„Ost-Migrantische Analogien“

Ossis benachteiligt wie Migranten? Eine halbgare Studie mit lautstarken Fans

Grafik: DeZIM

Wenn eine Studie sich zum 30-jährigen Jubiläum der „Wende“ mit „Ost-Migrantischen Analogien“ beschäftigt, dann ist ihr Aufmerksamkeit sicher. Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), das sie in Auftrag gegeben hat, will damit nach Angaben der Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan für gemeinsame Diskriminierungserfahrungen sensibilisieren.

Viele Medien schossen in ihren Interpretationen darüber allerdings weit hinaus: Aus den Gefühlen der Benachteiligung, die in der Studie vor allem abgefragt wurden, wurde schnell eine reale. So titelte „Zeit Online“ beispielsweise: „Ostdeutsche und Migranten ähnlich stark benachteiligt“; die „Märkische Oderzeitung“ befand: „Ostdeutsche benachteiligt wie Migranten“, und „Focus Online“ titelte unter Berufung auf das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ gar: „Lohn, Arbeitslosigkeit, Elitepositionen – Studie zeigt: Ostdeutsche und Migranten werden ähnlich stark benachteiligt“.

An der Verwirrung hatte die Nachrichtenagentur dpa größeren Anteil. Die hatte die Ergebnisse der Studie zunächst wiedergegeben mit: „Ostdeutsche und Migranten fühlen sich als Bürger zweiter Klasse“, machte daraus aber in späteren Meldungen: „Ostdeutsche und Muslime werden ähnlich benachteiligt“. Erst später berichtigte dpa das und meldete nun: „Studie: Ostdeutsche fühlen sich als Bürger zweiter Klasse“.

Wirkliche, echte Gänsehaut

Ostdeutsche als Menschen zu begreifen, die in die westlich geprägte Bundesrepublik gewissermaßen „migriert“ sind, bietet einen hohen Oberflächenreiz – und offenbar ein starkes Identifikationsangebot: Die Schriftstellerin und Journalistin Jana Hensel („Zonenkinder“, „Neue deutsche Mädchen“, „Zone – Warum wir Ostdeutschen anders bleiben sollten“), wirbt bei „Zeit Online“ und in der „Zeit im Osten“ seit Monaten für diesen Ansatz. Bereits im Mai 2018 schrieb Hensel begeistert über Migrationsforscherin Foroutan:

Am vergangenen Wochenende gab die Migrationsforscherin Naika Foroutan in der taz ein Interview, in dem sie sehr klug und freundlich die Ostdeutschen einlud, doch auch in den Kreis der hiesigen Migranten einzutreten. (…) Als ich das las, bekam ich Gänsehaut. Nicht in einem übertragenen Sinne, sondern tatsächlich und wirklich und echt. Ich ahnte, ich würde dieses Interview als eine andere verlassen als die, die ich war, als ich es zu lesen begann.

Im Juni 2018 diskutierte Hensel unter anderem mit Foroutan und der ebenfalls von der These begeisterten „Spiegel Online“-Kolumnistin Ferda Ataman im „taz Café“ über die vermeintlichen oder tatsächlichen Analogien zwischen Ostdeutschen und Migranten. Kurz vor Veröffentlichung der aktuellen Studie führte Hensel nun ein Interview mit Foroutan.

Gleichzeitig stehen Hensels Publikationen im Quellenverzeichnis der Studie. Das Interview gleicht dann auch eher einem Fan-Gespräch, in dem Hensel zustimmende Stichworte einwirft, zu denen Foroutan ohne weitere kritische Nachfragen ihre Sicht der Dinge erläutert. So antwortet Foroutan auf die Frage danach, ob ihr während der Forschungsarbeit aufgefallen sei, „dass Ostdeutsche ähnlich benachteiligt wie Migranten sind“:

„Nein, das war selbstverständlich für mich. Das wäre so, als würden Sie mich fragen, ob ich irgendwann erkannt hätte, dass Frauen benachteiligt sind. Wer wie ich mit solchen Daten arbeitet, konnte die Benachteiligung von Ostdeutschen schon immer sehen. Ich hatte also kein besonderes Aha-Erlebnis.“

Nach ergebnisoffener Forschung klingt das nicht.

