Putins Krieg

Die Gefahren und Probleme, aus der Ukraine zu berichten

WASILKIW, UKRAINE – 1. MÄRZ 2022 – Journalisten besuchen den Ort des Raketenangriffs russischer Invasoren, der das Gebäude der Wassylkiw-Berufshochschule in der Dekabrystiv-Straße 39, Wassylkiw, Gebiet Kiew, Nordukraine, traf. Folgen des Raketenbeschusses in Vasylkiv
Nach russischem Raketenangriff: Journalisten im nordukrainischen Wassylkiw. Foto: IMAGO / xUKRINFORMx

Verlässliche Informationen aus Kriegsgebieten, wie jetzt aus der Ukraine, liefern vor allem Reporter:innen vor Ort. „In solchen Krisen gibt es zwei Arten von Journalisten“, sagt Silke Mertins. Solche, die sich mit der Region auskennen, im aktuellen Fall also Osteuropa- und Russland-Experten, und solche, die Krieg aus eigener Berufserfahrung kennen, die also „Krise können“.

Silke Mertins ist selbst kriegs- und krisenerprobt. Die Journalistin, die das taz-Meinungsressort leitet und früher für die „Financial Times Deutschland“ arbeitete, hat schon aus vielen Konfliktregionen berichtet: aus dem Irak, Jemen, Ägypten, Libanon und über die Nahost-Kriege. Sie sagt:

Die meisten Journalisten wollen in so einer Situation vor Ort sein und nicht ausreisen. Es geht letztendlich um Abwägung: Ist es das wert, ist es wichtig genug, dass ich dieses Risiko auf mich nehme? Nicht alle der Osteuropakorrespondenten sind so stresserprobt.

Aber wer berichtet aktuell von vor Ort? Wer hat welche Reporter:innen in der Ukraine – und wer nicht? Und welchen Problemen sehen sie sich dabei ausgesetzt?

Der ARD wurde diese Woche vorgeworfen, sie habe im Gegensatz zu anderen deutschen Medienhäusern keine Korrespondent:innen mehr vor Ort.

Statt ARD-Kolleg:innen war beispielsweise am Montagabend im „Brennpunkt“ der Journalist Moritz Gathmann aus der Ukraine zugeschaltet, der eigentlich für das Magazin „Cicero“ berichtet. Am selben Abend in der ARD zu sehen: die ukrainische Journalistin Anna Kosstutschenko, erst in der Tagesschau, später auch in den Tagesthemen.

Kommt die ARD so ihrer Aufgabe als öffentlich-rechtlicher Sender nach, über den Krieg zu berichten?

ARD bittet um Verständnis

Der WDR, der für die Korrespondent:innen in der Ukraine und Russland zuständig ist, antwortete am Donnerstag auf Anfrage von Übermedien:

Die ARD berichtet mit ihren Korrespondent:innen über den Krieg in der Ukraine. Seit gestern (2.3.22) begleitet ein ARD-Korrespondent einen Hilfskonvoi in der Ukraine und berichtet über die Lage im Land. Wir bereiten zudem die Einreise weiterer Teams vor. In den ersten Kriegstagen waren Korrespondent:innen aus Moskau mit ihren Teams vor Ort. Am Dienstag (1.3.22) berichtete ein ARD-Korrespondent von der ukrainischen Seite eines Grenzübergangs. Außerdem ist eine freie Journalistin vor Ort, die für verschiedene ARD-Sendungen und andere Medien über die aktuelle Lage berichtet. Gleichzeitig unterstützen uns ukrainische Kolleginnen und Kollegen, mit denen wir regelmäßig zusammenarbeiten und in ständigem Kontakt stehen.

Wir bitten um Verständnis, dass wir in dieser außergewöhnlichen Lage in der Ukraine keine Auskunft über den genauen Aufenthaltsort unserer Mitarbeitenden geben. Der Schutz und die Sicherheit unserer Mitarbeiter:innen hat für uns oberste Priorität.

Unsere Frage, ob es Anfang der Woche tatsächlich zwischenzeitlich keinen einzigen ARD-Mitarbeiter in der Ukraine mehr gab, lässt die ARD offen. Das Branchenmagazin „Medieninsider“ berichtet, die ARD habe, Stand Dienstagnachmittag, „fast alle Korrespondenten und Reporter nicht nur aus Kiew, sondern aus der gesamten Ukraine abgezogen. Aus nicht näher erläuterten Sicherheitsgründen, wie es heißt.“

Auch ARD-Korrespondentin Ina Ruck, die zu Beginn des Krieges in der Hauptstadt Kiew war, hatte am Sonntag das Land Richtung Rumänien verlassen. Nach kurzem Aufenthalt in Deutschland berichtet sie inzwischen aus Moskau.

