Der Autor
Nils Minkmar ist Publizist. Er war Redakteur bei „Willemsens Woche“, der „Zeit“, der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und dem „Spiegel“. Seit Mai 2021 ist er fester Autor des Feuilletons der „Süddeutschen Zeitung“.
Er habe, sagt der ehemalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zu Beginn dieser neuen Dokumentation, „früher Fehler“ gemacht, aber darauf geht er nicht weiter ein, sondern macht sich, ausgestattet mit einem dicken grünen Notizbuch an die schonungslose Aufklärung der Fehler der anderen.
Und da hat er sich etwas vorgenommen, denn es geht gleich in der ersten Folge um den aufhaltbaren Aufstieg des Wladimir Putin und die Frage, was Deutschland dazu beigetragen hat. Mittendrin verliert sich dieser Faden allerdings, dann geht Guttenberg auf Reisen, trifft Menschen, die auch immer seine alten Freunde sind, und behandelt alle möglichen Themen rund um Putin und die Ukraine. Dabei ist er dauernd im Bild und das lenkt dann doch ziemlich ab. Man fühlt sich wie der Besucher eines Seminars für cleveres Finanzmanagement, und dann ist der Referent Boris Becker. Irgendwas, denkt man sich, ist hier seltsam.
Nils Minkmar ist Publizist. Er war Redakteur bei „Willemsens Woche“, der „Zeit“, der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und dem „Spiegel“. Seit Mai 2021 ist er fester Autor des Feuilletons der „Süddeutschen Zeitung“.
Ältere Zeitgenossen erinnern sich noch an den Skandal um Guttenbergs Dissertation, die er aus anderen Texten kompiliert hatte. Es flog auf, aber Guttenberg quälte sich und die Öffentlichkeit mit dem allzu langen Versuch, doch noch im Amt zu bleiben. Es tat weh, diesen unaufhaltsamen Absturz zu verfolgen. Guttenberg war jemand, den die Leute mochten, der jeden medialen Gag mitmachte und Leben in die Bude brachte, auch wenn nie ganz klar war, was die politische Basis seines Ruhms war.
Sein Abgang war deprimierend. Der Jurist Oliver Lepsius, Nachfolger des emeritierten Doktorvater Guttenbergs auf dem Lehrstuhl, fand damals drastische Worte: „Wir sind einem Betrüger aufgesessen. Niemand hätte sich vorstellen können, mit welcher Dreistigkeit hier ein Plagiat eingereicht wird. Es ist ein Ausmaß an Dreistigkeit, das wir bisher nicht gesehen haben“.
Es war kein politischer Skandal im engeren Sinne, Guttenberg hatte als Minister keinen Bock geschossen, keine Parteispendenaffäre zu klären, nix mit Hitler oder Nazi angezettelt, hatte sich nicht bereichert oder jemandem unmittelbar geschadet – es war so gesehen weniger schlimm als andere Skandale, aber entfaltete doch eine fundamentale Wirkung, denn er hatte um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger geworben, es erhalten und dann verraten. Die akademische Promotion ist ein zentrales Ritual in der bürgerlichen Gesellschaft, viele Familien nehmen dafür Entbehrungen in Kauf. Wenn einer diese anspruchsvolle Herausforderung meistert, indem er abschreibt, zeichnet ihn das in Deutschland nicht für höhere Aufgaben aus.
Und nun ist er wieder da, aber wo genau? In der Sendung residiert er in einer Batcave, einem dunklen, höhlenartigen Raum, der mit romantischen Lichteffekten in Nachtblau einen Ort der Entscheidung suggeriert – so sehen in Actionserien immer die die Kommandozentralen aus. Ein Setting für Superhelden! Aber auf welcher Mission mag er sein? Und wer hat ihn gerufen?
Guttenberg kann aus seiner Zentrale per Bildschirm Verhöre durchführen, fragt also Sigmar Gabriel knallhart, ob die Nähe Gerhard Schröders zu Russlands in der SPD kritisch diskutiert worden sei. Aber warum fragt Gabriel nicht umgekehrt, wie man das in der CSU gehalten hat? Schließlich hat diese, Guttenbergs Partei, den Ausbau der erneuerbaren Energien in Bayern so gut wie gestoppt und damit die Abhängigkeit von Putins Gas und Öl dramatisch erhöht.
Guttenberg ist jedenfalls einer großen Sache auf der Spur, hat aber andererseits keinen Schimmer von den Sozen, wo – es ist nicht zu bestreiten – immer alles kritisch diskutiert wird. Wenn beispielsweise die SPD die Regierung stellt, wird bald diskutiert, ob Opposition nicht besser wäre, und natürlich umgekehrt. Natürlich wurde also auch über Gerd und Putin diskutiert, aber das heißt ja nichts, denn Schröder war da ja nicht mehr im Amt.
Diskutiert wird in Guttenberg Höhle nicht. Das Medium dort sind gewichtige Sentenzen wie „Wahrheit ist Lüge, Lüge Wahrheit“ oder die bedeutungsvoll vorgetragene Frage, ob Putin seine Freunde manipuliert. Immer wieder sausen solche Fragen nieder wie die Puppen in einer Geisterbahn. Sie tun aber nix, es geht einfach weiter.