Wenn man sich Foroutans Aussagen vom Mai 2018 anschaut, der Erhebungszeitraum der Studie aber von Juni 2018 bis Januar 2019 war, drängt sich die Frage auf, ob hier rausgefunden wurde, was man schon vorher zu wissen glaubte.

Muslime oder Migranten oder beides?

Noch problematischer ist, dass zentrale Kategorien undefiniert bleiben. So werden „Migranten“ und „Muslime“ permanent synonym benutzt – obwohl es sich um vollkommen verschiedene Kategorien handelt.

Gefragt wurde im Hinblick auf Diskriminierungserfahrungen im zentralen Block „Stereotypisierung von Ostdeutschen“ tatsächlich vor allem nach Muslimen. Die Begriffe, nach denen unterschieden wird, lauten „Ostdeutsch/Westdeutsch/Muslimisch“ gefragt. Nur bei der Zusatzfrage, ob es für marginalisierte Gruppen Quoten geben sollte, geht es dann plötzlich um: „Ostdeutsche/Frauen/Migranten“.

Während Muslime und/oder Migranten anhand von Merkmalen diskriminiert werden (können), die in unterschiedlichen Abstufungen schwer bis gar nicht zu ändern sind (Religionszugehörigkeit, Nachname, Staatsbürgerschaft, Hautfarbe), ist die Abwertung Ostdeutscher in dieser Form kaum belegbar. Man müsste dafür im Prinzip nachweisen, dass ein „Jan Meier“ aus Mecklenburg, der nach Hamburg zieht, dort bei Job- und Wohnungssuche, bei Bildungschancen und Bezahlung, bei Behördenkontakt und so weiter aufgrund diskriminierender Praktiken erhebliche Nachteile hat – und zwar im Vergleich zu einem „Jan Meier“ aus Bayern, der dieselbe innerdeutsche Migration vollzieht. All dieses lässt sich nämlich in Abstufungen nachweisen, wenn man den Vergleich zwischen „Jan Meyer“ und „Murat Bekdemir“ anstellt.

Nichts davon leistet die vorliegende Studie allerdings – sie will es auch nicht. Dass ihren Autorinnen und medialen Gesprächspartnern dennoch die Kategorien verrutschen und so getan wird, als sei ein „Rassismus“ gegenüber „Ostdeutschen“ nachweisbar, irritiert. So antwortet Fourutan in einem anderen Interview in der „taz“:

„Ostdeutsche sind weniger stark von Rassismus betroffen als Muslime und bekanntermaßen strukturell deutlich besser gestellt. Aber offenbar sind die Stereotype über Ostdeutsche so wirksam, dass sie sich ähnlich weit unten und ausgegrenzt verorten. Das ist ein Grund für antimuslimische Haltungen im Osten: Man fühlt sich von der westdeutschen Mehrheit ausgegrenzt – und fürchtet deshalb den sozialen Aufstieg der anderen Außenseitergruppe.“

Ferda Ataman wiederum beschwert sich in ihrer „Spiegel Online“-Kolumne exakt über diese Vermischung, tut aber so, als läge diese nicht in der Studie und solchen Äußerungen begründet, sondern ausschließlich in ungenauen medialen Rezeptionen:

Umso ärgerlicher ist, dass die Studie irritierend falsch wiedergegeben wurde. Denn es ging um die Einstellungen über zwei Gruppen und nicht darum, dass Ostdeutsche und Muslime ähnliche Diskriminierung erleben, wie die meisten Medien berichtet haben. Das wäre ja auch absurd. Oder können Sie sich vorstellen, dass jemand mit ostdeutschem Akzent genau so stark diskriminiert wird wie eine Frau mit Kopftuch?