Silke Mertins hat einerseits Verständnis dafür, wenn Korrespondent:innen zunächst in Sicherheit gebracht werden:

„Es ist nachvollziehbar dass sich der Öffentlich-Rechtliche da in der Verantwortung sieht für die Korrespondenten und deren Wohlergehen, das ist nicht ehrenrührig. Andererseits ist die Frage, ob die Kriterien, die sie da ansetzen, nicht vielleicht zu hoch sind.“

Englischsprachige Sender gingen da anders vor. „CNN und BBC würden nie ihre Berichterstatter abziehen, sofern die nicht selber sagen: Jetzt wollen wir weg. Man kann also zurecht fragen, ob die ARD übervorsichtig ist.“

Währenddessen schaltet das ZDF regelmäßig zu seiner Korrespondentin Katrin Eigendorf, die sich in der Ukraine bewegt. Auch die Redaktionen von „Welt“ und „Bild“ sind mit eigenem Personal in der Ukraine, „Spiegel“ und auch RTL/ntv haben ebenfalls mehrere Reporter:innen im Land. Eine RTL-Sprecherin sagt auf Anfrage von Übermedien:

Die Zahl der Reporter:innen variiert vor dem Hintergrund der jeweils aktuellen Gefahrenlage. (…) Inklusive Producern und Kameraleuten waren insgesamt elf Mitarbeitende vor Ort im Einsatz, aktuell sind sieben Mitarbeitende im Land. Zudem sind in Moskau derzeit zwei Reporter:innen und zwei Kameraleute im Einsatz, aus dem polnischen Grenzgebiet berichtet ein zehnköpfiges Team.

Unterstützung von der Redaktion

Für das RTL-Magazin „stern TV“ begleitete Reporterin Sophia Maier einen Hilfskonvoi von Stuttgart nach Lviv im Westen der Ukraine. Auch Maier ist krisenerprobt: Sie hat aus Syrien berichtet und voriges Jahr aus Afghanistan, nachdem die Taliban dort wieder die Macht übernommen hatten.

Die Entscheidung, in die Ukraine zu reisen, habe sie innerhalb weniger Stunden getroffen, erzählt Maier im Gespräch mit Übermedien. Unterwegs sei sie mit ihrem Kameramann. Sogenannte Stringer, also Einheimische, die Teams aus dem Ausland oft begleiten und unterstützen, seien diesmal nicht dabei. „Fast unmöglich, hier noch jemanden zu finden“, sagt Maier.

„Wir schlagen uns durch, haben aber großen Support bei Planung, Logistik und Sicherheit.“ Tag und Nacht seien die Kollegen in der Redaktion in Köln für sie erreichbar, helfen zum Beispiel mit Kontakt zu den Behörden und der Organisation der Ausreise.

RTL schreibt dazu:

„Die Chefredaktion und zentrale Ansprechpartner:innen in Köln stehen 24/7 mit den Teams in der Ukraine, in Russland und in den Grenzgebieten in Kontakt. Sie wissen jederzeit, wo die Kolleg:innen gerade sind und haben die Gefahrenlage stets im Blick. Unsere Teams vor Ort entscheiden jederzeit selbst, ob sie die Gegend und/oder das Land verlassen möchten. Das ist für uns oberste Maxime und wird, sobald der Wunsch geäußert wird, umgehend umgesetzt. Dabei unterstützen uns auch externe Sicherheitsfirmen.“

Jeder müsse für sich entscheiden, sagt Sophia Maier. „Ich fühle mich momentan relativ sicher. Ich bin in einem Funktioniermodus. Natürlich gibt es bedrückende Situationen, aber ich habe einen klaren Kopf und versuche meinen Job bestmöglich zu machen.“ Übermedien hat am Mittwoch mit ihr telefoniert. Mittlerweile konnten sie aus der Ukraine wieder ausreisen.

„Das Risiko ist kalkulierbar“

Direkt aus Kiew zu berichten, wie etwa „Bild“-Reporter Paul Ronzheimer, das wäre ihr zu gefährlich, sagt Maier. „Ich habe großen Respekt vor ihm und auch den internationalen Kollegen. Es ist so wichtig, der Welt zu zeigen, was die Angriffe von Russland anrichten.“

„Es ist richtig: Man sollte nicht nach draußen gehen“, sagte Ronzheimer am Mittwoch in einer Schalte aus einem Keller in Kiew. „Die Reporter müssen es trotzdem, um zu zeigen, was in dieser Stadt passiert.“ Er erwarte aber, „dass das auch für uns in den nächsten Tagen sehr viel schwieriger werden könnte, wenn die Angriffe intensiver werden sollten.“

Doch ab welchem Punkt bringen Reporter wie Ronzheimer, der nah dran ist an Kiews Bürgermeister, Vitali Klitschko, und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, sich selbst in Gefahr? Ist es vernünftig, weiter vor Ort zu sein?

