Mutmaßlicher Mord an 17-Jähriger

Täterprofil­neurose bei den „Ruhr Nachrichten“

Schlagzeilen der „Ruhr Nachrichten“ über mutmaßlichen Mord an 17-Jähriger
Schlagzeilen über mutmaßlichen Mord an 17-Jähriger Screenshot: ruhrnachrichten.de; Montage:Ü

Seit Mitte Juni wurde eine 17-Jährige aus der Nähe von Dortmund vermisst. Vorvergangene Woche wurde ihre Leiche gefunden. In Verdacht, die Tat begangen zu haben: ihr Exfreund.

Nach einer solchen Gewalttat gibt es viele Fragen, die man als Zeitung stellen könnte. Zum Beispiel: Warum passiert das so oft, dass ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin tötet und was kann man dagegen tun? Oder: Wo bekommen  Eltern, die ihre Tochter verloren haben, in solchen Fällen Unterstützung? Also man könnte das fragen.

Bei den „Ruhr Nachrichten“ fragt man andere Sachen. Zum Beispiel: „Was geht in solch einem Menschen vor?“ Also im mutmaßlichen Täter.

Ferndiagnosen als beliebtes Genre

Und wen fragt man da? Klar. Einen Psychologen. Expert:innen das Innenleben und damit die Motive von Tätern deuten zu lassen, ist ja fast schon ein „Klassiker“, Ferndiagnosen ein beliebtes Genre. Wir haben das schon öfter kritisiert. Hier und hier zum Beispiel. Aber anscheinend haben Medien teilweise immer noch den Anspruch, Taten irgendwie nachvollziehbar zu machen.

Im Dortmunder Fall geschieht das mit Hilfe von Christian Lüdke. Er ist Autor eines Buches, einer „Anleitung“, wie man „Profile des Bösen“ erkennt. Sein Werk darf er bei den „Ruhr Nachrichten“ auch schön in die Kamera halten. Er sei „Kriminal-Psychologe“, heißt es im Text, dabei ist er eigentlich Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut.

Im Video-Interview spricht er von „massiver Kränkung“ und einem „Gesichtsverlust“ des Mannes, der womöglich nie gelernt habe, mit seinen Emotionen zurechtzukommen. Für den Töten „Konfliktbewältigung“ sei. Zum Ort, an dem er die Leiche abgelegt hat, habe er möglicherweise einen „emotionalen Bezug“ gehabt. Also kann sein. So genau weiß man das zwar nicht, aber er sagt’s trotzdem mal. Er spricht von einer „klassischen Beziehungstat“.
Mich wundert es nicht, wenn dann manche Leser:innen den Eindruck haben könnten: Ach, so ist das also. Sie hat ihn gekränkt und er kann nicht mit Emotionen umzugehen. Was für ein tragisches „Beziehungsdrama“!

Klar, es liegt zum einen an den Fragen, die ihm die Redaktion stellt, dass sie sich überhaupt dafür entscheidet, das zum Thema zu machen und ihm die Bühne zu geben. Und er formuliert auch durchaus einen Aspekt, der in ähnlichen Fällen sonst oft nicht so zur Sprache kommt: den Besitzanspruch eines Täters. „Wenn ich dich nicht haben kann, dann töte ich dich.“ Dennoch wirkt das, was Lüdke sagt, zu einem großen Teil verharmlosend.

Hausbesuch beim Tatverdächtigen

Und weil so ein Thema ja gut geklickt wird, brachten die „Ruhr Nachrichten“  noch mehr – auch wenn es eigentlich nicht viel zu berichten gab. Während die Staatsanwaltschaft vergangenen Montag keine neuen Erkenntnisse zum Fall hatte, suchte ein Redakteur das Haus des Verdächtigen auf. Im Teaser des Stücks, das vergangene Woche zeitweise die Klickcharts der Seite anführte, steht wieder eine Frage. „Wer war er?“ Was irreführend ist. Denn im Gegensatz zu seiner Ex-Freundin lebt der Mann ja noch.

Beantworten kann der Text das sowieso nicht wirklich. Deshalb versucht man sich ein paar Dinge zusammenzustückeln. Ah, ein schwarzer Stiefel im Fenster. „Er könnte zu einer Motorradausrüstung gehören“. Was dann ja auch zur Erzählung eines Nachbarn und der Kawasaki auf dem Foto passen könnte, das man bei der Recherche in den sozialen Netzwerken gefunden hat. Warum diese Informationen relevant sind, bleibt unklar.

Ach ja, die Nachbarn. Die wollen nicht fotografiert oder mit Namen genannt werden. Sie kannten den Mann, der da wohnte, eigentlich nicht, heißt es. Aber irgendwie müssen die drei Minuten geschätze Lesezeit des Artikels ja gefüllt werden. Drum steht da: „Was genau der mutmaßlich tatverdächtige Bewohner des Hauses in Deren beruflich gemachte habe, wisse der Nachbar nicht – irgendwas im Elektrik-Bereich.“

Im Text wird auch nochmal wiederholt, dass das Opfer angezündet wurde. Ein Versuch, Spuren zu verwischen. „Doch der war nicht von Erfolg gekrönt.“ Diese Formulierung in diesem Kontext ist aus meiner Sicht nicht nur unglücklich, sondern respektlos.

Wissen Sie, welche Frage ich mir dabei stelle? Wie es sich für Eltern, Familienmitglieder oder Freund:innen dieses Opfers oder Opfer ähnlicher Gewalttaten anfühlt, so etwas zu hören oder zu lesen.


12.7.22: Dass die „Ruhr Nachrichten“ Dr. Christian Lüdke fälschlicherweise als „Kriminal-Psychologen“ bezeichnen, haben wir nachträglich ergänzt.


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1 Kommentare

  1. Verstehe ich das richtig:
    Der dringend Tatverdächtige ist festgenommen, es gibt noch keine Einlassungen seinerseits (soweit bekannt), aber schon die ersten Ferndiagnose?

    Immerhin machen die aus dem Besitz eines Motorrads keine Mitgliedschaft in einer Rockerbande.

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