Die Frage ist berechtigt, nur sollte Ataman sie vielleicht lieber Naika Foroutan stellen. Und wer sich darüber beklagt, dass Studien „irritierend falsch“ wiedergegeben werden, sollte seinerseits vielleicht genauer sein. Ataman schreibt:

Und auch die Zohigrus [Deutsche mit Zonenhintergrund] sollen nicht so viel rumjammern, sich mehr von Extremismus distanzieren und endlich richtig in Deutschland ankommen. So denkt laut Studie über ein Drittel der Bevölkerung.

Eingeschränkte Antworten – große Interpretationen

Gefragt wurde tatsächlich nach der Zustimmung zu dem Satz: „Ostdeutsche sind noch nicht richtig im heutigen Deutschland angekommen.“ Dem stimmten 36,4 Prozent in Westdeutschland und 32,1 Prozent in Ostdeutschland zu. Die Antworten muslimischer Befragter wurden herausgerechnet. Von einer Forderung danach, „endlich anzukommen“ kann keine Rede sein. Zumal die Antworten durch die Interviewer vorgegeben wurden.

Gerade das einschränkende „richtig“ ist hier bemerkenswert. Wie wäre die Zustimmung ausgefallen, wenn man gefragt hätte: „Sind Ostdeutsche im heutigen Deutschland angekommen?“ In jedem Fall erleichtert die Einschränkung „richtig“ die Zustimmung. Vielleicht möchte jemand damit auch zum Ausdruck bringen, dass eben noch nicht alles „richtig“ läuft, so lange die Löhne im Osten nicht dieselben sind.

Die DeZIM- Studie zieht dagegen andere, dafür aber umso weitreichendere Schlüsse:

Implizit heißt es: Sie können doch nicht die gleiche Teilhabe und Repräsentation erwarten, wie „wir“ – sie sind ja noch nicht so lange hier. Damit werden die Ostdeutschen diskursiv „migrantisiert“.

Wobei hier ein zentrales Problem der Studie augenfällig ist, nämlich sehr weitreichende Interpretationen, die man auch völlig anders vornehmen könnte. Eine der wenigen Stimmen, die diese Methode moniert, ist Wiebke Hollersen, die für das Wissensressort der „Welt“ schreibt und mehrere Schwachstellen der Studie auf Twitter benannte:

So geben zum Beispiel nur 18,2 Prozent der befragten Westdeutschen an, dass Ostdeutsche „wie Bürger zweiter Klasse“ behandelt würden. Nur 10,9 Prozent fürchten sich vor dem gesellschaftlichen Aufstieg Ostdeutscher in Führungspositionen und nur 14,9 Prozent glauben, dass ostdeutsche Bildungserfolge zulasten der Restbevölkerung gehen.

Foroutan und ihr Team leiten daraus ab, dass Westdeutsche die reale Diskriminierung von Ostdeutschen gar nicht wahrnehmen würden – und konstruieren den Vorwurf, sie würden „die Wunden der Wiedervereinigung ignorieren“. Umgekehrt könnte man allerdings genauso sagen, im Gegensatz zu Muslimen lässt sich eine aktive und gewollte Diskriminierung von Ostdeutschen kaum messen.

Natürlich verdient die Wohnbevölkerung in Ostdeutschland weniger und ist weniger wohlhabend. Das ist ein ernstzunehmendes Problem, das aber auch seit Jahrzehnten von Politik und Medien wahrgenommen und thematisiert wird. Es hat bereits ein enormer Aufholprozess stattgefunden, die aktuell ärmsten Städte des Landes liegen nicht in Ostdeutschland, sondern vor allem im Ruhrgebiet, dessen Strukturwandel im Hinblick auf De-Industrialisierung dem ostdeutschen im Übrigen nicht ganz unähnlich ist. Doch niemand käme auf die Idee, die dortige Deprivation als Folge einer gesellschaftlich-politischen Diskriminierung wahrzunehmen. Ob die bestehende Benachteiligung der Wohnbevölkerung in Ostdeutschland also die Folge diskriminierender Politik der westdeutschen Mehrheitsgesellschaft ist, darf zumindest als umstritten gelten.

