Der Autor
Florian Kappelsberger ist Praktikant in der Redaktion von Übermedien. Er hat Geschichte und Soziologie studiert, schreibt unter anderem für die „Süddeutsche Zeitung“, das Stadtmagazin „Mucbook“ und die Wiener Wochenzeitung „Falter“.
Glaubt man den Bildern, die am vergangenen Wochenende auf den Nachrichtenportalen sämtlicher Medienhäuser erschienen, hat Deutschland die erste Hitzewelle des Jahres mit bis zu 38 Grad nicht nur gut überstanden, sondern in vollen Zügen genossen: Saltos im Freibad, fröhliche Kinder im Springbrunnen, Badespaß im Rhein. Ganz entspannt. Also alles super?
Von wegen.
In den Artikeln unter den Bildern geht es um Waldbrände, Evakuierungen, akuten Wassermangel – verursacht durch Extremtemperaturen, die sich infolge des Klimawandels häufen. Also eher ernste Themen. Und da sind vielerorts auch Fotos von verheerenden Bränden oder ausgetrockneten Ufern zu sehen, oder Symbolbilder aus Altenheimen, die auf die Hitze-Risiken für Senior:innen hinweisen sollen. Trotzdem scheint in den meisten Fällen die bildsprachliche Assoziation zwischen Extremtemperaturen und Sommerlaune ungebrochen; die Text-Bild-Schere klafft weit auseinander.
Raphael Thelen, Sprecher des Netzwerks Klimajournalismus, sieht hier ein grundsätzliches Problem in den Redaktionen. Die visuelle Gestaltung eines Textes sei fast immer entkoppelt vom Schreibprozess; während an die Artikel ein hoher journalistischer Anspruch gestellt werde, gelte dieser bei der Bildauswahl nicht immer, sagt Thelen: „Dabei haben Bilder eine unglaubliche Macht darüber, wie Themen wahrgenommen werden.“ Nicht zuletzt sei die Social-Media-Eignung ein gewichtiger Faktor. Fotos von Badespaß und nackter Haut klicken einfach besser als vertrocknete Äcker.
Florian Kappelsberger ist Praktikant in der Redaktion von Übermedien. Er hat Geschichte und Soziologie studiert, schreibt unter anderem für die „Süddeutsche Zeitung“, das Stadtmagazin „Mucbook“ und die Wiener Wochenzeitung „Falter“.
Das ist nicht neu und auch kein speziell deutsches Phänomen. Ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftler:innen hat die Berichterstattung zu den Hitzewellen des Jahres 2019 in französischen, deutschen, niederländischen und britischen Medien ausgewertet. Das Ergebnis ihrer Studie, deren Peer-Review noch aussteht: Bilder von sommerlichen Badespaß dominieren, selbst wenn sie in Widerspruch zum Inhalt des Artikels stehen. Wird auf Gefahren hingewiesen, dann meist mit abstrakten Bildern von Thermometern oder Sonnenstrahlen; Risikogruppen tauchen eher selten auf.
Thelen kritisiert deshalb eine fehlende Sensibilität für die soziale Dimension: Menschen, die sich während einer Hitzewelle ins Freibad oder an den See flüchten können, gehörten zu einer vergleichsweise privilegierten Minderheit; für Bauarbeiter:innen, Landwirt:innen oder Bewohner:innen von Altenheimen sei dies meist keine Option. Die sommerlaunige Bildsprache verzerre demnach die Realität. Extremwetterereignisse erscheinen in einem freundlichen Licht: „Damit wird mehr unsichtbar gemacht als gezeigt.“
Innerhalb des Netzwerks Klimajournalismus sei die Bildsprache ein wichtiges Thema, in den Redaktionen fehlt diese Reflexion laut Thelen aber noch oft. Was verwunderlich ist angesichts der Debatten zu medialer Repräsentation oder klimagerechter Sprache. Tatsächlich räumt NDR-Sprecherin Barbara Jung auf Nachfrage von Übermedien ein:
„Ein Foto zur Trockenheit oder zu den Waldbränden hätte den Inhalt des Artikels zur Hitzewelle am 19. Juni passender transportiert. Wir werden darauf künftig noch besser achten.“
Ursprünglich war in einem Online-Beitrag der „Tagesschau“ mit der Überschrift „… und es könnte noch heißer werden“ ein junger Mann abgebildet, der in ein Schwimmbecken springt. Nach unserer Anfrage wurde das Bild ersetzt: Nun sind dort Steine im ausgetrockneten Elbe-Flussbett zu sehen.
