Der Autor
Frederik von Castell ist Redaktionsleiter von Übermedien. Als Datenjournalist und Faktenchecker war er unter anderem für HR, SWR und dpa tätig. Von Castell ist außerdem Recherchetrainer, unter anderem am Journalistischen Seminar Mainz.
RTL zieht nun doch Konsequenzen aus dem Vorwurf, einen Tweet der ehemaligen AfD-Politikerin Frauke Petry gefälscht zu haben. Der Sender teilte Übermedien auf Anfrage mit, dass er die Zusammenarbeit mit Moderator und Reporter Maurice Gajda vorerst aussetzt, „bis die im Raum stehenden Vorwürfe geklärt sind“. Zunächst hatte der Sender beteuert, dass es den rassistischen und später angeblich gelöschten Tweet gegeben habe – und nur dessen grafische Darstellung im Programm als Fehler bezeichnet.
Gajda hat am 5. August für das RTL-Magazins „Explosiv“ über den Sänger Trong Hieu Nguyen berichtet. In dem Beitrag trifft er ihn und einige Freunde. Er erzählt, wie er Trong beim Vorentscheid zum Eurovision Song Contest 2023 gesehen habe und dass ihm damals ein paar Freunde einen „Tweet von Frauke Petry, der ehemaligen AfD-Parteivorsitzenden geschickt“ hätten.
Gajda liest vor:
„Also, Frauke Petry schrieb über diesen Mann, Euren Freund: ‚Ich glaube kein normaler Deutscher will einen rosa gefärbten Asiaten beim ESC sehen.'“
Und er schiebt hinterher:
„Der Tweet ist inzwischen gelöscht.“
Dem RTL-Publikum wird das, was Gajda vorliest, dennoch optisch präsentiert. Es sieht aus, wie ein Post auf der Plattform X, die früher Twitter hieß:
Trongs Freund, der Musiker Octavian Rasinariu, reagiert im Beitrag so: „Mir fallen sehr viele Beleidigungen ihr gegenüber ein, die ich jetzt nicht nennen werde“.
Maurice Gajda textet aus dem Off weiter: „Die Kritik zu Trongs Auftritt beim deutschen ESC-Vorentscheid hat der Sänger gar nicht erst ernstgenommen“. Was er vielleicht auch gar nicht müsste, denn die Frage ist nun, ob es diesen Tweet überhaupt gegeben hat.
Das jedenfalls behauptet Frauke Petry, und zwar ebenfalls auf X/Twitter:
„Wie man mit politisch unbequemen Personen umgeht, demonstriert @RTL_com hier eindrucksvoll. Man denkt sich einen rassistischen Tweet aus, ein Grafiker setzt das um und fertig ist das Fake.“
Petry wirft RTL vor, den Post erfunden zu haben, bezeichnet „diese Aktion“ als „schlicht rechtswidrig“. User fragen sie, ob das, „was hier RTL bringt“, nicht strafbar sei. Sie antwortet: „Ja“ und kündigt rechtliche Schritte an: „Abmahnung ist unterwegs“, schreibt sie. Eine Userin fragt, sicherheitshalber: „Das heißt dieser Tweet wurde nie gepostet?“ Petry antwortet: „ja, genau das heißt es“.
Tatsächlich findet sich der von RTL eingeblendete und angeblich von Petry später gelöschte Tweet bisher nirgends, weder in Online-Archiven, noch in Screenshots bei Twitter selbst – sondern nur im „Explosiv“-Beitrag. Was einigen Usern auffällt und sich leicht recherchieren lässt: Einen anderen abfälligen Tweet zum ESC-Vorentscheid hatte Petry im März (transparent) gelöscht. Darin hatte sie über die Band „Lord Of The Lost“ geschrieben:
„Kann mir nicht vorstellen, dass normale Bürger von diesen pinken Herren ‚vertreten‘ werden wollen… #ESC2023“
Der Verdacht, den etwa der Account „Argo Nerd“ nährt: Man habe diesen Tweet bei „Explosiv“ schlicht umgedichtet.
Nachdem das Portal „Apollo News“ nachgefragt hatte, gab RTL am Dienstag zu, dass es sich bei der Einblendung um eine „grafische Umsetzung“ des angeblich gelöschten Tweets handle, also keinen Screenshot des Originals:
Diese „grafische Umsetzung“ – also die nicht entsprechend gekennzeichnete Rekonstruktion oder Fotomontage – verstoße gegen die „journalistischen Guidelines“ von RTL, räumte der Sender ein. Dass es den Tweet nicht gegeben habe, räumt er ausdrücklich nicht ein: Gajda habe den Tweet, ehe er gelöscht worden sei, „gesehen und wortgetreu notiert“. Gajda verbürge sich dafür.
