Presseschau

Roger im Museum

Roger Willemsen in der Kulisse seiner Sendung "0137"
Roger Willemsen in seiner Sendung „0137“Screenshot: Deutsche Kinemathek

Ich habe diese Stimme lange nicht mehr gehört. Roger Willemsen gluckst amüsiert, sehr schnell und klingt fast frech – es ist der junge Roger und den hört man nur noch selten, denn die meisten Videos, die im Netz noch abrufbar sind, zeigen den berühmten Mann, der schon viel erlebt hat.

In diesem Clip sitzt er in der puristischen Dekoration der Sendung „0137“, die Anfang der Neunzigerjahre auf dem Sender Premiere lief, und fragt den amerikanischen Schauspieler und Sänger David Hasselhoff, ob ihm der Name Genscher etwas sage. Hasselhoff lässt, mehr dekorativ als überzeugend, seine blauen Augen kreisen, als wühle er in seinem unerschöpflichen Wissen über europäische Politik, und gibt dann freimütig zu, den Namen noch nie gehört zu haben. Legendär wurde das Interview wegen einer anderen Passage, als Roger Hasselhoff fragt, ob es ihm etwas ausmacht, dass in der Serie „Knight Rider“ sein Auto intelligenter ist als er.

Zu sehen ist das in Berlin, im Fernsehmuseum in der Deutschen Kinemathek am Potsdamer Platz, vierter Stock. Es ist ein schöner, heller Bau, so ist der Schock der ganzen Sache nicht ganz so heftig: Roger im Museum. Unweigerlich höre ich ihn darüber spotten, dass er nun zum Museumsstück geworden ist, ein kanonisierter Zeuge der Kulturgeschichte, ausgestellt wie Napoleons Hut, Joschka Fischers Turnschuhe und Helmut Kohls Strickjacke.

Zwei von Roger Willemsen eng beschriebene A4-Zettel
Willemsens Zettel Foto: Minkmar

An Dingen gibt es nicht sehr viel zu sehen, ein Gästebuch, einen Stapel VHS-Kassetten, ein Auszug aus einem Terminkalender. Berührend ist der Anblick seiner großen, voll geschriebenen Zettel, mit denen er sich vorbereitete. Als ich in den Neunzigerjahren Redakteur seiner ZDF-Sendung „Willemsens Woche“ war, die er nach „0137“ moderierte, nutzte er Karteikarten, denn die passten besser in sein Sakko. Niemand außer ihm durfte sie anfassen, vollgekritzelt mit seiner nervösen, windschiefen Handschrift.

Besucher der Ausstellung in der Kinemathek mühen sich mit der Entzifferung, ich kann es immer noch – wenn auch verbunden mit gemischten Erinnerungen. Damals schickte Roger Faxe in die Redaktion. Wenn so eins kam, war meist gespannte Stimmung. An guten Tagen rief er nämlich an.

„Lieber interviewe ich Hannelore“

Einmal war er in Rio und schrieb aus einem Luxushotel, dem Copacabana Palace. Ein neuer Redaktionsleiter war gekommen und hatte ihm Vorschläge für die kommende Sendung von „Willemsens Woche“ übermittelt – eine sorgsam komponierte Reihe fernsehgeübter, beliebter deutscher Menschen in den besten Jahren, die sicher für gute Quote sorgen würden. In seinem Fax, seiner windschiefen, diesmal sehr bösen Handschrift, nannte er das quotengeilen Mist und resümierte:

„Lieber interviewe ich Hannelore (die Kantinenqueen in Kittelschürze von Studio Hamburg) zum Thema Brötchenschmieren!“

Einmal erhielten wir kurz vor der Sendung einen Anruf seiner damaligen Freundin: Er hatte seinen Tee über den Karteikarten vergossen, nichts sei mehr zu lesen und das kurz vor Aufzeichnung. Absoluter Alarm, nur noch nette Nachrichten für heute, sonst leidet seine Stimmung, die Sendung und alles andere – denn alles hing an ihm.

Es ist schon schwer genug, gute Gespräche zu führen, aber das noch vor Publikum, live im Fernsehen und dann drei oder vier hintereinander und an Tagen mit Doppelaufzeichnung das gleiche nochmal – sein Pensum war völlig verrückt. Dennoch freute er sich wie ein Kind am Geburtstag, wenn seine Helden ins Studio kamen.

Einmal war es der Schriftsteller Robert Gernhardt, den die Redaktion beinahe nicht haben wollte, von wegen B-Gast. Roger wurde zornig und klärte uns darüber auf, dass Gernhardts Werk bedeutender sei als alles, war wir je im Leben vollbringen würden. Der Dichter kam, bezauberte das Publikum und viele riefen an, um nochmal nachzufragen, sie entdeckten ihn da erst. Das ZDF-Publikum verliebte sich in Robert Gernhardt und wir wussten wieder, warum wir diesen Job machten.

