Macht und Manipulation (5)

Gegen Feuer hilft Dynamit: Wie Pressestellen versuchen, Anfragen von Medien zu torpedieren

Macht die Bundeskanzlerin den Medien Vorgaben? Manipulieren Journalist:innen die Öffentlichkeit? Hendrik Wieduwilt war Hauptstadtjournalist und Ministeriumssprecher. Er beschreibt in dieser Serie die alltäglichen Tricks und Mechanismen, mit denen Medien beeinflusst werden und uns beeinflussen.


Als Saddam Hussein im Irakkrieg 1991 in Kuwait 700 Ölquellen anzündete, löschten Spezialisten das „Feuerzeug des Teufels“ mit kiloweise Dynamit. Knall, bumm, Feuer aus. 30 Jahre später bekämpfen Minister und Unternehmen ihre Pressekrisen recht ähnlich: Funktioniert das Prinzip der kontrollierten Sprengung auch im Medienzirkus?

Bei jeder Variante der Sprengung geht es darum, die Exklusivität und die Erzählung des anfragenden Mediums zu stören, damit die unerwünschten Berichte kleiner werden oder sogar ganz ausbleiben – und der Brand gelöscht ist. Sie ist in vielen Fällen ein Foul gegen Journalisten, denn sie torpedieren deren Arbeit. Rechtswidrig ist das wohl nicht – aber unanständig.

Bestellte Fragen – ein Tabubruch?

Die geräuschloseste Variante einer solchen Sprengung ist die bestellte Frage. Bei guten Kontakten zur Hauptstadtpresse ist dieser Trick manchmal möglich. Es ist keineswegs ein alltägliches Werkzeug, aber auch keine reine Theorie.

Und Fragen bestellen, das geht so: Der Ausgangsfall ist eine unangenehme Presseanfrage. Unangenehm sind vor allem solche, die von eher robust auftretenden Medien stammen. Politikmagazine wie „Kontraste“, „Monitor“ oder „Panorama“, aber auch – im geringeren Maße – Printmedien wie der „Spiegel“ kochen ihre Geschichten mit recht viel Peperoni, damit den Lesern und Zuschauern genug Tränen in die Augen schießen: Viel Meinung, viel Szene, unheimliche Musik. Für die Politmagazine im TV sei es deshalb „fast unmöglich“, ein Interview mit einem Minister zu bekommen, wie der rbb-Journalist René Althammer einmal beklagte.

Ein Ort für das Bestellen von Fragen ist die regelmäßig tagende Regierungspressekonferenz, kurz „RegPK“ im Haus der Bundespressekonferenz, der „BPK“. In einem Telefonat mit Journalisten kurz vor diesem Termin kann ein Pressesprecher beiläufig, aber deutlich hörbar, fallen lassen, dass doch eine Frage zum Thema XY „ganz interessant“ wäre. Dann fahren Medienmensch (Rad) und Pressesprecher (Fahrdienst des Ministeriums) ins Haus der BPK, setzen sich auf ihre Stühle – und dann stellt ein Journalist, der bei so etwas mitmacht, genau diese Frage eine halbe Stunde später vor den Kameras. „Danke für Ihre Frage“, ruft der Sprecher dann höflich in den Saal – und meint die Höflichkeitsfloskel ausnahmsweise äußerst ernst. Und veröffentlicht allen anwesenden Journalisten die Nachricht, auf die das krawalligere Medium noch wartet. Knall, bumm, Feuer aus.

Journalisten als Teil der Staats-PR

Mit einer bestellten Frage wird eine kommunikative Krise nicht verhindert, aber immerhin schnell beendet. Denn wegen der fehlenden Exklusivität erscheint die Nachricht nun deutlich kleiner oder vielleicht gar nicht. Dadurch entfällt vielleicht auch ein begleitender Kommentar auf der Meinungsseite. Zudem ist der Ärger mit etwas Glück nach einem einzelnen Nachrichtenzyklus erledigt. Man stört die mediale Erregung. Das ist oft besser als die Alternative: Hätte die Pressestelle die Information dem anfragenden Medium exklusiv gegeben, wäre sie erst dort und dann, einen Zyklus später, in allen anderen erschienen. Es ist wie mit einem Pflaster: Das langsame Abreißen schmerzt am meisten.

