„Braunschweiger Zeitung“

Zwietracht im Sehnsuchtsort – und der ehemalige Chefredakteur mittendrin

Folgt man der „Braunschweiger Zeitung“ (BZ), dann handelt es sich bei der sogenannten Autostadt von Volkswagen in Wolfsburg um etwas ganz Besonderes: Sie habe „in dem so hass-geliebten Wolfsburg vom Jahr 2000 an eine neue Ära ausgelöst“, meint Wirtschafts-Ressortleiter Andreas Schweiger.

„Die Autostadt verdrängte Kohle- und Öllager und gab dem vorher so unscheinbaren Mittellandkanal neuen, ungeahnten Glanz. Die Autostadt ist einer der ganz großen Fußabdrücke, die der ehemalige VW-Konzern- und spätere Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch in unserer Region hinterlassen hat.“

Sie habe „Besucher weit über die Stadtgrenzen hinaus“ angezogen, schreibt er, und „mehr noch: Die Autostadt erarbeitete sich und damit auch VW eine fortlaufende Präsenz in überregionalen Medien, die weit über PS, Spaltmaße und Vorstandspersonalien hinausging.“

Und über den Diesel-Abgasskandal, könnte man launig hinzufügen, aber für negative Berichterstattung über VW fühlt sich die BZ offenbar eher weniger zuständig, wie Übermedien bereits 2018 berichtet hat. Wir kritisierten die Nähe der Berichterstattung zum Konzern und einen Lokaljournalismus, der von Volkswagen-Fantum nur schwer zu unterscheiden ist. Bereits damals im Blickpunkt: Andreas Schweiger und sein Chefredakteur Armin Maus.

Maus ist mittlerweile allerdings nicht mehr bei der Zeitung – sondern seit dem Frühjahr 2021 Geschäftsführer der Autostadt. Die könnte man etwas weniger prosaisch auch einfach als Marketing-Tool von VW bezeichnen, mit Museum, Hotel und Restaurants. Doch nun gibt es offenbar Streit im „Sehnsuchtsort“, wie Maus seine Autostadt in „Wolfsburg+“, dem offiziellen Marketing-Organ der Stadt Wolfsburg nennt.

Spekulative Informationen

Screenshot: braunschweiger-zeitung.de

Darüber wiederum berichtet sein langjähriger Mitarbeiter Schweiger nun in mehreren Artikeln und einem Kommentar für die BZ so: Seit Monaten brodele es in der dreiköpfigen Geschäftsführung; sie sei „tief zerstritten, die Belegschaft daher zusätzlich verunsichert“. Auf der einen Seite stünden Armin Maus und sein Geschäftsführer-Kollege Marco Schubert, „auf der anderen Seite Mandy Sobetzko. Nach spekulativen Informationen unserer Zeitung wird die Abberufung Sobetzkos derzeit diskutiert.“

„Spekulative Informationen“ scheint ein ganz neues journalistisches Synonym für Gerüchte zu sein.

Doch es geht noch weiter:

„Insider bezeichnen die Berufung Sobetzkos in die Autostadt-Geschäftsführung als ‚großen Fehler und eine glatte Fehlbesetzung‘. Sie sei für ein kreatives Marketingunternehmen nicht geeignet, ihr fehle die Gabe, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitnehmen zu können.“

Über die Qualitäten von Maus als Chef spekuliert Schweiger dagegen nicht – dabei könnte er sie als sein langjähriger Untergebener ja aus erster Hand beurteilen. Immerhin erwähnt er in einem Artikel an einer Stelle, dass Maus „Chefredakteur dieser Zeitung“ war, „bevor er im Frühjahr vergangenen Jahres Vorsitzender der Autostadt-Geschäftsführung wurde“.

Und was sagen die Betroffenen zu den Vorwürfen? „Geschäftsführerin Mandy Sobetzko, die nach Informationen unserer Zeitung besonders in der Kritik steht, nahm ein Gesprächsangebot unserer Redaktion bislang nicht an“, so Schweiger. Warum ein „Gesprächsangebot“ nur an Sobetzko gemacht wurde, erläutert Schweiger nicht. Ein Schelm könnte diesen Umstand natürlich als eine Variante des Freudschen Versprechers betrachten, die ungewollt verrät, warum ein solches „Angebot“ an die andere Seite, an Maus und Schubert, nicht notwendig erscheint: weil diese die Quelle der „spekulativen Informationen“ sein könnte.

Funke sieht keinen Interessenskonflikt

Tobias Korenke, Sprecher der Funke-Mediengruppe, zu der die BZ gehört, verweist auf Anfrage von Übermedien darauf, dass „alle Beteiligten angefragt wurden“. Manche seien „kurzfristig nicht erreichbar“ gewesen und hätten ansonsten „wie zu erwarten auf Interna verwiesen und sich inhaltlich mit dem Verweis auf Vertraulichkeit nicht geäußert“.

Über das „Gesprächsangebot“ ausschließlich an Sobetzko habe man berichtet, „weil uns signalisiert wurde, dass es Gesprächsbedarf geben könnte, auf unser zweimaliges Angebot aber nicht eingegangen wurde“. Auch eine Anfrage von Übermedien beantwortete die Autostadt lediglich damit, dass man sich weiterhin nicht äußern werde.

