Man sollte von der Illustrierten „Die Aktuelle“ und der Redaktion dahinter nicht viel erwarten, am besten gar nichts, und erst recht nicht so etwas wie Anstand oder Wahrhaftigkeit. Das Blatt macht immer wieder durch erlogene und manipulierte Geschichten auf sich aufmerksam, das ist nichts Neues, wir haben häufiger darüber berichtet – aber diese Geschichte hier ist dann doch eine besonders bemerkenswerte Frechheit, selbst für „Die Aktuelle“.
Im Dezember ist es zehn Jahre her, dass Michael Schumacher beim Ski-Fahren schwer verunglückte. Seither tritt der ehemalige Rennfahrer nicht mehr öffentlich in Erscheinung. Es ist unklar, wie es ihm geht. Denn Schumachers Familie hat entschieden, ihn und seine Privatsphäre konsequent zu schützen. Sie sagt nichts zu seinem Gesundheitszustand und bittet darum, das zu respektieren. Viele Medien, gerade Klatschblätter, interessiert das aber einen feuchten Kehricht. Sie meinen im Gegenteil, Schumachers Fans – und damit auch Medien – hätten ein Recht zu erfahren, was mit Schumacher ist.
„Die Aktuelle“ hat nun einen perfiden Weg gewählt, an vermeintliche Antworten zu kommen. „Welt-Sensation“, triumphiert die Zeitschrift auf ihrem jüngsten Titel: „Michael Schumacher: Das erste Interview!“ Direkt darunter steht, viel kleiner: „Es klingt täuschend echt“, was ein juristischer Kniff sein dürfte, um später sagen zu können, man habe ja nicht behauptet, dass das „erste Interview“ echt sei – falls sich jemand beschwert. Darüber aber steht eben ganz fett: „Das erste Interview!“ und „Welt-Sensation“.
Im Innenteil geht es entsprechend weiter. Als Überschrift wählt „Die Aktuelle“ dort ein Zitat, das sie durch die ganze Aufmachung Schumacher zuordnet: „Mein Leben hat sich total verändert“. Es wäre, wäre es echt, nicht mal ein überraschendes Zitat, denn: Ja, sehr wahrscheinlich ist das so. Allein deshalb, weil Schumacher einst ein medienpräsenter Leistungssportler war, der viele Interviews gab – und das eben seit vielen Jahren nicht mehr tut.
„Die Aktuelle“ müht sich, fortwährend den Anschein zu erwecken, es handle sich tatsächlich um ein Gespräch mit Michael Schumacher: „Hier ist es – das unglaubliche Interview!“, heißt es im Text. „Mit erlösenden Antworten auf die brennendsten Fragen, die sich die ganze Welt schon so lange stellt.“
Nach der Frage „Wie geht es ihm seit dem tragischen Unfall 2013?“ zitiert „Die Aktuelle“ dann „die Antwort“, als gäbe es tatsächlich eine. Wie auch bei den Fragen, ob Schumacher die Karrieren seiner beiden Kinder verfolge und in Zukunft mal wieder auftreten werde. Und die Antwort auf die „die wichtigste Frage: Wie geht es ihm heute?“ lasse „hoffen“, findet das Blatt.
„Das Interview war im Internet“
Die Quellenangabe ist dann sensationell, auch in ihrer Präzision:
„Das Interview war im Internet. Auf einer Seite, die mit Künstlicher Intelligenz, kurz KI genannt, zu tun hat.“
Steht so in einem Magazin, das mit Journalismus nichts zu tun hat.
Nun könnte man sagen: Okay, sie lösen ja schließlich auf, dass es ein KI-Interview ist, halb so wild. Aber an vielen Stellen soll es eben nicht so wirken, sondern echt. Und am Ende, vor allem, insinuiert „Die Aktuelle“ dann wieder, dass die Antworten, die die KI da gibt, oder zumindest deren Inhalt, womöglich doch von Schumacher kommen. Oder aus seinem Umfeld.
„Die Aktuelle“ schreibt:
„Es gibt tatsächlich Internet-Seiten, auf denen man Gespräche mit Prominenten führen kann. Die Antworten gibt aber die Künstliche Intelligenz. Doch woher weiß diese KI die persönlichen Hintergründe? Über Ehe, Kinder und Krankheiten? Jemand muss die Informationen – wie in Wikipedia – im Internet eigegeben haben. War es wirklich Schumi selbst, der aus dem Krankenbett heraus die Infos eintippte? Oder etwa jemand aus der Familie, Pfleger oder Angestellte? Die Antworten klingen jedenfalls täuschend echt! Zu schön, um wahr zu sein?“
Nein. Zu dumm, um wahr zu sein.
