Stadionneubau in Oldenburg

Suggestiv statt repräsentativ: Wie man mit einer halbgaren Umfrage Fakten schafft

In Oldenburg sind gerade einige ganz euphorisch, weil der VfB in die 3. Liga aufsteigt. Profifußball! Das Ende des Rumgedümpels irgendwo zwischen Oberliga Niedersachsen-West und Regionalliga! MSV Duisburg und Borussia Dortmund II statt Atlas Delmenhorst und Jeddeloh II!

Erinnerungen werden wach an die große Zeit, als der VfB 1992 fast in die erste Bundesliga aufgestiegen wäre, eine NDR-Doku erzählt davon. Legendär.

Und wenn sie wieder in der Profiklasse spielen, dann brauchen sie auch ein neues Stadion, finden die, die jetzt so euphorisch sind – und nehmen gekonnt einen Ball auf, den der DFB rübergeflankt hat: Der Verband hat einige Kriterien für die Stadien der Profi-Mannschaften festgelegt. In der 3. Liga etwa braucht jedes Stadion eine Rasenheizung und Flutlicht. Das hat das Oldenburger Marschweg-Stadion beides nicht, weshalb eh nachgebessert werden muss.

Ihre Meinung ist gefragt: Ein neues Stadion für Oldenburg? Hier geht es zur Abstimmung
 Screenshot: nwzonline.de

Warum denn nicht gleich ein neues Stadion bauen? So eine richtige Fußball-Arena, ohne Laufbahn, ganz eng und kompakt. Wie früher das Stadion im Stadtteil Donnerschwee, rückwirkend zur „Hölle des Nordens“ verklärt, 1990 allerdings verkauft, um Schulden zu begleichen. Heute steht dort ein Supermarkt. Von den alten Zeiten träumen sie jetzt, allen voran der stets recht einfallslose Oberbürgermeister Jürgen Krogmann von der SPD, und sie alle finden in der lokalen „Nordwest-Zeitung“ (NWZ) eine Art Zentralorgan, das kräftig mitmischt und manipulativ in die Neubau-Debatte eingreift.

Eine Lokalzeitung – an sich müsste sie Fragen stellen und recherchieren, wenn jemand ein Stadion bauen will, denn das kostet ja einiges. Wo soll das Geld herkommen? Zumal der Verein selbst ziemlich klamm ist und die größten Sponsoren ihr Geld den EWE Baskets, der Oldenburger Basketballmannschaft, überweisen.

Eine Machbarkeitsstudie ging 2017 von 30 Millionen Euro aus für ein neues Stadion und Infrastruktur; inzwischen gelten 40 Millionen als realistisch. Egal, der Oberbürgermeister ist für das Stadion, eine breite Koalition aus seiner SPD, CDU, FDP, Linken, Volt und AfD will das. Allein die Grünen sind dagegen, aber vergeblich. Der Stadtrat hat einen Aufstellungsbeschluss gefasst. Das heißt: Es wird jetzt mal losgeplant. Das ist noch keine Entscheidung darüber, dass wirklich gebaut wird, aber eben der erste Schritt.

Meinungsmonopol „Nordwest-Zeitung“

Anstatt aber zu recherchieren, vielleicht auch mal in andere Städte zu blicken, wie die mit ihren Stadien bei Aufstieg des örtlichen Klubs umgegangen sind, hilft die „Nordwest-Zeitung“ kräftig mit, die Dringlichkeit eines Stadion-Neubaus zu verankern. Als würden manche Redakteure nebenbei für eine Baufirma arbeiten oder sich über die künftig ruhigen Spieltage freuen, weil das alte Stadion bei ihnen nebenan steht und das neue woanders hinkommt.

Man darf nicht vergessen: Die Zeitung hat das Meinungsmonopol in der Region, die verkaufte Auflage liegt immer noch bei knapp 100.000 Exemplaren, mit ihren Schwesterblättern wirkt sie weit über die Stadt Oldenburg hinaus. Was da drin steht, hat Gewicht, immer noch. Es ist auch irgendwie richtig, weil: Es hat ja in der Zeitung gestanden.

Da ist zum Beispiel eine seit Wochen deutlich neubaupositive Berichterstattung: Geraune darüber, dass das jetzige Stadion auf einer Müllkippe errichtet wurde. Wer weiß denn schon, welche Altlasten da zum Vorschein kommen, wenn eine Rasenheizung eingebaut werden muss! Ungeprüft übernommene Einwände eines SPD-Politikers, der meinte, wenn das jetzige Stadion Flutlicht bekäme, müsste die nahe Autobahn gesperrt werden. Dagegen nur Gutes über einen Neubau am Standort des früheren Stadions: Das sei viel besser angebunden (was nicht falsch ist), das Stadion solle als „Multifunktionsarena“ auch für andere Veranstaltungen nutzbar sein, außerdem, natürlich, stimmt doch, was der Oberbürgermeister sagt: Oldenburg ist eine Fußballstadt, jetzt müsse ein Signal an den DFB gesendet werden, dass Profifußball hier willkommen sei.

