„Ostdeutscher Hintergrund“

Streit ums „Mittagsmagazin“: Sagt MDR-Chefredakteurin Krittian die Unwahrheit?

Titelgrafik des ARD-"Mittagsmagazins".
Screenshot: Das Erste

 

Das „Mittagsmagazin“ (MiMa) von ARD und ZDF wird sich im kommenden Jahr verändern: Der zuletzt vor allem mit sich selbst beschäftigte Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) gibt das Magazin an den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) ab, nachdem er es 2018 unter der früheren Intendanten Patricia Schlesinger als Prestige-Projekt nach Berlin geholt hatte.

So weit, so normal.

Zwei der bisherigen Moderator:innen aber beklagen nun, sie würden in diesem Zuge aussortiert, weil der MDR sich Moderatoren mit einem „ostdeutschen Hintergrund“ wünsche. Brisant daran: Mit Aimen Abdulaziz-Said und Nadia Kailouli müssen damit ausgerechnet zwei Moderator:innen gehen, die auch für Vielfalt innerhalb der ARD stehen. Beide haben einen Migrationshintergrund: Die in der Nähe von Köln geborene Kailouli hat marokkanische Eltern; Abdulaziz-Saids kommt aus Hamburg, seine Eltern aus Eritrea, er ist einer der wenigen schwarzen Moderatoren des Senderverbundes.

Ungewöhnlich für die ARD sind die Umstände ihrer Demission. Beide twitterten am vergangenen Wochenende im selben Wortlaut:

„Wie ihr wisst, zieht das ARD-MIMA 2024 nach Leipzig. Ich werde die Sendung dann leider nicht mehr moderieren. Laut MDR-Chefredakteurin soll die künftige Moderation einen ost-deutschen Hintergrund haben. Das muss ich so akzeptieren. Ich wünsche den Kolleg*innen viel Erfolg 🍀“

Seitdem ist eine Debatte darüber entbrannt, ob hier ausgerechnet Menschen mit Migrationshintergrund gegen solche mit ostdeutscher Herkunft ausgetauscht werden sollen – und was das Ganze über den MDR, die ARD und den Stand der Identitätspolitik in Deutschland aussagt.

Der MDR will davon aber plötzlich nichts mehr wissen. Im Interview mit dem „Tagesspiegel“ sagt Chefredakteurin Julia Krittian:

„Eine solche Aussage habe ich nicht getroffen – und eine solche Einseitigkeit wäre auch nicht meine Haltung. Sämtliche abgeleitete Interpretationen sind falsch. Richtig ist: Wir sind für die Moderation im Gespräch mit unterschiedlichen Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlichen Hintergründen.“

Auch gegenüber „Bild“ ließ der Sender verlauten:

„Eine solche Aussage hat es von MDR-Seite niemals gegeben. Der MDR steht für Vielfalt, in jeder Hinsicht, auch für das künftige Mittagsmagazin.“

Nach Informationen von Übermedien stimmt das aber nicht.

Verschiedene Personen bestätigen, dass Krittian eine solche Aussage intern explizit getroffen haben soll, auch gegenüber dem bisherigen „MiMa“-Team vom RBB. Das NDR-Medienmagazin „ZAPP“ berichtet ebenfalls, dass ihm „mehrere Teilnehmer:innen einer Redaktionskonferenz von Mima und Krittian“ bestätigt hätten, die MDR-Chefredakteurin habe gesagt, „dass man sich beim MDR in Ostdeutschland verwurzelte Menschen wünsche“.

MDR-Chefredakteurin Julia Krittian
MDR-Chefredakteurin Julia Krittian Foto: MDR/Kirsten Nijhof

Wenn das zutrifft, hat Krittian in ihrem Dementi also öffentlich die Unwahrheit gesagt. Das wäre auch deshalb bemerkenswert, weil Krittian damit die beiden RBB-Moderatoren Abdulaziz-Said und Kailouli indirekt der Lüge oder zumindest des groben Missverstehens bezichtigt – was rufschädigend ist für die beiden. Ob sie das auf sich sitzen lassen, ist unklar. Bisher haben sich Abdulaziz-Said und Kailouli dazu nicht weiter geäußert, auch auf Anfrage von Übermedien nicht.