Guttenberg ist nicht nur in seiner Batcave, er ist auch unheimlich viel unterwegs. Wir sehen ihn in London, in Kalifornien, und auch in Nürnberg. Das klingt manchmal nach Loriot, wenn er dann sagt: Ich fahre nach Nürnberg. Er trifft dort die Frauen von Pussy Riot, aber dass das in Nürnberg stattfindet, ist Zufall. Er trifft russische Dissidenten, die fliehen mussten, trifft Gary Kasparow und überhaupt alle möglichen Experten und Zeitzeugen. Darunter sind gute Leute wie der österreichische Publizist Robert Misik und die Journalistin Katja Gloger.
Vor allem aber reist Guttenberg in die Ukraine, nach Kiew und nach Butscha. Wer seinerzeit die ganze Affäre um ihn verfolgt und kopfschüttelnd erduldet hat, mag an diesem Moment des Films leise fragen, ob die Ukraine nicht schon genug gelitten hat. Aber das ist unfair, denn Guttenberg dokumentiert sehr eindrucksvoll das Leid der Bürgerinnen und Bürger der Ukraine. Als er einmal mit einer Frau spricht, deren Sohn getötet und deren Haus zerstört wurde, da hat Guttenberg selbst Tränen in den Augen. Er bezeugt damit die unfassbaren Verbrechen, derer sich die russische Seite schuldig gemacht hat, und verirrt sich – im Unterschied zu so vielen deutschen Intellektuellen und Künstlern – nicht auf spekulativen Abwegen. Haltung und Botschaft sind klar und das ist in diesen Zeiten nicht wenig.
Unklar bleibt, warum eine auf Vertrauen basierende journalistische Aufklärungsarbeit von einem Mann vorgestellt wird, dessen Karriere sich dadurch auszeichnete, dass er allen alles sein konnte. Damals war er Transatlantiker und der Heimat verbunden, der Familienmensch und der Goldjunge einer neuen konservativen Schickeria und schlichtweg in allen Rollen zu Hause. Die Qualität der Argumente, der Gespräche und der Erkenntnisse leidet, wenn man sich permanent fragt, ob Guttenberg auch auf diesen Reisen, auch in diesen Gesprächen sagt und tut, was man so von ihm gerne hätte.
Es kann nach solch einem öffentlichen Absturz erst dann eine auf Vertrauen gründende Aufklärerrolle geben, wenn zuvor die eigene Rolle aufgeklärt wurde. Ein leises Dahinmurmeln, man habe Fehler gemacht, genügt da nicht. Nicht umsonst sind Menschen, die ein ähnliches Auf und Ab in ihrem öffentlichen Leben erfahren mussten, in der folgenden Zeit im Hintergrund geblieben. Man hat Björn Engholm nicht an der Spitze einer Bewegung zur Moralisierung des öffentlichen Lebens gesehen, Rudolf Seiters wechselte nicht in die Chefredaktion der „Bild“-Zeitung, und Christian Wulff verstand es, seine öffentlichen Auftritte wohl zu dosieren.
Franziska Giffey – na, es ist ein weites Feld.
Am Ende des Films wirkt das Notizbuch dicker, aber der ganze Lohn der Mühe besteht erst einmal in der Erkenntnis, dass jeder „etwas dazu beitragen kann, die Welt besser zu machen“. Klassischer Guttenberg: Niemand wird widersprechen und es fühlt sich irgendwie gut an. Doch je mehr er im Bild zu sehen ist, desto drängender werden andere Fragen: Was ihn hier nur geritten hat und wer er eigentlich ist.
Der Sendungstitel im blauen Kasten hat wohl einen Tippfehler („Spuren der MAcht“). Außerdem ist beim Satz mit Björn Engholm das letzte Wort zu viel.
@ Rene Danke!
Wie solche Menschen immer wieder (mit fürstlichen Einnahmen honoriert) auf die Füße fallen, ist eine „never ending story“.
Wie würden sich Bagatelltäter dieses Landes über solche „Wiedereingliederungsangebote“ freuen!
„…. es war so gesehen weniger schlimm als andere Skandale, aber entfaltete doch eine fundamentale Wirkung, denn er hatte um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger geworben, es erhalten und dann verraten. Die akademische Promotion ist ein zentrales Ritual in der bürgerlichen Gesellschaft, viele Familien nehmen dafür Entbehrungen in Kauf. “
Eine – ich sage es vorsichtig – seltsame Sicht auf eine Promotion. Als wäre sie ein Ritual wie eine Kommunion oder Konfirmation. Die Promotion ist eine wissenschaftliche Arbeit mit besondere Tiefe und kein Ritual mit Weihrauch und Myrrhe oder extatischen Tänzen und Gebeten. Und wer bescheißt missbraucht Vertrauen. Und wenn das weniger schwer wiegt, als eine falsche Reisekostenabrechung, dann stimmt etwas mit dem Wertesystem nicht.
Jetzt ist er also wieder da, der Geölte (Urban Priol). Und ich wette, vielen in Deutschland gefällt es, sich an der Nase herumführen zu lassen.