Der Autor
Jonathan Horstmann ist freier Redakteur, unter anderem beim Designmagazin „form“. Neben seiner Arbeit als Kulturjournalist verantwortet er als Pressereferent die Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Akademie Frankfurt.
Viele Bahnfahrten gleichen derzeit einer Horror-Story. Meine begann damit, dass ich kürzlich an einem heißen Sommertag von Hamburg aus zu den Passionsspielen nach Oberammergau fahren wollte. Schon kurz vor Hannover fiel der ICE (Triebwerkschaden) jedoch aus. Mit zwei weiteren, schwächelnden Zügen kämpfte ich mich also im Stop-and-Go Richtung Bayern vor. Spät am Abend dann der Halt in München – viel zu spät, um noch direkt weiter ins Alpenvorland zu reisen. Der ganze Tag: ein Martyrium. Und dabei hatte die eigentliche Passion, zu der ich unterwegs war, ja noch gar nicht begonnen.
Ein paar Tage später poppte bei mir wie auch bei zahlreichen anderen Bahn-Kunden ein digitaler Brief mit der Überschrift „Zeit für einen Dank“ im Mailpostfach auf. Verfasser: Dr. Michael Peterson, Vorstand Personenfernverkehr bei der Deutschen Bahn AG. Er beginnt mit einer Erfolgsmeldung: Noch nie seien so viele Menschen so viele Kilometer Bahn gefahren wie in den letzten drei Monaten. „Das freut mich natürlich sehr“, schreibt Peterson, und da kann man ihm nur beipflichten, denn wen, wenn nicht den Bahn-Vorstand, sollte der „Nachfrage-Boom“ froh stimmen?
Aber Peterson muss einräumen, dass es eine Kehrseite des Bahn-Booms gibt:
„Wir bieten Ihnen zurzeit nicht die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, die Sie von uns erwarten bzw. die unseren eigenen Ansprüchen entspricht. (…) Dies bedauern wir natürlich sehr.“
Jonathan Horstmann ist freier Redakteur, unter anderem beim Designmagazin „form“. Neben seiner Arbeit als Kulturjournalist verantwortet er als Pressereferent die Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Akademie Frankfurt.
Aus der Ich- wird eine Wir-Perspektive, die nun offenbar den ganzen DB-Konzern repräsentieren soll. Die Bahn entschuldigt sich. Aber wofür? Ich muss an meinen persönlichen Oberammer-GAU vor ein paar Tagen denken und lese extra gründlich:
„Leider kann die derzeitige Schieneninfrastruktur nicht mit dem Verkehrszuwachs mithalten“, so der DB-Vorstand. Ach so. Nicht die Bahn an sich ist also das Problem, sondern der Verkehrszuwachs, mit dem die Schieneninfrastruktur leider nicht mithalten kann. Mit anderen Worten: Schuld haben die vielen Leute, die mit der Bahn fahren wollen.
Was Peterson hier nutzt: die „Non-Apology“, ein typischer Trick aus der PR-Rhetorik. Und der geht so: Einerseits wird mit großer Geste ein Missstand zugegeben, andererseits lastet sich die sprechende Instanz das zugrunde liegende Problem gar nicht selbst an, sondern jemand anderem. Heraus kommen Statements, die wie eine Entschuldigung wirken, bei näherem Hinsehen aber gar keine sind.
Der Bahn-Vorstand beherrscht diese Form offenbar meisterlich. Nicht nur wird das eigene Bedauern zur Nicht-Entschuldigung, die Schuld wandert dabei auch noch unterschwellig zu denjenigen, die unter dem Problem zu leiden haben. Dabei sind nun wirklich nicht die Bahn-Kunden dafür verantwortlich, dass derzeit zwei von fünf Zügen in Deutschland verspätet sind. Die Verspätungsquote war schließlich auch schon 2021 nicht glorreich, als es das 9-Euro-Ticket noch nicht gab und viele Leute wegen der Pandemie auf das Bahnfahren verzichteten.
Die eigentlichen Gründe für die schlechte Bilanz der Bahn fallen wohl eher auf das Unternehmen selbst zurück, etwa die vielen Baustellen im bundesweiten Netz und der hohe Krankenstand des Personals. An anderer Stelle benennt Peterson diese Faktoren zumindest. In dem Rundbrief an seine Kunden unterschlägt er sie. Abbitte vortäuschen, ja, aber zugleich klarstellen, dass man gar nicht schuld sei. Eine Non-Apology par excellence.