Mareile Mack, stellvertretende Leiterin der „Spiegel“-Bildredaktion, verweist wiederum auf andere Artikel vom Wochenende, die etwa die verheerenden Waldbrände zeigen. Insgesamt sehe sie in der Gewichtung „die drastischen Entwicklungen des Klimas und die entsprechende Berichterstattung als überwiegend“. In ihren Augen gehe es aber „auch darum, Lebensrealitäten abzubilden“, also auch Menschen, die sich bei extremer Hitze in einem Springbrunnen abkühlten – wie in einem Text mit der Überschrift: „Deutscher Wetterdienst warnt vor teils extremer Wetterbelastung“. Hierzu schreibt Mack auf unsere Anfrage:
„Wir sind stets bemüht, die Balance zwischen ‚positiver‘ bzw. ’negativer‘ Bebilderung zu halten und Bild-Text-Scheren zu vermeiden, was uns in diesem Fall nicht besonders gut gelungen ist.“
Eine ähnliche Debatte musste kürzlich auch die französische Tageszeitung „Libération“ führen: Sie hatte im Vorfeld der Hitzewelle ein umfassendes Interview mit der Klimatologin Françoise Vimeux veröffentlicht – begleitet vom Bild eines Mannes, der sich in einem Pariser Park sonnt.
Pourquoi Libé, comme d’autres journaux, illustre encore parfois des articles sur la #canicule avec des photos de bronzette? https://t.co/FyM0ydXPjt
— CheckNews (@CheckNewsfr) June 17, 2022
Die Text-Bild-Schere sorgte nicht nur für Kritik in sozialen Medien, sondern auch für eine lebhafte Diskussion innerhalb der Redaktion. Wie die Bildredaktion verkündete, will das Blatt seine Abläufe fortan neu ausrichten, um die Auswirkungen der Hitzewelle lebensnaher und vielseitiger darzustellen.
Die Konkurrenzzeitung „Le Monde“ geht noch einen Schritt weiter: Nach einem umfassenden Austausch zwischen Redaktion und Bildredaktion wurde dort kürzlich ein informelles Embargo gegen Fotos von Freibädern, Stränden und Eiswaffeln in der Berichterstattung zur Hitzewelle erlassen. Die Art, solche Themen zu illustrieren, soll nun neu gedacht werden; finde sich kein passendes Material, würden Fotograf:innen oder Agenturen beauftragt. So zeigten Artikel der vergangenen Woche unter anderem ausgelaugte Bauarbeiter, brennende Wälder und Stadtbewohner:innen, die Schutz vor der Sonne suchen – ein starker Kontrast zur deutschen Badespaß-Bilderwelt.
All das steht im größeren Kontext der Frage, wie Nachrichten zu Extremwetterereignissen in Zeiten der Klimakrise bebildert werden sollen. So legte der britische Think-Tank Climate Outreach im Jahr 2016 eine Studie zur Wirkung von Bildern in der Klimaberichterstattung vor: Drastische Fotos von rauchenden Fabrikschloten oder Eisbären auf schmelzenden Polarschollen seien unmittelbar verständlich und fesselnd – zugleich lassen sie das Problem weit weg erscheinen und erzeugen womöglich ein Ohnmachtsgefühl.
