Unsinn mit Ananas

So alt, dass es müffelt: Der Untergang des Abendessens

Ausriss aus der Titelseite der "Bild am Sonntag" mit der Schlagzeile: "Jetzt soll auch Toast Hawaii rassistisch sein".
BamS vom 5.3.2023 Ausriss: BamS

Direkt unter ihrem wunderschönen Logo kündigt die „Bild am Sonntag“ in ihrer aktuellen Ausgabe einen richtig kontroversen Knüller an, halten Sie sich fest! „Jetzt soll auch Toast Hawaii rassistisch sein“, steht dort mit Verweis auf Seite 32, wo es dann lamentierend weitergeht: „Wir haben ja sonst keine Sorgen“, schreibt BamS, Unterzeile: „Absurdes Deutschland!“

Im Text geht es dann, unter anderem, um das angeblich bedrohte Weißbrot mit herzhaft-süßem Belag. Und um es schon mal vorwegzunehmen: Dieser ganze Käse ist so alt, dass er bereits empfindlich müffelt. Denn es gibt offenbar Evergreens im journalistischen Lager derer, die sich dem Kampf gegen so genannten „Woke-Wahnsinn“ und angebliche „Cancel Culture“ verschrieben haben.

Alarmiert klärt BamS darüber auf, dass der „Küchen-Klassiker“ nun „gegessen“ sei, denn er werde „mundtot“ gemacht. Wo sich gleich die Frage stellt: Bedeutet „mundtot machen“ in Bezug auf etwas Essbares eigentlich nicht einfach „kauen“? Aber das ist hier nicht gemeint.

Anlass für die Meldung ist die angebliche „Forderung“ einer „Schweizer Gruppe“ namens „Linke PoC/Migrantifa“, die eine Umbenennung der Speisen „Pizza Hawaii“ und „Toast Hawaii“ in Pizza respektive Toast „mit Ananas“ anstrebe. Bei BamS liegen deshalb nun „die Geschmacksnerven blank“.

Woran sich die nächsten Fragen anschließen: Die berühmte Schweizer Gruppe „Linke PoC/Migrantifa“ – wer kennt sie nicht? Und: Weshalb gibt die „Bild am Sonntag“ im März 2023 eine Meldung als empörenswerte Neuigkeit aus, die auf einem Social-Media-Post von 2020 beruht?

Was freiheitsliebende Bürger halt so schreiben

Die besagte „Gruppe Linke PoC/Migrantifa“ aus Zürich ist nicht gerade eine Social-Media-Institution: Auf Facebook folgen ihr heute gut 2500, auf Instagram knapp 8000 Accounts. In diesem Jahr gibt es nur einen einzigen Post der Gruppe, der am 1. Januar auf Facebook abgesetzt wurde. Natürlich fanden sich darunter nun auch neue Kommentare, wohl von wütenden „BamS“-Lesern, die der „Sprachpolizei“ mal ordentlich einschenken wollen:

Die Gruppe wurde als „Z*ckenpack“ beschimpft, ihr wurde ein „Besuch beim Psychater“ nahegelegt und empfohlen: „Schiebt euch einen Toast Hawai rein und haltet die blöden Fressen“. Was freiheitsliebende Bürger halt so schreiben. (Die Kommentare wurden von den Seitenbetreibern inzwischen offensichtlich gelöscht.)

Der Post, auf den sich die BamS offenbar bezieht, stammt vom 21.6.2020, und er erschien auf Facebook und Instagram. Es ist ein Sharepic, in dem es um Pizza/Toast Hawaii geht, und darum, dass der Name problematisch sei, wegen Kolonialisierung und so. Zum Inhalt des Postings kann man stehen, wie man will – aber ist das überhaupt eine Nachrichtenmeldung wert? Und wieso kommt diese erst jetzt, mehr als zwei Jahre später und so präsentiert, als wäre die Sache brandaktuell?

