Der Autor
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
Blenden wir uns kurz in das Leben von Petra Meissner ein. Die 61-jährige Bankangestellte schaffte es partout nicht abzunehmen! Aber dann schickte eine Freundin sie zu einem Apotheker, und es begann ein kleines Dramolett, das die Frauenzeitschrift „Adel heute“ aus dem Klambt-Verlag protokolliert hat.
Der Apotheker wusste nämlich, warum bei Petra „die Kilos nicht purzeln“, wie er es formulierte: Ihr Stoffwechsel war zu langsam! Zum Glück kannte und hatte er ein Mittel dagegen: Tropfen aus Meerespflanzen-Extrakt. Petra fand das offenbar nicht unmittelbar einleuchtend, aber der Apotheker fragte sie: „Haben Sie schon mal einen dicken Fisch gesehen?“ Petra schüttelte den Kopf. „Sehen Sie! Fische ernähren sich fast ausschließlich von Meerespflanzen. Ihre Fettverbrennung ist hoch, sie werden nicht dick.“
Ha, Wissenschaft!
Überraschenderweise empfahl der Apotheker der Petra aber nicht, sich ebenfalls fast ausschließlich von Meerespflanzen zu ernähren, sondern ein homöopathisches Mittel namens Redumax zu nehmen. Petra sagte, sie merkte sofort ein „Wärmegefühl nach der Einnahme“, und die Journalistinnen von „Adel heute“, die all das im Rahmen eines angeblichen „Tests“ dreier verschiedener Produkte notierten, waren plötzlich auch ganz heiß:
„Nach der Einnahme der Redumax-Tropfen sind viele Frauen gar nicht mehr wiederzuerkennen: Angebliche Alterserscheinungen sind wie weggeblasen, die Figur wird besser, Kälteempfindlichkeit und trockenes, stumpfes Haar verschwinden, das ganze Leben macht wieder viel mehr Spaß! 60 Prozent der über 50-Jährigen kann so geholfen werden!“
Petra trägt jetzt Kleidergröße 38 und hat „wieder Lust auf schicke Sachen“, und ihr Mann ist richtig stolz auf sie und sagt: „Petra, du siehst toll aus!“
Das letzte Wort am Ende des eineinhalbseitigen Berichts aber hat die „Adel heute“-Redaktion. Sie schreibt:
„Wer Wert auf eine gesunde Lebensführung legt, kommt an den Redumax-Tropfen (…) nicht vorbei. Sie sollten daher auch in keinem Haushalt fehlen. Verlangen Sie in Ihrer Apotheke nach Redumax-Tropfen (…)“
Das ist eigentlich vergleichsweise zurückhaltend formuliert, wenn man bedenkt, dass diese Tropfen anscheinend pure Glücksinjektionen sind. Nur der Presserat fand’s ein bisschen drüber. Von einem „massiven Fall von Schleichwerbung“ sprach er, bemängelte das Fehlen „jeglicher journalistischer Distanz“ und sprach eine Rüge aus.
Die Redaktion von „Adel heute“ hat sie in der aktuellen Ausgabe pflichtschuldig veröffentlicht, in einer Form, die ihre Leserinnen nicht unnötig durch Klarheit oder Schlüsselbegriffe wie „Schleichwerbung“ verwirrt:
Gut möglich, dass sie beim Klambt-Verlag ernsthaft überrascht waren über die Rüge vom Presserat. Nicht weil sie den Artikel nicht für Schleichwerbung halten. Sondern weil dieser Artikel, diese Schleichwerbung, in dieser Form, für dieses Produkt, schon Dutzende Male in den eigenen Blättern erschienen ist.
Allein in diesem Jahr ist das Stück schon je drei Mal in „Funk Uhr“, „Frau mit Herz“, „7 Tage“, „Die 2“, „Woche der Frau“, „Lea“, „Die neue Frau“ und „Adel aktuell“ erschienen. (In „Adel heute“ in diesem Jahr bislang nur zweimal, womöglich wegen der Presserats-Sache.) In den Überschriften werden die „Fettpölsterchen“ manchmal zu „Fettpolstern“; auch die abgebildeten Models variieren und tragen ihre Waagen gelegentlich in unterschiedlichen Positionen. Ab und an halten sie auch Obst. Sie heißen in den Bildunterschriften „Katja (60)“, „Claudia (37)“, „Elke (59)“, „Tina (39)“, „Ines (39)“ oder „Sabine (41)“, mit anscheinend eher willkürlicher Zuordnung von Namen zu Models.
Immer gleich bleibt der Text, die Botschaft, das Glücks- und Abnehm-Versprechen und die Kaufaufforderung durch die jeweilige Redaktion.