Kritik wird delegitimiert

Foroutan und ihre medialen Anhänger immunisieren sich gegen Kritik mit zwei rhetorischen Figuren. Da die Studie selbst ja schon feststellt, dass Westdeutsche die Diskriminierung Ostdeutscher, die sie selbst betreiben, nicht wahrnehmen, erscheint jede Kritik von Westdeutschen an der Studie nur als eine Bestätigung dieses Befundes. Ostdeutsche, die mit den Befunden nicht einverstanden sind, und zum Teil vehement widersprechen, hätten dagegen die Vorurteile der Westdeutschen einfach internalisiert.

Hensel spricht in diesem Zusammenhang analog zur Figur des jüdischen Selbsthasses von „ostdeutschem Selbsthass“, Foroutan vergleicht es mit „internalisierter Mysogynie“ bei Frauen und nennt ostdeutsche Stimmen, die ebenfalls ein Problem mit einer Opfhaltung haben, „native informants“, die für sich reklamierten, authentisch über eine Gruppe zu berichten, in Wirklichkeit aber nur die Rolle des „guten Muslims“ oder des „guten Ostdeutschen“ für die dominante Mehrheitsgesellschaft spielten.

Der Tonfall gegenüber Kritikern auf Twitter ist zuweilen konfrontativ: So empört sich Jana Hensel in mehreren Tweets über die Überschrift „Sind Ostdeutsche auch nur Migranten?“ in der „Berliner Zeitung“:

Laut Hensel beinhalt die Wendung „nur Migranten“ eine Hierarchisierung und Abwertung sowohl von Migranten als auch Ostdeutschen, außerdem wirft sie der Autorin Sabine Rennefanz „journalistisch unsauberes“ Arbeiten vor, was diese wiederum zurückweist.

Nun kann man über die Wendung „auch nur Migranten“ sicher streiten, aber im Mai 2018 hatte Ferda Ataman ihre „Spiegel Online“-Kolumne zum Thema exakt genauso betitelt: „Sind Ossis auch nur Migranten?“ Hensel empfahl und verteilte den Text damals euphorisch, nichts an der Überschrift schien sie zu stören, im Gegenteil, beide Autorinnen lobten sich gegenseitig auf Twitter.

Offenbar sind bestimmte Formulierungen, die Ostdeutsche diskriminieren, also nur dann fragwürdig, wenn sie in Texten stehen, die sich kritisch mit der These auseinandersetzen, Ostdeutsche und Muslime oder Migranten hätten ähnliche Diskriminierungserfahrungen. Dass Sabine Rennefanz ebenfalls Ostdeutsche ist, ist dabei kein Widerspruch, sondern bestätigt scheinbar nur die These von den angeblich internalisierten Vorurteilen.

Wo sind Ossis mit Migrationshintergrund?

Eine Perspektive, die dagegen sowohl in der Studie als auch bei ihren medialen Unterstützern seltsam abwesend ist, ist diejenige von Ostdeutschen mit Migrationshintergrund. So wies der Historiker Patrice G. Poutrus, der in Ost-Berlin aufgewachsen ist, auf Twitter darauf hin, welchen Anteil am wieder erstarkten Nationalismus Ostdeutsche seiner Meinung nach hatten:

Ali Schwarzer, der 2015 wegen des grassierenden Rassismus von Leipzig nach Mannheim gezogen ist, kritisierte die entsprechende Ausblendung tatsächlich „ost-migrantischer“ Erfahrungen und Erzählungen schon angesichts des Hashtags #DerAndereOsten:

Da hilft es auch nicht, wenn Menschen unter dem Hashtag #DerAndereOsten beteuern, „wie wunderbar es sich hier leben lässt.“ Es stimmt halt nicht, wenn du Schwarz bist.