Stattdessen sollte man authentisch zeigen, wie der Klimawandel das Leben von Einzelnen im Alltag oder auf lokaler Ebene betrifft, um die Leser:innen emotional anzusprechen: Landwirt:innen, deren Existenz durch die anhaltende Trockenheit bedroht ist; Obdachlose, die keinen Ort haben, um sich vor der Hitzewelle zurückzuziehen. Im selben Jahr eröffnete der Think-Tank die Fotodatenbank „Climate Visuals“, die dieses Prinzip umsetzen will. Davon inspiriert, bekannte sich etwa der britische „Guardian“ im Oktober 2019 dazu, die visuelle Gestaltung seiner Klimaberichterstattung neu zu denken.
Letztlich führt all das einmal mehr zum Rollenverständnis von Medienschaffenden: Ist es ihre Aufgabe, die Öffentlichkeit angesichts der Klimakrise zu sensibilisieren und dies auch bei der Auswahl der Bilder mitzudenken? Darf man sich von jetzt an nicht mehr über Gute-Laune-Wetter freuen? Oder muss hier die Grenze zwischen objektiver Berichterstattung und bevormundendem Aktivismus gezogen werden?
Die Antwort von Raphael Thelen, Sprecher des Netzwerks Klimajournalismus, fällt klar aus. Er verweist auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 2021, das den Klimaschutz mit den im Grundgesetz garantierten Freiheitsrechten verknüpft. Damit sei dieser auch Aufgabe von Journalist:innen: „Wir schützen die Lebensgrundlage, wenn wir die Klimakrise bekämpfen – und damit schützen wir auch unsere Demokratie.“
„Wir sind stets bemüht, die Balance zwischen ‚positiver‘ bzw. ’negativer‘ Bebilderung zu halten und Bild-Text-Scheren zu vermeiden, was uns in diesem Fall nicht besonders gut gelungen ist.“
Er war stets bemüht, die Arbeiten zu unserer vollen Zufriedenheit zu erledigen.
Wieviel von dem Problem ist eigentlich der Algorithmus der einem Text wo „Sommer“ oder „Hitze“ vorkommt das Freibadbild automatisch zuordnet? Bei Lokalzeitungsportalen sitzt doch da nicht immer ein Mensch und ueberprueft das vor dem Upload, oder?
@Tobias Zumindest zu meiner Zeit beim KSTA als Praktikant und Freier Mitarbeiter in der Online-Redaktion (2014 bis 2017) wurden die Bilder händisch rausgesucht. Das galt sowohl für den „Main-Desk“ als auch für die Lokalredaktion.
Dort wurden allerdings auch identische Bilder verwendet, wenn es keine Inhalte mit lokalem, sprich „ereignisspezifischen“ Kontext waren.
Ob und falls ja, wie sich das in den letzten Jahren geändert hat – z.B. aufgrund einer Content-Management-System-Umstrukturierung – kann ich allerdings nicht bewerten.
Schwitzende Bauarbeiter im Sommer.
Was es inzwischen nicht alles gibt ……
Ich verstehe die Hälfte des Artikels nicht. Es geht doch darum, dass die Bebilderung genau null komma null zum Inhalt des Artikels passt. Wenn der Artikel also vor den Gefahren von Hitze warnt und der Aufmacher einen Bub im Freibad zeigt, hat der zuständige (Bild-)Redakteur Mist gebaut – das geben die angesprochenen Redaktionen ja auch mehr oder weniger zu. Bin ich blind, oder gibt es hier nix zu diskutieren?
Die Frage, ob man Menschen aber nun warnen oder lieber in Ruhe lassen soll und wie weit man gehen kann bis sie sich überfordert abwenden, ist doch eine ganz andere – die sich zudem nicht nur auf den Klimawandel beziehen lässt.
Diese Frage begleitet sicher viele Artikel, nur muss auch hier die Bebilderung zum Text passen.