Die Autorin
Pia Pentzlin ist Praktikantin bei Übermedien. Sie studiert Journalismus und Unternehmenskommunikation an der HMKW Berlin und arbeitet als freie Redakteurin beim rbb24-Inforadio.
Die eine Ecke war immer besonders spannend. Die, in der die Kinder- und Jugendzeitschriften auslagen. Quietschend bunt, meist mit Spielzeug dabei und in Plastik gehüllt. In dieser Ecke des Bahnhofskiosks stand ich früher, so mit 12 Jahren, oft. Und bei einer Zeitschrift war ich immer besonders hibbelig: bei der „Mädchen“. Ich musste einfach jede Ausgabe haben, wollte alles über die neuesten Trends wissen und was in der „Welt der Stars“ so los ist. Zugegeben, die Comics im hinteren Teil fand ich auch immer ganz gut.
Das war vor rund zehn Jahren. Heute bin ich kein Teil der Zielgruppe mehr, ich habe die „Mädchen“ seit Jahren auch nicht mehr gekauft, bis jetzt. Mit inzwischen 21 habe ich sie mir noch mal geholt. Wie spannend: Mit einem nun älteren Blick wirkt diese Zeitschrift auf mich ganz anders als noch vor wenigen Jahren.
Das fiel mir schon auf, als ich wieder in dieser Ecke stand und das aktuelle Cover sah. Es ließ mich ahnen, wie veraltet dieses Heft in weiten Teilen ist. Wie konnte ich so etwas früher lesen, habe ich mich direkt gefragt.
Ein junges, top gestyltes Mädchen schaut mich an, für ihr Alter vielleicht ein bisschen stark geschminkt. Sie trägt künstliche Fingernägel, die farblich mit ihrem Oberteil abgestimmt sind: in Orange, der „Trendfarbe“, so steht es auf dem Cover. Und ebenso orange steht dort groß in Großbuchstaben: „DU BIST DER STAR!”. Die selbstbewusste Pose des breit strahlenden Mädchens soll das wohl gleich ausdrücken: So posieren Stars, wenn sie für ein Covershooting gebucht werden. Und so soll ich jetzt also auch werden, mit diesem Heft: „So easy kopierst du die Trend-Outfits der Promis“. Statt einen eigenen Stil zu entwicklen, soll ich abklatschen.
Das ist merkwürdig, denn neben dem Titelschriftzug „Mädchen” steht ganz klein: „Entdecke, was du liebst”, der Claim des Magazins. Was jetzt nicht meinem ersten Eindruck entspricht. Ich glaube nicht, dass mir die Zeitschrift Spielraum lässt, selbst herauszufinden, was ich liebe. Vielmehr habe ich das Gefühl, dass „Mädchen“ vorgeben möchte, was ich lieben soll.
Was soll das jungen Menschen vermitteln? Dass sie nur gut aussehen, wenn sie bestimmte Klamotten kaufen? Und auch nur die, die „Stars“ tragen?
Um selbstbewusste Selbstverwirklichung, um Tipps, wie man seinen eigenen Style findet, geht es in hier nun wirklich nicht. Und je öfter ich das lese, „Entdecke, was du liebst“, „Entdecke, was du liebst“ … wirkt es fast wie eine bedrohliche Aufforderung, endlich zu lesen, was ich anschließend schon irgendwie lieben werde.
Im Editorial schreibt Redaktionsleiterin Valerie van Dijk an die „Liebe Mädchen-Leserin“, und zwar nur an: Mädchen. Als ich so 12, 13 war, habe ich noch nicht hinterfragt, warum es ein Magazin gibt, das sich ausschließlich an „Mädchen“ richtet. Heute wundere ich mich sehr darüber, Themeninteressen an einem Geschlecht festzumachen, und ich finde das Bild, das dadurch erzeugt wird, problematisch.
Wer sagt denn, dass es nicht auch Jungs gibt, die sich für Mode, Beauty, Styling interessieren? Eigentlich sind wir doch schon so weit, mit Geschlechterklischees und zementierten Rollenbildern zu brechen. Aber wohl nicht die aktuelle Redaktion des Magazins „Mädchen“, das Ende der Siebzigerjahre gegründet wurde.
