Ende 2021 berichteten die „Süddeutsche Zeitung“ und „Vice“ über Antisemitismus und „Israel-Hass“ in der Arabischen Redaktion und bei Partnersendern der Deutschen Welle. Die Verantwortlichen reagierten und beauftragten eine externe Kommission damit, einen Untersuchungsbericht zu erstellen. In dessen Folge mussten mehrere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen den Sender verlassen, Kooperationen mit arabischen Sendern wurden eingestellt. Die Deutsche Welle feierte sich für ihr gelungenes Krisenmanagement.
Über ein Jahr lang recherchierten die Journalisten Rabeea Eid und Rashad Alhindi zur Aufarbeitung bei der Deutschen Welle. Im arabischen Online-Medium „Arab48“ berichten sie von falschen Anschuldigungen, stigmatisierenden Verhören, eingeschüchterten Mitarbeiterinnen, einer fragwürdigen Untersuchungskommission und einem Sender, der im Kampf gegen Antisemitismus zu anti-palästinensischem Rassismus greife. Herausgekommen ist dabei ein 66-seitiger Bericht, bei dem sie der Soziologe Moshe Zuckermann unterstützt hat.
Fabian Goldmann hat mit Autor Rashad Alhindi gesprochen.
Übermedien: Sie haben ein Jahr lang zum Skandal bei der Deutschen Welle recherchiert. Was hat Sie motiviert, so viel Zeit und Aufwand in diese Geschichte zu stecken?
Rashad Alhindi: Als ich Anfang 2022 von den Entlassungen der Kollegen und Kolleginnen bei der Deutschen Welle gehört habe, habe ich mich natürlich damit beschäftigt – als Journalist aber auch als Palästinenser. Die Entlassenen haben ja auch alle palästinensische oder arabische Hintergründe. Von Anfang an hatte ich den Eindruck, dass da etwas nicht stimmt. Vor allem, was die offizielle Untersuchungskommission der Deutschen Welle angeht. Im März 2022, also ein Monat nachdem diese ihren Abschlussbericht veröffentlicht hatte, kam das Onlineportal „Arab48“ auf mich und meinen Kollegen Rabeea Eid zu und hat uns gefragt, ob wir etwas dazu machen können. Dass die Recherche dann so groß wird, hätten wir auch nicht gedacht.
Der Gesprächspartner
Rashad Alhindi wurde 1977 in Kuwait geboren, wuchs in Syrien auf und lebt seit 1998 in Deutschland. Als deutsch-palästinensischer Filmemacher und Journalist arbeitet er unter anderem für Al-Jazeera und „Arab48“. Außerdem ist er Mitgründer von ABWAB, der ersten arabischen Print-Zeitung Deutschlands.
Was umfasst Ihre Recherche?
Wir wollten alle Dimensionen des Falls abdecken: Im ersten Kapitel geht es um Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Deutschen Welle, im zweiten um die Kooperationspartner, im dritten um Antisemitismus-Definitionen und das Gegengutachten von Moshe Zuckermann, im vierten um die Qualifikation der Untersuchungskommission und im fünften findet man Fragen und Antworten mit den Verantwortlichen.
Im Zentrum Ihrer Kritik steht die externe Untersuchungskommission, die damals von der Deutschen Welle zur Aufklärung eingesetzt wurde. Schon im Titel bezeichnen sie diese als „voreingenommen“. Was genau kritisieren sie?
