Dokus zu H.P. Lovecraft und Magellan

Kitschige Graphic-Novel-Romantik statt lästiger Rassismus-Sensibilität bei Arte

Der Kultursender Arte irritiert derzeit sein Publikum. In einer Dokumentation über den US-Horrorliteraten Howard Phillips Lovecraft soll dessen Einfluss auf den „Ursprung der Fantasy“ nachgezeichnet werden. Und weil diese die menschlichen Schattenseiten des Autors völlig ignoriert, wächst seit Tagen die Kritik.

Der halbstündige Film über das Gesamtwerk des 1890 geborenen Lovecraft gerät schnell ins Schwärmen. Und das ist verständlich, war er doch Wegbereiter für Genre-Größen wie Stephen King und erschuf mit seinem Cthulhu-Mythos eine Welt, die so komplex erdacht ist wie das Hobbit-Universum seines Zeitgenossen J.R.R. Tolkien.

Bild von H.P. Lovecraft in der Arte-Doku "Die Ursprünge der Fantasy-Romane"
Screenshot: Youtube/Arte

Allerdings war H.P. Lovecraft auch ein leidenschaftlicher Rassist, Antisemit und Verächter der Moderne. Diese Geisteshaltung trieft nicht nur aus vielen seiner Werke, sie definiert seine Kunst maßgeblich.

Ohne sie ist er als Autor nicht zu verstehen. Seine Persönlichkeit war geprägt von einer tief sitzenden Xenophobie, die selbst für den damals herrschenden Zeitgeist extrem war.

Der Hauskater in „Die Ratten im Gemäuer“ heißt ohne jede dramaturgische Not „N*gger-Man“, Dunkelhäutige, Ausländer und „Gemischtrassige“ werden durchgehend als ekelhaft, verschlagen, böse und dumm porträtiert. Dazu kommt Antisemitismus und, wie etwa in der Kurzgeschichte „Der Tempel“ deutlich wird, eine Verehrung für das vermeintlich überlegene Preußentum. Selbst seine Ehefrau erschrak vor seinem Hass und wandte sich angewidert von Lovecraft ab.

Kritik von Zuschauern

Und als wäre all dies ein zu vernachlässigendes Detail, plätschert die Arte-Dokumentation gefühlig dahin: Man sieht pittoreske Panoramen von Lovecrafts Heimatstädtchen Providence, Original-Manuskripte im Archiv der örtlichen Universität und animierte Einspieler zu einigen der wichtigsten Erzählungen. Das Maximum an Auseinandersetzung mit den inneren Abgründen Lovecrafts klingt bei Arte so:

„Er stammte aus wohlhabendem Hause, war aber nicht in der Lage sich der Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft anzupassen. Ständig quälte ihn die Vorstellung vom unaufhaltsamen Niedergang einer vergangenen Welt. Das zieht sich durch sein gesamtes Werk. Er prangert diese Bedrohung an, die auf dem Menschen und der Vernunft laste.“

In der Kommentarspalte unter der Doku auf dem Youtube-Kanal „Irgendwas mit Arte und Kultur“ türmen sich derweil kritische bis fassungslose Kommentare auf:

„Die Genialität Lovecrafts zu beleuchten ohne jedoch seinen extremen Rassismus, Antisemitismus und Homophobie in nicht mal einen Satz zu nennen ist schon sehr merkwürdig“, schreibt ein User.

Ein anderer meint: „Sorry, aber für eine ARTE Produktion ist dieser Beitrag wirklich massiv undifferenziert und -reflektiert. Es sollte eigentlich nicht drin sein, sich heutzutage komplett unkritisch mit Lovecraft auseinanderzusetzen. Natürlich war und ist Lovecraft wichtig für das Genre, nur wäre eben Kritik auch durchaus angebracht gewesen statt eine dreißigminütige Lobeshymne.“

Ein weiterer Kommentar: „Für mich ein absolutes No-Go. Leider dadurch total unreflektiert und wissenschaftlich nicht gut aufbereitet“.

Das sieht man offenbar selbst im eigenen Haus so. „Vielen Dank für das wichtige Feedback. Wir sind eurer Meinung und leiten es an die Redaktion weiter“, heißt es in einer Antwort vom Team des Arte-Kanals mit 426.000 Abonnenten.

Nicht das erste Mal

Menschen mit Rassismus-Erfahrung (und andere Arte-Zuschauer) mussten beim Lovecraft-Film übrigens nicht zum ersten Mal schlucken. An Weihnachten überraschte Arte mit einer vierteiligen Dokureihe über den Seefahrer Ferdinand Magellan. In der aufwändig animierten Produktion wird die Weltumsegelung des Portugiesen 1519 in all ihren Facetten gezeigt – nun, in fast allen. Denn auch hier beweist der französisch-deutsche Kultursender erneut einen, milde formuliert, tapsigen Umgang mit historischen Realitäten.

Arte-Doku über Ferdinand Magellan
Screenshot: Arte.tv

In sehnsuchtsvoller Graphic-Novel-Romantik wird feinster Kolonialkitsch serviert, ohne lästige Rassismus-Sensibilität oder historische Fakten. „Als Beute bringt er unter anderem Eingeborene mit, die er ‚Indianer‘ nennt“, sagt der Sprecher ohne jeden kritischen Unterton etwa. Oder: „Kolumbus entdeckt Amerika“.

Das hat Kolumbus natürlich nicht getan. Und man muss schon relativ friedlich im Geschichtsunterricht geschlafen haben, um nicht zu wissen, dass der Kontinent bereits vor dessen Ankunft – und auch vor der Ankunft des Wikingers Leif Eriksson knapp 500 Jahre zuvor – menschenbewohnt war. Und: Menschen als „Beute“ zu bezeichnen, ohne jeden Anflug verbaler Anführungszeichen, ist gewöhnungsbedürftig.

Zudem tat Magellan, was europäische Seefahrer zur Zeit des Kolonialismus häufig getan haben: Indigene Völker ausbeuten, versklaven und töten. Anders als bei der Dokumentation zu H.P. Lovecraft werden diese Dinge in der Magellan-Reihe immerhin erwähnt, wenn auch oft wie notwendige Nebensächlichkeiten im Zuge einer ruhmreichen Abenteuergeschichte.

Von einem anspruchsvollen Kultursender wie Arte erwartet man eigentlich mehr. Eine weniger wilde Verliebtheit in die Protagonisten, dafür Faktentreue, ein Mindestmaß an journalistischer Distanz und eine Prise Fingerspitzengefühl. Und das nicht nur, weil Arte als Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einen Bildungsauftrag hat.

Sondern einfach weil es Arte ist, eine der letzten Bastionen des Fernsehens ohne Fremdscham-Faktor. Wie und ob die Redaktion auf die an sie herangetragene Kritik reagiert, ist bisher ungewiss. Eine Anfrage von Übermedien blieb unbeantwortet.

