Der Autor
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Seit vielen Jahren Autor, Blogger und freier Medienkritiker, früher unter anderem bei der FAS und beim „Spiegel“.
Es gibt Preisverleihungen, bei denen ist die größte Nachricht nicht, wer ausgezeichnet wird, sondern wer nicht ausgezeichnet wird.
Heute Nachmittag bekommen der „Spiegel“-Reporter Christoph Reuter und die Redaktion des aus Berlin auf russisch sendenden Programms OstWest-TV den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis. Es ist das erste Mal in der Geschichte des Preises, dass er nicht an mindestens einen öffentlich-rechtlichen Korrespondenten oder Moderator geht. (Die Kindernachrichten „Logo!“ werden mit einem Sonderpreis gewürdigt.)
Das ist kein Versehen und auch kein Eingeständnis, dass nach 28 Jahren möglicherweise dann doch genug verdiente öffentlich-rechtliche Fernsehnasen von ihren Freunden und Kollegen entsprechend gewürdigt wurden. Es ist eher eine Kritik daran, dass ARD und ZDF im Ukraine-Krieg so lange nicht mit eigenen Reportern vor Ort waren. Insofern ist der Preis in diesem Jahr für die öffentlich-rechtlichen Anstalten auch ein Negativpreis.
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Seit vielen Jahren Autor, Blogger und freier Medienkritiker, früher unter anderem bei der FAS und beim „Spiegel“.
Die Frage ist nicht, ob Christoph Reuter für seine Arbeit einen Preis verdient hat. Sondern wie er zu einem Preis kommt, der mit vollem Namen „Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus“ heißt. Die Jury erklärte das in ihrer Begründung damit, dass sie „anerkennt“, „dass journalistische Tugenden wichtiger sind als das Medium, in dem sie sich gerade zeigen“. Und sie machte aus dem Reporter, der vor allem für seine geschriebenen Reportagen bekannt ist, einen Multimedia-Journalisten: Er habe begonnen, seine Geschichten „mehr und mehr auch mit bewegten Bildern zu erzählen“. Und die Art, in der er „nun Print und Podcasts, online-videos und TV-Dokumentationen, TV-Interviews und Auftritte als Talkshow-Gast in seiner Arbeit verbindet, ist als Antwort in einer multimedial verschmelzenden Kommunikationswelt zu sehen und wegweisend.“
Es soll Reuters Verdienste nicht schmälern, aber es klingt ein bisschen zurechtgebogen.
Das selbst gemachte Dilemma der Jury war es, dass sie – sicher zu recht – in diesem Jahr die Berichterstattung über die Ukraine ins Zentrum ihrer Auszeichnung stellen wollte. Aber im Fernsehen niemand dafür Preiswürdigen fand. Die ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf wäre vielleicht eine Person gewesen, aber die hat den Preis ausgerechnet im vergangenen Jahr schon bekommen. Pech.
In der Jury sitzen die Mitglieder des Preis-Vereins und Gewinner der Vorjahre. Vor allem diejenigen, die selbst für ARD und ZDF als Reporter arbeiten, sollen besonders unzufrieden und wütend darüber gewesen sein, wie wenig es die Anstalten schafften, beim Kriegsausbruch und danach, aber auch in anderen Krisensituationen mit eigenen Leuten vor Ort gewesen zu sein. Auch aus dieser Richtung kam offenbar der Wunsch, ein Zeichen zu setzen gegen das Versagen des Systems und das Zögern der Verantwortlichen. Es ist nicht als Kritik an den Reportern und Korrespondenten gemeint, sondern an den Verantwortlichen in den Führungsetagen.
Es fällt nicht schwer, in den Formulierungen, mit denen die Jury Christoph Reuters Arbeit würdigt, auch einen Vorwurf an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu lesen:
„Gerade dann, wenn bei Kriegsberichterstattung Heimatredaktionen wohlfeil die Binsenwahrheit vom frühen Tod der Wahrheit wiederholen, macht es einen Unterschied, ob Reporter Tage später den Tatort eines Kriegsverbrechens besichtigen oder ob einer wie Reuter an Ort und Stelle über längere Zeit beobachtet hat, wie sich Frustration, Angst und Hunger einer russischen Einheit in brutale Aggression gegenüber der Zivilbevölkerung wandelten.
Es ist leicht, aufgrund von Agentur-Meldungen einen Kommentar zu verfassen, der Russland des ‚Vernichtungskrieges‘ anklagt. Es ist etwas grundlegend anderes, wenn der Kommentator beim Splitterbomben-Angriff auf den Bahnhof von Kramatorsk dabei war und die mit teuflischer Sorgfalt choreographierten Schritte bis zum Massaker aus eigener Beobachtung beschreiben kann.“
Genau diese Berichterstattung aus eigener Anschauung ist das, was ARD und ZDF in den entscheidenden Tagen, nicht leisteten. Und das, obwohl es Reporter gab, die hinfahren und das Risiko eingehen wollten. Katrin Eigendorf hat in den vergangenen Monaten immer wieder öffentlich über ihren Frust gesprochen, dass sie von Bedenkenträgern im eigenen Sender zurückgehalten worden sei.
