Podcast-Kritik (83)

„Crypto Island“ schwankt in bester Weise zwischen Faszination und Skepsis

Podcastkritik: „Crypto Island“-Cover, zufriedener Hörer

Begriffen wie Bitcoin, Blockchain oder NFT ist kaum noch zu entkommen. Zwischen den Maximalpositionen aus Heilsversprechen und Fundamentalkritik fehlte bisher eine gute Einordnung der Crypto-Szene: Was treibt die Anhänger nach dem jahrelangen Hype an, was bewegt sie? Der US-Podcast „Crypto Island“ füllt diese Lücke. Er will kein Fach- und Expert*innen-Format sein, sondern Laien einen Einblick ermöglichen in die bisweilen elitäre und exklusive Welt dieser Währungen und ihrer Ableitungen. Er lockt anfangs mit unterhaltsamen Absurditäten rund um die Bitcoin-Bewegung, fasziniert auf Dauer aber mit differenzierten Charakterstudien und Geschichten aus der Szene.

Am besten gelingt das der „Crypto Island“-Episode „Genesis“, eine Reportage von der größten Bitcoin-Konferenz in Miami. Die Episode ist ein Blick in das Hype-Kaleidoskop. PJ Vogt porträtiert die Konferenz als wild gemischtes Subkultur-Treffen, mit verschiedensten Unterströmungen. „This is what it would be like to be around when they invented acid, but it’s money instead“, hält der Host fest. Es sind solche Momente und Beschreibungen, mit denen „Crypto Island“ glänzt.

Ein aufschlussreicher Fiebertraum

Auf der Konferenz versammelt sind die anti-autoritären Bitcoin-Fundamentalisten mit quasi-religiösem Eifer, die dem Milliardär und Libertären Peter Thiel zujubeln. Dann gibt es die eher leidenschaftslosen Opportunisten, die im Bitcoin-System vor allem einen schnellen Weg zu „finanzieller Freiheit“ aka viel Geld sehen. Daneben die Gruppe von Trainern und Coaches, die sich darauf spezialisiert hat, ahnungslose Bitcoin-Anfänger*innen zu beraten – oder über den Tisch zu ziehen. Dazu Prominente wie beispielsweise Tennisspielerin Serena Williams, die für Firmen und Produkte rund um Bitcoin werben. Und die Nerds, die Freaks, die Schaulustigen, die Selbstdarsteller*innen, …

Die Episode über die Bitcoin-Konferenz ist ein anstrengender, aber aufschlussreicher Fiebertraum. (Ganz unabhängig davon, dass ich sie das erste Mal mit coronapositivem Fieber gehört habe). Hier wird hörbar, welche Chancen und Risiken, welche Realitäten und Absurditäten, welche Wirkungen und Nebenwirkungen sich im zunehmenden Bitcoin-Rausch vereinen. Als Publikum erleben wir mit, wie PJ Vogt selbst am Ende der Episode erst überwältigt und dann überfordert wird. Von den vielen Widersprüchen, die Bitcoin und Blockchains in sich vereinen und die sich auf dieser Konferenz manifestieren.

„Crypto Island“ und PJ Vogt schwanken in ihrer Haltung gegenüber dem Berichtsobjekt. Manchmal droht die neugierige Faszination des Reporters beinahe umzukippen in unkritische Begeisterung, dann überwiegt wieder die kritische Distanz. „Crypto Island“ ist kein wütender Rant gegen, aber auch kein glühender Vortrag für Cryptowährungen. Das kann journalistisch unentschieden bis faul wirken, wenn der Host mit den Schultern zuckt und sagt: Ich weiß ja auch nicht, was stimmt.

Die Unentschiedenheit lässt sich aber auch als journalistische Transparenz erleben: Wir hören bei „Crypto Island“ eine laufende Langzeit-Recherche, die sich noch kein abschließendes Urteil gebildet hat. So thematisiert der Podcast in der dritten Folge „The Sceptic“ grundsätzlich auch die eigene Herangehensweise: Welchen journalistischen Bias hat der Host? Welche Menschen und Geschichten tauchen im Podcast aus welchen Gründen auf?

Ein Gespür für das Abstruse

Durch die gnadenlose Neugierde und Offenheit erlaubt sich der Podcasts eine Vielzahl von sehr unterhaltsamen Zugängen. Und den Hörer*innen unterschiedlichste Perspektiven: Der idealistische Programmierer, den der Bitcoin-Wert weitaus weniger interessiert als die identitätsstiftende Zusammenarbeit an einem Crypto-Projekt. Der ehemalige Anhänger, der zum Crypto-Kritiker wurde. Der Versuch von „Constitution DAO“, aus einer losen Vereinigung von spendewilligen Crypto-Geldgeber*innen eine Art handlungsfähige Organisation zu machen, nachdem der gemeinsame Versuch scheiterte, ein Originaldokument der US-Verfassung zu ersteigern. Der Drogenhändler, der mit Cryptowährungen spielt und dabei Ermittlungs- und Steuerbehörden umschifft. Der Promi-Agent, den der NFT-Hype in Hollywood langsam zur Weißglut treibt. Nicht zuletzt der Host PJ Vogt, der sich in einer ihm fremden Welt orientieren will.