48 Kommentare

  1. Wzf?
    Lovecraft ist tatsächlich so drüber, dass es schon wieder aufhört, rassistisch zu sein, weil „WASPs“ in den Geschichten oft die schlimmsten sind (wie die uralte Familie in „Die Ratten im Gemäuer“), aber die Inspiration sollte man schlauerweise schon erklären.
    Magellan hat von seiner berühmten Reise gar nichts mitgebracht, weil er – in Überschätzung der europäischen Kriegskunst – beim Kampf mit Eingeborenen getötet wurde. Und er hat ganz sicher nicht den Begriff „Indianer“ erfunden.
    Ob Kolumbus Amerika „entdeckt“ hat, hängt mMn sehr davon ab, ob man nur etwas „entdecken“ kann, von dem niemand sonst weiß. Wenn die Polizei ein Drogenversteck „entdeckt“, wäre das sonst ja auch falsch. Aber andererseits haben Menschen vor Magellan den Pazifik besegelt, insofern ist der Anfang trotzdem Quatsch, und für den Rest habe ich keine Zeit…

  2. Entschuldigung, aber dass Magellan Völker ausgebeutet, versklavt und getötet habe, ist falsch. Dass die rund 250 Matrosen der Expedition vor Gewalt gegen Indigene nicht zurückschreckten – ja, das ist wahr genauso, wie andersherum. Gewalt war im 15. Jahrhundert eben nichts außergewöhnliches. Magellan selbst, wie auch einige seiner Matrosen, kamen ja in solchen Kämpfen ums Leben.

    Es irritiert mich, dass hier eine Geschichtsdoku über eine bahnbrechende Expedition dafür kritisiert wird, dass sie Dinge weglässt, die weder mit dem Gegenstand, mit dem Schauplatz noch mit dem Jahrhundert zu tun hat. Das ist – pardon- entweder unüberlegt oder perfide.

    Die päpstlich abgesegnete Aufteilung der Welt unter Spanien und Portugal, die der Expedition vorausging, wird in der Doku übrigens dargestellt und als Hybris analysiert.

    Was mich enttäuscht an diesem Beitrag, ist, dass er als rechtschaffen geltende Gedankenfetzen aufruft (zu Kolonialismus, Versklavung, Völkermord) und in Dinge mischt, wo sie nicht oder kaum hingehören, um einer historischen Doku ans Bein zu pinkeln (pardon für den Ausdruck). Als arte-Redaktion wäre es mir auch zu blöd, darauf zu antworten.

    (Zu Lovecraft kann ich nichts sagen. Da kenne ich mich nicht aus.)

  3. Zitat Artikel:

    „… Der Hauskater in „Die Ratten im Gemäuer“ heißt ohne jede dramaturgische Not „N*gger-Man“ …“

    Meinten Sie „Nogger-Man“, „Nugger-Man“, „Nagger-Man“?

    [edit: Kommentar gekürzt]

    Hier bei Übermedien sollten Sie, Herr Niewendick der ohnehin entsprechend geneigten und in der Regel intellektuel dafür gerüsteten Leserschaft durchaus zutrauen, dass hier die Verwendung des unzensierten Begriffs […] nicht als von Ihnen rassistisch gemeint, sondern wie im Kontext des Artikels als Kritik an Mr. Lovecrafts Rassismus aufgefasst würde.

    Thema Kolumbus:

    Kolumbus hatte Amerika in der Tat entdeckt, wenn man in Dokumentationen, die sich mit Cristoforo Colombo befassen, den Kontext erkennt, dass dieser Herr aus Genua, nachdem er bei der spanischen Krone vorstellig wurde und die finanziellen Mittel für seine Westreise bekam, Amerika für die spanische Krone tatsächlich entdeckt hatte, da dieser Kontinent vorher den Europäern dieser Zeit nicht bekannt war und die Reisen der Skaninavier a.k.a. Wikinger nach Neufundland, dem von den Skaninaviern „Vinland“ genannten Gebiet längst wieder vergessen wurden.

    Dass die Indigenen der amerikanischen Kontinente schon lange zuvor dort gelebt haben, ist in Kontext der Perspektive Europas dieser Zeit unwichtig.

  4. @3: https://www.youtube.com/watch?v=8jHNvTX9ECk

    Guter Kommentar und richtig und wichtig. Bin selbst Lovecraft Fan und war damals erschüttert, wie krass sich sein Rassismus in den Büchern abbildet, ich hatte das bis dahin irgendwie gar nicht so richtig wahrgenommen.
    Ähnlich wie bei TKKG, Fünf Freunde, etc.

  5. Wenn man zur Verteidigung von Kolumbus et al. nur vorbringen kann, dass die Herren die Kontinente ja nicht kannten und es deshalb ok sei, weiter von Entdeckung durch sie zu sprechen, ist das argumentativ auch etwas dünn. Ich würde sonst gerne auch als Entdecker der Schwerkraft in die Geschichtsbücher eingetragen werden, das habe ich damals im Alter von zwei Jahren entdeckt, war mir vorher unbekannt und allen anderen im Kindergarten auch.
    Und immerhin führte diese meine Entdeckung nicht zu Genozid.

  6. @6

    Solche Wortspiele machen mich ratlos. Jeder weiß, was damit gemeint ist.
    So wie Sie das sehen, hat also niemand Amerika entdeckt. Denn es war ja schon da, bevor es die ersten Menschen gab. Was bringt das?

    Zum Thema fehlende Sensibilität für Rassismus/Kolonialismus wie sie der Beitrag konstatiert: Auch hier frage ich nach dem Sinn im Kontext Magellan. Eigentlich fordert er ja eine Art pflichtschuldige Bemerkung, also eigentlich eine irgendwie untergebrachte Floskel. Mal abgesehen davon, dass man die Forderung nach solchen Floskeln beliebig erweitern kann – wem bringt das etwas? Ich gehe von einem aufgeklärten Publikum aus, dem man solche Basics nicht erklären muss.

    Wie gesagt, bin etwas ratlos.

  7. Lehrer: „Sauerstoff ist das Gas, das der Mensch zum Atmen braucht. Es wurde im 18. Jahrhundert entdeckt.“
    Fritzchen: „Und was haben die Menschen vorher gemacht?“

    Influenzerin: „Ich habe ein tolles Eiscafe in München entdeckt.“
    Kommentarspalte: „Das würde implizieren, dass vorher kein Mensch, einschließlich den Betreibern, von diesem Eiscafe wüsste.“

    Kriminalpolizei: „Ein Spaziergänger fand die Leiche in einem Straßengraben. Ob es sich um ein Verbrechen handelt, wird noch ermittelt.“
    Sprachpolizei: „Wenn es sich um ein Verbrechen handelte, konnte der Spaziergänger die Leiche nicht ‚entdeckt‘ haben, da mindestens die Person, die sie dort abgelegt hat, bereits von ihr wusste.“

    Soll heißen, ich kenne so viele Verwendungen des Wortes „entdecken“, bei denen es _nicht_ so ist, dass die Existenz der entdeckten Sache vorher _niemanden_ bekannt war, dass ich nie die Assoziation „als Erster“ habe, und daher vermute, dass das bei Kolumbus auch nicht gemeint ist.
    (Was jetzt die sonstige Kritik nicht entkräftet, aber die Diskussion gibt es bei anderen „Entdeckungen“ auch nie.)

  8. Ja, das ist so der Klassiker:
    Dummstellen.
    Man nennt es Kolonialismus und Rassismus. Beide sind, wahrscheinlich auch objektiv betrachtet, grausame und rückständige Machtsysteme. So wie einst der Absolutismus / Feudalismus, so wie alle totalitären und/oder Sklaven haltenden Systeme der Geschichte.
    Und ja, in diesem Zusammenhang macht es einen großen Unterschied zu sagen, dass der „weisse Mann(sic!)“ NICHT Amerika entdecken musste, ebenso wenig wie Afrika oder Asien.
    Es geht dabei um das Narrativ, dass, etwas ruppig zwar, aber letztlich ( ich will ja nur dein bestes, es tut mir mehr weh als dir ), darauf fußt, dass der weisse Mann die armen Wilden aus ihrem Elend erlöste.
    Tatsächlich scheint es so, als müßten die Menschen sich ein Rechtfertigungssystem erschaffen, bevor sie andere versklaven, meucheln, bestehlen und/oder vertreiben. Als während der Aufklärung das Christentum nicht mehr ausreichte als Rechtfertigungsideologie ( und weil man ja auch Getaufte versklaven wollte ), wurde der Rassismus als pseudowissenschaftliches Rechtfertigungstool hinzugefügt.