Die Wege in die Sendung waren wie jene des Herrn – rätselhaft. Einmal trat eine Sängerin auf, die erkennbar nicht das Niveau der anderen Musicacts hatte, immerhin war Michel Petrucciani der musikalische Schutzengel von „Willemsens Woche“. Aber ein Freund, der nach einer frühen Karriere als Linksterrorist im Gefängnis seine Strafe gebüßt hatte, wollte sich als Musikmanager versuchen und sie war seine erste Künstlerin – also sang sie. Gewundene Lebenswege, Sünden und Gnade – für Roger gab es nichts spannenderes.

Vom jungen Intellektuellen zum Prominenten

In den „0137“-Sendungen, die nun in der Kinemathek zu sehen sind, immerhin 130 Stunden Fernsehen, kann man es nachvollziehen, wie er vom jungen Intellektuellen, der nichts zu verlieren hat und sich nicht langweilen möchte, zum Prominenten mutiert, dessen Gäste sich geehrt fühlen, empfangen zu werden.

Roger Willemsen in der Kulisse seiner ZDF-Sendung "Willemsens Woche"
„Willemsens Woche“ im ZDF Screenshot: ZDF

Einerseits amüsierte er sich über seinen damals immensen Ruhm: Einmal, so eine typische Roger-Anekdote, öffnete er die Tür zu den Toiletten in einem Erste-Klasse-Wagen der Bahn und überraschte einen anderen Fahrgast bei der Selbstbefriedigung. Noch lange danach lachte er darüber, was der Mann nun denkt, sollte er am Abend „Willemsens Woche“ schauen: Ist das nicht der, der mich erwischt hat? Aber diese Phase hatte auch belastende Elemente, die ihn bedrückten: Die Verantwortung für die Angestellten seiner Firma, die Machtverschiebungen in der medialen Landschaft, die zunehmende Formatierung und Risikoscheu des Gesprächsfernsehens, deren tristes Resultat nun diese Sparte des Mediums dominiert.

Roger Willemsen hat sein Werk nach dem Fernsehen fortgesetzt, es gewissermaßen vollendet und wichtige, wunderbare Bücher geschrieben. Was bleibt, ist ein Fernsehen in der Kritik. Roger mag nun ein Museumsthema sein, ein Supermann war er nicht. All das, was er zu Beginn so veranstaltete, würde auch heute wieder funktionieren.

Wie wäre denn eine tägliche, aktuelle Interviewsendung mit zwei oder drei durchaus auch internationalen, auch umstrittenen, ja sogar verurteilten Gästen um 19:30 Uhr? Die Bandbreite von „0137“ war angemessen weltweit, in den Content Notes der Ausstellung finden sich warnende Hinweise auf extreme Gewalt, Verbrechen und Sex, das ganze Leben eben, denn Roger war nichts Menschliches fremd.

Würden einige, heute noch unbekannte intellektuelle Menschen um die dreißig im Programm dem Land der Dichter und Denker nicht gut zu Gesicht stehen? An VeteranInnen und erprobten Formaten mangelt es jedenfalls nicht, aber was sollen die Massen an bildungs- und welthungrigen Menschen aller Altersklassen, was sollen die Neugierigen und Ungeduldigen schauen? Variatio delectat hätte Roger gesagt.

Wirtschaft, Politik und Kultur sind längst globale Systeme, das Fernsehen aber ist in Sendungen dieser Art national. Roger lud Iren, FranzösInnen, ItalienerInnen und alle möglichen anderen Personen ein, die übersetzt werden mussten – es schadete der Quote, aber nicht der Qualität.

Roger war einmalig, aber die sein Werk, seine Arbeit leitenden Prinzipen sind es nicht. Kein Roger ist keine Entschuldigung: Fernsehen könnte wieder so gut sein wie damals. Das ist die revolutionäre Botschaft der Ausstellung am Potsdamer Platz. Nicht auszudenken, wenn die brisante Wirkung dieser Fernsehstunden eines Tages im Netz zur Verfügung steht und alle den frühen Roger studieren können.

Fokus Roger Willemsen
Deutsche Kinemathek, Berlin
7.10.2022 bis 27.3.2023

3 Kommentare

  1. Da war ich doch tatsächlich hocherfreut und der Meinung, daß die restaurierten und digitalisierten Aufzeichnungen Online, wegen mir auch gegen Geld, verfügbar und ansehbar sind. Tja, zu früh gefreut; leider nur vor Ort an ein paar „Sichtinseln“.
    Schade, aber war wohl auch eher ein wahnwitziger Einfall.
    Zumindest stelle ich es mir interessant vor, über 100h Filmmaterial an „Sichtinseln“ anzuschauen.
    Willemsen hätte mehr verdient.

  2. Krass das dieser Fundus (und wieviele ähnliche wohl noch in den Archiven schlummern) nicht online verfügbar ist. Unvorstellbar für eine persönliche Sichtung nach Berlin zu fahren. Wie abseits der Realität ist denn diese Ausstellung?

    Danke aber für die wertschätzenden Worte dieses Artikels.

  3. Sehr schöne Hommage! Wie Ihr aber auf die Zeile „Kein Roger ist keine Entschuldigung“ verzichten konntet, bleibt mir ein Rätsel.

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