Die These, wonach die anti-muslimischen Ressentiments maßgeblich mit der eigenen Abwertungserfahrung seit der Wende verknüpft sind („Die Angst, auf Platz 3 zu landen“, wie Foroutan meint), blendet schlechterdings die lange Geschichte von Rassismus und rassistischer Gewalt in der ehemaligen DDR aus.
Der ebenfalls aus Sachsen stammende Politikwissenschaftlicher Michael Lühmann vom Göttinger Institut für Demokratieforschung wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die These vom aus dem Westen importierten Nazis die Ostdeutschen „infantilisiere“ und ihren jede Verantwortung für das eigene Handeln abspreche:

Die originär und mehrheitlich ostdeutschen Parteien wie die wiedergegründete SDP/SPD, die Bürgerbewegten von Bündnis 90 oder die gewendeten Sozialisten wurden mit politischer Nichtbeachtung gestraft, während in Sachsen und Thüringen mit Kurt Biedenkopf und Bernhard Vogel westdeutsche Politiker Ergebnisse von über 50 Prozent einfuhren. Und heute folgen die frustrierten und verängstigten ostdeutschen Männer wieder westdeutschen Politikerimporten, den Höckes, Gaulands und Maiers – auch weil sie enttäuscht sind von einer der ihren: von Angela Merkel.

Wer oder was ist Ostdeutscher?

Weder die Studie noch die mediale Debatte definieren, wer eigentlich „ostdeutsch“ ist. Zwar wurden die Teilnehmer gefragt, ob sie sich eher als „Deutsche“ oder eher als „Ost“- bzw. „Westdeutsche“ bezeichnen. Die Möglichkeit „beides“ oder „keines von beiden“ zu antworten, bestand zwar, wurde von den Interviewern aber nicht vorgelesen. Wer wie geantwortet hat, und wie die entsprechenden Antworten mit der festgestellten Diskriminierungserfahrung korrelierten, erfährt man in der Auswertung aber nicht. Gemessen wurde stattdessen, wie gesagt, die Wohnbevölkerung.

Wer sich ein wenig mit regionalen Identitäten beschäftigt hat, auch und gerade in Ostdeutschland, muss hier eigentlich stutzig werden. Dazu zwei Beispiele aus dem Bereich der Fußball-Fankultur:

  • Ein Spruchband von Hansa-Rostock-Fans, gerichtet an die Gäste aus Dresden: „Das Schlimmste am Sommer seid Ihr an unseren Stränden.“
  • Ausschnitt aus einer „Spiegel TV“-Reportage, die Fans von Union Berlin zum Auswärtsspiel bei Dynamo Dresden begleitete. Auf die Reporter-Frage, worin das Problem bestehe, antwortet ein Fan der Eisernen aus Köpenick: „Das sind Sachsen, das ist das Problem. Scheiß Sachsen.“

Diese Aussage stammt immerhin von jemandem, dessen Verein sich auch ostdeutsche Identität auf die Fahnen geschrieben hat: „Wir aus dem Osten geh’n immer nach vorn, Schulter an Schulter für Eisern Union“, singt Ost-Ikone Nina Hagen in ihrer Hymne für den Verein. Und außerdem: „Wer lässt sich nicht vom Westen kaufen? Eisern Union, Eisern Union!“

Offenbar haben wir es hier also mit einer anderen ostdeutschen Identität zu tun, einer Ost-Berliner, die sich wiederum in erheblichem Maße von Sachsen abgrenzt. Genauso gilt umgekehrt: Die alles bestimmende preußische Metropole mit Partei-, Staats- und Regierungsapparat und den dazugehörigen Institutionen wie zum Beispiel dem DDR-Rekordmeister BFC Dynamo war in der sächsischen Provinz schon zu DDR-Zeiten genauso verhasst. Bei der (West-)Berliner Hertha hingegen hieß es früher bei jedem Spiel gegen westdeutsche Vereine „Ihr seid Wessis, asoziale Wessis …“ – alles nicht so einfach mit den Identitäten.