    Zu sagen, Columbus hätte Amerika entdeckt, füttert dieses Narrativ. Diese „Entdeckungen“ sind ein schlimmer Euphemismus. Es waren Überfälle, Unterwerfungen und vor allem Zerstörungen.
    Einige weisse Menschen stellen sich gerne dumm, wenn es um dieses Zeit geht. Sie dauert an, solange diese Hierarchien andauern.
    Irgendwann, wenn die Menschheit überleben sollte, wird man sich mit Unverständnis und Grauen daran erinnern.
    „Uns geht es besser, weil wir die überlegene Kultur haben, intelligenter sind, an den richtigen Gott glauben, fleissiger sind …“, das zu glauben fällt nun einmal leichter, als zu akzeptieren, dass es uns besser geht, weil wir die besseren Waffen und keine Moral oder Skrupel hatten und haben.
    P.S.:
    Nein, dass ist kein woke(r) Cancelversuch. Es können gerne wechselseitig weiter Beispiele gedropped werden und Gräben vertieft.

  9. „Zu sagen, Columbus hätte Amerika entdeckt, füttert dieses Narrativ.“ Ok, welche Vokabel wäre denn die bessere?

  10. Zu sagen, Columbus habe Amerika entdeckt, ist nur insofern falsch, als ihm bekanntlich nicht bewusst war, dass das ein eigener Kontinent war, den er da betreten hat. Ansonsten ist das völlig richtig: Durch die Fahrten von Columbus wurde das, was dann Amerika genannt wurde, zum erstenmal als eigener Kontinent – entdeckt. Klar lebten dort schon Menschen, aber die wussten nicht, dass sie auf einem Kontinent lebten und dass es noch andere gab. Die Erkenntnis einer kugelförmigen Erde mit mehreren Kontinenten hat sich nunmal in Eurasien (+ Nordafrika) entwickelt, und die Integration Amerikas in dieses Weltbild war eine bedeutende Etappe in dessen Entwicklung. Aus dieser Entwicklungslinie stammen auch alle modernen wissenschaftlichen Weltbilder. In dem Sinne hat Columbus Amerika nicht nur für sich, die spanische Krone oder Europa entdeckt, sondern für die gesamte Menschheit.

    (Die Entdeckung leitete aber auch eine der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte ein, nämlich die Dezimierung der Bevölkerung Amerikas durch den Kolonialismus und v.a. dadurch eingeschleppte Infektionskrankheiten.)

    „Dummstellen“ würde ich eher bei denen verorten, die unterstellen, wer von der Entdeckung Amerikas durch Columbus spricht, würde ignorieren, dass dort schon zuvor Menschen lebten. Das ist einfach nur albern.

    Der erwähnte Wikinger heißt übrigens Leif.

  11. Mann nennt es, glaube ich, Eurozentrismus und natürlich wären sprachliche Petitessen unwichtiger, würde nicht letztlich eine Legitimation daraus abgeleitet und bis heute, wenn auch in sublimer Form, fortgeschrieben.

    Europa ist der Mittelpunkt fast aller Weltkarten und die 10000 Jahre alte Geschichte der Menschen Amerikas in großen Teilen verloren, so dass sie mühsam wieder ausgegraben werden muss.

    Auf die „Entdecker“, die die 9500 Jahre davor so erfolgreich verdeckt haben.

  12. Wer sich da mal etwas eingehender informieren möchte, dem sei
    vielleicht die Arbeit von Enrique Dussel empfohlen.

    http://biblioteca.clacso.edu.ar/ar/libros/dussel/artics/europe.pdf

    Natürlich hat der Eroberer der Welt auch unleugbares Wissen gebracht (die Erde ist rund, auch wenn die Annahme Jahrtausende älter ist und nur gegen Rom verteidigt werden musste ).
    Letzteres ist Teil, nach Dussel, des 2. Konzepts der Modernität, die „Weltgeschichte“. Im Gegensatz zur lokalen, rein eurozentristischen, Modernität, beschrieben durch Kants „Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“.
    Die „Weltgeschichte“ eignet sich die gesamte Antike, inklusive des Teils geprägt aus der asiatischen Sphäre, als eigene an und stülpt seit dem 15. Jahrhundert dem Rest der Welt ihre Sicht über.
    Dussel arbeitet auch, ähnlich wie Eduardo Galleano in „die offenen Adern Lateinamerikas“, heraus, dass es „Lateineuropa“ ist, das diese Weltgeschichte initial prägt.
    Wen es interessiert, der mag Dussel und Galleano lesen, um sich ein Bild zu machen. Man muss sich aber tatsächlich mit der Materie etwas beschäftigen, um diese (selbst)kritischen Ansätze mit der Kolonialgeschichte umzugehen, zu verstehen.
    Sonst kommt so etwas dabei raus, wie letztlich bei Herrn Fleischhauers Kritik an Frau Baerbock bei der Rückgabe der Benin-Bronzen, als sie in der Rede von Wiedergutmachung deutscher Verantwortung für Verbrechen der Kolonialzeit sprach. Er scheint davon auszugehen, europäische Nationen müssen sich nur bei Ländern entschuldigen, in denen sie mal Schutzmacht waren und mindestens einen Genozid zu verantworten haben. Als hätte es all die „Handelsgesellschaften“, „Kompanien“ und andere Verflechtungen, all die Warenströme etc. nicht gegeben. Ja als würden die Strukturen nicht bis in die Gegenwart die Realitäten der Welt bestimmen.

  13. Sorry, ich muss es doch nochmal probieren…

    Zu Lovecraft: Ein übler Rassist, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und als Schriftsteller überschätzt – auch wenn der Cthulu-Mythos faszinierend ist.

    Zu Magellan: Hat eine nautische Großtat bewältigt und fühlte sich den Leuten, denen er unterwegs begegnete, sicher unangemessen überlegen. Beides gehört in eine Doku über ihn. Nicht hinein gehören die Verbrechen der Ostindien-Kompagnie oder der europäischen Kolonialreiche. Als die geschahen, war er nämlich schon lange tot.

    Zu „Menschen als Beute“: Dass uns der Gedanken an Menschen als Beute heute empört, ist Ergebnis des universalistischen Menschenbildes der Aufklärung – ebenso wie der Zusammenhang von Sklaverei und Rassismus. Sklaverei hat es, ganz ohne Rassismus, fast immer und fast überall gegeben.

    Das alte China war ebenso ein Sklavenstaat wie das Aztekenreich. Das Königreich Benin verdankte seine Macht nicht dem Export von Bronzekunst, sondern dem Sklavenhandel. Einer der größten Sklavenstaaten der Neuzeit war das osmanische Reich – seine „Beute“ holte es sich aus Schwarzafrika, aus der Ukraine und aus Russland. Und westeuropäische Sklaven gab es auch, nämlich in den Barbareskenstaaten Nordwest-Afrikas.

