Chaotische rbb-Mitarbeiter-Umfrage

Unzweifelhaft unklar: Der „Tagesspiegel“ und sein Favorit für die rbb-Intendanz

RBB-Intendantensuche Jan Weyrauch ist Favorit
Screenshot: tagesspiegel.de

Wenn man dem „Tagesspiegel“ glaubt, ist die Intendantenwahl beim rbb quasi schon gelaufen. Eigentlich findet die zwar erst am kommenden Freitag statt, aber nach Angaben der Berliner Tageszeitung geht Jan Weyrauch, Programmdirektor von Radio Bremen, „unzweifelhaft als Favorit“ in die Wahl. Bei einer internen Abstimmung am Montag, nachdem sich alle vier Kandidatinnen und Kandidaten der Belegschaft des Senders vorgestellt hatten, habe Weyrauch 71 Prozent der Stimmen bekommen. „Das ist ein überzeugendes, kraftvolles Votum“, schwärmt „Tagesspiegel“-Medienredakteur Joachim Huber, „der 55-jährige Weyrauch ist der Mann des RBB-Volkes.“

Mit mehr Pathos lässt sich das kaum formulieren. Mit mehr Wahrheit schon. Denn die Umstände dieses „überzeugenden, kraftvollen Votums“ waren überaus diskutabel.

Im „Teams“-Kanal, in dem sich die Kandidatinnen und Kandidaten vorgestellt hatten, hatte ein Mitarbeiter auf eigene Faust eine Umfrage angelegt: „Welcher Kandidat/Welche Kandidatin für die Intendanz hat sie [sic!] in der heutigen BV überzeugt?“ Er nannte das ein „unabhängiges inoffizielles Stimmungsbild“.

Während einige schnell abstimmten, äußerten andere Bedenken – prinzipiell, aber auch was die Technik angeht: Es blieb unklar, ob es möglich war, mehrfach abzustimmen. Problematisch fanden einige auch, dass die Kandidatinnen und Kandidaten noch mitlesen konnten. Auf die Frage, ob die Abstimmung mit denen abgesprochen war, antwortete eine Kandidatin im Chat: „Mit mir wurde nix geklärt.“

Viele nannten die Abstimmung in dieser Form „schlimm“ oder „peinlich“. Ein Mitarbeiter schrieb:

„Da wir nicht wählen können, sondern der Rundfunkrat wählt, ist Ärger und Enttäuschung ohnehin vorprogrammiert, wenn man solch ein Stimmungsbild einholt. Wenn es dann auch noch derart angreifbar ist, birgt das eine Menge Sprengstoff. Bitte löschen.“

Ein anderer schrieb:

„Ich finde das unseriös. Im Programm würden wir eine Umfrage auf so einer Basis nicht verwenden.“

Für den „Tagesspiegel“ war sie gut genug. Er kürte Weyrauch zum klaren Sieger, obwohl die technischen Details unklar blieben und sich nur ein Bruchteil der Belegschaft beteiligte. Bevor die Abstimmung abgebrochen wurde, hatten 300 Leute an ihr teilgenommen. Im Chat waren offenbar 1000 Mitarbeiter; die Belegschaft insgesamt ist ungefähr doppelt so groß. (Die „71 Prozent für Weyrauch“, die der „Tagesspiegel“ vermeldete, scheinen zudem nur ein Zwischenstand gewesen zu sein. Beim Abbruch waren es 65 Prozent.)

Hubers Quellen aber scheinen große Weyrauch-Fans zu sein. Er zitierte „eine Stimme“ zu dessen Vorstellung: „Der könnte sich morgen hinsetzen und den Sender leiten.“ Auch als Seelsorger scheint der Mann ideal:

„Jan Weyrauch hat in den Augen vieler mit 55 Jahren das richtige Alter, er arbeitet seit 2011 in führender Position und er weiß besser als die Konkurrenz, was die öffentlich-rechtliche Seele umtreibt.“

Wie auch immer die Umstände waren

Im Laufe des frühen Abends scheint jemand den „Tagesspiegel“ darauf hingewiesen zu haben, wie zweifelhaft die Umfrage ist, auf die er seine Aussagen stützt. Jedenfalls wurde der Artikel nun um folgende Sätze ergänzt:

„Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) gleicht an manchen Tagen einem Tollhaus. Am Montag war es wieder so weit. Bei einer Belegschaftsversammlung, in der sich die drei Kandidatinnen und der Kandidat für die Intendantenwahl vorstellten, wurde danach eine Abstimmung initiiert und dann wieder abgebrochen. Wie auch immer die Umstände waren, klar ist, Jan Weyrauch geht unzweifelhaft als Favorit in die Intendantenwahl beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) am kommenden Freitag.“

Das ist eine spektakuläre Kombination aus Unklarheit und Unzweifelhaftigkeit, die gut damit korrespondiert, dass es weiter unten im Text zu folgendem sprachlichen Auffahrunfall kam:

„Wie auch immer das Ergebnis zustande gekommen, das sieht sich wie ein überzeugendes, kraftvolles Votum an, der 55-jährige Weyrauch ist der Mann des RBB-Volkes.“

Ihren Weg in den gedruckten „Tagesspiegel“ fanden die nachgetragenen Hinweise auf das zweifelhafte Abstimmungs-Verfahren nicht. Im Gegenteil: Hier liest es sich sogar so, als würde die Belegschaft den Intendanten wählen. „Weyrauch erhielt bei der Abstimmung viel Zuspruch“, heißt es im Text, ohne dass vorher überhaupt erwähnt wurde, um was für eine Abstimmung es sich handelt. In einem Bildtext heißt es grob irreführend: „Jan Weyrauch, Programmdirektor von Radio Bremen, bekam 71 Prozent bei der Abstimmung in der Belegschaftsversammlung.“

Dass es nicht die Belegschaft, sondern der Rundfunkrat ist, der am kommenden Freitag den neuen rbb-Intendanten wählt – man würde es als „Tagesspiegel“-Leser nicht ahnen. Auf der Grundlage der Umfrage schreibt die Zeitung zwei Kandidatinnen schon ab:

„Auch Demmer kann sich noch Chancen ausrechnen, für Leopold und Baumann wird es am Freitag eng, wenn nicht unmöglich.“

Die Zeitung hatte am Montag vergangener Woche schon vor der offiziellen Bekanntgabe die angeblich zur Wahl stehenden Kandidatinnen und Kandidaten verkündet: „Ulrike Demmer, Jan Weyrauch, Vodafone-Kraft“. Die vermeintliche Exklusivmeldung entpuppte sich als Falschmeldung – Weyrauch stand zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr auf der Liste der Findungskommission. Hintergrund waren offenbar vor allem dessen zu hohe Gehaltsforderungen.

Inzwischen ist Weyrauch aber tatsächlich wieder im Rennen. Wie viele rbb-Mitarbeiter hinter ihm stehen, ist unklar, aber wenigstens beim „Tagesspiegel“ kann man sich sicher sein. Unzweifelhaft, wie auch immer die Umstände waren.

2 Kommentare

  1. Sportredakteure sind Fans, die es hinter die Absperrung geschafft haben. Gilt in diesem Fall offenbar analog. Ich frage mich immer: Prüft das denn keiner? Allein die logische Kette muss doch jemandem auffallen: eine methodisch schiefe Umfrage unter Menschen, die gar nicht wahlberechtigt sind … absurd.

  2. als nächstes dann:

    Überschrift:
    Franz Beckenbauer klarer Favorit als nächster Bundespräsident!

    Irgendwo im Artikel dann ein Verweis auf eine Umfrage auf bild.de

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