Bemerkenswert ist jedenfalls, wie die Vielfalt ostdeutscher Biographien und regionaler Identitäten, die verschiedenen politischen Einstellungen, sexuellen Orientierungen, die Unterschiede zwischen Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg, zwischen ländlichen Räumen und Berlin nun ausgerechnet in einer gesamtostdeutschen Identitätszuschreibung aufgehen sollen, die sich entlang einer Diskriminierungserfahrung konstituiert.

16 Kommentare

  1. Mit solchen Studien rund um Diskriminierung und Benachteiligung kann man jetzt sehr gut leben. Solche Geschichten sind sehr oft bzw. gefühlsmäßig zu oft thematisiert.

    Je nach Fragestellung und Anzahl von Fragen bekommt man die gewünschten bzw. bestellten Ergebnisse. Dann wird es publiziert und zitiert…

    Die Leser konsumieren es unter dem Motto „hab i doch gsagt“ und „wer hätte das gedacht“…

  2. Der Länder Pay Gap ist ja schon ein struktureller Nachteil. Aber echt jetzt, gefühlte Diskriminierung? Und warum werden Ostdeutsche nach der Diskriminierung von Muslimen/as befragt, aber nicht umgekehrt?

  3. Achtung leicht OT:

    Ich sehne mich noch immer nach zdfinfo Serien wie „so war der Westen wirklich… Alltag in Wanne Eickel in den 8oern“ etc.

    M.E. wird viel zu sehr darüber berichtet wie ungut die DDR in Alltagsfragen war und vernachlässigt dabei, das wir Wessis in den 80ern auch beschissene Frisuren und Klamotten hatten und zwei Jahre auf einen Fernseher mit Holzvertäfelung gespart haben – der erst Mitte der 80er mehr als 3 Programme gezeigt hat. Damit will ich nicht die verbrecherische Diktatur in der DDR schönreden – mir geht es um diese Masse an „so war [insert topic] in der DDR“ – Dokus die bei ARD und ZDF teils ganze Tage füllen und m.E. ausser acht lassen, das die Masse der Wessis damals auch keine mercedesfahrenden goldkettentragenden Villenbewohner waren gegen die Derrick ermittelt.

  4. Also ich vermisse die ostdeutschen Frauen!
    In der Studie!!
    Aber jetzt im Ernst ,
    wenn eine Identifikation über die öffentliche Sprache
    stattfindet,
    die im Osten nicht mehr stattfinden kann,
    ist natürlich so das die Wahrnehmung ist,
    man fände nicht Staat äh statt!
    Gemeint ist der offizielle Parteisprech.
    Alle im Osten sind froh das es den nicht mehr gibt und zugleich
    kommt dieser Migrantengeschichte hoch…
    Hmmmm.
    Mich deucht da könnte etwas Interessantes zum Thema Sprache und Gefühl und Heimat bei rumkommen

  5. Oh je, gefühlte Diskriminierung(serfahrungen) werde ich wohl bei jeder irgendwie zusammengewürfelten Gruppe abfragen können. Wenn dann noch handwerkliche – tja, Patzer kann man das kaum noch nennen, eher – Ausfälle wie „So werden „Migranten“ und „Muslime“ permanent synonym benutzt“ hinzukommen, kann ich die Ergebnisse in keiner Weise mehr ernst nehmen. Danke für das Aufdröseln dieser „Studie“ sowie der begleitenden Umstände!