Ist sowas in Ordnung? Journalisten, bei denen man Fragen bestellen kann, machen sich damit ein Stück weit zum Vehikel der Staats-PR. Ganz schwarz oder weiß lässt sich so eine Kollusion aber nicht betrachten: Denn eine gute Frage ist eine gute Frage – auch wenn die Idee vom Befragten selbst kommt. Dennoch: Eine Zierde für den Journalismus ist sowas nicht gerade – und es ist, zum Glück, wohl eher eine Ausnahme. Da die daran Beteiligten Sprecher und Journalisten über die Zusammenarbeit naturgemäß schweigen, lässt sich kaum schätzen, wie oft es wirklich passiert.

„Strategisches Medienmanagement“?

Andreas Scheuer gestikuliert abwehrend auf der Bundespressekonferenz
Andreas Scheuer bei einer Bundespressekonferenz 2020 Foto: Imago / Ipon

Apropos Zierde: Das Juwel der deutschen Hauptstadtpolitik, der nun wohl wirklich scheidende Bundesverkehrsminister „Andi“ Scheuer, zeigte in seiner Amtszeit eine andere Variante der kontrollierten Sprengung: In den Unterlagen des Ministeriums zum Mautdebakel fand der Untersuchungsausschuss aufschlussreichen Mailverkehr eines Mitarbeiters für so genanntes „Strategisches Medienmanagement“. Die Bezeichnung „strategischer Medienmanager“ ist dabei in etwa so treffend, als würde man einen Hütchenspieler in der Fußgängerzone als Abdeckungsverwaltungsmagistrat bezeichnen. Es schien auf diesem Posten nämlich eher um Taktik und Tricks als um Strategie zu gehen.

In diesen Unterlagen war über Mutmaßungen zu lesen, die „Süddeutsche Zeitung“ und ihr Rechercheverbund seien „mit einem Spin gegen uns in die Spur geschickt“. Solche Formulierungen klingen empörend, wenn man sie schwarz auf weiß liest. In wachen Pressestellen gehört so eine Analyse allerdings zum Handwerk. Reagieren wollte der Kommunikationsmensch mit: einer kontrollierten Sprengung. Ob man nicht ein Konkurrenzmedium versorgen solle, das dann „mit dem Ticker raus“ solle, und zwar „noch heute“.

Heißt im Klartext: Ein anderes, in den Augen des Medienstrategen harmloseres Medium sollte die angefragten Informationen erhalten und „tickern“. Tickern heißt: Ein Medium versorgt vorab Nachrichtenagenturen mit Kurzzusammenfassungen, damit es mit der exklusiven Recherche glänzen kann. In diesem Fall also, bevor SZ und Rechercheverbund den großen Aufschlag ins Ziel bringen können. Damit wäre die Tonalität gesetzt und die befürchtete Skandalisierung durch SZ und Rechercheverbund abgewendet. Knall, bumm, Feuer aus.

Ein Torpedo gegen den bösen Spin

Das Ziel ist auch hier: Den bösen Journalisten das Momentum entziehen, indem man die guten – wohlgesonnenen, stilleren oder reichweitenschwächeren – mit Informationen versorgt. Auch das ist sicher nicht die feine Art, aber letztlich nur die Wahl des richtigen Kanals; davon war hier schon einmal die Rede.

Ähnlich verfuhr das Ministerium bei einer „Spiegel“-Anfrage: Dessen Vorabmeldung könne man ja durch einen Antwort an andere Journalisten „torpedieren“. Torpedieren? „Knall, bumm, Feuer aus“, so dachte man schon wieder. Scheuer ließ Akten heranschaffen und wollte so eine Eigeninitiative vortäuschen, die keine war.