PJ Vogt hat ein Gespür für das Abstruse, das Komische, für Persönlichkeiten und gute Anekdoten. „Crypto Island“ ist im Prinzip eine spartanische One-Man-Show (mit einer kleinen Support-Crew), die ohne Schnörkel auskommt. Der Podcast lebt von ausgesprochen empathischen wie unterhaltsamen Interviews, die einen Großteil der Geschichten tragen und meist mit wenig zusätzlicher Erzählspur auskommen. Die Episoden haben keine feste Form und Länge und keine formelhafte Struktur und tragen trotzdem eine gemeinsame Handschrift. Sie leben von der Host- und Reporterpersönlichkeit PJ Vogt.

Erinnerungen an „Reply All“

Das erinnert thematisch wie handwerklich an den Erfolgspodcast „Reply All“, der Geschichte erzählte, die irgendwo an der Schnittstelle zwischen analogem und digitalem Leben spielen. Den hatte PJ Vogt mit aufgebaut und co-moderiert. Bis er ihn im vergangenen Jahr verließ, als „Reply All“ in einer Serie über strukturelle Benachteiligungen und Machtmissbrauch beim Kochmagazin „Bon Appetit“ berichtete. In dieser Zeit wurde bekannt, dass Vogt und andere prominente „Reply All“-Mitarbeiter*innen sich intern gegen die Gewerkschaftsbestrebungen ihrer eigenen Kolleg*innen gestellt hatten. Der Widerspruch zwischen Berichterstattung und eigenem Verhalten führte damals zum Abbruch der Serie – und war der erste Sargnagel für „Reply All“. Nach einem Jahr in neuer Host-Konstellation wurde der Podcast kürzlich vom restlichen Team für beendet erklärt.

„Crypto Island“ wirkt und klingt wie eine bescheidene Storytelling-Produktion aus einer anderen Zeit, von vor dem letzten großen Podcast-Hype: Weniger glattgeschliffen von Konsensprozessen großer Produktionsteams und dem Budget der beauftragenden Labels oder Plattformen. Dafür mit mehr Ecken und Kanten, die je nach Geschmack wohltuend oder störend sind. Anders gesagt: „Crypto Island“ klingt wie „Reply All“ lange vor dem Skandal und bevor dessen Podcast-Label Gimlet von Spotify übernommen wurde.

Solo-Projekt mit ungeklärter Finanzierung

Unklar ist, wie sich „Crypto Island“ und PJ Vogt gerade finanzieren. Der Podcast bietet freiwillige Mitgliedschaften und bezahlte Zusatzinhalte über den Newsletter-Dienst Substack ein. Es wirkt merkwürdig, dass ein Podcast-Star nach sieben Jahren Erfolg beim ersten größeren Konflikt gleich den gesamten Laden verlässt und ein Gemeinschaftsprojekt wegwirft. Um dann im selben Stil, aber im Alleingang, weiter zu publizieren.

Wer „Reply All“ nach dem offiziellen Ende des Podcasts vermisst, bekommt also bei „Crypto Island“ ein kleines Trostpflaster. Der ehemalige „Reply All“-Host PJ Vogt ist hier wieder in seinem Element. Für langjährige Fans gibt es außerdem noch einige subtile Andeutungen rund um das unfreiwillige Aus von PJ Vogt bei „Reply All“ zu entdecken. Hörenswert ist der Podcast auch und gerade für alle, die schon eine feste Meinung zu Crypto-Währungen und Blockchains haben.


Podcast: „Crypto Island“ von PJ Vogt

Episodenlänge: bisher 8 Folgen, zwischen 15 und 60 Minuten

Offizieller Claim: „Crypto Island explores the frontiers of a strange new world“

Inoffizieller Claim: Hype, limitierte Bitcoin-Edition

Wer diesen Podcast hört, mag auch … diesen Talk, in dem Jürgen „Tante“ Geuter auf der re:publica den Blockchain-Hype demontiert; den englischsprachigen Reddit-Podcast „Endless Thread“; die beiden Staffeln von „Wild Wild Web“ vom Bayerischen Rundfunk; „She likes Tech“ vom NDR

2 Kommentare

  1. Bei Blockchains kann man natürlich einfach eine Meinung diskutieren. So, wie der letzte Satz das nahelegt. Das hat dann eine schöne Diskussion mit Stammtischniveau zur Folge. Dagegen ist nichts einzuwenden. Sie wäre halt alles außer faktenbasiert.

    Etwas mehr Fakten hat der folgenden Artikel von heise.de: https://www.heise.de/meinung/Ueber-die-Gefahren-von-Kryptowaehrungen-und-die-Nutzlosigkeit-von-Blockchain-7159501.html

    Er fasst den Sinn und vor allem den Unsinn der Technik Blockchain schön zusammen. Kurz: Blockchain ist aus technologischer Sicht faszinierend, nur existiert bisher keine Anwendung, bei der sie einen großen Vorteil bringen würde, ohne gleichzeit noch größere Nachteile zu erzeugen.

    Speziell Kryptowährungen und NFTs sind sowieso nur Spekulationsobjekte. Den Investoren ist es hier wie dort so egal wie immer, ob sie in eben diese ihr Geld stecken oder in Schweinehälften, Rohöl oder Immobilien. Hauptsache es kommt am Ende viel mehr zurück als reingeflossen ist.

  2. ich wurde mit „reply all“ nie warm bzw. hatte den hype (?) nicht recht verstanden, aber zu crypto island kann ich ALLES hier geschriebene so bestätigen. irre gut, aus diesem „genre“ solche .. stories zu bauen, also so ein thema in so eine form zu bringen, die spannend und korrekt und unterhaltsam etc ist. ist mir zuletzt bei „anthropocene reviewed“ ähnlich passiert, und das ist echt schon eine weile her.

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