. Jeder blöde Piraten-Witz zahlt jetzt auf sein Konto ein – er hat ja drum gebeten.

    Also Respekt für seine Spin-Doktoren – die Alternative wäre nachträgliches Mimimi gewesen: Sie machen hier Witze auf Kosten eines Mannes, der eine gefährliche Verletzung erlitten hat. Das ist geschmacklos!. Es wäre ein Desaster geworden.

  2. Wenn man nur Witze über Leute machen darf/soll, die dazu keine explizite Erlaubnis gaben und die möglicherweise ernsthaft physisch und über die Witze dann persönlich oder psychisch verletzt sind, ist das eine unangemessene Reglementierung durch eine selbsternannten Humorpolizei.
    Wie auf der Scheibenwelt, wo das Kind eines Narren verprügelt wurde, weil es einen nicht gildenautorisierten Witz erzählte.

  3. Den Podcast habe ich mir jetzt zwar nicht angehört, weshalb ich vielleicht wiederhole, was da eventuell bereits gesagt wurde, aber:

    Die Aufforderung war vollkommen überflüssig. Die Memeproduktion wäre nämlich so oder so heißgelaufen. So wirkt das auf mich, als hätte Scholz (bzw. viel mehr seine Berater) Angst vor Häme gehabt. Nur mit einem Auge auf die sozialen Medien zu gucken (Haha), hätte mehr Charakter bewiesen.

  4. Ich schließe mich mal #1 an. Da war jemand joggen und hat sich aufs Gesicht gelegt. Das tut erstmal Scheisse weh und sieht hinterher auch Scheisse aus. Die Alternative, “Ich mal drei Wochen Homeoffice”, schien hier wohl nicht gegeben. Gut, wenn ich die nächsten Wochen als Mosche Dajan durch die Gegend laufen muss, dann kann ich auch in die Offensive gehen. Den Spott werde ich eh bekommen. Soweit so gut.

  5. Sagen wir mal so. Wenn Scholz ansonsten ein Typ wäre, dem man zutrauen würde, einen Witz vom Stapel zu lassen und/oder von dem Substanzielles bez, der deutschen Politik zu hören wäre … ja, dann wäre das angebracht. Aber so fällt mir dazu nur „können wir bitte über was Wichtigeres reden als über Kanzler-Augenkleppen-Memes?!?“ ein.

  6. Bitte die nächsten drei Wochen keine Beschwerden, dass so wenig gegen braune Gewalt getan wird – der Staat ist ausnahmsweise wirklich auf dem rechten Auge blind.

  7. #11:
    Wenn ich auf Kommando _gute_ Witze machen könnte, würde ich hauptberuflich in einer Satirezeitung wie der Titanic arbeiten.
    So reicht es nur für den ehrenamtlichen Hofnarr unseres Sonnenkanzlers, dem das Licht demnächst wieder aus ALLEN Öffnungen scheinen möge…

  8. Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Überhaupt nicht.

    Aber im Gegensatz zu Tim Wolff finde ich es ziemlich schlau. Es spielt m.E. gar keine Rolle, das Scholz gewöhnlich so lustig ist wie eingeschlafene Füße. Oder das, wenn er lustig sein will und einer ausländischen Korrespondentin „Könnte ich“ sagt und dabei debiler grinst als Gargamel, Pinky und Brain zusammen, so dass mein Fremschampegel auf eine glatte 11,3 auf einer Skala von 1 bis 7 ansteigt. Oder Söder, ausgerechnet Söder, ihm Schlumpfigkeit attestiert. Es ist deshalb schlau, weil es alle schlechten professionellen Witze und allen schlechten Hobby-Witzemachern den Wind aus den Segeln nimmt.

    Na gut, manches ist trotzdem sehr lustig. Looking at you, Postilion.

  9. Ich habe den Eindruck, weder Holger noch Herr Wolff haben verstanden, warum Scholz das gemacht hat. Es ging nicht um Witzischkeit, sondern um die Hoheit über eine schwierige Kommunikations-Lage. Hier wäre Herr Wieduwilt vielleicht der bessere Ansprechpartner gewesen.

  10. Is ja nett, dass der Kanzler sich ausnahmsweise mal dazu aufschwingt, die Hoheit über irgendwas zu erreichen.

    Wäre halt um Einiges netter, wenn er das auch in der Politik täte – statt nur wenn’s um seine Augenklappe geht.

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