Einen Interessenkonflikt sieht Funke nicht: „Wenn es Konflikte in der Geschäftsführung dieses Unternehmens gibt, die als offenes Geheimnis die Runde machen und von verschiedenster Seite in monatelanger Recherche bestätigt werden, liegt der Anlass der Berichterstattung auf der Hand. Die Tatsache, dass es sich bei einem der Beteiligten um den ehemaligen Chefredakteur der ‚Braunschweiger Zeitung‘ handelt, darf eine Berichterstattung nicht verhindern – egal, ob dadurch der Eindruck des besonders harten Anfassens oder des Protegierens entstehen könnte.“

Ohne Gegenstimmen

Dass eine Zeitung auch über ein Unternehmen berichten können muss, für das ihr ehemaliger Chefredakteur nun in leitender Position tätig ist, dürfte unstrittig sein. Allerdings ist die unterschwellige Parteinahme gegen Sobetzko bemerkenswert. Gegenüber Übermedien stellt eine anonyme Quelle den Sachverhalt anders dar als die „Braunschweiger Zeitung“. Maus sei es, der intern unter Druck stehe und „Stimmung gegen seine interne Konkurrentin mache“.

Allerdings ist auch diese Information mit Vorsicht zu genießen: Da auch im VW-Konzern jeder weiß, was Maus vorher gemacht hat, ist es sehr naheliegend, ihn als Quelle zu verdächtigen, schließlich ist der Kreis derjenigen, die Interna der Geschäftsführung kennen können, recht begrenzt. Sehen das auch Betriebsrat und andere Gremien der VW-Geschäftsleitung so, schadet Maus die Öffentlichkeit womöglich. Öffentlich äußern will Maus sich zu dem ganzen Vorgang uns gegenüber nicht.

Dass auch die Autostadt sich weder äußert, noch die Kolportage aus dem innersten Führungsgremium dementiert, wirft weitere Fragen auf. Doch eine Anfrage von Übermedien beantwortete die Pressestelle der Autostadt lediglich damit, dass man „auch weiterhin keine Stellungnahmen zu internen Fragen abgeben“ werde.

Fest steht, dass BZ-Berichterstatter Schweiger keine Gegenseite kennt oder zu Wort kommen lässt. Zwar kritisiert er in einem Kommentar zum Thema die gesamte Geschäftsführung, die gelähmt sei, obwohl sie angesichts der Nachwirkungen der Corona-Krise dringend agieren müsse, es finden sich aber keinerlei Stimmen, die Maus oder Schubert kritisieren. Wenn jemand direkt angegriffen wird, ist es immer Sobetzko.

Dass es bei der „monatelangen Recherche“ keine anderen Stimmen gegeben haben soll, ist schwer vorstellbar, zumal die BZ selbst von einer „Lagerbildung“ in der Belegschaft spricht – in der Zeitung äußert sich aber nur ein Lager davon. Schweiger zitiert anonyme Stimmen, die seiner Berichterstattung zustimmen: „‚Auf den Punkt‘, ‚sehr gnädig‘, ‚es musste ja mal raus‘“, seien „nur einige Reaktionen unserer Leserinnen und Leser auf unsere Berichterstattung zu atmosphärischen und inhaltlichen Verwerfungen in der dreiköpfigen Geschäftsführung der Autostadt“ gewesen.

Schwierige Berufswechsel

Ein langjähriger Konzern-Insider stellt im Gespräch mit Übermedien dagegen einige grundsätzliche Fragen: Man müsse sich doch fragen, warum der Chefredakteur einer Lokalzeitung aus dem Stand in einen derartigen Leitungsposten gehoben werde, ohne vorherige Konzernerfahrung oder entsprechende Qualifikationen im Management eines großen Unternehmens. Denn die Autostadt ist weit mehr als Unternehmenskommunikation: Sie ist ein großer Freizeitpark mit Luxushotel, Gastronomie, Festivals, Event-Locations sowie Ausstellungs- und Museumsfläche. Der Geschäftsführung unterstehen mehr als 1.000 Mitarbeiter – von der Bauingenieurin bis zum Betreuer in der Autostadt-Kita.

Für den Insider, der ebenfalls anonym bleiben möchte, ist der gewichtigste Grund für eine solche Berufung, dass man aus Sicht des Unternehmens schon vorher jahrelang gut zusammengearbeitet habe. Das Problem: VW dominiert die gesamte Region – und beeinflusst immens die niedersächsische Landes- und auch die Berliner Bundespolitik. Mit der gebotenen journalistischen Distanz zu wirtschaftlichen und politischen Machtzentren lassen sich solche Berufswechsel daher schlecht in Einklang bringen, zumal wenn sie als eine Art Belohnung für vorhergehende Tätigkeiten erscheinen.

Am Ende bleibt ein fragwürdiges Bild: Eine Lokalzeitung, deren Distanz zu VW schon in der Vergangenheit zu wünschen übrig ließ, berichtet unter Berufung auf anonyme „Insider“ und „spekulative Informationen“ über einen Konflikt einer zum Konzern gehörenden Sparte – und lässt dabei vor allem die Konkurrentin ihres ehemaligen Chefredakteurs schlecht aussehen.

 
Nachtrag, 20. Dezember. Der Presserat hat einen der Artikel der „Braunschweiger Zeitung“ in dieser Angelegenheit gerügt: Sie habe der Sobetzko nicht ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Dass sie kurzfristig nicht erreichbar gewesen sein, wie die Redaktion angab, lässt der Presserat nicht gelten: Mit Blick auf die im Beitrag geäußerte massive Kritik hätte die Redaktion sich intensiver um eine Stellungnahme der Betroffenen bemühen müssen. Der Presserat sah in dem Versäumnis einen schweren Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex.

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