Eine Erklärung dafür findet, wer Google News bedienen kann. Offensichtlich hat sich die BamS von einem Artikel des österreichischen Qualitätsportals „oe24“ inspirieren lassen, der am 27. Februar erschien und ebenfalls so tut, als sei der Ananastoast aus der Schweiz ganz frisch. Die BamS schreibt also bei den Österreichern ab – und andere Österreicher wiederum bei der BamS.

Diesen Sonntagabend erschien, sehr wahrscheinlich angeregt von der Berichterstattung aus Berlin, ein Artikel mit der Überschrift: „Rassistisch? ‚Toast Hawaii‘ soll verboten werden“ bei der Klickmaschine „Heute“. Hier wird es ein bisschen albern, denn bei „Heute“ tut man freilich ebenfalls so, als sei die Posse um die Hawaii-Snacks eine hochaktuelle Nummer, verlinkt aber im Text kommentarlos eine eigene Meldung vom 23.6.2020. Es gab also bereits zwei Tage nach dem Toasting, ähm, Posting der antirassistischen Gruppe Berichterstattung über den Untergang des Abendessens!

Haben demnach die Österreicher diese köstliche Story gehoben? Nein!

Denn während „Heute“ am 23.6.2020 um 7:27 Uhr zwar früh aufgestanden war, hatte die Schweizer Newsseite „20min.ch“ bereits um 2:55 Uhr die allererste, also offenbar die Urmeldung gebracht und dafür sogar einen Historiker aus St. Gallen zur heißen Ananas-Schinken-Problematik befragt. Zu dieser unchristlichen Zeit sind sonst nur die Bäcker wach und schieben die ersten Toasts in ihre Öfen. Alle Achtung!

Aufgewärmt seit 2020

Deutschland, Österreich, Schweiz – seit Juni 2020 sind Medien im gesamten deutschsprachigen Raum daran beteiligt, die Geschichte von den angeblich bedrohten Hawaii-Speisen immer wieder neu aufzuwärmen. Die „Frankfurter Rundschau“ etwa berichtete im Oktober 2020 erstmals über „Kolonialistische Pizza“, und heute durften dann gleich zwei Autorinnen des Hauses (und mutmaßliche „BamS“-Leserinnen) noch einmal ran, um dasselbe wiederzukäuen. Auch hier fehlt – Ehrensache! – der Hinweis darauf, dass die Story ihr Mindesthaltbarkeitsdatum längst überschritten hat.

Derzeit wird überall bang darüber nachgedacht, ob eine Künstliche Intelligenz wie ChatGPT in Zukunft den Job von Journalist*innen machen könnte. Aber kann man sicher sein, dass dies nicht schon längst passiert?

Wenn die „Schwäbische Post“ am Montagmorgen ihren Hawaii-Artikel, der (wie Google verrät) bereits am 17.10.2021 erstmals erschien, mit aktualisiertem Datum teilt – liegt da nicht der Verdacht nahe, dass da ein gar nicht mal hochkomplexes neuronales Netzwerk Onlinejournalismus erledigt? Und auch im Hause Gruner+Jahr/RTL, wo es zuletzt oft hieß, man habe die digitale Entwicklung fatalerweise verschlafen, brachte man in den Qualitätsangeboten „Stern“ und „Geo“ im Jahr 2021 Artikel zum Zankapfel „Toast und Pizza Hawaii“, die auch ein Algorithmus hätte ganz locker basteln können.

Vielleicht sieht es doch alles nicht so schlecht aus im Journalismus. Am Beispiel dieser Story zeigt sich, wie man mit minimalen Ressourcen viel Wind machen kann – indem man einen Social-Media-Post einer recht kleinen Gruppierung, die damit zum Nachdenken anregen will, möglichst gedankenfrei zum maximalen Verbots-Toast aufbackt. Recherche braucht es gar keine mehr, der Anlass kann nicht nichtig genug sein und vom Zwang zur Aktualität hat man sich, vielen Dank, auch verabschiedet.

