Wulf Schmiese

„Die Gründe für den Fehler interessieren außerhalb der Medienbubble wohl kaum jemanden“

Immer wieder gibt es Kritik daran, wie das ZDF mit Fehlern umgeht. Was schief läuft, werde nicht ausreichend transparent gemacht, Berichtigungen dauerten mitunter lange, und nur sehr selten würden Fehler auch im Fernsehprogramm thematisiert. Korrekturen finden Zuschauer:innen in den allermeisten Fällen lediglich auf der Internetseite des ZDF, Korrekturen im Programm sind selten.

Aktuell fordert ein Menschenrechtsaktivist, der durch einen Fehler in Beiträgen von „heute“ und „heute xpress“ falsch dargestellt wurde, eine Entschuldigung und eine Richtigstellung – in den Sendungen. Was sagt das ZDF dazu? Wie geht der Sender grundsätzlich mit Fehlern um? Und sollten diese nicht auch dort thematisiert werden, wo sie passieren, also im Fernsehen, und nicht nur im Internet?  

Auf unsere Anfrage vermittelt das ZDF ein Gespräch mit Wulf Schmiese, dem Redaktionsleiter des „heute journals“. Frederik von Castell hat ihn in Berlin getroffen.


Wulf Schmiese im "heute journal"-Studio.
Foto: ZDF/Klaus Weddig

Übermedien: Herr Schmiese, wie viele Fehler macht das ZDF in seinen Programmen?

Wulf Schmiese: 24 Stunden täglich Programm linear, digital und online, 365 Tage im Jahr – realistischerweise wird da jeden zweiten Tag irgendwo was schief gehen. Aber journalistische Fehler oder auch Unkorrektheiten, die man korrigieren muss, gibt’s angesichts des gesendeten Umfangs relativ wenige, vielleicht 40 im Jahr?

Nur 40 Fehler an 365 Tagen? Das klingt erstaunlich wenig. Aber auch auf der Korrekturenseite des ZDF wurden 2022 lediglich 36 Fehler aufgelistet, für 2021 finden sich 39, und in diesem Jahr sind es bisher 15. Wie wird überhaupt entschieden, was da landet?

Wenn wir einen Fehler zu korrigieren haben, formulieren wir eine Korrektur, die wir den Zuständigen in der Chefredaktion mailen. Die kümmern sich dann um die Veröffentlichung auf der ZDF-Site und es werden auch in der Konferenz alle mündlich informiert. Voraussetzung ist aber, dass wir auch wirklich etwas zu korrigieren haben. Wir machen das nicht mal eben, um etwa denen, die sich beschweren, die Hand zu reichen.

Auf der Seite heißt es, das ZDF glaube, „dass Transparenz das beste Gegenmittel gegen Verschwörungstheorien und Manipulationsvorwürfe“ sei. Und man liste Fehler „in chronologischer Reihenfolge“ auf. Klingt wie ein Versprechen, dass dort wirklich alle Fehler landen. Die Seite zeigt aber vor allem Fälle, für die es vorher Aufmerksamkeit gab. Suchen Sie eigentlich auch selbst nach Fehlern?

Jedes „heute journal“ wird von der Sendecrew live verfolgt. Wenn der ein Fehler auffällt, werden die Moderatoren umgehend informiert, um korrigieren zu können. Nach Ende der einzelnen Sendungen folgen sogenannte Flur-Schelten; und am nächsten Tag dann weitere Kritiken, sowohl innerhalb der Redaktion wie auch in der täglichen Chefredaktionkonferenz. Im Wechsel übernimmt da jemand die Rolle des Kritikers. Außerdem erhalten wir von Zuschauenden oder Betroffenen Hinweise, die wir gewissenhaft und selbstkritisch prüfen. Zum Beispiel, wenn eine falsche Zahl bei der Inflationsrate genannt oder auf einer Karte ukrainisches Territorium als russisches dargestellt worden ist. Was falsch dargestellt war, wird dann richtiggestellt.

Das passiert aber oft nur auf einer versteckten Website, die wir einmal als „Richtigstellungsrumpelkammer“ kritisiert haben. Wäre ein prominenterer Ort für mehr Transparenz nicht sinnvoller? Oder gar eine feste Rubrik in den Sendungen, um möglichst das gleiche Publikum mit der Richtigstellung zu erreichen, das zuvor den Fehler sah?