Das beginnt schon bei deren Zusammensetzung. Die Deutsche Welle gab anfangs bekannt, dass die Kommission aus der ehemaligen Justizministerin und amtierenden Antisemitismus-Beauftragten von Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, und dem Psychologen Ahmad Mansour besteht, den man in der deutschen Öffentlichkeit vor allem für seine proisraelischen und islamkritischen Positionen kennt. Mitarbeiter haben uns aber erzählt, dass bei ihren Befragungen auch die Ehefrau von Ahmad Mansour, Beatrice Mansour, dabei war. Keinem war klar, was eigentlich ihre Aufgabe ist. Offiziell veröffentlicht wurde der Bericht auch nicht von Mansour und Leutheusser-Schnarrenberger, sondern von „MIND prevention GmbH“, dem Unternehmen des Ehepaars Mansour.Merkwürdig ist auch, dass es offenbar zwei Untersuchungsberichte gibt. Der Öffentlichkeit wurde ein 56-seitiger Bericht präsentiert. Wir haben herausgefunden: Es gibt noch einen weiteren, der sehr viel umfangreicher und detaillierter sein soll. Dessen Existenz hat die Deutsche Welle vor Gericht auch zugegeben.
Konnten Sie herausfinden, was darin steht?
Nein, keine Chance. Der Bericht wurde auch von Anwälten angefordert, die die betroffenen Mitarbeiter vor Gericht vertreten haben. Aber die Herausgabe wurde von der Deutschen Welle abgelehnt. Die Bewertung, wonach die Kommission voreingenommen ist, kommt aber nicht von uns, sondern von Moshe Zuckermann.
Der deutsch-israelische Soziologe, den Sie mit dem Gegengutachten beauftragt haben. Warum ihn?
Einerseits weil er Deutsch spricht, vor allem aber, weil er unserer Ansicht nach ohne Zweifel der viel renommiertere Antisemitismus-Experte als Leutheusser-Schnarrenberger und Mansour ist. Zuckermann hat viele Bücher zum Thema geschrieben, er kennt sich bestens mit Israel und Palästina aus. Zuckermann kommt zu dem Urteil: Die Untersuchungskommission sei nicht in der Lage gewesen, zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Kritik an Israel zu unterscheiden. Stattdessen verbreite sie zionistische Propaganda der rechten israelischen Regierung. Das sage nicht ich, sondern ein jüdisch-israelischer Professor.
Das müssen Sie nochmal genauer erklären. Inwiefern ist es „zionistische Propaganda“, wenn man Facebook-Postings auf Antisemitismus überprüft?
In dem Untersuchungsbericht geht es eben nicht nur darum. Dort wird zum Beispiel die Zusammenarbeit mit einem arabischen Fernsehsender problematisiert, weil dieser in Bezug auf Israel den Begriff „Besatzer“ gebraucht. Auch die Verwendung des Hashtags #SaveSheikhJarrah wird als antisemitisch und „palästinensische Propaganda“ bewertet. Dabei steckt dahinter nicht mehr als die Unterstützung eines Jerusalemer Stadtteils, der von Abrissarbeiten und Besetzungen durch Siedler bedroht war. Texte von Mitarbeitern wurden im Nachhinein auf Empfehlung der Kommission redaktionell geändert: Statt von „Vertreibung der Palästinenser“ war dann nur noch vom „Verlust der Heimat“ die Rede. All das entspricht den Positionen der israelischen Regierung und hat nichts mit einer politisch-neutralen Untersuchung zu tun. Das kritisiert Zuckermann.
In den Facebook-Postings der früheren Mitarbeiter der Deutschen Welle findet sich aber schon allerhand Problematisches. Einer schrieb sinngemäß, dass jeder, der mit Israel zusammenarbeite, ein Kollaborateur sei. Ein anderer leugnete den Holocaust, und eine Mitarbeiterin schrieb, sie wolle sich dem IS anschließen, sobald dieser Israel angreife. Da kann man ja schon mal arbeitsrechtliche Konsequenzen ziehen.
Auf jeden Fall sind einige Äußerungen antisemitisch. Die von Ihnen zitierten Aussagen – die alle aus der „Süddeutschen Zeitung“ stammen – haben aber gar nicht zu den Entlassungen geführt und tauchen größtenteils auch nicht im Bericht der Untersuchungskommission auf. Dort werden insgesamt elf Postings als antisemitisch bewertet. Diese haben wir von Zuckermann erneut überprüfen lassen, der nur in zwei Fällen Antisemitismus feststellen konnte.