    So wichtig die Aufarbeitung von Kolonialverbrechen, Rassismus und westlicher Sklaverei auch ist – die Debatte hat eine Schlagseite. Sie verleitet dazu, sich die Welt ohne Europäer als ein Paradies der Unschuld vorzustellen. Und das ist selbst eine eurozentristische Verzerrung der Wirklichkeit.

  14. @KK
    Exzessiver whataboutism ( andere hatten auch Sklaven ) und das Äquivalent zu Adolfs Autobahn, so kann man den Kommentar von KK auch lesen.

    Es geht nicht darum, Europa zu verteufeln, alle anderen zu verklären oder ein Paradies ohne Europa zu entwerfen. Es geht auch nicht darum, Magellan seine nautischen Fähigkeiten abzusprechen.

    Das alles sind Strohmänner.

    Entweder mensch befasst sich mit dem, was bspw. die sog. Befreiungsphilosophie Lateinamerikas dazu zu sagen hat, oder mensch geniesst die paar Jahre, die der europäischen Apotheose noch verbleiben mögen und wundert sich, warum da draußen nur so viele Menschen ein Problem damit haben. Im Zuge des Klimawandels dürfte deren Zahl noch rasant steigen.

    Merke: Es ging um das Wort „entdecken“ und die Meinung, dass dieser Begriff nicht ganz angemessen sei. Was das an Defensivfuror triggert ist zumindest bemerkenswert.

  15. „die Erde ist rund, auch wenn die Annahme Jahrtausende älter ist und nur gegen Rom verteidigt werden musste“
    Eigentlich nicht, das ist ein Narrativ.
    Die Idee, von Spanien westwärts nach China zu segeln, gab es schon bei Strabo, iirc. Kolumbus‘ Fehler war, dass er den Erdumfang zu klein bzw. Asien zu groß eingeschätzt hatte (was nicht nur er gemacht hat, allerdings, Dante z.B. gibt in der göttlichen Komödie zwölf Zeitzonen zwischen Spanien und dem heutigen Bangladesh an, dabei sind es nur sechs), insofern war es sein Glück, dass da noch einen Kontinent gibt. Aber wenn er explizit danach gesucht hätte, würde man von „finden“ sprechen, oder?

    „Es ging um das Wort „entdecken“ und die Meinung, dass dieser Begriff nicht ganz angemessen sei.“ In der Lovecraft-Reportage wird ausgesagt, der Erzähler habe Lovecraft mit 20 „entdeckt“. Offenbar verwendet Arte das Wort anders als Sie, was ja nichts heißen muss, aber welches Wort würden Sie stattdessen verwenden?

  16. Lieber Mycroft, es ist auch ein Privileg, daß lustig finden zu können. Geniessen Sie es.
    Ich habe ja diesen Artikel nicht geschrieben und würde persönlich dazu tendieren, dass man dieses Thema vernünftig einordnet und nicht so bräsig und altbacken mal eben den alten Kolumbus Quatsch ablässt. Überlegen Sie sich einfach, wie man das Ereignis in 10 Jahren wohl beschreiben würde, und nicht wie in den 50ern des letzten Jahrhunderts. Ça va!
    Schau an, Amerika musste gar nicht entdeckt werden. Es gab eine blühende Zivilisation mit zahlreichen kulturellen Errungenschaften, von denen leider ausgerechnet die Waffentechnik nicht besonders weit entwickelt war.
    Diese kleine shift der Perspektive, so lachhaft er Ihnen vielleicht erscheint, macht, so sagen zumindest unisono Befreiungsphilosophen wie Befreiungstheologen, einen großen Unterschied.

  17. „Lieber Mycroft, es ist auch ein Privileg, daß lustig finden zu können.“
    Ok, Spaß beiseite. Die Narrative über Kolumbus sind ein weites Feld. Wer daran glaubt – blabla, Erde-keine-Scheibe, brachte „Zivilisation“, Ei, etc. – dem ist nicht dadurch zu helfen, dass man ein Wort austauscht.
    „Überlegen Sie sich einfach, wie man das Ereignis in 10 Jahren wohl beschreiben würde, und nicht wie in den 50ern des letzten Jahrhunderts.“
    Keine Ahnung, wie das vor 70 Jahren war, _heute_ finde ich für „entdecken“ die Verwendung vor, die ich oben beschrieben habe. Aber ich formuliere die Frage anders: wie würden _Sie_ das Ereignis 10 Jahren beschreiben, da Sie die Kritik an „entdecken“ ja teilen und verteidigen?
    „Schau an, Amerika musste gar nicht entdeckt werden.“
    Ach? Lovecrafts Geschichten _mussten_ auch nicht entdeckt werden. Das tolle Cafe in München auch nicht. Und die geschmuggelten Drogen wohl erst recht nicht. Sie postulieren eine Bedeutung des Wortes „entdecken“, die es scheinbar nur bei Kolumbus haben soll, und sonst nie.
    „Diese kleine shift der Perspektive, so lachhaft er Ihnen vielleicht erscheint…“
    Ich habe durchaus mehr Sympathie mit bspw. den Einheimischen auf den Antillen als mit Kolumbus, aus dem Grund, dass ich die Geschichte kenne und meine Perspektive entsprechend wechseln kann. Und ja, der „Kitsch“ verstellt den Blick darauf, aber das liegt nicht an der Formulierung als solcher.

  18. @Mycroft:
    Lassen Sie uns darauf einigen, dass eine Einordnung, die den unterschiedlichen Perspektiven gerecht wird, das eigentliche ist, was fehlt.
    Deal?
    So verstehe ich Martin Niewendick eigentlich auch.

  19. Der Begriff des „Entdeckens“ wurde bezüglich des „Zeitalters der Entdeckungen“ früher tatsächlich arg seltsam gebraucht: Stefan Zweig etwa schildert in „Sternstunden der Menschheit“ die „Entdeckung“ des Pazifiks durch einen spanischen Conquistador. Habe das Buch gerade nicht zur Hand, aber zumindest in meiner Erinnerung schrieb Zweig, dieser Eroberer hätte „als erster“ den Pazifik gesehen – obwohl er ein paar Absätze davor noch schilderte, wie die Indigenen ihn an die Küste geführt hatten. Und das von einem, der nun wahrlich kein Rechter war…

    Für den „Switch“ der Perspektive braucht man allerdings keine Philosophen, es ist recht einfach: Aus europäischer Sicht hat Kolumbus Amerika tatsächlich entdeckt – heißt, er ist auf eine Landmasse gestoßen, von der vorher kein Europäer gewusst hatte. Aus Sicht der Ureinwohner gab es Besuch aus einer fremden Welt, der partout nicht mehr gehen wollte, Seuchen einschleppte und bald auch noch anfing, die Wohnung auszuräumen.