Dafür müssten Fehler idealerweise noch in der laufenden Sendung richtig gestellt werden. In einer Moderation wurde mal von Hammer und Sichel auf der DDR-Flagge gesprochen. Nach dem Beitrag korrigierte der Moderator sich, dass er natürlich Hammer und Zirkel gemeint habe. Es gab auch schon nachträgliche Korrekturen anderntags auf dem gleichen Sendeplatz. Nachdem wir kritisiert worden waren – auch von Übermedien – für eine fehlerhafte Grafik zum Risiko Ungeimpfter, mit Covid ins Krankenhaus zu kommen. Claus Kleber hat das in der Sendung ein paar Tage später richtiggestellt und um Entschuldigung gebeten. Journalistische Fehler geschehen aber viel seltener als menschliche.

Sie meinen zum Beispiel, wenn sich jemand verspricht?

Versprecher, Verdreher, Verwechselungen von Zahlen oder Zuordnungen – das sind doch offensichtliche Versehen. Wenn jemand den Bundeskanzler als Bundespräsident bezeichnet oder Kretschmer statt Kretschmann sagt, dann doch nicht wider besseres Wissen. Versprecher sind auch Fehler, aber passieren eben. Um solche Fehler richtigzustellen, hielte ich eine eigene Rubrik in der Sendung für fehl am Platz. Denn den ohnedies begrenzten Platz müssen wir nutzen für wichtige Themen. Deshalb finde ich die Korrekturen-Seite online den passenden Ort. Transparenz ist richtig, und dort ist auch rückschauend ersichtlich, wie seit Jahren selbst Marginalien richtiggestellt worden sind.

Und wenn es ein eigenes Format für so etwas gäbe? Leonard Dobusch, früher im ZDF-Fernsehrat und inzwischen im Verwaltungsrat, hat einmal bei netzpolitik.org gefordert, zum Beispiel Programmbeschwerden (siehe Kasten) nicht nur im Fernsehrat, dem Aufsichtsgremium des ZDF, sondern auch im Programm zu behandeln.

Jede Programmbeschwerde wird nach gründlicher Prüfung beantwortet. Die mit berechtigten Kritikpunkten würden so ein Format gar nicht füllen. Das könnte dann wie eine große Nabelschau wirken für wenig Inhalte. Nach dem Motto: Schaut alle her, wie großartig selbstkritisch wir sind!

Derzeit gäbe es einen solchen Inhalt, mit dem man sich beschäftigen könnte: Der Nürnberger Menschenrechtsaktivist Mouatasem Alrifai sieht durch die Berichterstattung des ZDF seinen Ruf beschädigt. Er wurde in Nachrichtenbeiträgen zu Olaf Scholz beim Kirchentag von „heute“, „heute xpress“ und „heute journal“ kurz gezeigt. Sein Zwischenruf zur Asylpolitik wurde in den Sendungen von „heute“ und „heute xpress“ aus dem Kontext gerissen. Es entstand der Eindruck, er protestiere gegen die Unterstützung der Ukraine.

Das bedauern sicher alle Beteiligten. Doch bei uns im „heute journal“ war der Bericht korrekt. So viel ich von diesem Fall in der „heute“-Sendung weiß, ist der falsche Eindruck, der wohl durch eine Sekunde Bild-Text-Überschneidung entstanden war, transparent korrigiert worden: eben mit einem Text auf der Korrekturen-Seite. Außerdem wurde der Einzelbeitrag aus der „heute“-Sendung gelöscht und neu geschnitten in die ZDF-Mediathek hochgeladen. Im Beitrag steht eine explizite Hinweistafel, dass das Video wegen falsch verwendeter Bilder nachträglich verändert worden ist.

Finden Sie, dass der Fehler damit transparent korrigiert wurde? „Wegen falsch verwendeter Bilder“ kann alles heißen. Alrifai, der eine Gegendarstellung und eine Entschuldigung in der Sendung sowie auf den Social Media-Kanälen fordert, nützt das ja nichts. Er sagt, er werde angefeindet wegen des Eindrucks, der entstanden ist.

Eine falsche Darstellung noch einmal aufzuzeigen, das wird auch vermieden in Korrekturspalten der „New York Times“ [* siehe Nachtrag] oder der FAZ, weil sich dadurch Falsches nur weiter verfestigen könnte. Kurz nachdem die Beschwerde auf Twitter von dem Betroffenen öffentlich gemacht worden war, erfolgte unter dem Post eine Entschuldigung, und der Beitrag wurde auf allen Kanälen korrigiert. Zudem hat sich der Autor per Direktnachricht entschuldigt.

Screenshot: ZDF Mediathek

Eine Richtigstellung in der Sendung wird es also nicht geben?

Nein, die ist nicht geplant. Was geschehen ist, war ärgerlich, aber keine eklatante journalistische Fehlleistung und schon gar nicht absichtlich. Richtigstellung in den Sendungen hebt die nachrichtliche Relevanz auf ein ganz hohes Level. Wäre das nicht unverhältnismäßig, da im Beitrag der Betroffene nicht namentlich genannt worden und nur kurz im Bild aufgetaucht ist?