Doch so richtig gut funktionierte das nicht: Der Deutsche Journalistenverband war sehr empört, sprach von „Manipulation“ und „gezielten Tricksereien“. Medienmagazine veröffentlichten Berichte. Die Sache ragte in Satire-Sendungen und breite Publikumsmedien, spätestens zu dem Zeitpunkt war das Manöver gescheitert.

Sie sprengen alle

Scheuer ist kein Einzelfall: „Knall, bumm, Feuer aus“ dachte sich auch der nur noch geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Er stellte auf die Presseanfragen der „Zeit“ zu angeblichen Qualitätsproblemen beschaffter Masken nicht nur die Antworten öffentlich, sondern auch gleich die Fragen der Redaktion – aber erst nach Ablauf der Deadline. Wie auch bei Scheuer arbeitete ein früherer „Bild“-Redakteur für den Minister.

Man kann dem Boulevard vieles vorwerfen, mangelndes Gespür für Medienmechanik sicher nicht. Insofern überrascht es nicht, dass auch der gefallene „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt Kritik an der Flut-Berichterstattung des Magazins „Zapp“ auszubremsen versuchte, indem er noch vor Erscheinen des Beitrags mit einem zornigen Kommentar im eigenen Fernsehprogramm „Bild live“ auf Sendung ging. Knall, bumm, und so weiter.

Diese Tricks aus der Grauzone beherrschen auch prominente Akteure der Privatwirtschaft. Der Energiekonzern RWE etwa sorgte für laute Kritik, als er eine Presseanfrage samt Antworten und Unternehmensstatement auf sozialen Medien veröffentlichte, bevor die anfragende „taz“ den Beitrag schreiben konnte.

Immerhin besser als Lügen

Momentum dahin, Deutungshoheit halbwegs gerettet, dafür ein bisschen neuen Ärger in Branchenmedien am Hals: Das muss aus Sicht eines Kommunikationsberaters keine schlechte Bilanz sein. Fair ist das allerdings nicht – aber auch unzulässig? Ist es wirklich ein Eingriff in das Redaktionsgeheimnis, wenn ein Unternehmen oder Ministerium maximal transparent Fragen und Antworten online stellt? Spätestens mit dem Verschicken der Fragen sind sie wohl kaum noch ein Geheimnis – und urheberrechtlichen Schutz haben auch die geschicktesten Pressefragen eher nicht.

Besser als Lügen sind diese Manöver allemal. Ein arrivierter Kommunikationsmensch sagte mir vor Jahren einmal mit väterlicher Miene, als Pressesprecher müsse man auch mal die Unwahrheit sagen können. Das halte ich für falsch – nicht aus hehrer Rechtschaffenheit, sondern weil eine Lüge ein völlig unkalkulierbares Risiko aufbaut. Es ist in etwa so, als würde man eine Tretmine in die WG-Küche legen und das Beste hoffen. Wer lügt, wird entlarvt.

Dennoch lebt die Idee, dass „die da oben sowieso lügen“, immer wieder auf. Die Kommunikation der Bundesregierung im Januar 2020, Masken seien nicht notwendig, stellte sich als falsch heraus. Schnell entstand die Erzählung, der Staat habe gelogen, weil nicht genügend Masken vorhanden waren – doch so einfach war es nicht: Der Drang nach Verlässlichkeit in Zeiten der Unsicherheit führte zu diesem Schluss, wie Sascha Lobo damals detailliert nachzeichnete.

Mehr als Zapfanlagen für Staatsinformationen

Pressestellen in Ministerien sind mehr als Zapfanlagen für staatliche Informationen. Sie sollen ihr Leitungspersonal glänzen lassen und manchmal auch den Politischen Gegner schädigen. Sie sorgen für passende Bilder für die richtige Botschaft, wählen Medienkanäle, vernebeln den Absender von Zitaten und rangeln um Korrekturen in Interviews. Es sind Manipulationen der Macht.