  20. @KritischerKritiker
    „Aus europäischer Sicht hat Kolumbus Amerika tatsächlich entdeckt“
    no shit, Sherlock?
    Sry, aber das ist ein unerwarteter Turn. Ja, das exakt ist das Problem. Nun definieren wir noch „europäische Sicht“ und deren Rolle in dem, was Dussel „world history“ nennt, und dann beginnen wir zu verstehen, worum es bei der Anmerkung zur Vokabel „entdecken“ eigentlich geht.
    „In other words, there was not a world history in an empirical sense before 1492 (as this date was the beginning of the “world-system”).[Enrique Dussel]
    Ich habe weiter oben nichts wirklich erwidert, als es um die lässige Relativierung der kolonialen Sklavenindustrie ging. Sie bemühten da ein Narrativ, welches man sonst gerne ganz weit rechts bemüht. In etwa
    „Sklaverei ist ja keine europäische Erfindung, haben ja alle gemacht, sogar [sic!] Europäer wurden in Nordafrika als Sklaven verkauft.“

    Ebenso könnte man Napoleons Feldzüge mit dem industriellen Schlachten der Weltkriege vergleichen.
    https://www.bpb.de/themen/kolonialismus-imperialismus/postkolonialismus-und-globalgeschichte/219137/sklaverei-und-sklavenhandel/

    Durch die Europäer und den Kolonialismus wurde die Sklaverei zur Großindustrie. Ausfallquoten von 15% bei den Transporten im Schiffsrumpf galten als akzeptabel. Natürlich kollidierte diese Barbarei mit dem Menschenbild der Aufklärung. Um diese Diskrepanz zu erklären, wurde der Rassismus erfunden.

    Sie sagen, Sie bräuchten die Philosophen nicht, Ihnen die Unterschiede der Perspektiven zu erklären. Ich bin da, mit Verlaub, extrem anderer Meinung.

  21. @Frank Gemein:

    Das ist überhaupt kein „Turn“, sie lesen nur in #14 Dinge hinein, die nicht drinstehen. Der Kontext ist eben nicht der transatlantische Dreieckshandel des 17. bis 19. Jahrhunderts, sondern die Reise von Magellan im frühen 16. Jahrhundert. Für die Art, wie er Beute machte (mit ein paar Schiffen die Küste ansteuern, Vorräte und Leute einsacken, weiterfahren), dürften die oben erwähnten Barbaresken (oder davor die Wikinger) der passende Maßstab sein.

  22. KK, der Meister der Relativerer.
    Sie nehmen es mir bitte nicht übel, dass ich das nicht ernst nehmen kann.

    „So wichtig die Aufarbeitung von Kolonialverbrechen, Rassismus und westlicher Sklaverei auch ist – die Debatte hat eine Schlagseite. Sie verleitet dazu, sich die Welt ohne Europäer als ein Paradies der Unschuld vorzustellen. Und das ist selbst eine eurozentristische Verzerrung der Wirklichkeit.“

    Das ist der Strohmann, an dem sich Ihre ganze Argumentation entlang hangelt. Mit keinem Wort hat irgendjemand eine „Welt ohne Europäer“ angepriesen, niemand hat von paradiesischer Unschuld gefaselt, aber Sie müssen dem schon mal präventiv einen Riegel vorschieben.
    Und nun wird als Erklärung Magellan noch die Gnade der frühen Geburt zu teil.
    Wohl gemerkt: Es geht um kritische Einordnung. Die alte Heldengeschichte funktioniert so eindimensional 2023 einfach nicht mehr. Ist noch nicht tot, riecht aber schon reichlich streng.

  23. °Lassen Sie uns darauf einigen, dass eine Einordnung, die den unterschiedlichen Perspektiven gerecht wird, das eigentliche ist, was fehlt.°
    Ja, so gesehen ist das trivialerweise wahr. Weil immer Perspektiven weggelassen werden. Was jetzt nicht exakt meine Kritik an der Kritik war, aber sei’s drum: Deal.

    Mittlerweile habe ich herausgefunden, warum die Katze in der Geschichte heißt, wie sie heißt: Sie ist nach der Katze benannt, die Lovecraft als Kind hatte. Was das Problem mehr verschiebt, als es besser zu machen, aber Katzen sind bei Lovecraft eher „Guten“, und das ganze ist ein Symptom, dass Lovecrafts Rassismus in seinen Geschichten zu einem sonderbaren „positiven“ Rassismus kippt – es sind immer die Weißen, die dem Horror anheimfallen und ihn verbreiten, wohingegen der Rest der Menschheit eine gewisse Resitenz entwickelt. Positiver Rassismus ist dessenungeachtet auch Rassismus.

  24. @Mycroft:
    Ich glaube nicht, dass es so etwas wie „positiven Rassismus“ geben kann. Rassismus ist ein Machtwerkzeug und funktioniert nur über Hierarchie. Und zwar nur in eine Richtung. Nach unten.
    Ob man die Hierarchie zementiert, aber dabei nett zu den Benachteiligten ist, macht keinen entscheidenen Unterschied.

  25. „Ich glaube nicht, dass es so etwas wie „positiven Rassismus“ geben kann.“
    Deshalb auch die „Gänsefüßchen“. Gemeint ist, dass man einer Gruppe, der man selbst nicht angehört, positive Eigenschaften zuordnet, also im Umkehrschluss der eigenen _negative_ Eigenschaften. Also z.B.: „Asiaten sind generell besser in Mathe.“ Hat nichts mit „Nettigkeit“ zu tun.
    In Geschichten von _anderen_ Rassisten bringen Weiße dem Rest der Welt „christliche Werte“, „preußische Tugenden“, „moderne Kultur“, „aufgeklärten Humanismus“ und dergleichen mehr, und müssen typischerweise gegen Aberglauben und Barbarei obsiegen. Bei Lovecraft hingegen… ich sag mal so: die Hauptfigur aus „die Ratten im Gemäuer“ kann ihre weiße Ahnenreihe quasi bis vor den Römern in Britannien zurückverfolgen, und endet nicht trotzdem, sondern darum als wilder Kannibale, iirc. Sicher zementiert das auch irgendwie Hierarchien, aber nunja.

  26. @Frank Gemein (#24):

    Ich weiß nicht, warum Sie so entschlossen sind, jede meiner Aussagen im möglichst finstersten Licht zu deuten. Ich weiß auch nicht, was Sie mit „eindimensionalen Heldengeschichten“ und so meinen. Ich halte Magellan gewiss nicht für einen „Helden“ – für einen großen Seefahrer allerdings schon.

    Davon ab bin ich kein rechter Schurke, der die europäische Sklavereigeschichte verharmlosen möchte. Ich habe nicht den geringsten Dissenz mit Ihnen, wenn Sie schreiben: „Durch die Europäer und den Kolonialismus wurde die Sklaverei zur Großindustrie. Ausfallquoten von 15% bei den Transporten im Schiffsrumpf galten als akzeptabel. Natürlich kollidierte diese Barbarei mit dem Menschenbild der Aufklärung. Um diese Diskrepanz zu erklären, wurde der Rassismus erfunden.“

    Oben unterstellten Sie mir (als Antwort auf einen m.E. sachlichen Beitrag) einen „Defensivfuror“. Ein bisschen weniger Offensivfuror bei der Interpretation meiner Beiträge würde Ihnen – und mir – guttun. (Ich bin gerade zurückgekehrt und möchte nicht in alte Muster zurückfallen.)

  27. @KritischerKritiker
    Da haben Sie natürlich einen Punkt. Auch ich möchte nicht in alte Muster zurückfallen.
    Zur Erklärung aber:
    „Für den „Switch“ der Perspektive braucht man allerdings keine Philosophen, es ist recht einfach: Aus europäischer Sicht hat Kolumbus Amerika tatsächlich entdeckt – heißt, er ist auf eine Landmasse gestoßen, von der vorher kein Europäer gewusst hatte. Aus Sicht der Ureinwohner gab es Besuch aus einer fremden Welt, der partout nicht mehr gehen wollte, Seuchen einschleppte und bald auch noch anfing, die Wohnung auszuräumen.“

    Da sind wir stark abweichend in unseren Meinungen. Ich neige da mehr zu Enrique Dussels Beschreibung des Beginns der „Weltgeschichte“ 1492 und denke, dass diese zu einseitig bestimmt wird.