Kleine Kostprobe aus einem Kommentar von NWZ-Lokalredakteur Thomas Husmann vom 21. Mai 2022:

„Der Neubau eines Fußballstadions ist auf den Weg gebracht. Donnerschwee bekommt eine neue ‚Hölle des Nordens‘. Endlich, werden die Fußballfans in der Stadt sagen, die mehr als 30 Jahre auf diese für sie gute Nachricht gewartet haben. Die SPD ist auf einem guten Weg einen Fehler zu korrigieren, den ihre Genossen um 1990 herum gemacht hatten – das zugige Marschwegstadion inmitten eines Wohnviertels neben dem denkmalgeschützten Schlossgarten zur zentralen Sportstätte für die Stadt auszubauen.“

Das ist lustig, weil auch die ursprüngliche „Hölle des Nordens“ mitten in einem Wohngebiet stand, das aber störte niemanden. Im Gegenteil: Das verlieh dem Donnerschweer Stadion erst den Kultstatus. Gegen das jetzige Stadion am Marschweg aber wird genau diese Lage als Argument genutzt.

Zeitung liefert der Politik Argumente

Auf die Spitze trieb es die Zeitung jüngst aber mit einer handgefertigten Umfrage: „Ein neues Stadion für Oldenburg? Sag uns deine Meinung!“ In einer Frage geht es darin tatsächlich um die Alternativen Neubau oder Sanierung. Ansonsten aber lesen sich die Fragen so, als sei es eh schon klar, dass ein neues Stadion gebaut wird („Ist der diskutierte Standort … der richtige für eine Multifunktionsarena?“, „Welche Nutzung wünscht du dir über den Fußball hinaus für eine neue Multifunktionsarena?“)

Umfragen sind im Lokaljournalismus beliebt, sie spiegeln Beteiligung und Lesernähe vor, komplexe Themen werden stark vereinfacht – und am Ende scheint ein klares Ergebnis vorzuliegen: dafür oder dagegen. Die „Nordwest-Zeitung“ hat das Ergebnis dieser Umfrage dann auch am 1. Juni als Aufmacher auf ihrer Titelseite präsentiert: „Große Mehrheit wünscht sich ein neues Stadion“, und in der Unterzeile: „Fast drei Viertel für Neubau“.

„Nordwest-Zeitung“ Titelseite vom 1. Juni: Große Mehrheit wünscht sich ein neues Stadion.
Ausriss: „Nordwest-Zeitung“

NWZ-Lokalredakteur Markus Minten wird in seinem Text noch deutlicher: „Oldenburg braucht ein neues Fußballstadion – das jedenfalls sagt eine überwältigende Mehrheit der Teilnehmer einer Online-Umfrage unserer Redaktion: 71 Prozent sind der Meinung, dass ein Neubau die richtige Lösung ist.“ 69 Prozent seien außerdem dafür, auch dann an den Neubau-Plänen festzuhalten, wenn der VfB nicht aufsteigt.

Das dürfte jetzt in den Köpfen der Menschen in Oldenburg und umzu drin sein. Und wer immer noch Argumente gegen einen Neubau vorbringt – die Kosten, das völlig unklare Konzept, das Geld, das anderswo fehlt, der Beitrag von Neubauten zum Energieverbrauch in Zeiten des Klimawandels, worauf die Grünen hinweisen –, wird sich dieses überwältigend klare Umfrageergebnis vorhalten lassen müssen. Stand doch in der Zeitung: Große Mehrheit für ein neues Stadion. Politiker, die sowieso schon dafür sind, werden sich nun erst recht nicht mehr von der Idee abbringen lassen. Sie erfüllen ja den Wunsch der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Gelebte Demokratie.

Manipulation kinderleicht

Und, ja, es kann natürlich wirklich so sein, dass es diese Mehrheit gibt. Allerdings sagt die NWZ-Umfrage tatsächlich gar nichts darüber aus. Jeder Mensch hätte mehrfach abstimmen können, denn es gibt bei dieser Umfrage keinerlei Einschränkung, nicht einmal über ein Cookie, das weitere Abstimmungen unmöglich macht (was man allerdings auch ganz einfach außer Kraft setzen könnte). Kinderleicht also, die Umfrage zu manipulieren.