Auf unsere recht einfache und konkrete Nachfrage beim MDR, ob die Äußerung mit dem „ostdeutschen Hintergrund“ so gefallen ist, geht der Sender nicht ein – und antwortet ausweichend:

„Beim Mittagsmagazin des RBB gibt es derzeit vier Moderatorinnen und Moderatoren, beim MDR werden es ab 2024 weniger sein. Die beiden jetzt in der Öffentlichkeit genannten Moderatoren haben sich nicht beim MDR beworben.“

Bemerkenswert hier wiederum ist, dass der MDR schreibt, Abdulaziz-Said und Kailouli hätten sich „nicht beworben“. Weshalb auch, wenn ihnen signalisiert wurde, dass sie aufgrund ihrer nicht-ostdeutschen Herkunft keine Chance haben werden?

Wer bisher zum Moderations-Casting eingeladen wurde, dazu sagt der MDR nichts. Was aus Gründen des Datenschutzes nachvollziehbar ist. „Offenbar“, schreibt das Medienmagazin „Zapp“, seien aber die beiden anderen MiMa-Moderatoren des RBB, Susann Reichenbach und Sascha Hingst, eingeladen worden – und die beiden anderen nicht. Was sich mit unseren Informationen deckt – und passen würde: Reichenbach ist im sächsischen Borna geboren, Hingst in Ost-Berlin.

Unsere Frage, nach welchen Kriterien denn neue Moderatoren fürs „MiMa“ ausgesucht würden, beantwortet der MDR nicht.

Unangenehm aufgeladen

Mit der aktuellen Debatte tritt die ARD mal wieder kommunikativ in einen Fettnapf, auf verschiedenen Ebenen.

Offenbar hat niemand mit Abdulaziz-Said und Kailouli so über die veränderte Situation gesprochen, dass diese sich in irgendeiner Form eingebunden oder auch nur gut behandelt gefühlt haben. Andernfalls hätten sie wohl nicht den mit einem nicht unerheblichen persönlichen Risiko verbundenen Schritt in die Öffentlichkeit gewagt – zumal als Freie. Der schlechte Umgang der ARD oder zumindest einzelner Sender mit ihren vor allem freien Mitarbeiter:innen setzt sich also fort.

Kommunikativ fragwürdig ist auch der weitere Umgang mit der Sache. Das Kind ist ja längst in den Brunnen gefallen, aber der MDR streitet munter Äußerungen ab, die offenbar in einer größeren Runde gefallen sind. Und stellt man konkrete Fragen, geht der Sender darauf nicht ein. Auch „Zapp“ hat diese Erfahrung gemacht:

„Wir haben dazu viele Fragen an den MDR gestellt – leider wurden fast alle nicht beantwortet.“

Obendrein wird nun eine unangenehm aufgeladene identitätspolitische Debatte darüber geführt, wer oder was ostdeutsch ist. Eine solche Debatte wurde vor allem von der Autorin Jana Hensel und dem „Zeit”-Journalisten Martin Machowecz forciert. Die haben dabei immer wieder betont, dass es dabei eben nicht darum gehe, ostdeutsche gegen andere marginalisierte Positionen auszuspielen. Bezeichnenderweise kritisierte Machowecz im vergangenen Jahr, dass Krittian zur MDR-Chefredaktion berufen wurde – weil sie „westdeutsch“ sei. Seinen Tweet dazu hat er offenbar wieder gelöscht.

Krittian bestreitet die explizite Nennung einer ostdeutschen Verwurzelung oder Herkunft nach Übermedien-Informationen auch MDR-intern: In einer Besprechung zur Organisation und Struktur des künftigen „MiMa“ (an der auch MDR-Indendantin Karola Wille teilgenommen hat) soll Krittian gesagt haben, die losgetretene Debatte sei unprofessionell und beruhe auf persönlichen Befindlichkeiten im RBB. Sie habe bloß darauf aufmerksam gemacht, dass dem MDR ostdeutsche Perspektiven wichtig seien.

Im bisherigen „MiMa“-Team gibt es jedenfalls erheblichen Frust über den Umzug des Magazins und den Umgang der Sender mit den Macher:innen. Das hat unter anderem damit zu tun, dass freie Mitarbeitende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks viel prekärer beschäftigt sind, als die Anstalten und auch die Öffentlichkeit glauben (machen): So genannte Rahmenverträge mit ein- oder zweijähriger Lauffrist sind die Norm, mit der sich die Sender die aus ihrer Sicht notwendige personelle Flexibilität verschaffen. Abgesichert wird das von einem Jahrzehnte alten Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ihnen dieses Vorgehen wegen der Rundfunkfreiheit exklusiv zubilligte.