Ihre Untersuchung tangiert auch eine grundsätzliche Frage, nämlich: Was ist Antisemitismus? Während die DW-Kommission sich an der Definition der International Holocaust Rememberance Alliance (IHRA) orientiert, folgt Moshe Zuckermann der Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus. Was bedeutet das und ist das auch ein Grund für die unterschiedliche Bewertung?
Auf jeden Fall. Die IHRA-Definition wird zum Beispiel von der Bundesregierung verwendet. Human Rights Watch, die Sonderberichterstatterin für Rassismus bei der UN, Tendayi Achiume, aber auch viele Juden und Jüdinnen kritisieren an ihr aber, dass sie vor allem verwendet wird, um palästinensische Stimmen mundtot zu machen. Schließlich geht es in sieben von zehn Punkten gar nicht um Judenfeindlichkeit, sondern um Kritik an Israel. Die von hunderten Wissenschaftlern unterschriebene Jerusalemer Erklärung soll eine präzisere Antisemitismus-Definition anbieten.
Geben Sie mir bitte ein Beispiel für die unterschiedliche Bewertung.
Ein Mitarbeiter schrieb zum Beispiel, dass die Palästinenser den Preis für die Verbrechen Europas an den Juden bezahlen. Die Untersuchungskommission der Deutschen Welle bewertete dies als antisemitisch, Zuckermann hingegen nicht. Das deckt sich auch mit den Entscheidungen vor Arbeitsgerichten. Diese haben bisher vier Mitarbeitern, die gegen ihre Entlassung klagten, recht gegeben.
Die Gerichte hielten den Mitarbeitern aber vor allem zugute, dass sie die Postings lange vor der Einstellung bei der Deutsche Welle verfasst hatten.
Nicht nur das. Im Fall der Journalistin Maram Salem hat das Gericht selbst festgestellt, dass an ihren Aussagen nichts antisemitisch gewesen sei.
Sie haben auch mit den entlassenen Mitarbeitern gesprochen. Wie haben diese die Untersuchung erlebt?
Als wir mit unserer Recherche begonnen haben, haben wir schnell gemerkt, dass die Betroffenen in Medien eigentlich fast gar nicht zu Wort kamen. Es wurde über sie gesprochen, aber sie wurden nie gefragt. Mehrere Mitarbeiter berichteten, sie hätten die Untersuchung als sehr einschüchternd und belastend erlebt. Maram Salam berichtete von stigmatisierenden Fragen. Ahmad Mansour habe von ihr wissen wollen, wie ihre Eltern sie erzogen hätten, wie sie zur Hamas stehe und ob es ihr leid tue, wenn ein jüdisches Kind stirbt. Ein Mitarbeiter, der anonym bleiben wollte, hat die Befragung mit einem Geheimdienstverhör verglichen. Mit unserer Veröffentlichung wollten wir aber auch jenen Mitarbeitern Gehör verschaffen, die nicht entlassen wurden und die bis heute bei der Deutschen Welle unter Druck stehen.
Der Autor
Fabian Goldmann arbeitet als Journalist, meist für allerlei Zeitungen und Magazine, manchmal für’s Radio, ab und zu auch für Übermedien. Als freier Autor kritisiert er Medien gern und oft für ihre schiefe Migrationsberichterstattung. Als Teil der Neuen deutschen Medienmacher*innen erklärt er ihnen dann, wie es besser geht. Was er sonst nirgends unterkriegt, bekommt „Schantall und die Scharia” – sein Blog und Podcast über Islamophobie.
Was haben die Ihnen berichtet?
Sie erzählten uns, sie würden sich fürchten und nicht wissen, wie sie noch ihre Arbeit machen sollen. Sie meiden das Thema Israel/Palästina. Einige haben sämtliche Social-Media-Posts gelöscht, aus Angst als antisemitisch abgestempelt zu werden. Ein Mitarbeiter berichtete, es herrsche ein Klima von Selbstzensur und Verdächtigungen.
Und was sagt die Deutsche Welle zu all dem?