    Ich nehme aber Ihr Angebot gerne an und versuche meinen „Offensivfuror“ etwas zu bremsen.

  28. @Frank Gemein (#29):

    „Ich neige da mehr zu Enrique Dussels Beschreibung des Beginns der ‚Weltgeschichte‘ 1492 und denke, dass diese zu einseitig bestimmt wird.“

    Ich glaube, wir sind da gar nicht weit auseinander. Dussel schreibt, zitiert nach Ihnen: „In other words, there was not a world history in an empirical sense before 1492 (as this date was the beginning of the “world-system”).“ Wenn er damit den Beginn eines Prozesses meint, an dessen Ende Europa die Welt unterworfen hat und beherrscht, dann habe ich da keinen Widerspruch. Tatsächlich fangen die Europäer um 1500 auch als erste an, alle Kontinente und alle Teile der Menschheit zusammenzudenken (was Fortschritt und Tragödie in einem war). Soweit gehe ich mit.

    Irreführend finde ich den Gedanken aber, weil er ausklammert, dass weite Teile der Welt noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein _nicht_ von Europa beherrscht wurden: China, Indien, der Nahe und Mittlere Osten, weite Teile des nordamerikanischen und afrikanischen Binnenlands, etc. Also „in an empirical sense“ noch kein Teil des europäisch dominierten „world-systems“ waren, höchstens sporadische Kontakte zu ihm pflegten.

    Damit will ich – Achtung! – keineswegs die europäische Überheblichkeit kleinreden oder die Verbrechen der Conquistadores, Compagnien und Sklavenhändler relativieren. Im Gegenteil: Ich finde, die Verbindung von 1492 und „world system“ macht das Europa dieser Zeit zu _groß_.

    Was war Europa denn damals im Vergleich zum Riesenreich der Ming in China, das ihm technisch, kulturell und ökonomisch um Jahrhunderte voraus war? Oder zu den Osmanen, die gerade Konstantinopel erobert hatten und bald ein Territorium von Kiew bis in den Jemen kontrollieren würden?

    Es war eine Ansammlung kleiner und mittlerer Territorien ohne echte Zentralgewalt, die sich untereinander befehdeten und zu 90 Prozent von Analphabeten bevölkert waren. Diese Machtverhältnisse werden im 17. und 18. Jahrhundert allmählich kippen, aber davon sind wir 1492 noch weit entfernt.

    Ich weiß, dass Dussel den Eurozentrismus kritisieren will – aber seinen Begriff von „Weltgeschichte“ finde ich in diesem Kontext missverständlich. Man kann ihn auch so interpretieren, dass er sich glatt in ein eurzentrisches Geschichtsbild einfügt, wie es etwa Hegel propagiert hat: Eine gerade Linie von der griechischen Polis über Rom und Karl den Großen bis zur „zivilisatorischen Mission der weißen Rasse in der Welt“. Und dem will ich gerade widersprechen, wenn ich etwa die historische Rolle Chinas starkmache.*

    Vielleicht können Sie mir erläutern, ob ich Dussel falsch verstehe. Wie ich es meine, habe ich hoffentlich nachvollziehbar erklärt.

    *China hat sich das eurozentrische Weltbild übrigens nie zu eigen gemacht. Es sieht sich selbst als Zentrum – eine jahrtausendealte Zivilisation, die in jüngster Vergangenheit eine Schwächephase hatte, nun aber zu alter Größe zurückkehrt. Siehe auch „Neue Seidenstraße“.

  29. Ich weiß nicht, ob das in diesem Diskussionsstrang noch interessiert, aber mich lässt das Thema nicht los und ich möchte ein paar gut erforschte Fakten zur Dimension des subsaharischen Sklavenhandels in der Neuzeit loswerden:

    – europäischer Sklavenhandel (Ziel vor allem beide Amerikas); 15 Jh. – 19. Jh.; Höhepunkt 18. Jh.; 12 Millionen Deportierte

    – arabischer Sklavenhandel; Ziel Nordafrika und Mittlerer Osten; 13. Jh. – 19. Jh.; Höhepunkt 19. Jh.; 17 Millionen Deportierte

    – innerafrikanischer Sklavenhandel; seit Mittelalter bis heute; Höhepunkt 19. Jh.; mindestens 12 Millionen Deportierte (hier sind die Quellen am schlechtesten)

    (entnommen dem neuen Geschichtsatlas von Christian Grataloup)

    Was ich sagen will: Sklaverei insgesamt und betreff Afrika war ein Verbrechen mit vielen Beteiligten.

    Und ich frage mich, ob der Autor des Beitrags dieselbe Kritik geübt hätte bei einer Geschichtsdoku über Arabien oder Afrika. Und falls nein: Wäre das nicht Eurozentrismus?

  30. @Chateaudur:
    Die Zahlen kannte ich nicht. Ich wundere mich aber etwas, warum denn die europäischen Sklavenhändler bis zum 12. Jhd fehlen? Schliesslich gab es in Prag und Verdun Kastrationsanstalten extra für den Sklavenhandel.
    Und eine Zusammenhang zwischen der Eigenbezeichnung „Slawen“ und dem Begriff „Sklave“ ist zwar nicht belegt, wird aber in der Sprachwissenschaft stark angenommen.

  31. @Frank Gemein

    Ich habe die Daten zum subsaharischen Sklavenhandel der Neuzeit ins Spiel gebracht, weil sie – meines Wissens – die besterforschten sind und sie mir zur Hand waren.

    Völlig zurecht weisen Sie allerdings daraufhin, dass das Übel der Sklaverei zu fast allen Zeiten in fast allen Weltgegenden zu finden ist. Natürlich auch innerhalb Europas, wie Sie sagen.

    Da Sie die Kastrationsanlagen in Prag und Verdun erwähnen: Solche gab es in größeren Dimensionen in Kairo, Bagdad und Sansibar (vor der Verschleppung nach Oman). Die systematische Kastration männlicher Sklaven und – zumindest nicht unübliche – Ermordung von Kindern von Sklavinnen, ist einer der größten Unterschiede zwischen dem arabischen und dem europäischen Sklavenhandel der Neuzeit. Sie ist zugleich auch der Grund, warum sich in den arabischen Ländern nur sehr wenig Nachkommen der schwarzafrikanischen Sklaven finden; ganz im Gegensatz zu den USA, der Karibik oder Brasilien.

    Der zweite Hauptunterschied ist übrigens, daß die Europäer – anders als die Araber – Sklavenarbeit nur in den Kolonien duldeten, aber nicht in ihren eigenen Ländern.

    Aber das alles führt zugegeben weit weg vom Artikel.

  32. @Chateaudur:
    Wir kommen Sie denn darauf?

    „Der zweite Hauptunterschied ist übrigens, daß die Europäer – anders als die Araber – Sklavenarbeit nur in den Kolonien duldeten, aber nicht in ihren eigenen Ländern.“

    Steile Behauptung. Selbst Päpste hatten Sklaven und slawische Haussklaven waren keine Seltenheit. Es gab aber keinen so großen Bedarf an Sklaven, weil in Europa die Leibeigenschaft.
    Ökonomisch war das für die Feudalherren sicher noch lukrativer.