Natürlich stehen im „Die Aktuelle“-Text – auch das, wie gewohnt, zur juristischen Absicherung – ganz viele Fragezeichen rum. Dahinter kann man sich prima verstecken, das Kalkül lässt sich aber nicht verbergen: Der Leserschaft irgendwie das Gefühl zu geben, dass da vielleicht doch Michael Schumacher selbst erzählt, etwa von seiner körperlichen Verfassung.
Die Seite, von der „Die Aktuelle“ den Unsinn mutmaßlich hat, heißt übrigens „character.ai“. Dort kann man mit verschiedenen Promis sprechen. Über den Antworten steht dort:
„Remember: Everything Characters say is made up!“
Alles erfunden.
„Seriös“, hahahaha
Die Funke-Mediengruppe will den Unrat, den sie da in die Welt kippt, tatsächlich als journalistisches Produkt verstanden wissen. „Die Aktuelle“ liefere „spannende und vor allem seriöse Reportagen rund um Stars, VIPs und den Adel“, schreibt der Verlag. Wie man sowas auf eine Internetseite tippen kann, ohne dass diese sofort rot anläuft, ist unklar.
Es gebe in dem Heft „gefühlvolle Berichte ohne Sensationslust“ und „exklusive Fotos und Interviews“, schreibt Funke noch. Letzteres immerhin stimmt insofern, als dass Fotos in „Die Aktuelle“ mitunter exklusiv manipuliert werden und das Interview mit Schumacher ein exklusiver Schmarrn ist.
Und hätten sie der KI bloß mal die Frage gestellt, was Michael Schumacher von der Regenbogenpresse hält, dann hätten sie diese Antwort erhalten:
„Ich habe keine guten Erfahrungen mit ihr! Sie erzählen immer Lügen und sind respektlos!“
Das schreibt zwar die KI, aber irgendwoher muss sie das ja haben, nicht wahr?
Nachtrag, 20.4.2023. Die Familie von Michael Schumacher will juristische Schritte gegen „Die Aktuelle“ einleiten. Das hat uns Schumachers Management bestätigt.
Nachtrag, 22.4.2023. Die Funke-Mediengruppe entlässt Anne Hoffmann, die Chefredakteurin von „Die Aktuelle“, mit sofortiger Wirkung, wie der Verlag in einer Pressemitteilung erklärt. Man bitte bei der Familie Schumacher um Entschuldigung für die Berichterstattung in der jüngsten Ausgabe: „Dieser geschmacklose und irreführende Artikel hätte nie erscheinen dürfen. Er entspricht in keiner Weise den Standards von Journalismus, wie wir – und unsere Leserinnen und Leser – ihn bei einem Verlag wie FUNKE erwarten.”
Nachtrag, 19.6.2023. Der Presserat hat „Die Aktuelle“ gerügt. Es handle sich um „einen schweren Verstoß gegen das Wahrhaftigkeitsgebot nach Ziffer 1 des Pressekodex“. Zur Begründung heißt es: „Diese schwere Irreführung der Leserschaft ist dazu geeignet, die Glaubwürdigkeit der Presse zu schädigen. Darüber hinaus sah der Presserat durch das angebliche Interview auch die Würde Michael Schumachers verletzt“.
Der Autor
Boris Rosenkranz ist Gründer von Übermedien. Er hat an der Ruhr-Universität Bochum studiert, war „taz“-Redakteur und Volontär beim Norddeutschen Rundfunk. Anschließend arbeitete er dort für verschiedene Redaktionen, insbesondere für das Medienmagazin „Zapp“. Seit einigen Jahren ist er freier Autor des NDR-Satiremagazins „Extra 3“.
1 Kommentare
„Mit erlösenden Antworten auf die brennendsten Fragen, die sich die ganze Welt schon so lange stellt.“
Ich sehe großes Potential in dieser Form der Antwortsuche. Sowas muss ja nicht auf schweigende, aber lebendige Personen beschränkt bleiben. Wieso nicht, sagen wir, Caesar fragen? „Jetzt spricht der Imperator: ‚Warum ich den Rubikon wirklich überschritt!'“ Ganz neue Möglichkeiten…
„Mit erlösenden Antworten auf die brennendsten Fragen, die sich die ganze Welt schon so lange stellt.“
Ich sehe großes Potential in dieser Form der Antwortsuche. Sowas muss ja nicht auf schweigende, aber lebendige Personen beschränkt bleiben. Wieso nicht, sagen wir, Caesar fragen? „Jetzt spricht der Imperator: ‚Warum ich den Rubikon wirklich überschritt!'“ Ganz neue Möglichkeiten…