Wir haben der Deutschen Welle einen langen Fragenkatalog zugesendet, den sie sehr diplomatisch beantwortet hat. Zur Frage von Selbstzensur und Verdächtigung haben sie geantwortet, dass es intern mehrere Stellen gebe, an die sich Mitarbeitende wenden können. Das nach all den Anschuldigungen, Entlassungen und Gerichtsverfahren. Ich würde mich als Mitarbeiter der Deutschen Welle gar nicht mehr trauen, das Thema intern zu besprechen. Wohlgemerkt: Es gab einen Mitarbeiter, der uns erzählt hat, dass er es erst intern angesprochen habe, daraufhin von der Leitung heftig angegangen worden sei und später entlassen worden sei.
Sie haben auch die Mitglieder der Untersuchungskommission mit ihren Ergebnissen konfrontiert. Wie haben die reagiert?
Wir haben alle drei Mitglieder angeschrieben. Geantwortet hat nur Ahmad Mansour. Das hat uns positiv überrascht, weil er nach unseren Informationen auf Medienanfragen von einigen israelischen und arabischen Kollegen nicht reagiert hat. Was die stigmatisierenden Fragen angeht, hat er die Vorwürfe negiert. Er habe solche Fragen nicht gestellt. Generell sehe ich das Versagen aber auch nicht vorrangig bei Mansour. Ihm und den anderen Mitgliedern der Untersuchungskommission steht es natürlich frei, ihre pro-israelischen Positionen zu haben. Was aber unprofessionell und falsch ist, ist diese Personen überhaupt mit so einer Untersuchung zu beauftragen. Die große Verantwortung liegt bei der Deutschen Welle. Sie sollte sich offiziell und öffentlich dafür entschuldigen.
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Sie sind Journalist mit palästinensischen Wurzeln, arbeiten viel zu Israel und Palästina. Wie erleben sie das Klima für Medienschaffende wie sie hierzulande?
Es gab schon immer so gut wie keine palästinensischen Stimmen in deutschen Medien. Jedoch hat sich die Stimmung in den letzten zehn bis 15 Jahren noch einmal verschärft. Als palästinensische Journalisten und Filmemacher merken wir immer wieder, dass wir gemieden werden bei Aufträgen. Es kommen immer wieder Absagen: manchmal unbegründet, manchmal aber ganz offen anti-palästinensisch. Das höre ich auch vielen Kollegen und Kolleginnen. Auch im Alltag und auf Sozialen Medien werden wir mit solchen Vorwürfen konfrontiert, müssen uns für unsere Existenz rechtfertigen. Von uns wird erwartet, die deutsche Sicht zu übernehmen und danach zu handeln. Das ist absurd.
4 Kommentare
Ich hoffe sehr, Übermedien lässt die andere Seite auch noch zu Wort kommen.
#1 »Andere Seite« von was resp. von wem?
Beste Grüße
Der eigene Lackmus-Test: würde man Bio-Deutsche mit denselben Aussagen behalten oder auch kündigen.
Sehr informatives Interview, danke! Als ich seinerzeit vom Einsetzen einer Untersuchungskommission las, dachte ich naiverweise, die Dinge würden sauber bzw. halbwegs nachvollziehbar aufgearbeitet. Auch im Sinne einer konstruktiven Fehler- & Lernkultur. Was für ein Trugschluss.
Ich hoffe sehr, Übermedien lässt die andere Seite auch noch zu Wort kommen.
#1 »Andere Seite« von was resp. von wem?
Beste Grüße
Der eigene Lackmus-Test: würde man Bio-Deutsche mit denselben Aussagen behalten oder auch kündigen.
Sehr informatives Interview, danke! Als ich seinerzeit vom Einsetzen einer Untersuchungskommission las, dachte ich naiverweise, die Dinge würden sauber bzw. halbwegs nachvollziehbar aufgearbeitet. Auch im Sinne einer konstruktiven Fehler- & Lernkultur. Was für ein Trugschluss.