  33. @Frank Gemein:

    Sie haben recht und ich präzisiere die Aussage:
    Die Europäer der Neuzeit haben den SklavenHANDEL nicht in ihren eigenen Ländern geduldet.

    Leibeigenschaft ist zwar Zwangsarbeit, aber nicht dasselbe wie Sklaverei, weil der „Besitzer“ den Sklaven nicht handelt.

  34. Spontan wäre meine Vermutung, dass viele der Sklaven aus Verdun und Prag in den „arabischen“ Statistiken auftauchen. Also Europäer, die andere Europäer nach Afrika und SW-Asien verkauften.
    Weil es damals nicht auf die Hautfarbe ankam, sondern auf die Religion, was den „-ismus“ natürlich auch nicht besser macht.

  35. Hey, das wurde hier ja richtig freundlich und konstruktiv, obwohl ich mich gar nicht mehr beteiligt habe! Hm… *kopfkratz*

    @FK: Was Dussel da schreibt, finde ich auch interessant und einleuchtend. Ich würde vielleicht einwenden, dass man die Überlegenheit der Spanier in Amerika nicht so sehr auf die eisernen Wafen reduzieren sollte, und über die wirtschaftliche Bedeutung der Kolonien kann man sich auch streiten. (Haben die Erträge der Kolonien Spanien und Portugel, und später England und Frankreich, reich und mächtig gemacht, oder hat eher der politisch-ökonomische Aufschwung in den Mutterländern den Kolonialismus ermöglicht? Wohl teils-teils, ist aber kompliziert.) Aber das sind Details.

    Bezüglich der „Entdecker“ würde ich mich Mycrofts Frage anschließen: Wie würden Sie denn das nennen, was Columbus und Co gemacht haben?
    Ich kann ja verstehen, dass man mit dem Wort nicht glücklich ist, weil es so nach rein an Erkenntnis interessiertem „Entdeckungsdrang“ klingt. Dass dem nicht so war, sieht man ja schon daran, dass so ziemlich das erste, was Columbus (auftragsgemäß) nach seiner Ankunft tat, war, eine spanische Fahne in den Boden zu rammen und einen Besitzanspruch der spanische Krone zu verkünden. Aber wie soll man es besser benennen?

    @KK: Schön, dass Sie wieder da sind! :-)

    zu #30: Die Entwicklung zur Moderne war aber tatsächlich etwas, was von Europa ausging. Klar sah und sieht sich z.B. China als Mittelpunkt – welches Imperium tut das nicht? Aber es _war_ eben nie weltumspannend, das waren erst die spanischen und portugiesischen Kolonialreiche, mit allen Folgen. China dagegen hat sich bekanntlich grade in der Ming-Zeit aktiv von der restlichen Welt abgeschottet. Und für die weitere Entwicklung der Moderne – mit Dingen wie Kolonialismus, Kapitalismus, Industrialisierung, Wissenschaft, Nationalstaaten, you name it – spielte China vor der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts praktisch keine Rolle, ebensowenig wie Indien oder das osmanische Reich.

    zu Magellan: „Nicht hinein gehören die Verbrechen der Ostindien-Kompagnie oder der europäischen Kolonialreiche. Als die geschahen, war er nämlich schon lange tot.“
    Schon, aber „Entdecker“ wie Magellan waren nunmal (auch) die Wegbereiter des Kolonialismus, und das nicht zufällig, sondern intendiert. Diese historische Perspektive gehört imho schon in so eine Darstellung.

    zur Sklaverei: In der war das Kalifat das Hauptabsatzgebiet des europäischen Handels mit europäischen Sklaven im Mittelalter. In der feudalistischen europäischen Wirtschaft hatten Sklaven in größerer Zahl keinen Platz, darum gab es da nur sehr vereinzelt Sklaven. (Kaum aus religiös-moralischen Gründen; da hätte sich schon eine Rechtfertigung gefunden, bzw. hat sich im Einzelfall ja auch, ebenso wie später für die Massensklaverei in den Kolonien.)
    Das Ausmaß der arabischen Sklaverei wird landläufig stark unterschätzt (darum danke @Chateaudur für die Zahlen). Ich vermute mal (leider ohne genauere Kenntnis), dass der massenhafte Einsatz afrikanischer Sklaven in Spätmittelalter und Neuzeit nicht zuletzt damit zusammenhing, dass die „Verfügbarkeit“ europäischer, v.a. slawischer Sklaven seit dem Hochmittelalter stark zurückging.

  36. Da gibt’s eine hervorragende, 4-teilige ARTE Doku zu:
    „Menschenhandel – Eine kurze Geschichte der Sklaverei“
    Leider derzeit nicht online :(

  37. @Earendil (#39)

    „Schön, dass Sie wieder da sind!“

    Danke! :-)

    „Die Entwicklung zur Moderne war aber tatsächlich etwas, was von Europa ausging….“

    Ja, der Kapitalismus war der Game-Changer – dessen Dynamik war neu in der Welt und hat letztlich alles mit sich gerissen. In Gang gebracht haben ihn nicht zuletzt das Gold aus Amerika und die Beutezüge der Kompanien. (By the way: Faszinierend finde ich in diesem Kontext die Geschichte Japans – es adaptierte im 19. Jahrhundert das Modell „Nationalstaat plus Kapitalismus“ und wurde nicht Kolonie, sondern selbst imperialistische Großmacht. Seit 30 Jahren macht China das nach und hängt alle ab.)

    „‚Entdecker‘ wie Magellan waren nunmal (auch) die Wegbereiter des Kolonialismus, und das nicht zufällig, sondern intendiert. Diese historische Perspektive gehört imho schon in so eine Darstellung.“

    Kein Widerspruch. Ab der Landung in der Karibik ging es – zunächst vor allem in „Lateineuropa“ – auch um neue Territorien. Aber z.B. die von da Gama gegründeten, wirklich-indischen Kolonien waren für Jahrhunderte kaum mehr als eine Kette von Handels-Stützpunkten an der Küste. Der portugiesische „Estado da India“ war mächtig auf See, doch auf dem Land entstand damals gerade das Mogulreich, das erst um 1700 seine größte Ausdehnung erreichte (dessen Macht und Größe verbürgt das Taj Mahal).

    Was ich sagen will: Kolumbus, Magellan & Co. haben 1500 keinen Schalter umgelegt, der eine fragmentierte Menschheit sofort unter europäische Kontrolle brachte. Es war ein langer Prozess, und die Welt von 1900 war 400 Jahre zuvor weder geplant noch vorstellbar.

    „In der feudalistischen europäischen Wirtschaft hatten Sklaven in größerer Zahl keinen Platz, darum gab es da nur sehr vereinzelt Sklaven.“

    Und in der Neuzeit etablierte sich in Europa und Nord-Amerika bekanntlich der „doppelt-freie Lohnarbeiter“ (Marx) – formalrechtlich dem Bürger gleichgestellt, in Sachen Lebensumstände lange dem Sklaven ähnlich. Man lese in diesem Kontext z.B. „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ von Friedrich Engels. Bis heute findet man solche Zustände, etwa in Bangladesh.

  38. @alle
    Ich freue mich, dass wir in dieser Kommentarspalte einen so frucht- und wissensreichen Austausch hinbekamen. Ich habe einiges mitgenommen – danke hierfür.

    (Ich kann es mir nicht verkneifen: Die Inhalte in den Kommentaren sind weit intelligenter als der Artikel, der den Anlass bot. Wie ich schon zuvor betonte, weiß ich zu Lovecraft nichts beizutragen, aber die *räusper Ausführungen zu Kolumbus, Magellan und die entsprechende Doku empfand ich als so schludrig, dass ich sie nicht unkommentiert lassen konnte. „Getriggert“ nennt man das heute.)

