Von „Der talentierte Mr. Vossen“ aus dem Jahr 2016 bis hin zu „Suisse Secrets“ 2022: Ist eine große Recherche vollendet, dann verlangt das auch nach einem Podcast. Die Paarung aus Recherchen und Podcast-Dossier ist inzwischen beliebt bei Zeitungen wie der „Süddeutschen Zeitung“ genauso wie bei öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten wie dem NDR.
Die Kolumne
Podcasts haben es verdient, so ernsthaft wie andere Medien besprochen, gelobt und kritisiert zu werden. Alle zwei Wochen machen das Annik Rubens und Sandro Schroeder für uns hier: in der Podcast-Kritik.
Sandro Schroeder ist durch Podcasts überhaupt erst schleichend zum Fan des Mediums Audio geworden. Er berichtet seit 2016 regelmäßig über Podcasts, schreibt den Podcast-Newsletter „Hören/Sagen“ und spricht im Podcast „Ohrensessel“ über – na klar – Podcasts. Nach seinem Journalistik-Studium arbeitete er als freier Journalist in Leipzig, unter anderem für das Onlineradio detektor.fm. Er absolvierte sein Volontariat beim Deutschlandradio, wo er anschließend drei Jahre lang in der Abteilung Multimedia arbeitete, zuständig für Podcasts und Audio-Drittplattformen. Heute arbeitet er in Berlin als freier Journalist.
Leider wirken einige dieser Podcasts oft wie das Beiboot, das nach Fertigstellung der Recherche oder kurz vor ihrer Veröffentlichung noch hastig zusammengenagelt wurde. Weil Podcasts heutzutage zur Launch-Inszenierung dazugehören. Dann werden lange Texte und Fernsehdokumentationen nochmal schnell als Audiospur nacherzählt. Zack, fertig, Podcast zur Recherche.
Storytelling auf zwei Ebenen
„Die Jagd. Die geheimen Chats der AfD-Bundestagsfraktion“ von NDR und WDR unterscheidet sich davon hörbar. Das fängt schon beim Format an. Hier wird nicht die bereits veröffentlichte Recherche in einem Laberpodcast nochmal im Gespräch durchgekaut, sondern die Serie versucht sich an einem Storytelling auf zwei Ebenen: die journalistische Geschichte der Recherche und die politische Geschichte des AfD-Einzugs in den Bundestag zu erzählen, ineinander verwoben.
Im Podcast folgen wir den Reporter*innen Katja Riedel und Sebastian Pittelkow, die seit Jahren über die AfD berichten. Sie haben das Chat-Archiv der „Quasselgruppe“ zugespielt bekommen, den Whatsapp-Chat der ersten AfD-Bundestagsfraktion. Mit dem Co-Autoren Christian Basl haben sie 40.000 Nachrichten ausgewertet. Sie ordnen die Chats von siebzig AfD-Abgeordneten in die Dreh- und Wendepunkte der AfD-Geschichte ein, porträtieren die Menschen hinter den Nachrichten und sprechen mit ihnen.
Besonders in den ersten Episoden setzt „Die Jagd“ auf eine Art dialogisches Erzählen zwischen Katja Riedel und Sebastian Pittelkow. Die Podcast-Hosts treiben abwechselnd die Geschichte voran, erzählen nicht nur abwechselnd ein paar Sätze, sondern gehen auch aufeinander ein. Im Prinzip kann so eine Gesprächsdynamik entstehen, die spannender und abwechslungsreicher ist, als wenn eine Person allein im Studio reden würde. Der US-Podcast „Radiolab“ wird mit seinen schnell geschnittenen Dialogen oft als Vorbild für diese Herangehensweise genannt.
Die Methode ist nicht nur ein bei Storytelling-Podcasts beliebtes Werkzeug, um die Persönlichkeit der Hosts anklingen zu lassen. Sie kann auch Einordnungen, Kommentare, Haltungen, Unsicherheiten und Differenzierungen in die Erzählung einweben. Dieser Erzähldialog kann also gleichzeitig der Unterhaltung und der journalistischen Transparenz dienen. Auf dem Papier ist es also keine schlechte Idee, woran „Die Jagd“ sich hier erzählerisch versucht. Das erinnert an die vielgelobte Serie „Der Anhalter“ von 2016, die ebenfalls vom WDR produziert wurde.
Pseudo-spontane Reaktionen
Nur: Bei der „Jagd“ gelingt das oft nicht. Es entsteht keine echte Gesprächsdynamik zwischen den Hosts. Die Dialoge und Reaktionen wirken hölzern und einstudiert, obwohl sie möglicherweise mal authentisch waren – zumindest, als sie ursprünglich mal in das Manuskript geschrieben wurden. Vor dem Mikrofon wirkt es dann leider mitunter wie schlimmes Laientheater.
In der ersten Folge erinnern sich die Hosts an den Wahlabend 2017, als die AfD in den Bundestag einzog – mit damals überraschenden 12,6 Prozent. Pseudo-spontane Reaktionen wie „Stiiiiimmt!“ und Anekdoten wie „Wir hatten sogar eine Wahlwette im Büro abgeschlossen und ich lag deutlich drunter!“ klingen in der Rückschau doppelt unglaubwürdig, weder für den Moment der Aufnahme noch für die Rolle und das Vorwissen der Hosts.
Solche Momente und Stimmungen glaubhaft in der Podcast-Produktion aufnehmen zu können, erfordert entweder ein gewisses schauspielerisches Talent, um Gefühl und Klang von spontanen Ideen und Zurufen später im Studio nochmal abrufen zu können. Oder – so macht es „Radiolab“ beispielsweise – sehr viel mehr spontane Aufnahmen der Reporter*innen. Schon während der Recherche, um die ersten spontanen Reaktionen sofort vor dem Mikrofon aufzunehmen und dann später in ein Manuskript zu schreiben – statt andersherum.