Auch vor diesem Hintergrund muss man folgende Sätze aus der Preisbegründung für Reuter lesen:
„Der Preis für Christoph Reuter ist Ausdruck des Respekts für die Leistung entschlossener und kundiger Reporter*innen, die dorthin fahren, wo für sie die entscheidende Story ist, wann immer sie es persönlich für verantwortbar halten.
Die Jury weiß, dass dazu auch ein Haus seine Reporter*innen reisen lassen und dann ihrem Urteil am Ort vertrauen muss.
Gewiss hätte Hanns Joachim Friedrichs beides genau so gesehen, für nötig befunden, und oft vermisst.“
In den Leitungen von ARD und ZDF soll man diese Sätze und die Preisentscheidung durchaus als Ohrfeige verstanden haben und entsprechend nicht amüsiert sein.
Es ist eine gewagte Kombination, eine Auszeichnung mit einer bewussten Brüskierung zu verbinden. Schließlich soll Christoph Reuters Arbeit ja für sich gewürdigt werden und nicht nur vorwurfsvoll ARD und ZDF entgegen gehalten werden. Bei der Veranstaltung im NDR heute Nachmittag soll dieser Spagat auch dadurch gelingen, dass vor der eigentlichen Preisverleihung eine Podiumsdiskussion stattfindet: „Berichten in der Krise – wie viel Power haben die Öffentlich-Rechtlichen“, lautet ihre Titelfrage etwas treuherzig. Neben Christoph Reuter nehmen daran WDR-Chefredaktuerin Ellen Ehni, Katrin Eigendorf, der frühere „heute journal“-Moderator Claus Kleber und CNN-Reporter Frederik Pleitgen teil. Bis zu dieser Veranstaltung wollen sich auch die Beteiligten nicht öffentlich zum Preis und dem Dilemma äußern.
Der Name Paul Ronzheimer soll bei den internen Diskussionen kein Thema gewesen sein. Der „Bild“-Chefreporter war mit seinen Videos aus der Ukraine und zahlreichen anderen Kriegen extrem sichtbar und hat dafür auch in sonst eher „Bild“-kritischen Kreisen viel Respekt bekommen. Unter den überwiegend klassisch öffentlich-rechtlichen geprägten Jury-Mitgliedern musste man sich aber offenbar nicht einmal bewusst dagegen entscheiden, jemanden auszuzeichnen, der als Vize-Chef für die Berichterstattung der „Bild“-Zeitung verantwortlich ist. Über die Frage, wie berechtigt der Vorwurf des Selfie-Journalismus an Ronzheimer ist, könnte man natürlich gewinnbringend streiten – aber auch diese Diskussion fällt einem öffentlich-rechtlichen System natürlich schwer, das zu oft keine eigenen Leute vor Ort hatte, die überhaupt eine andere Art der Kriegs- und Krisenberichterstattung hätten vormachen können.
Der Hanns-Joachim-Friedrichs-Nichtpreis für ARD und ZDF ist eine gute Gelegenheit zur Selbstkritik der öffentlich-rechtlichen Sender. Aber vielleicht müsste auch der Preis selbst sich fragen, was genau man in Zukunft eigentlich auszeichnen will. Guten Journalismus? Guten Fernsehjournalismus? Guten öffentlich-rechtlichen Fernsehjournalismus?
Dass die Leerstelle in diesem Jahr so auffällt, ist ja auch Ausdruck eines Problems: In der Vergangenheit wirkte es oft so, als würden sich hier einfach Fernsehleute von ARD und ZDF gegenseitig auf die Schulter klopfen. Fast alle prominenteren öffentlich-rechtlichen Fernsehgesichter haben diesen Preis schon bekommen.
Und über all dem schwebt immer Friedrichs‘ Satz vom Nicht-gemein-Machen mit einer guten Sache, totzitiert und regelmäßig missverstanden – und oft genug ein Widerspruch zur Haltung derjenigen, die ausgezeichnet wurden.
Die Preisverleihung ist heute um 23:45 Uhr im NDR-Fernsehen zu sehen; die Podiumsdiskussion zeigt Phoenix am 20. November um 13 Uhr.
Paul Ronzheimer hätte den Preis verdient. Aber er hat den falschen Arbeitgeber. Sie können nicht über ihren Schatten springen. Es ist und bleibt Inzucht.
@1: Der Paul Ronzheimer?
https://www.volksverpetzer.de/analyse/bild-ukraine-fehler/
Nee, das passt schon, dass der den nicht bekommen hat. Dessen Arbeitgeber hat sich den Ruf als „falscher“ Arbeitgeber ja auch hart erarbeitet, das kommt ja nicht aus heiterem Himmel. „Springerpresse“ ist ein geflügeltes Wort.
Und mit dem „Inzest“-Vokabular sind Sie ganz nah an rechtsradikalem Sprachgebrauch.
@2: Was Paul Ronzheimer betrifft, Springer und „Bild“, gibt es eine weit verbreitete Abneigung. Das ist mir klar. Aber was „Inzest“ mit rechtsradikalem Sprachgebrauch zu tun hat, ist mir nicht klar. „Inzest“ bedeutet in diesem Zusammenhang: Sie bewegen sich in ihrer Blase. Meine Blase, Deine Blase! Rechtsradikal, linksradikal? Geht es eine Nummer kleiner?
@1: Ein stellvertrender Chefredakteur der Zeitung (was Ronzheimer ist) hat nie einen Journalistenpreis verdient.