  6. @anderer Max:F.J Wagner kennt kein „deucht“!
    Hatta mal unter der Deuche äh Dusche verraten ;-)

    Natürlich hat Otto Normalossi nicht im täglichen Leben den Politsprech verwendet,aber dieser gehörte zur Lebenumwelt .
    Der Politsprech war da und dann war er weg und die Kapitalischen Sprachreglungen konnten dieses Defizit nicht auffangen.
    Ich weiss das es eine gewag(ner)te These ist.
    Aber Sprache ist auch Heimat und Sinnstiftend…

  7. Das Benachteiligungsgefühl der Ossis mit Fußball-Lokalpatriotismus entkräften zu wollen, ist das dümmste Argument in dieser ganzen Debatte. Westdeutschland sollte mal aufhören seine Nazis in den Osten zu expotieren (Höcke, Gauland, Maier,…)

  8. Berechtigte Kritik am Umgang mit der Studie und ihren methodischen Unzulänglichkeiten. Wenn aber bei der Kritik an der ostdeutschen Identitätsbildung, die strukturellen Abwertung nicht eingerechnet werden und z. B. dieser einfache Einkommensvergleich gemacht wird zwischen dem Ruhrgebiet und Ostdeutschland, frag ich mich schon ob sich die Autor, über die strukturellen Veränderung im Osten seit der Wende bzgl. der gegenwärtigen Rentenunterschiede, der mangelnden Möglichkeit eines Vermögensaufbau, weniger Führungspositionen etc., beschäftigt hat. Diese Ungleichheiten und Diskriminierungen sind zu einem bestimmten Maß auf den „sozialistischen“ Charakter der DDR zurückzuführen. Für den müssen selbst die heute noch zahlen, die in Opposition zur DDR standen. Symbolische Zuschreibungen (Unterntanengeist- da autoritärer Staat, faul- weil keine Konkurrenz…) und strukturell (kein Zugang zum eigenen Volksvermögen, niedrige Renten- da z.b. viel weniger Leute studieren durften oder geschiedene Frauen- die in gar kein westdeutsches Rentenraster fielen etc.) Die Idee hinter diesen Vergleichen, von unterschiedlich Marginalsierten, soll ja auch sein, die Strukturen und den Zweck dieser Abwertungspolitik aufzuzeigen, um eine bestimmte Herrschaftslogik den Marginalisierten bewußt zu machen. Ein kleiner Effekt solcher ostdeutscher Identitätspolitik könnte schon sein, dass sich mehr Ostdeutsche als Westdeutsche für eine Migrantenquote einsetzen.(31.6 zu 31,2 Prozent,) Klar sollte sein, dass rassistische Gewalt gegen Minderheiten, wo Leib und Leben qua äußerem Erscheinungsbild in Gefahr ist, ein wesentlicher Unterschied der Marginalisierung ist, als ohne diese. Aber wie gesagt, es geht darum die Kämpfe neben- und miteinander gegen die Profiteure dieser Zuschreibungen zu führen. Gerne auch mit dem Ruhrpottkumpel* , wenn es da symbolische und strukturelle nachweise gibt.? Ansonsten können sie sich ja auch, wie viele Ostler*innen unter den anderen Identitätspolitiken einreihen: z.B. Arbeiter*innen (die auch alle sehr heterogen sind)

  9. Sorry, aber ohne Belege (dieser Messbarkeit) ist auch dieser Artikel zumindest teilweise unsauber erarbeitet, wenn lapidar – und als Widerspruch zu „unsauber erarbeiteten“ Thesen – konstatiert wird „Umgekehrt könnte man allerdings genauso sagen, im Gegensatz zu Muslimen lässt sich eine aktive und gewollte Diskriminierung von Ostdeutschen kaum messen.“
    Vielmehr scheint es so, als wenn ein zentraler Kritikpunkt auch auf den Autor zutrifft. Nämlich dass Bestimmtes angenommen und dann aber wie ein Fakt behandelt wird. Schade. Denn derlei entwertet den resultierenden Artikel unabhängig vom geleisteten Rechercheaufwand – und wohl die zumindest in Teilen berechtigte Kritik an Studie bzw. Aussagen (wie die „nur Migranten“-Empörung) dazu.