Aber er wurde offenbar dennoch erkannt.

Um das im Kreise derer richtigzustellen, gibt es die Entschuldigung auf Twitter und die Korrektur auf der Seite. Und der falsche Eindruck wird auch nicht mehr vermittelt. Also: Der Fehler wurde eingestanden, der Beitrag umgehend entfernt und korrigiert wieder eingestellt.

Allerdings nicht der Beitrag der „heute xpress“-Sendung, der nach wie vor online den falschen Eindruck vermittelt, Alrifai protestiere gegen die Ukraine-Politik. Dort gibt es bisher weder einen Hinweis noch einen neuen Schnitt. Das wirkt nicht so, als ob die Routine im Umgang mit Fehlern sitzt.

Das gebe ich den Zuständigen gleich weiter.

[Inzwischen hat das ZDF auch diesen Beitrag korrigiert und um den Hinweis ergänzt: „Video wegen falsch verwendeter Bilder nachträglich geändert.]

Zeigt das Beispiel nicht auch, dass das mehrfache Umschneiden von Beiträgen für verschiedene Formate ein potenzieller Fehlerherd ist? Ein Dreh, drei Beiträge, zwei davon mit dem Fehler. Gibt es dafür Kontrollmechanismen?

Die Schwerpunkte und die Längen verändern sich von Sendung zu Sendung und manchmal auch die Zuständigen. Dann sitzt jemand im Schnitt und baut die Bilder so um, dass es für das Zeitfenster in der neuen Sendung passt. Da wird in der Regel sorgfältig gearbeitet; als würde der Beitrag zum ersten Mal geschnitten. Hier ist aber wohl ein Bild-Text-Fehler übernommen worden. Während auf der Bühne schon über den Krieg gegen die Ukraine und dann über Klimapolitik gesprochen wurde, protestierte der Mann im Publikum noch gegen die in Brüssel vereinbarte Asyl-Politik. Trotz stimmender Timecodes passte also dieser Protest im Saal nicht mehr zum Thema auf der Bühne. Ein echtes Missverständnis, auf dass dann aber nach Klärung schnell reagiert worden ist.

Manchmal dauert es allerdings länger, bis etwas passiert. Ein Beispiel: Im März hieß es bei „plan b“, Insekten würden Weizen bestäuben. Sogar eine Animation dazu gab es. Das stimmt so aber nicht, viele Menschen wiesen das ZDF auf Social Media darauf hin. Drei Tage gab es keine Reaktion. Und erst am vierten Tag die Korrektur. Muss das heute nicht schneller gehen?

Unabhängig von diesem Fall: Manche Prüfung dauert tatsächlich etwas. In der Regel wird dann gesagt: „Danke für den Hinweis. Wir prüfen das und bitten um Geduld.“ Den Kritikpunkten muss dann in der zuständigen Redaktion nachgegangen werden. Erst einmal müssen sich die beteiligten Personen zum Sachverhalt äußern können. Bei externen Produktionsfirmen kann das ein paar Tage dauern, bis man alle erreicht und ein Ergebnis hat. Sollte der Fehler eingestanden sein, gilt wie gehabt: Fassung korrigiert hochladen und Hinweis auf der Korrektur-Seite.

Manchmal werden auch Gründe für die Fehler angegeben. Im Herbst kürzte das ZDF eine Laudatio des Musikers Danger Dan an den Pianisten Igor Levit um die Worte „und AfD-Sympathisanten“ – die Danger Dan neben anderen als „Vollidioten“ aufzählte. Als das Branchenmagazin „DWDL“ fragte, warum das geschehen sei, hieß es schlicht, es sei „unter Zeitdruck ein Fehler passiert“. Das ist als Ursache für eine solche Änderung schwer vorstellbar.

Die Hintergründe zu diesem konkreten Fall kenne ich nicht. Aber sobald irgendwelche Gründe für Fehler genannt werden, eröffnet das Interpretationsspielräume, in denen dann womöglich die Erklärung angezweifelt wird. Der legendäre Wolf Schneider wird noch heute von seinen früheren Journalistenschülern zitiert mit dem Satz: „Gründe sind die Pest.“ Das sollte auch beim Umgang mit Fehlern gelten: eingestehen, um Entschuldigung bitten und den Inhalt, um den es eigentlich ja geht, dann richtig darstellen. Die Gründe für den Fehler interessieren außerhalb der Medienbubble wohl kaum jemanden von den Millionen Menschen, die uns schauen.

Wenn Zuschauer einen Fehler entdecken oder gar sich selbst falsch dargestellt sehen: Wohin sollten sie sich am besten wenden?