„Ich würde sagen: ja“, sagt Silke Mertins. „Wenn ich Reporterin wäre und für das Gebiet zuständig, würde ich auf jeden Fall auch nach Kiew gehen. Es ist nicht so, dass man da schutzlos ausgeliefert ist. Das Risiko ist kalkulierbar.“ Hier seien die Kriegsparteien ja klar. Anders sei das zum Beispiel dort, wo ein Bürgerkrieg herrsche, man mit Angriffen von Terroristen oder Rebellen rechnen müsse und Journalisten selbst zum Ziel würden. Da sei die Lage unberechenbar und das Risiko höher.

Sie wolle damit die Gefahr und Brutalität des Krieges in der Ukraine und die Anspannung, die dieser für Reporter:innen bedeutet, keinesfalls verharmlosen oder relativieren, sagt Mertins. Immerhin gab es auch aus der Ukraine bereits Nachrichten, denen zufolge zwei dänische Reporter verletzt worden seien und beim Angriff auf den Fernsehturm in Kiew wurden offenbar Menschen getötet. In einem Video des britischen Senders ITV zeigten die Reporter, wie sie in der eingekesselten Stadt Mariupol direkt in das Rohr eines russischen Panzers blickten – ehe sie die Stadt doch verlassen konnten.

Auch anderen wurde es offenbar zu heikel. Christian Esch vom „Spiegel“ etwa verließ am Mittwochnachmittag die ukrainische Hauptstadt. Ebenso wie seine Kollegen der „New York Times“, die im selben Hotel gewesen seien. Das berichtete er im ARD-Morgenmagazin.

Gratis-Content und fehlende Versicherungen?

Wie viele Mitarbeiter:innen deutscher Medien derzeit überhaupt in der Ukraine sind, ist unklar. Das NDR-Medienmagazin „Zapp“ sprach Anfang der Woche noch von „mindestens 25“. Die Frage sei aber „nicht seriös zu beantworten, weil sich die Zahl ständig ändert“, sagt Christopher Resch, Pressereferent der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (RSF).

Bei der Nichtregierungsorganisation ist man derzeit vor allem damit beschäftigt, Schutzausrüstung zu kaufen und bereitzustellen. Denn die ist knapp. Und im Zweifel überlebenswichtig. Genauso wie Versicherung für die, die aus dem Kriegsland berichten. „Die Verantwortung dafür, dass feste und freie Mitarbeitende sicher und gut ausgerüstet im Kriegsgebiet unterwegs sind, liegt vor allem bei den Redaktionen“, sagt Resch.

Aber es gibt freie Journalist:innen oder lokale Producer, die sich nicht ausreichend geschützt fühlen. Das war in Afghanistan bereits so, und das ist offenbar auch jetzt in der Ukraine so. Die freie Journalistin Rebecca Barth, die bis Donnerstag aus der Ukraine berichtete, bemängelte am Mittwoch bei Twitter ihre Situation – und kritisierte die Strukturen:

Ihre Kritik sei an Printredaktionen gerichtet. In der Zusammenarbeit mit der ARD habe sie dagegen nur gute Erfahrungen gemacht, erklärte sie auf Nachfrage von Übermedien.

Die ukrainische Journalistin Nika Melkozerova, die unter anderem für ausländische Medien wie NBC, „Politico“ oder „BuzzFeed“ arbeitet, schilderte am Dienstag ein weiteres Problem: Redaktionen fragen bei Reporter:innen vor Ort an, bitten sie um Schalten, verwenden ihr Material. „Ich liefere euch nicht länger umsonst Inhalte“, schreibt Melkozerova auf Twitter.

Auch Clara Marchaud, die als freie Journalistin in Kiew lebt und vor allem für französische Medien wie „Le Figaro“ berichtet, schrieb zu den zahlreichen Anfragen aus Redaktionen, die sie gerade erreichten: „Einige ukrainische Journalisten werden für Medienauftritte nicht bezahlt. Das ist nicht okay. Es ist Krieg, kein Roadtrip.“

„Man kann sich nicht einfach nur guten Gewissens die ganzen Handyvideos aus Charkiw oder sonst wo nehmen, das in den tollen Bericht einfließen lassen und sich dann freundlich bedanken“, sagt RSF-Sprecher Resch. Das ist das eine: Reporter:innen für ihre Arbeit fair zu entlohnen, gerade in so einer Ausnahmesituation. Und sie auszurüsten und abzusichern: Gute Ausstattung und Versicherungsschutz, sagt Silke Mertins, „das ist das Wichtigste“.

Nachtrag, 15:34 Uhr. Kurz nach Veröffentlichung des Textes hat uns die ARD per Mail mitgeteilt, dass sie ihre „Präsenz im Land verstärken“ werde: „Ab Anfang kommender Woche sollen mindestens zwei ARD-Korrespondent:innen mit ihren Teams aus der Ukraine berichten.“

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