Im Heft wird den lesenden „Mädchen“ dann „einfach erklärt“, wie „Typen“ so „ticken“. Das ist aber auch echt eine Lebensfrage. Die Redaktion nennt die „Boys“ tatsächlich „Das unbekannte Wesen“ und schreibt, dass sie oft ein „Rätsel“ seien. Auf einer Doppelseite im Posterlook also zu sehen, wie soll es auch anders sein: ein durchtrainierter, naja, Junge in Unterhose, Oberkörper natürlich nackt. Es ist eher ein Mann, augenscheinlich nicht im Alter der Hauptzielgruppe (10 bis 13 Jahre). Aber spielt keine Rolle, auf das Sixpack kommt es an! Die Redaktion weiß, wie man Männerkörper sexualisiert.
Das Model dient als Symbolbild des Mysteriums, das es nun also aufzuklären gilt. In sechs Infokästen wird beschrieben, welche Unterschiede es zwischen den (zwei) Geschlechtern gebe, und wie Herz, Muskeln, Penis und „Brain“ der Jungs so funktionieren, etwa:
„Das Gehirn eines Jungen macht schlapp, wenn er ein sehr attraktives Girl sieht. […] Die Boys in deiner Klasse sind also nicht einfach blöd, es könnte an dir und deiner Aura liegen, hehe!“
Ja, die Aura wird’s sein, „hehe“.
Pia Pentzlin ist Praktikantin bei Übermedien. Sie studiert Journalismus und Unternehmenskommunikation an der HMKW Berlin und arbeitet als freie Redakteurin beim rbb24-Inforadio.
Mein Favorit aber ist der erste Punkt im Infokasten „Unterschiede“: Dort steht, Jungs seien risikobereiter als Mädchen, deshalb seien sie drei- bis viermal so häufig von Unfällen im Straßenverkehr betroffen. Was für eine wichtige Information! Inmitten von Muskeln, Attraktivität und Samenerguss. Übrigens: „Ein großer Hammer macht noch keinen guten Handwerker!“ Das steht da auch noch, unter „Penis“. Woher „Mädchen“ die „Fakten“ über die „Boys“ hat, das steht da hingegen nicht. Das hat sich alles irgendwer in der Redaktion wohl so gedacht.
Mit Quellenangaben oder externer Expertise haben sie es bei „Mädchen“ eh nicht so. Im Heft finden sich beispielsweise auch Tipps gegen trockene Haut: Man solle hin und wieder mal die Pflegeprodukte wechseln oder sich eine Maske gönnen. Das rät jedoch kein*e Dermatolog*in, hier spricht die „Mädchen“-Mitarbeiterin Katharina Hoffjann offenbar aus eigener Erfahrung.
2018 wurde „Mädchen“, gemeinsam mit dem Sonderheft „Mädchen M” und der Zeitschrift „Popcorn” von der Media Group Medweth an den Verlag Egmont Ehapa Media verkauft, der auch „Wendy“, „Micky Mouse“-Comics und „LEGO Explorer“ herausgibt. Der alte Verlag verkündete damals, man sei „glücklich, mit Egmont Ehapa Media einen Käufer gefunden zu haben, der sowohl das Potenzial des Jugendmarkts erkennt, als auch die dafür notwendige Verantwortung nachhaltig übernimmt“.
Das ist interessant, denn ich habe mich an mehreren Stellen im Heft gefragt, ob man mit den Themen, die da verhandelt werden, nicht verantwortungsvoller umgehen müsste. Oder einfach anders. Gegenwärtiger. Gerade im Hinblick auf die Zielgruppe erscheint mir das zwingend notwendig.
Beim Titelthema, zum Beispiel. Ich finde, es sollte in dem Heft nicht überwiegend um irgendwelche Kleider (von Stars) gehen, die es sich angeblich lohnt, schnell nachzukaufen. (Oder eben die günstigen Varianten, die irgendwie ähnlich aussehen und von „Mädchen“ empfohlen werden.)
Das Bild, das hier vermittelt wird, ist schwierig. Aber in den monatlich erscheinenden Heften geht es inhaltlich immer wieder ums Aussehen, um Oberfläche, vor allem um Schminke und Kleidung. Viele Seiten lang stellt die Redaktion Outfits vor, sie gibt Schminktipps, zeigt anhand Bildern von Stars, wie sich was kombinieren lasse. Ganz wichtig ist dabei auch, wo es diese Klamotten zu kaufen gibt und wie viel sie kosten, klar. Ist alles auch Werbung.