Wir haben nachgefragt: Was sagt RTL zu dem Vorwurf, dass Gajda sich den Tweet ausgedacht hätte? Wie hat die Redaktion die Echtheit des zitierten Tweets überprüft? Wurde Frauke Petry zum zitierten Tweet befragt?
Eine Sendersprecherin schickt uns als Antwort zunächst das Statement, das RTL zuvor bereits verbreitet hatte. Später scheint sich aber die interne Position des Senders zu dem Fall verändert zu haben. Heute morgen teilt uns RTL mit:
„Wir setzen die Zusammenarbeit mit Maurice Gajda bis auf Weiteres aus, bis die im Raum stehenden Vorwürfe geklärt sind.“
Der Sender ergänzt:
„Wir arbeiten tagtäglich in einem engmaschigen und mehrstufigen Abnahmeprozess mit der Mindestanforderung eines Vier-Augen-Prinzips. Der grafisch und fälschlich erstellte Tweet bot den verantwortlichen Sende-CvDs keinerlei Anhaltspunkt, um die journalistische Integrität in Frage zu stellen. Wir werden unsere journalistischen Guidelines auch diesbezüglich nochmals schärfen.“
Auf unsere Fragen, welche Regeln in der Redaktion bezüglich des Archivierens von Social Media-Posts gelten und wie man ein Verfahren wie „wortgetreues Notieren“ überprüfen könne, heißt es von RTL: „Bei uns gibt es klare Regeln. Tweets und andere Posts werden zur Dokumentation per Screenshot gesichert.“
Mindestens an diese Regeln hat sich Gajda offenkundig nicht gehalten. Falls es den Tweet überhaupt gab.
Doch auch das, was RTL als Regeln für seine Journalist:innen ausgibt, ist fragwürdig.
Eigentlich sollte man Journalist:innen im Jahr 2023 nicht mehr erklären müssen, wie man Inhalte, die man online findet, sichert. Muss man aber offenbar doch: Generell sollten Tweets, Artikel und andere Inhalte nicht nur als Screenshot gespeichert oder gar (noch schlimmer) vom Bildschirm abfotografiert werden. Und erst recht nicht einfach kopiert oder notiert werden, sondern: archiviert! Etwa mit der Wayback Machine.
Denn Fotografien sind leicht zu fälschen, das weiß inzwischen jedes Kind. Screenshots sind ebenso fälschungsanfällig. Zum einen können sie wie Fotos im Nachhinein bearbeitet werden, aber schon der Inhalt an sich kann eine Fälschung sein – RTL liefert peinlicherweise das beste Beispiel hierfür selbst. Nicht nur, dass man mit etwas Know-How den Inhalt des Tweets über die Konsole des Browsers verändern kann, es gibt dafür auch etliche simple Generatoren im Internet.
Den Inhalt zu „archivieren“ meint, es einer unabhängigen Instanz zu überlassen, ein Abbild der Fundstelle zu schaffen. Im Grunde lädt und speichert eine Archiv-Seite wie die Wayback Machine also alle Inhalte der zu sichernden Seite: das Geschriebene, Bilder und Grafiken (und mit Glück: auch Videos), die Links – alles, was auch gespeichert würde, wenn man die HTML-Version der Seite speichert.
Der feine Unterschied: dass man es eben nicht selbst auf seinem eigenen Gerät tut und somit keine bewusste oder unbewusste Veränderung vornehmen kann. Und da man nicht viel mehr tun muss, als den Link in eine dieser Archiv-Seiten zu werfen, auf „archivieren“ zu klicken und kurz zu warten, gibt es wenig Gründe, darauf zu verzichten. Vor allem dann, wenn man einer früheren AfD-Politikerin einen rassistischen Tweet vorwerfen möchte.
Eine archivierte Version des Tweets lässt sich nun aber eben nicht finden, auch Gajda kann sie nicht vorweisen. Das bedeutet nicht, dass der Tweet nicht existiert hat. Aber Gajda und RTL können seine Existenz auch nicht beweisen.
Deshalb gibt es in solchen Fällen, wenn aus irgendwelchen Gründen kein Beleg vorliegt, nur eine Möglichkeit: Der angebliche Tweet kann im Beitrag nicht verwendet werden, selbst wenn der Reporter noch so sehr glaubt, sich an ihn zu erinnern. Alles andere ist journalistisches Versagen. Und dürfte auch vor Gericht keinen Bestand haben.
Es hilft nichts, Gajda glauben zu wollen. Auch nicht, sich zu sagen, dass er wohl kaum für diese, im Beitrag ja auch eher nebensächliche Erzählung, das Berufsethos über Bord werfen und einen Tweet erfinden würde. Für Petrys Ruf aber ist es eben eine sehr relevante Erzählung.