Goldene Zeiten und Chancen, Chancen, Chancen!

Die Meldung ist inzwischen übrigens ganz unten, ganz rechts angekommen: Heute Mittag berichtete auch die „Junge Freiheit“. Was in den Kommentarspalten der antirassistischen Aktivisten in den nächsten Stunden und Tagen los sein wird, kann man sich vorstellen.

6 Kommentare

  1. Ich finde bei dieser Art von Artikeln immer wieder lustig, wie sich Medien „Verbote“ vorstellen: Stuermt das SEK ein kleines Restaurant, weil ein Nachbar den „verbotenen“ Toast Hawaii auf der Speisekarte entdeckt hat? Oder schliesst das Ordnungsamt einfach den Laden bis die „verbotene“ Speise von der Speisekarte entfernt ist? Darf sie eigentlich unter anderem Namen ueberhaupt angeboten werden, wenn der Toast doch „verboten“ ist?!??

  2. Auf die schöne Entpanikung (1) von Übermedien erst einmal gepflegt einen imaginären Toast Hawaii als Antipasti vor der ebenfalls momentan imaginierten Pizza Hawaii.
    Ansonsten kann ich mich Teekay anschließen und muss hinzufügen, dass da wohl mal das Early-March-headlines Black Hole bei gelangweilten Angehörigen der Schreiberszunft des Departements „Panorama“ herrschen mag.
    Das Ganze auch noch schön garniert mit einer etwas zu heftig geratenen Priese rechter Panikmache und das von jenen, die Wissenschaftlern, Mitgliedern von Klimaschutzbewegungen und anderen, die für die Zukunft kämpfen wollen, stets „Panikmache“ unterstellen.
    .
    (1) Von mir soeben ersonnenes, hoffentlich einmal in die deutsche Sprache eingehendes Kofferwort aus Entfernung von Panik. 😉

  3. Einerseits natürlich ziemlich lustig. Andererseits verstopft dieser Kokolores die Diskussionskanäle, bindet Aufmerksamkeit und suggeriert durch seine schiere Präsenz eine Gleichwertigkeit mit echten Problemen.
    Ist es schon Verschwörungsgeraune, wenn man unterstellt, dass sowas absichtlich gepusht wird, um Menschen bei Wahlen gegen ihre eigentlichen Interessen stimmen zu lassen? Oder reicht einfach die Klickgeilheit der verbreitenden Medien als Erklärung? Und was von beidem wäre weniger schlimm?

  4. @Orangutanklaus
    „Oder reicht einfach die Klickgeilheit der verbreitenden Medien als Erklärung?“
    Das reicht.
    Klappt ja auch hier (mit mir) ganz hervorragend – ich habe nicht den Text über Gesichtsfilter gelesen, sondern war neugierig auf die nächste Sau, die durchs Dorf getrieben wird (angeblich).
    Und las dann eine Dokumentation über die erschütternde Abwesenheit jeglicher Standards bei etlichen Medien (nicht nur Bild)

  5. @jörg
    Mag sein. Aber die Journalist*innen nehmen dann mindestens billigend in Kauf, rechtspopulistischen Schreihälsen Munition für ihren Kulturkampf zu liefern.

  6. Ich habe es mir angetan, die verlinkten Texte aus dem Hause Ippen zu lesen. In meiner Jugend nannten wir so etwas „Zeilenschinderei“ oder „Locken auf der Glatze drehen“. Das Rekombinieren und Als-frisch-Ausgeben alter Textbausteine ist mir bei Ippens freilich schon des Öfteren aufgefallen. Das senkt die Contenterstellungskosten, erhöht die Produktivität der Zeilenschinderinnen und ist sicherlich als Schritt auf dem Weg zur Textproduktionsautomatisierung zu verstehen. Die Klickbeutetiere fressen’s ja.

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