    Auf weiteren guten Austausch unter neuen, hoffentlich anregenderen Artikeln!

  39. Ein Gedanke noch, dann lasse ich das Thema hier:

    Die Europäer tragen gemeinsam mit fast allen Völkern und Herrschaftssystemen der Welt den historischen Makel, ja die Schuld, mit sich, Sklaverei aktiv betrieben zu haben. Diese Verantwortung bedeutet bis heute etwas und sie sollte auch anderen modernen Nationen etwas bedeuten (zum Beispiel den arabischen).

    Aber das Verdienst, die Sklaverei durch das 19. Jahrhundert hindurch in weiten Teilen der Erde abgeschafft zu haben, tragen sie allein. Nicht nur in den eigenen Ländern, sondern qua kolonialer Macht auch – gegen heftige Widerstände – in Afrika, dem Mittleren Osten und sogar durch Druck auf das nicht-kolonisierte Osmanische Reich.

    Ging die europäische Kolonialisierung mit schrecklichen Verbrechen einher? Eindeutig ja. Schaffte sie die Sklaverei bis zum heutigen Tage weitgehend ab? Eindeutig ja.

    Die Geschichte ist eben komplex.

  40. @Chateaudur:
    Die Satzteile vor dem „Aber“ …
    Das würde ja bedeuten, es gäbe überall dort, wo es keine Kolonien der Europäer gegeben hat, noch Sklaverei. Dem ist aber nicht so.
    Die Abolition wird auf der politischen Ebene, neben anderen Dingen zwar, als ein Vorwand für die afrikanische Kolonisierung gesehen. Zum einen war es den Kolonialherren häufig gar nicht möglich, die Beseitigung der Sklaverei gründlicher als nur kosmetisch voranzutreiben, zum anderen setzten sie selber, besonders deutlich am Beispiel Belgien zu sehen, auf Zwangsarbeit, die sich nicht wirklich von der Sklaverei unterschied.
    Die Genozide sind letztlich Resultate derselben Befreiungsmission, wie die Abschaffung der Sklaverei. Die Hungerkatastrophen als Resultate der Verringerung der Kindersterblichkeit bei gleichzeitigem Verhütungsverbot ebenso, wie willkürliche Etablierung höriger Eliten im Postkolonialismus und die ebenso willkürliche Grenzziehung mit dem Lineal. Das Pflanzen von Rassismen wie bspw. in Ruanda, mit bekanntem Ergebnis Jahrzehnte später. All das vorgeblich im Namen der Menschenrechte.

    Betrachtet man das US-amerikanische Gefängniswesen hat die Sklaverei dort nie ganz aufgehört.
    Die Apartheid war nichts anderes als sublimierte Sklaverei und bis in die Gegenwart haben diejenigen, die für Afrikas Probleme die Faulheit der Menschen verantwortlich machen wollen, oder bei jeder Gelegenheit von „shithole-countries“ sprechen, das Prinzip der unveräusserlichen Menschenrechte nicht so ganz durchdrungen.
    Wir würden es nicht ertragen, Afrikaner zu zehntausenden im Mittelmeer ertrinken zu sehen, oder zu erfahren, dass es Lager in Libyen gibt, wo Menschen vergewaltigt, verkauft und ermordet werden, und dennoch push backs an die libysche Küstenwache tolerieren, wenn es anders wäre.
    Der Firnis ist immer noch hauchdünn.

  41. @Chateaudur: „Aber das Verdienst, die Sklaverei durch das 19. Jahrhundert hindurch in weiten Teilen der Erde abgeschafft zu haben, tragen sie allein.“

    „Verdienst“? Nunja. Zwar ist Europa (+USA) quasi die einzige Sklavenhaltergesellschaft, in der sich grundsätzliche Kritik an der Sklaverei durchsetzen konnte. Allerdings zuverlässig dort, wo (und dann, als – und weil) die Sklaverei bereits eine anachronistische Erscheinung in der Perepherie geworden war, die die ökonomische und nationalpolitische Entwicklung eher behinderte als förderte (etwa England und die US-Nordstaaten im 19. Jh.). Es war also nicht nur die hehre Aufklärung; Europa tat sich ab einem gewissen Zeitpunkt v.a. auch aus nationalökonomischen Gründen leichter mit der Abschaffung der Sklaverei als etwa Araber und Türken (und US-Südstaatler), bei denen die Reichtumsproduktion erheblich auf Sklaverei beruhte.

    Zweitens war die Abolition nicht nur ökonomisch, sondern auch ideologisch praktisch: War vorher die Sklaverei ein Motor des Kolonialismus, konnte man ihn nun im Gegenteil mit dem Kampf gegen dieselbe begründen. Man gucke sich nur den Weg der vieldiskutierten Beninbronzen an: Erst tauschen Europäer Bronze gegen Sklaven, und die Sklavenverkäufer lassen daraus wunderschöne Plastiken machen. Dann ziehen die Nachfahren derselben Europäer gegen die barbarischen Sklavenhändler (und auch noch Menschenopferer) zu Felde, rauben die Bronzen und schlagen alles und alle andere(n) kurz und klein.

    Und schließlich sollte man nicht vernachlässigen, dass die Abschaffung der Sklaverei zum Teil explizit gegen die Europäer erkämpft wurde, Stichwort Haitianische Revolution.

    Das alles macht die Abschaffung der Sklaverei natürlich nicht weniger richtig, aber den „Verdienst“ der Europäer würde ich dabei insgesamt eher im Mindestlohnbereich ansiedeln.

  42. @Earandil:
    Haiti ist ein gutes Beispiel. Insgesamt ist zu beobachten, dass die weissen Revolutionäre und/oder Freiheitshelden Europas und der USA woanders- und mit dunkler Hautfarbe bei uns immer noch „Aufständige“ sind und bei weitem nicht die Verehrung erfahren, wie die Statuen von Sklavenhalter oder Südstaatengenerälen.

  43. @Frank Gemein und Earandil:

    Vielen Dank für Ihre vertiefenden Gedanken, Ergänzungen und Korrekturen. Ich stimme all dem ausdrücklich zu. Im Grunde haben wir, scheint mir, keinen Dissens – Sie haben beide dem Bild zurecht noch einmal mehr Komplexität hinzugefügt. :-)

    Und ja: Haiti ist ein wunderbares Beispiel für eine frühe und gelungene Selbstbefreiung aus der Sklaverei. Meines Wissens einzigartig. Und leider bekommt diese Revolution im öffentlichen Diskurs und im Geschichtsunterricht nicht die Aufmerksamkeit, die sie gewiss verdient hätte.

  44. Kolonialgeschichte kommt im Schulunterricht generell wenig vor. Dass Magellan bei der Eroberung von Diu wichtig war, ist z.B. völlig untergegangen. (Befestigung in Westindien, deren Governeur noch klassisch-mittelalterlich ein Vasall des Königs von Portugal wurde).
    Diu wurde zu Lebzeiten meiner Eltern an Indien zurückgegeben. Aber, wie gesagt, Kolonialgeschichte wird halt sehr verkürzt behandelt.
    Sklavenhandel kam tatsächlich schon vor, aber selbst der US-Bürgerkrieg eigentlich nur in einer Kurzgeschichte in Englisch…

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