Es gehört zur Medienkompetenz, sich die Aufgaben und Taktiken der Pressestellen bewusst zu machen, sonst haben Verschwörungstheoretiker leichtes Spiel. Wo Unwissenheit herrscht, füllen Mutmaßungen das Vakuum: Das konnte man beobachten, als die Corona-Kommunikationsstrategie aus dem Bundesinnenministerium bekannt wurde. Sie sollte der Bevölkerung gezielt Angst machen, eine „gewünschte Schockwirkung“ erzielen, damit der Ernst der Lage erkannt werde. Darin erkenne sie die Handschrift der DDR-Diktatur, schrieb eine Bekannte mir dazu.

Der Staat nutzt Kommunikationsstrategien mehr oder weniger wie Unternehmen und Prominente auch. Der Trend geht zur Professionalisierung. Das ist kein Grund zur Panik, denn die Fälle zeigen, dass die Tricks und Strategien nur begrenzt verfangen. Die Öffentlichkeit muss aber gegenhalten können: Je mehr die Bürgerinnen und Bürger über die Tricks der Polit-PR wissen, desto besser.

7 Kommentare

  1. Ich finde die „Knall, Bumm, Feuer aus“-Technik legitim, weil sie nicht die Veröffentlichung von Informationen verhindert, sondern nur deren Bedingungen verändert – Politmagazin XY erhofft sich möglichst viel Aufregung, die Pressestelle möglichst wenig. Egal, wer gewinnt: Die Öffentlichkeit bekommt am Ende dieselben Infos, nur anders aufbereitet und auf anderen Wegen. Und die weniger aufgeregte Variante tut der Debatte oft (nicht immer) gut.

    Das hier allerdings geht m.E. nicht:

    Der Energiekonzern RWE etwa sorgte für laute Kritik, als er eine Presseanfrage samt Antworten und Unternehmensstatement auf sozialen Medien veröffentlichte, bevor die anfragende „taz“ den Beitrag schreiben konnte.

    Ob für die Fragen Urheberrecht gilt, sei dahingestellt: Sowas ist schlechter Stil. Eine eigene Erklärung zum Thema wäre okay gewesen, aber die Fragen gehören nicht der RWE-Pressestelle – Urheberrecht hin oder her.

    Das halte ich für falsch – nicht aus hehrer Rechtschaffenheit, sondern weil eine Lüge ein völlig unkalkulierbares Risiko aufbaut.

    Sowohl als auch: Lügen sind gefährlich (siehe Barschel und Engholm), aber die Pressestellen gerade staatlicher Institutionen sollten prinzipiell nicht lügen – sie müssen die Wahrheit aus einer bestimmten Perspektive darstellen (und Gegenargumente dabei oft unterschlagen), aber sie dürfen sie nicht beschädigen.

    Einzig statthafte Lüge: „Tut mir leid, die Chefin ist den ganzen Tag in Terminen und steht für Ihre Anfrage leider nicht zur Verfügung.“

  2. Darf ich hier mal einen Hinweis an die Dauerkommentierer hinterlassen, die zu (fast) jedem Beitrag Zeilen aufschreiben? Ich kann mir nicht vorstellen, dass da wirklich jedes Mal ein kluger Gedanke dabei ist. Das führt für mich dazu, dass ich die Kommentare insgesamt nicht mehr lese, wenn vorne imme wieder dieselben Kommentierer stehen. So viel qualifizierte Meinung zu wirklich jedem Thema traue ich keinem zu. Meinungsfreiheit bedeutet keine Pflicht zur Meinung, man kann auch einfach mal nur lesen, ohne zu kommentieren. Danke!

  3. @Stefan Fries: Meine Güte, dann ignorieren Sie das halt. Ich finde jedenfalls #1 irgendwie ersprießlicher als #2…

  4. #4 Um solche Kommentare ging es mir auch. Aber wenn es anderen vor allem darum geht, zu schreiben, ohne Interesse, dass das auch jemand liest: gut.

  5. @Stefan Fries bzw. Stefan (inzwischen #3 bzw. #6):

    Hatten Sie denn jetzt einen bestimmten Einwand gegen meinen Kommentar? Dann würde ich den gerne erfahren. Oder wollten Sie nur sagen, dass Sie ihn gar nicht gelesen haben, weil Sie davon ausgehen, dass er nicht interessant ist?

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