Auch Politiker und Medienschaffende wissen den Trick zu schätzen. So hat etwa die nunmehr ehemalige Intendantin des rbb, Patricia Schlesinger, in ihrer Rücktrittserklärung folgende Sätze formuliert:
„Aktuell steht nicht mehr die journalistische und publizistische Leistung des Senders im Vordergrund, sondern es geht nur um mögliche und angebliche Verfehlungen der Intendantin. Das bedauere ich sehr und ich entschuldige mich bei den Beschäftigten des rbb für diese Entwicklung.“
Moment, wofür entschuldigt sich Schlesinger? Für eine Verfehlung? Ach nein: für die „Entwicklung“, dass „Verfehlungen der Intendantin“ diskutiert werden, die freilich auch nur „möglich und angeblich“ sind. Schlesinger suggeriert, dass im Grunde gar nicht sie selbst sich entschuldigen müsste, sondern ihre Kritiker, die die Debatte losgetreten haben. Schließlich hätten die rbb-Beschäftigten unter jenen zu leiden. Schlesingers Worte sind so abstrakt gewählt, dass sie Schlesinger selbst und die an sie gerichteten Vorwürfe der Untreue und Vorteilsnahme in Nebel hüllen. Das sprechende Subjekt macht sich unsichtbar.
Was mich in der Causa #Schlesinger besonders betroffen macht, ist ihr fehlendes Schuldbewusstsein, das sich auch in einem nonchalanten, bisweilen arroganten Auftreten niederschlägt. Darin liegt auch viel Verachtung für die Öffentlichkeit, die ihr Auftraggeber war.
— Holger Hinz #StandWithUkraine (@holgereluard) August 10, 2022
Die Non-Apology (manchmal auch: „Nonpology“ oder „Non-Apology-Apology“) ist eine Fingerübung für alle, die in einer größeren Einrichtung die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit betreuen und gelegentlich Entschuldigungs-Statements für Führungskräfte formulieren müssen. Das kommunikative Managen einer Krise ist immer eine Gratwanderung. Der Auftrag aus der Chefetage lautet typischerweise, man solle doch bitte ein öffentlichkeitswirksames Statement formulieren, das die Wogen glättet, ohne die eigene Einrichtung dabei allzu schlecht aussehen zu lassen. No-Go Nummer 1: ein zu offensives Schuldeingeständnis. No-Go Nummer 2: das Wort „Entschuldigung“. Lieber alles ein bisschen diffus klingen lassen und den Eindruck erwecken, dass die Geschäftsführung an der Situation genauso leide wie die Kunden oder die Öffentlichkeit. Das Ziel: sich mit zum Opfer machen und bloß nicht als Täter dastehen.
Sprachliche Mittel, an denen man die so entstandenen Verlautbarungen oft erkennen kann, sind
Die Strategie dahinter ist immer, ein Problem zwar zuzugeben, es aber auch auf Abstand zu halten. „Never apologize, never explain“ war früher ein beliebter Ratschlag in der Öffentlichkeitsarbeit. Und tatsächlich scheint es so zu sein, dass das Sich-Entschuldigen einer Person bei vielen Menschen automatisch mit einer größeren moralischen Verfehlung assoziiert wird, als wenn jemand es schafft, eine Kontroverse einfach auszusitzen.
Umgekehrt gilt aber auch: Wenn man sich (etwa aufgrund öffentlichen Drucks) schon für eine Entschuldigung entscheidet, dann sollte man sie auch aus vollem Herzen vorbringen. Weder Medienschaffende noch die Öffentlichkeit goutieren gestelzte Statements, in denen Fehler kaschiert werden, stattdessen aber schwadroniert wird, dass man künftig „noch besser“ werden wolle. In denen nicht Verantwortung übernommen, sondern mit Schicksalsfloskeln wie „das tut uns leid“, „leider“ und „schade“ um sich geworfen wird.
Besonders vergiftet ist die Formulierung „wir bedauern“ – wann immer die zu lesen ist, darf man vermuten, dass Reue hinter den Kulissen eine eher kleine Rolle gespielt hat. „Wir bedauern“ wird im PR-Sprech entweder benutzt, um den Sound demonstrativ traurig anzulegen (wie Peterson und Schlesinger es tun), oder sogar, um einen passiv-aggressiven Vorstoß zu wagen. Auf der Documenta in Kassel war im Zusammenhang mit Motiven, die als antisemitisch kritisiert wurden, folgender (inzwischen entfernter) Hinweis zu lesen:
„Liebe Besucher*innen, wir bedauern, dass die historischen Bilder und Zeichnungen, die um das Jahr 1988 entstanden sind, für einige Besucher*innen nicht verständlich sind und es daher zu Fehlinterpretationen gekommen ist.“
Bedauerlich, in der Tat. Da gab es nun schon wochenlang Wirbel wegen judenfeindlicher Bilder auf der Documenta, die verantwortliche Generaldirektorin ist zurückgetreten und trotzdem werden die Gründe dafür, dass immer noch Werke beanstandet werden, zuallererst bei den Besuchern gesucht.
„Liebe Besucher*innen, Entschuldigung, dass Sie dauernd fehlinterpretieren. Es gibt hier kein Problem und nichts zu sehen. Vielen Dank, Ihre documenta“ pic.twitter.com/VH5n8hsRcr
— Tom Uhlig (@kittyannesummer) August 8, 2022
Man insinuierte, Kunst könne nur die Documenta selbst interpretieren, das Publikum wiederum wurde für dumm erklärt. Ein Fehler, den viele PR-Abteilungen machen.