Das hier ist eine unvollständige Übersicht der Redumax-Schleichwerbe-Artikel, die in diesem Jahr in Klambt-Zeitschriften erschienen sind:
Doch die Geschichte dieser Schleichwerbung in den Klambt-Blättern reicht weit zurück, mindestens fünf Jahre. „Da schmilzt das Fett schnell weg“, schwärmten „Lea“, „Die neue Frau“, „Adel aktuell“, „Stars und Melodien“, „Woche der Frau“ und „Frau mit Herz“ schon 2018 und 2019, teils mehrfach:
Auch hier ist die Werbung für das angebliche Wundermittel getarnt als Produkttest, in dem pro forma erst zwei obskure andere Mittel vorgestellt, aber als wenig wirkungsvoll abgetan werden. Auch hier steht am Ende die unmissverständliche Kaufaufforderung „sollten in keinem Haushalt fehlen“. Nur die Bankangestellte, die vom Apotheker mit dem Fisch-Gleichnis bekehrt wird, heißt gelegentlich nicht Petra Meissner (61), sondern Klara Kaiser (54). (Entsprechend schwärmt ihr Mann am Ende: „Klara, Du siehst toll aus“ – es ist eine lustige Vorstellung, dass er hier versehentlich trotzdem „Petra“ sagen würde.)
Auch in Verbindung mit den „Fettpölsterchen“ ist die Schleichwerbung seit Jahren fester Bestandteil der Klambt-Blätter. Hier eine kleine Auswahl aus dem Jahr 2019:
Weitere Varianten derselben Schleichwerbung liefen unter Überschriften wie „Schlank in den Frühling“, „Bio-Extrakte aktivieren unseren trägen Stoffwechsel“ und „Endlich schlank mit Bio-Extrakten“:
Immer wieder sparten sich die Redaktionen der Klambt-Zeitschriften aber auch den ganzen behaupteten Vergleichstest und warben einfach ohne diesen Umweg für das homöopathische Mittelchen und zitierten „Anna Bauer (54)“, „Anna Bauer (32)“ oder „Anna Bauer (38)“ mit dem Satz:. „So attraktiv habe ich mich das letzte Mal mit 20 gefühlt – ich fühle mich so glücklich.“
Seit Jahren arbeiten die Zeitschriften des Klambt-Verlages daran, mit redaktionell anmutenden Artikeln den Vertrieb der homöopathischen Tropfen Redumax in die Höhe zu treiben. Auf Fragen dazu bekamen wir keine Antwort. Auch gegenüber dem Presserat gab der Verlag in der Sache mit der März-Ausgabe von „Adel heute“ keine Stellungnahme ab.
PS: Der Klambt-Verlag ist mit seiner Werberei für dieses Mittel übrigens nicht allein. Leserinnen der Zeitschriften des konkurrierenden Bauer-Verlages könnten die unglaubliche Zauberwirkung der Redumax-Tropfen aus einer seit Jahren laufenden großen Schleichwerbeserie als „Stoffwechsel-Turbo“ kennen:
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
Wow, da könnte man mal ’ne schöne Ausstellung zu machen. Gesammelte Werke aus den Jahren 2017-2023 oder so. Ich wäre gespannt, wie viele Räume man mit den Artikeln füllen könnte…
Tja, der Hersteller scheint gut zu zahlen. Darauf einen Algensaft!
Faszinierend finde ich, wie viele Varianten des Motivs „Schlanke Frau mit Waage unterm Arm“ sich in Bilddatenbanken offenbar finden lassen.
Was für eine friemelige Recherche muss es sein, all diese bunten Blättchen und ihre Jahrgänge durchzublättern oder durchzuklicken, um all das zusammenzustellen. Damit kann man sich stundenlang die Laune versauen, oder?
Ja. Aber es zwingt mich ja keiner dazu.
Ich komme irgendwie nicht über den „dicken Fisch“ weg. Normalerweise würde ich sagen, dass die dicksten Fische eben immer als erstes gefressen werden, aber dann gibt es den Mondfisch, und jetzt weiß ich auch nicht.
@Mycroft (#5):
Ich auch nicht. Deshalb habe ich gegoogelt. Und nun weiß ich, um den Spitzenplatz der dicken Fische kämpfen die Buttermakrele (23,2 Prozent Körperfettanteil im Schnitt) und der Aal (24,5 Prozent). Darauf einen Korn!
Mehr über Fettfische (so heißen die!) hier: https://www.deutschesee.de/fisch-meeresfruechte/ernaehrung-gesundheit/die-fakten-zum-fett/
Könnt ihr bitte der Idee von Kommentar Nr 1 nachkommen und mal eine Ausstellung machen? :D Ich würde es mir anschauen :)
Wenn das Tier schon „Buttermakrele“ heißt, ok.
Aber ich habe noch nie einen dicken Aal gesehen, das sind alles besonders schlanke Fische.
These: Aale haben den höchsten Fettanteil unter den Fischen. Antithese: Aale sind schlank. Synthese: Aale sind nicht dick, aber fett.
Armer Kerl, der diesen Mist von Klambt und Bauer lesen muss. Aber einer muss es ja machen. Danke dafür.
„Das ist eigentlich vergleichsweise zurückhaltend formuliert, wenn man bedenkt, dass diese Tropfen anscheinend pure Glücksinjektionen sind. Nur der Presserat fand’s ein bisschen drüber.“
Also wirklich, dass diese Banausen beim Presserat einfach nicht die Größe dieses medizinischen Durchbruchs begreifen. Sonst wären sie ja wohl mindestens so euphorisch.
Nee, im Ernst: Wunderbar geschriebener Text über ein eher verstörendes Thema.