Eine überraschend musikalische Collage
Im späteren Verlauf von „Die Jagd“ übernimmt Host Katja Riedel zunehmend allein die Rolle der journalistischen Erzählerin. Auf weiten Strecken wirken die Erzähltexte angenehm natürlich erzählt, sind oft szenisch stark und virtuos mit Tönen aus Archiven und Interviews ergänzt. Die mitunter direkte Ansprache der Hörer*innen mit „Du“ ist mutig, aber erfrischend. Dass die Serie auch als halbstündiges Feature im Radio läuft, fällt beim Podcast-Hören zum Glück nicht weiter auf.
Fernab der Stilkritik an den Hosts ist es eine der Herausforderungen des Podcasts, insbesondere in den ersten Folgen: Momente zu reproduzieren, die teils mehrere Jahre alt sind. Stimmungen und Kontexte abzubilden, die damals noch vergleichsweise neu waren. „Wir werden Sie jagen“ von Gauland, die ersten Tabu- und Traditionsbrüche der AfD im Bundestag, die gewollten wie die ungewollten; der thematische Schwenk von Euro zu Migration und später Corona. „Die Jagd“ vollzieht nach, wie sich die AfD personell wie thematisch ständig häutet.
Ausgesprochen gut gelungen ist die audiophile Umsetzung der schriftlichen Nachrichten aus der Chatgruppe. Sprecher*innen lesen die Nachrichten im Originalwortlaut vor. Zusammen mit dem Sound Design entsteht dann – so absurd es klingen mag – eine überraschend musikalische Collage aus Smartphone-Tönen und Handystörgeräuschen, dazu die obskure Mischung aus teils extrem rechten, teils extrem belanglosen Nachrichten im Chat. Über die fünf Folgen hinweg wird das gekonnt inszenierte Originalmaterial zum Markenzeichen des Podcasts.
Besser als im Fernsehen
Hier zeigt sich nicht nur die Radiofeature-Erfahrung der Sender, sondern auch die Stärke von Audio: Durch die Konzentration aufs Wesentliche gelingt es dem Podcast weitaus besser als der dazugehörigen ARD-Fernsehdokumentation, den teils radikalen Sound in der Chatgruppe als internen Kanal der Partei einzufangen. Die TV-Version entschied sich für die Bildebene, einen künstlichen Meeting-Raum zu animieren, in dem die Chats eingeblendet werden – inklusive Bilderserien der Schreibenden aus dem Bundestag. Diese zusätzliche Ebenen nehmen den Sprachnachrichten die direkte Wirkung, die sie im Podcast haben.
Leider ist im Podcast klanglich nicht alles so gut gelungen wie die Chatnachrichten-Collage: Musikalisch dröhnt, wummert und scheppert ein Orchester aus Bässen, Streichern und Bläsern. Durch alle Folgen und ab der ersten Minute. „House of Cards“ trifft „Dark“, nicht gerade subtil. Die sehr dominante Musik eröffnet somit unnötigerweise schon eine Kommentarspur, bevor die Chatgruppe überhaupt thematisiert wird.
Solche Überbetonungen hätte die Serie gar nicht nötig gehabt. Der Podcast kann sich auf die journalistische Erfahrung seiner Hosts im Umgang mit der AfD verlassen. Obwohl er sich auf das Innenleben der Partei konzentriert, verlieren die Macher*innen nie die bundespolitische und gesellschaftliche Perspektive aus den Augen.
Transparenter Politikjournalismus
Die Podcast-Serie ist außerdem ein gutes Beispiel dafür, dass eine journalistische Haltung in der Politikberichterstattung nicht zwingend Hyper-Neutralität sein muss. Tabubrüche, Grenzüberschreitungen, die rassistischen und beleidigenden Aussagen werden klar als solche benannt. Ohne sich beispielsweise hinter der Floskel zu verstecken: „Kritiker*innen sehen das als …“.
Das Podcast-Team zeigt und erklärt, wie es journalistisch arbeitet. Beispielsweise, dass Hintergrundgespräche im Politikjournalismus dazugehören und wo es die Grenzen zwischen notwendiger Nähe und journalistischer Distanz zieht. „Die Jagd“ ist ein gutes Beispiel für einen transparenteren Politikjournalismus. Aber auch für einen Umgang mit der AfD, der die rechtsradikale Partei nicht normalisiert, aber journalistisch fair behandelt.
Der Podcast zeigt gekonnt die teils extremen Widersprüche zwischen der Außendarstellung und dem Innenleben der AfD. Der Serie gelingt es, den Leak aus der „Quasselgruppe“ nicht übermäßig zu sensationalisieren. Die Journalist*innen stellen sich nicht im Mittelpunkt. Hier wird Investigativjournalismus nicht zum Selbstzweck inszeniert. Stattdessen bleibt die eigentliche Sache, die Politik der AfD, stets im Vordergrund. Auch das Hauen und Stechen in Chatgruppe wie Partei wird hier nie zum Politik-Spektakel, sondern differenziert als Phänomen in die AfD-Geschichte eingebettet. Die Serie ist damit auch die Dokumentation einer Partei, die politisch das Laufen lernt.
Durch den ausführlichen Blick zurück wirft „Die Jagd“ auch alte Fragen wieder neu auf: Wie sehr hat die AfD den Ton in der deutschen Politik verändert? Wie sehr haben wir uns an ihre Tabubrüche gewöhnt? Und: Wie sehr wurde in den letzten Jahren eine teilweise rechtsextreme Partei im Bundestag und in der Berichterstattung normalisiert?
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