Gajda und RTL haben mit ihrer Arbeitsweise dem Journalismus einen Bärendienst erweisen. Der Vorgang dient jenen als Munition, die (nicht-„alternative“) Medien gerne als „Lügenpresse“ bezeichnen und andauernd überall „Fake News“ erkennen möchte. Wenn das alles nur daran liegen sollte, dass ein Reporter nicht dazu in der Lage gewesen ist, einen Tweet zu archivieren – dann wäre es wohl dringend an der Zeit, das Handwerk noch mal zu lernen.
Frederik von Castell ist Redaktionsleiter von Übermedien. Als Datenjournalist und Faktenchecker war er unter anderem für HR, SWR und dpa tätig. Von Castell ist außerdem Recherchetrainer, unter anderem am Journalistischen Seminar Mainz.
Warum gibt es zu diesem Beitrag (bisher) keine Kommentare? Liegt es daran, dass das Opfer auf der falschen Seite verortet wird? Ist der Täter eigentlich ein Guter? Wie viele Kommentare gäbe es, wenn die „Bild“ einer Politikerin der Grünen ein falsches Zitat untergeschoben hätte. Herr von Castell, ich finde es gut, wenn Sie Schlampereien aufdecken, egal von welcher Seite.
okay, wenn Sie kommentare wünschen, schenke Ich Ihnen einen.
hier also mein kommentar zu dem Ihrigen:
„opfergeheule!“
wie üblich von rechts.
Danke für den Hinweis auf diese Funktion der Wayback Machine. Diese nutze ich zwar, sei es sie gibt, aber dass man aktiv dort eine Archivierung auslösen kann, wusste ich nicht. Ich war der Ansicht, dass das Archiv nur vom Crawler gespeist würde.
Alles richtig, der Redakteur hat falsch gehandelt.
Aber Frau Petry muss hier nicht das arme Opfer spielen, wenn sie fast den gleichen Beitrag (über LOTL) eben doch gepostet hat. Nicht rassistisch sondern homophob, aber auch nicht besser.
@Roland: Welche Musik mir gefällt, welche Musik Dir gefällt, das ist reine Geschmackssache. Wie die Musik dargebracht wird, ist noch einmal ein Kapitel für sich. Wie man die Erfolgsaussichten eines Titels für den ESC einschätzt, da gehen die Ansichten weit auseinander. Warum ist die von Frau Petri geäußerte Abneigung gegen das Lied von LOTL homophob? Ich weiß über die sexuelle Orientierung der Bandmitglieder gar nichts. Ist mir auch egal. Ich mag auch Lieder von Elton John und Cliff Richard. Folgert daraus irgend etwas über meine Einstellung zur Homosexualität? So weit ich weiß, gibt es homosexuelle Menschen und Heterosexuelle. Und noch diverse andere. Für alle gelten die Menschenrechte. Auch für Frau Petri. Die hat z.B. ein Recht darauf, dass ihr nicht gefälschte Zitate untergeschoben werden.
@Florian
„Kann mir nicht vorstellen, dass normale Bürger von diesen pinken Herren ‚vertreten‘ werden wollen… #ESC2023“
Die abwertende Nennung der Eigenschaft pink als Synonym für Homosexualität https://margays.de/lila-wolke/homosexuell-rosa.htm halte ich schon für homophob.
@Roland: Was sind „normale“ Bürger? Ist es denen wichtig, von wem Deutschland beim ESC repräsentiert wird? Immerhin errang „Icke Hüftgold“ beim Vorentscheid den 2. Platz. Vielleicht hätten wir mit dem und seinem „Lied mit guten Text“ gewonnen. Schlechter als die „pinken Herren“ hätte „Icke“ nicht abschneiden können. Ob Frau Petry (nicht Petri) homophil, homophob oder irgend etwas dazwischen ist, ist nicht Gegenstand des Artikels. Herr von Castell hat lediglich darauf hingewiesen, dass Journalisten keine Zitate erfinden sollten, um (umstrittene) Personen schlecht dastehen zu lassen. Kannst Du dem zustimmen, Roland?
@Florian
Klar, habe ich ja gleich als erstes geschrieben.
Frau Petry kann sich mit Recht darüber beklagen, dass ihr ein Zitat unterstellt wird, das sie nicht geschrieben hat. Nur ist es eben die gleiche untere Schublade wie das, was sie tatsächlich geschrieben (und wie bei den Rechten üblich dann wieder „zurückgenommen“) hat.
Und die „pinken Herren“ waren blutrot, passend zum Liedtext. Das Attribut Pink kann daher nur eine deplatzierte Anspielung auf ihr Engagement für die LBTIQ Bewegung sein.