Das hindert die Anstalten aber nicht daran, Mitarbeiter:innen für Redaktion und Moderation so zu rekrutieren, dass sie ihren Arbeits- und Lebensmittelpunkt im Prinzip an ein Format knüpfen müssen. Wird eine komplette Sendung nun von einer zur anderen Anstalt verlagert, heißt dies für viele Beschäftigte, sich im Sender oder außerhalb des Senders neue Aufgaben suchen zu müssen – auch, wenn die bisherige Tätigkeit möglicherweise über Jahre ein Full-Time-Job war und man dementsprechend kaum die Möglichkeit hatte, sich als echte Freie anderswo einen Namen zu machen.

Ironischerweise wird dies auch auf die neuen Moderator:innen des „MiMa“ zutreffen, denn der MDR plant die Reduktion auf zwei statt vier Gesichter, die einen hohen Wiedererkennungswert haben und langjährig moderieren sollen. Wer auch immer in Zukunft moderiert: Auch das neue Team muss hoffen, dass es nicht in ein paar Jahren vor ähnlichen Problemen steht wie die jetzige RBB-Crew. Schön ist das alles jedenfalls nicht.

Offenlegung: Ich arbeite als freier Mitarbeiter für SWR und NDR und habe zeitweise beim NDR sowohl mit Aimen Abdulaziz-Said als auch mit Nadia Kailouli für dieselben Redaktionen gearbeitet.

6 Kommentare

  1. Solange der RBB das Mittagsmagazin produzierte, hat er die Moderatoren gestellt. Nun übernimmt der MDR. Also bestimmt er die Moderatoren nach seinen Kriterien. Das ist kein Skandal. Die bisherigen Moderatoren sollten sich mit öffentlichen Äußerungen zurückhalten und nicht versuchen, die Rassismuskartezu ziehen. Ein Regionalsender kann auch regionale Kriterien berücksichtigen. Es kann sogar sein, dass Herr Reisin mit seinem Vorwurf der Lüge richtig liegt. Aber selbst dann ist der MDR nicht verpflichtet, die Moderatoren vom RBB zu übernehmen.

  2. Der Author behauptet doch auch gar nicht, dass die Nichtweiterbeschäftigung an sich ein Skandal wäre.
    Er hinterfragt, ob die öffentlichen Aussagen der MDR-Intendatin der Wahrheit entsprechen oder ob sie zu Lasten der Reputation der beiden nicht weiterbeschäftigten Moderatoren gelogen hat, indem sie deren Aussagen wider besseren Wissens widersprochen hat.

  3. „Die bisherigen Moderatoren sollten sich mit öffentlichen Äußerungen zurückhalten und nicht versuchen, die Rassismuskartezu ziehen.“

    warum?
    weil Ihnen das nicht gefällt?

  4. Ich verstehe die persönliche Betroffenheit der beiden Moderatoren. Und wenn stimmt, was da steht, dann kann ich das feige Verhalten von Frau Krittian, selbst Westdeutsche, nur lächerlich finden. Aber Tatsache ist auch: Gestern haben 460.000 Menschen das Mittagsmagazin – zugegeben vom ZDF – gesehen. Bei der ARD werden es ja nicht wesentlich mehr sein. Den meisten Menschen ist es also herzlich egal, wer da die Ansagen zwischen den Filmchen macht.

  5. Mein einer Opa kam aus dem heutigen Brandenburg – dürfte ich wohl da Moderator werden?

  6. Hä, wieso haben die Moderator:innen denn die Rassimuskarte gezogen? Ostdeutsch heißt ja nicht zwingend und automatisch ohne Migrationshintergrund? Es gab auch schon in der DDR Afrikaner:innen und Südostasiat:innen. Pars pro toto hier ein Beispiel: https://halbekatoffl.de/joyce-sondi-binneboese-kamerun/

    Ergo: Indem Anrej Reisin nicht nur auf den Migrationshintergrund, sondern auch auf die westdeutschen Gegenden hinweist, in denen die beiden vom Jobverlust Betroffenen aufgewachsen sind, ist für mich eigentlich klar: Hier geht es nicht (zumindest nicht ausschließlich bzw. nicht vordergründig) um einen Rassismusvorwurf. Rassistisch ist doch eher diejenige Person, die „ostdeutsch“ mit „biodeutsch“ assoziiert, oder nicht?

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