Der Zuschauerservice ist immer erreichbar. Den kann man anmailen, anrufen, man kann sogar eine Postkarte hinschicken – auch das gibt es noch. Jede gezielte Reaktion erreicht uns, und je präziser sie formuliert ist, desto konkreter können wir darauf reagieren. Wir freuen uns sehr über Lob, und wir nehmen sachliche und fachliche Kritik wirklich ernst; allein schon, weil sie von den Menschen kommt, deren Beiträge unsere Berichterstattung möglich machen.

Wann waren Sie mit dem Umgang eines Fehlers, den Sie gemacht haben oder für den Sie Verantwortung getragen haben, im Nachhinein zufrieden?

Es war zwar weder mein Fehler noch meine Verantwortung, aber es gab einen im „Morgenmagazin“ vor Jahren, als ich noch dort war. Ein Korrespondent hatte von einem Informanten Aufnahmen bekommen, die gefolterte Menschen in einem Keller in Syrien zeigen sollten. Furchtbare Schwarzweiß-Bilder von abgemagerten Männern, die da mit nacktem Oberkörper standen. Das Material wurde gesendet im festen Vertrauen auf den Korrespondenten und dessen Quelle. Über Tag stellte sich heraus: Das waren zwar echte Bilder, aber aus dem Irak und aus einem anderen Jahr. Am nächsten Morgen haben wir das an selber Stelle zur gleichen Uhrzeit richtiggestellt und gesagt: Tut uns leid, wir sind einer falschen Information erlegen und haben die gesendet. Was wir gezeigt haben, war nicht korrekt. Bei einem gravierenden Fehler bricht man sich mit einem solchen Umgang keinen Zacken aus der Krone. Im Gegenteil: Das festigt Glaubwürdigkeit.

* Nachtrag, 23.06.2023: Verschiedene Leser:innen haben uns darauf hingewiesen, dass die „New York Times“ sehr wohl die vorherige, falsche Darstellung in ihren Korrekturen explizit noch einmal aufgreift. Ein aktuelles Beispiel: „An earlier version misidentified the video game controller that was reportedly used in the submersible. It was identified to be a modified Logitech gamepad, not an Xbox controller.“

6 Kommentare

  1. Bitte korrigieren: Die Hauptstadt Israels ist Jerusalem! Da ist Euch bei der Darstellung ein eigener Fehler unterlaufen: „Dort wird beispielsweise korrigiert, dass das ZDF die Hauptstadt Israels falsch genannt hatte: Jerusalem statt Tel Aviv; dass Hubertus Heil der falschen Partei zugeordnet wurde: CSU statt SPD (…).“

  2. Lieber Frank, danke – das war nicht deutlich genug formuliert. gemeint war, dass die Korrektur „Jerusalem statt Tel Aviv“ lautete. Habe es jetzt angepasst: „Jerusalem ist richtig, nicht Tel Aviv“.

  3. @ #1 Jan Ehm: Auch hier: Vielen Dank für den Hinweis! Ich habe mir das angesehen und einen entsprechenden Nachtrag gesetzt.

  4. wie schön, das kleine Fehler korigiert werden. Meines Erachtens besteht der über allem stehende Fehler darin, dass fast unglaublich einseitig berichtet wird. Beispiel Ukraine Krieg! Da ist wohl kaum auf Korrektur zu hoffen.

  5. @Frank Tofern

    Weil Sie das Thema einseitiger Berichterstattung mit Verweis auf den Ukraine-Krieg jetzt ein zweites Mal anbringen und ich bereits beim ersten Mal über eine Antwort nachgedacht hatte: Ohne das erst einmal inhaltlich gleichsetzen zu wollen, dürften Sie sich mit Ihrer an Chomsky angelehnten Perspektive auf den Krieg im allgemeinen Diskurs ungefähr da befinden, wo sich „Querdenker“ in Bezug auf die Berichterstattung zu Corona-Maßnahmen oder Reichsbürger in Bezug auf Berichterstattung zum staatlichen Gewaltmonopol oder „Klimaleugner“ in Bezug auf die Berichterstattung zum Klimawandel oder auch Anhänger der Letzten Generation in Bezug auf Berichterstattung zu Protestformen sehen. Soll heißen, eine recht eindeutige Minderheitenposition. Und an der Stelle kommt ja grundsätzlich die Frage auf, auf welche Weise und in welchem Umfang man diese Positionen darstellt (denn darauf läuft die Forderung nach einer ausgeglicheneren Berichterstattung am Ende hinaus). Ich möchte Sie hier weder für Ihre Positionen angreifen noch eine inhaltliche Diskussion zum Ukraine-Krieg führen, aber vielleicht könnten Sie kurz ausführen, wo genau im ÖR Sie Ihre Sichtweise gerne mehr repräsentiert hätten.

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