Und die VfB-Fans haben das auch direkt mitbekommen, so schreibt ein „neo“, der sich „VfB-Megafan“ nennt, im bei VfBern beliebten „oldenburg-forum“: „… sollten wir auf jeden Fall dafür sorgen, dass hier ein deutlich befürwortendes Stimmungsbild herauskommt. Wer weiß wozu das nochmal hilfreich ist …“

„OLburger“, ebenfalls ein „Megafan“, ergänzt: „Bis dahin den Link der Umfrage mit allen Befürwortern teilen! Ich finde das relativ wichtig, wenn es in der NWZ heißt: Mehrheit FÜR Stadionneubau!“

Eine solche Umfrage erfüllt keinerlei demoskopische Kriterien, Repräsentativität wird völlig außer Acht gelassen, manche Fragen wirken suggestiv. Meinungsbildung? Viel eher Meinungsmache.

Angesprochen auf die demoskopischen Mängel, die fehlende Repräsentativität und die Möglichkeit, das Umfrageergebnis durch Mehrfachabstimmungen zu manipulieren, schreibt Lasse Deppe von der NWZ-Chefredaktion das: „Die angesprochene Umfrage bildet ein Stimmungsbild zum Stadionneubau ab. Anspruch auf Repräsentativität haben wir nicht erhoben. Sie ist Teil unserer umfassenden Berichterstattung zu diesem Thema.“

Ein Stimmungsbild nur? Dafür wird das Ergebnis dieser fragwürdigen Umfrage auf der Seite Eins der Nordwest-Zeitung aber mit ziemlich großer Wucht verkündet.

2018 hat sich der Deutsche Presserat mit Online-Abstimmungen in Medien befasst. Ein Leser des „Münchner Merkur“ hatte sich über eine Abstimmung in der Zeitung beschwert, bei der er ohne Probleme mehrfach abstimmen und das Ergebnis manipulieren konnte. Seinerzeit beschäftigte sich das Gremium erstmals mit der Thematik und sah eine Verletzung „der im Pressekodex definierten journalistischen Sorgfaltspflicht“ und verwies auf Richtlinie 2.1 des Pressekodex. Demnach sollen bei der Veröffentlichung von Umfrageergebnissen die Zahl der Befragten, der Zeitpunkt der Befragung, der Auftraggeber sowie die Fragestellung mitgeteilt werden, außerdem müsse angegeben werden, ob die Ergebnisse repräsentativ sind.

In Oldenburg haben die Fußballer jetzt den Aufstieg klar gemacht – und anschließend machen die Politiker den Stadion-Neubau klar. Stand ja in der Zeitung, dass die Mehrheit dafür riesig ist.

Nachtrag, 5. Februar 2023. Der Presserat sieht in der Berichterstattung der „Nordwest-Zeitung“ einen „deutlichen Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht“ (Ziffer 2 des Pressekodex):

„Die Presse muss bei der Veröffentlichung von Umfrageergebnissen mitteilen, ob die Ergebnisse repräsentativ sind. Ein solcher Hinweis findet sich in der hier behandelten Berichterstattung nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass die Umfrage nicht nur nicht repräsentativ, sondern auch manipulierbar war. Die Berichterstattung nimmt auf die Umfrageergebnisse auf eine Weise Bezug, bei der die Leserschaft zu dem irreführenden Eindruck gelangen muss, dass die Umfrageergebnisse ein realistisches Bild der Stimmungslage in der Bevölkerung wiedergeben.“

Ein Mitglied der Chefredaktion der Zeitung hatte gegenüber dem Presserat erklärt, die kritisierte Umfrage bilde ein Stimmungsbild ab. Einen Anspruch auf Repräsentativität habe man nicht erhoben. Der Begriff „Mehrheit“ beziehe sich eindeutig nicht auf alle Bewohner der Stadt, sondern auf die Umfrage-Teilnehmer.

Der Beschwerdeausschuss des Presserates sprach eine Missbilligung aus.

3 Kommentare

  1. Ich finde, Fußball und Regierung sollten wieder getrennt werden. Ist bei anderen Religionen ja auch der Fall – zumindest auf dem Papier.

  2. Endlich wird die Monopol-Meinungsmache der NWZ mal thematisiert. Geht mir als Oldenburger schon lange auf den Keks. Das Marschweg-Stadion mit seiner Tartanbahn ist natürlich grausam. Aber nur wegen eines Aufstiegs in die dritte Liga 40 Millionen für einen Stadionneubau zu fordern, ist absurd.

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