Tatsächlich haben die meisten Menschen eben doch ein Gespür dafür, ob ihnen ein X für ein U vorgemacht werden soll oder ob eine Entschuldigung wirklich so gemeint ist. Nachdem der Schauspieler Will Smith den Komiker Chris Rock bei der Oscarverleihung auf offener Bühne geohrfeigt hatte, war die weltweite Entrüstung groß – sie wurde allerdings leiser, als Smith um Entschuldigung bat. Smith versteckte sich nicht hinter vagen Formulierungen, zeigte nicht auf andere, sondern sagte geradeheraus: „Ich habe mich danebenbenommen.“
Ganz anders zeigte sich Fynn Kliemann, dem dubiose Geschäftspraktiken angelastet wurden. Er ging in die Gegenoffensive, versuchte, Berichterstattung über sich zu sprengen, attackierte seine Kritiker und redete sich um Kopf und Kragen. Sein später doch noch nachgereichtes Entschuldigungsvideo wusste bei vielen nicht zu überzeugen. Und tatsächlich dauerte es nur drei Wochen, ehe Kliemann erneut den Kurs wechselte und von Läuterung zu Rundumschlag umschaltete.
„Das Medium ist die Botschaft.“ Dieser Satz von Marshall McLuhan bedeutet, dass die Form, in der eine Botschaft überbracht wird, auch deren Inhalt beeinflusst. Speziell bei einer Entschuldigung ist nicht nur wichtig, was gesagt wird, sondern auch, wie es gesagt wird.
Wenn man das ernst nimmt, müssten insbesondere öffentliche Einrichtungen die Non-Apology aus ihrem Kommunikationskatalog streichen. Denn wer durch die Allgemeinheit finanziert wird, ist ihr Transparenz schuldig. Selbst dann, wenn man wie die bisherige rbb-Intendantin dem eigenen Empfinden nach zu Unrecht kritisiert wird.
Konzernchefs hingegen können zwar selbst entscheiden, was ihnen der Eindruck wert ist, den sie mit aalglattem Herumgedruckse bei ihren Kunden hinterlassen. Es ist aber schon aus wirtschaftlichen Gründen durchaus nicht egal, wie CEOs und andere Führungskräfte mit der Öffentlichkeit kommunizieren.
Für die nächste Mail, die der Bahn-Vorstand mir schreibt, hätte ich insofern folgenden Wunsch: Tacheles reden und die Ablenkungsmanöver weglassen. Dann würde ich mich als Kunde nach zermürbenden Zugfahrten wenigstens nicht auch noch verschaukelt fühlen.
Sehr geehrter Herr Horstmann,
halten Sie die Interpretation, die DB AG mache Ihre KundInnen für den dampfenden Haufen Kuhmist verantwortlich, der sich in Deutschland Eisenbahn nennt, für alternativlos? Ich stimme Ihnen zu, dass die Worte (zu) wohlüberlegt sind, als dass sie ernst zu nehmen sind. Aber ist „Leider kann die derzeitige Schieneninfrastruktur nicht mit dem Verkehrszuwachs mithalten“ nicht vielmehr ein Euphemismus für eben jene von Ihnen vorgebrachten Verfehlungen? Sodass der Gedanke beim Formulieren nicht „Lasst uns die Fahrgäste beschuldigen“ war, sondern „Wie beschönigen wir Infrastrukturrück- und Personalabbau und Verschleiß der letzten 30 (besser: 50) Jahre, ohne zu lügen?“
Die Verantwortung eines Unternehmens ist ja trotzdem noch problemlos zuzuordnen, selbst wenn es nur einen steten Zuwachs an KundInnen verschlafen hätte.
Mit freundlichen Grüßen
Heißläufer
Ist doch logisch: eine ernstgemeinte Entschuldigung beinhaltet, dass man den verschuldeten Mangel abgestellt hat, kurzfristig abstellen wird oder zurücktritt, damit andere den Mangel abstellen.
Wenn nichts davon zutrifft, warum sich überhaupt entschuldigen?
Shit, ich werde den Namen dieses Dorfes nie wieder richtig lesen können: „Oberammer-GAU“ :-/
Vielen Dank für den guten Text. So etwas Ähnliches dachte ich mir beim Lesen der Mail auch!
Noch ein kleiner Hinweis zum ersten Absatz: Ich wüsste nicht, dass ICEs mittlerweile fliegen. Also einen Triebwerkschaden wird es wohl nicht gewesen sein. ;-) Denkbar wäre ein Schaden am Triebkopf (bei ICE 1 und 2 – bei den beiden Baureihen gibt es nämlich einen Triebkopf) bzw. allgemein ein Schaden am Triebfahrzeug.
Ansonsten fragt doch mal den Lokführer, der hier in einem sehr guten Artikel vor einiger Zeit berechtigterweise bemängelt hat, wie viel falsche Dinge/Ausdrücke bei Bahnthemen in den Medien erscheinen. Leider ist dies auch wieder ein – zugegeben sehr kleines – Beispiel dafür. Schmälert den guten Text nicht, aber ärgert mich bei Bahnthemen auch immer.
Lieber Niklas, #4: https://de.wikipedia.org/wiki/Triebwerk_(Eisenbahn)