  10. Na, dann Ostdeutsche:
    integriert Euch, so wie Ihr erwartet, dass Migranten sich integrieren.
    Und noch ein wenig Polemik hinterher: lassen sich Sachsen überhaupt integrieren?

    Mein lieber Mann, da wird ein Zusammenhang konstruiert, der mir sehr fragwürdig erscheint.

  11. An der Studie mag vieles zu bemängeln sein, und was hier im Detail kritisiert wird, erscheint mir meist durchaus nachvollziehbar. Das ändert aber leider nichts an der tatsächlichen Benachteiligung Ostdeutscher, die durch so viele harte Kennzahlen belegbar ist, dass es schon ein gehöriges Maß Realitätsverleugnung braucht, um sie zu bestreiten. Irgendwelche „gefühlten Benachteiligungen“ sind demgegenüber sekundär.

    Außerdem scheint der Autor nicht ganz zu verstehen, was „ergebnisoffen“ meint. Nämlich nicht, dass vor Beginn einer Studie keine Vorannahmen oder Erwartungshaltungen bezüglich der Ergebnisse existieren dürften. Es meint lediglich, dass die Bereitschaft existieren muss, Vorannahmen anhand der gewonnenen Daten zu überprüfen und bei gegenteiligen Ergebnissen zu modifizieren oder zu verwerfen.

    Zudem scheint die Studie auch gar nicht die Absicht gehabt zu haben, Existenz, Art und Grad der Benachteiligung Ostdeutscher zu überprüfen. Das wurde vielmehr als bekannt vorausgesetzt, was angesichts der entsprechenden Datenlage auch völlig ok ist. Soweit ich das auf den ersten Blick verstehe, befasst sich die Studie eher mit der Wahrnehmung dieser Benachteiligung durch verschiedene Gruppen, oder?

  12. @ 9 Hi Hi Pop

    „Westdeutschland sollte mal aufhören seine Nazis in den Osten zu expotieren (Höcke, Gauland, Maier,…)“

    Die scheinen es wohl im Osten einfacher zu haben als im Westen, deshalb „exportieren“ sie sich ja auch dahin.

  13. (Zu früh gesendet, einen Gedanken wollte ich noch loswerden.)

    Mich nervt es – auch in der DDR geboren, aber ein paar Jahre später als Frau Hensel – seit Jahren, dass diese Frau ständig meint, auch für mich reden zu müssen. Ich bin schon groß und kann das alleine und benötige niemanden, der mich an die Hand nimmt.

    Die Steigerung des Ganzen ist nun, dass Leute wie ich, die die gesellschaftlichen Verhältnisse im Osten Deutschlands tatsächlich sehr kritisch sehen, einfach die Vorurteile der Westdeutschen internalisiert hätten. Nö, ich war nur genug in ostdeutschen Kreisen (auch außerhalb von HenselsWohlfühl-Bubble) unterwegs, um so manches Vorurteil – leider – bestätigt zu sehen, zumindest in Teilen der Gesellschaft.

  14. Danke für die Aufklärung.

    Ich habe das Interview bei ZON gelesen und war verwundert, wie man solche Bullshitthesen ermitteln kann. Allerdings merkt man immer häufiger, dass soziologische Studien in erster Linie eine Meinung bestätigen und nichts Neues herausfinden sollen. Und damit wird am Ende eine Art Journalismus betrieben, bei dem es vor allem darum geht eine moralische Haltung zu zeigen und diese allen anderen als besonders Gut zu verkaufen. Das zeigt sich dann auch in diesem Konflikt.

    Ich fände das noch nicht mal sonderlich tragisch, wenn nicht mittlerweile alle „grossen“ Blätter so wären. Die Nachricht als solche kommt immer weniger vor. Ich würde mich als Leser mehr ernst genommen fühlen, wenn ich anhand einer Schilderung von Nachrichten eine eigene Meinung entwickeln dürfte. Das ist aer so nicht mehr erwünscht. Die Meinung steht vorher fest, wie die Ergebnisse von Studien.

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