Das mag sicher eine Inspirationsquelle sein, gleichzeitig ist es aber auch ein ständiger Aufruf zum Konsum, jeden Monat neu. Meinem 12-jährigen Ich vermittelte das damals ein Gefühl, bei jedem dieser Trends dabei sein zu müssen. Was mein heutiges Ich als unsinnig empfindet. Wieso macht die Redaktion das? Weil die Modeindustrie so funktioniert? Weil es Werbekunden begeistert? Wäre hier ein bewusster Umgang mit dem Thema Mode nicht angebrachter?
Auch hier scheinen aktuelle gesellschaftliche Debatten an der Redaktion vorbeizuziehen. Oder sie ignoriert sie. Zeitlose Outfits, Second-Hand-Shopping, Umweltbewusstsein beim Einkaufen? Fehlanzeige. Was könnte ein Jugendmagazin (mit Anspruch) für konstruktive Beiträge veröffentlichen, die Jugendlichen wirklich helfen? Verschenkte Möglichkeit, würde ich sagen.
„Freunde kommen und gehen“, das sagt man ja so. Auch darum geht es in dieser „Mädchen“-Ausgabe. Um verschiedene Arten von Freundinnen, etwa: „Die Freundin, die dich ständig ausnutzt“, „Die Freundin, für die alles andere wichtiger ist als du“ oder auch „Die Freundin, die dich ständig übertrumpfen will“. Also lauter coole Menschen, echte Freundinnen.
In kurzen Texten wird beschrieben, wie sich diese Freundinnen jeweils verhalten, was sie ausmacht. Mit dem Sinn, aufzuzeigen, dass man auf diese Art von Freundschaften auch gerne verzichten kann.
Und, ja, es ist wichtig für die Altersgruppe, auch das zu thematisieren. Dass manche Freund*innen auch nicht gut für einen sein können, und dass man sich das eingestehen sollte. Das Problem ist nur: Es wird beschrieben, auf wen man verzichten könne – aber was dann? Wie trenne ich mich denn von solchen schlechten Freundinnen? Wie soll ich sagen, dass ich mit jemandem nicht mehr befreundet sein möchte? So weit hat sich die Redaktion dann leider nicht mit dem Thema auseinandergesetzt. Das darf ich, dürfen alle „Mädchen“-Leserinnen schön alleine lösen. Pech gehabt!
Naja, und über die Illustration könnte man auch noch mal reden. Zwei Mädchen ziehen sich gegenseitig an Haaren und Oberteil, von der Grafik-Abteilung verziert mit einem natürlich pinken (!) Totenkopf-Symbol und einem Handgranaten-Emoji. Voll das Drama, ja? Aber klar, das Bild der hysterisch ausflippenden Frau muss ja früh genug gefestigt werden.
Apropos Pink. Das ist hier (neben der „Trendfarbe Orange“!) die Standardfarbe, gern und viel genutzt. Die Farbe soll offensichtlich vermitteln, dass das eine Zeitschrift ist für „typische“ Mädchen, also für „Girls“ und nicht für „Boys“. Und nicht für Personen, die sich mit keinem der Geschlechter identifizieren. Selbst die Plätzchen im Rezept-Teil des Hefts sind pink. Uff. Abweichen von der so genanten Norm: nee. Da musst du dir ein anderes Magazin suchen. Oder du gehst ins Internet.
Mit Blick auf die Auflage der Zeitschrift, die im Vergleich zum Vorjahr regelrecht abgestürzt ist, scheine ich nicht die einzige Person zu sein, die nicht mehr so zufrieden ist mit dem – laut Eigenwerbung – „jüngsten Frauenmagazin Deutschlands“. Wenn das so weitergeht, wird es „Mädchen“ wahrscheinlich nicht mehr so lange geben. Aber womit erreicht man junge Menschen besser als mit einem Printmagazin? Ach ja, mit einer Website oder App und über Social Media.
Auf dem Cover des Hefts wird also auf mädchen.de verwiesen. Und schaut man sich ein bisschen um, findet man auch den passenden Instagram-Account. Statt pinkem Print-Glamour, Herzchen, Emojis und knalligen Farben setzt die Online-Redaktion eher auf Pastell-Töne und Stock-Fotos. Wie originell. Und vor allem wie überhaupt nicht aktuell: Die Printausgabe erscheint monatlich, online wird noch immer auf das Print-Magazin vom September 2019 verwiesen. Und bei Instagram kann es auch mal sein, dass zwischen den einzelnen Posts fast ein Jahr vergeht. Möglicherweise liegt das alles auch daran, dass bei dieser Marke für Print und Online verschiedene Verlage zuständig sind. Was vielleicht nicht die allerbeste Idee ist.
Wenn sie bei „Mädchen“ irgendein Interesse haben zu überleben mit ihrem Heft, wäre es ganz gut, deutlich zu machen, wie sich das Magazin von der Konkurrenz (auch der digitalen) abhebt, wofür es steht. Es wirkt auf mich fast schon etwas ironisch, dass so ein oft altbacken wirkendes Heftchen im Jahr 2022 noch am Kiosk liegt. An der Zeitschrift scheint sich seit Jahren nichts wirklich verändert zu haben – als würde „Mädchen“ krampfhaft an Vergangenem festhalten, nur dass dazwischen jetzt Insta-Fotos nachgedruckt werden.
Während ich früher für jeden Styling-Tipp dankbar war und beim Shoppen andauernd dem nächsten Trend nachjagte, von dem ich im Heft gelesen hatte, bin ich heute froh, mich von den Stereoytpen, die dieses Heft weiter reproduziert, verabschiedet zu haben. Und jetzt weiß ich: „Mädchen“ ist einfach keine gute Freundin für mich, sie bringt mich nicht weiter. Deshalb muss ich mich hier jetzt leider von ihr trennen. Für immer.
„Mädchen“
Egmont Ehapa Media
Alle 5 Wochen
3,50 Euro
Nächste Woche bitte die „Wild & Hund“ besprechen. Bitte auch von Frau Penzlin :D
Und nächstes Mal bitte einen sachgerechten Kommentar. Bitte auch vom Anderen Max :D
Ich wundere mich, dass es so ein Blatt überhaupt noch Abnehmerinnen findet, wo doch der gleiche Schwachsinn in Massen von Youtube-Filmchen verbreitet wird.
Das gilt doch eigentlich für alle Magazine, vor allem für all die sogenannten Frauenmagazine von Brigitte bis Petra, von Cosmopolitan bis Instyle, alle in unterschiedlichen Maßen stereotypisch. Alle wiederholen die immer gleichen Geschichten, die ich nur in Wartezimmern noch in die Hand nehme, wenn ich nix anderes finde. Zugegeben, wie die Autorin habe auch ich gerne erst auf die Mädchen zurückgegriffen, und dann auf die anderen Zeitschriften, weil ich dachte, da steht was drin, was wichtig für mich ist und irgendwie brauchbar. Ähnlich ging es mir mit YoutuberInnen. Zum Glück kann ich von mir sagen, das ich mein Seelenheil nicht darin zu finden hoffte und irgendwann auch selbst wusste, wie bescheuert diese ständige Reduzierung aufs Äusserliche einerseits und auf Konsum andererseits doch ist. Und es gibt ja zum Glück auch noch deutlich reflektiertere Zeitschriften, die mir nicht ständig sagen, wie ich zu sein habe, was ich anzuziehen habe und wie ich meine Wohnung einrichten soll. Zeit für die Mottenkiste!
@ #2: Da besteht wohl ein Missverständnis, Herr Forenpolizist. Mit meinem Steady-Abo abonniere ich das Recht zu kommentieren, nicht das Recht „sachgerecht“ zu kommentieren. Ihr Kommentar belegt ja auch, dass Sie das wissen und ebenso handhaben.
Außerdem gilt hier ja Hausrecht; wenn der Hausherr meinen und Ihren nicht sachgerechten Kommentar löschen will, darf er das natürlich tun.
Als Abo-finanziertes Angebot ist übermedien ja zum Glück nicht auf Werbeerfolgsindikatoren, wie die Interaktionsrate angewiesen.
Was wäre in Ihren Augen denn sachgerecht?
Es geht in der Kolumne „Bahnhofskiosk“ ja seit jeher um Druckerzeugnisse mehr oder minder obskurer Art. Vorschläge für weitere Besprechungen habe ich hier schon öfters gelesen und auch schon selbst mit dem Vorschlag „Deaf Forever“ eingebracht. In dem Fall fänd‘ ich den „Clash der Kulturen“ aus der Kolumnistin und dem Inhalt der „Wild & Hund“ sehr spannend. Daher auch der „:D“-Smilie. Aus diesem Grunde halte ich meinen Input für sachgerechter, als Ihren.