Der Autor
Frederik von Castell ist Redaktionsleiter von Übermedien. Als Datenjournalist und Faktenchecker war er unter anderem für HR, SWR und dpa tätig. Von Castell ist außerdem Recherchetrainer, unter anderem am Journalistischen Seminar Mainz.
„They factcheck really absolutely everything“
Johannes Boie, „Bild“-Chefredakteur, 26. April 2022, über die „Bild“-Kriegsberichterstattung
Um 22:58 Uhr am Dienstagabend tauchte bei „Bild“ online eine Schlagzeile auf: „Bild hat das exklusive Foto – Hier fängt unsere Luftwaffe den Russen-Flieger ab“. Das Foto verspricht sensationelles:
Im Artikel (hier archiviert) heißt es:
Deutsche Eurofighter – bewaffnet mit Luft-Luft-Raketen – drängen einen Russen-Flieger ab. BILD liegt jetzt exklusiv ein Foto dieser Abfang-Aktion vor – aufgenommen aus einem der Eurofighter.
Wie kommt die „Bild“ nur an so krasses, aktuelles und exklusives Material? Fotoquelle: „Privat.“ Beeindruckend – wenn es denn stimmte.
Eine simple, kurze Bilderrückwärtssuche, die ich den „really absolutely everything“-Factcheckern bei Axel Springer beim nächsten Verwenden von „exklusivem“ Material ans Herz legen möchte, zeigt nämlich: Das Foto ist alles andere als aktuell.
So findet sich schnell etwa ein Artikel beim österreichischen Magazin „Militär aktuell“ aus dem Jahr 2019, in dem es ebenfalls verwendet wird. Vielleicht ein Fehler, eine falsche Datierung auf deren Seite? Mitnichten. Der Artikel und das Foto wurden bereits 2020 in einem Internet-Archiv gesichert. Dort findet man sogar noch ältere Belege für die Verwendung des Fotos bei „ainonline.com“ – aus dem Jahr 2018.
Nachdem ich die „Bild“ angetwittert und mal gefragt habe, wie sicher sie sich ihrer Sache denn seien, tut sich was bei den „Factcheckern“ der „Bild“. Der Artikel verschwindet von der Startseite und wird nach und nach angepasst.
https://t.co/0MnBAcT3IU
BILD hat eine Headline geändert.Am Himmel vor Rügen – Luftwaffe fängt Russen-Flieger ab
Alle Änderungen auf https://t.co/MtlQhwpFtz pic.twitter.com/9mPoFFrEku
— Gnutiez (@gnutiez) May 3, 2022
Schließlich verschwindet auch das „exklusive Foto“:
Dafür taucht eine kleine Korrektur am Ende des eben noch sehr aufgeblasenen, nun eher versteckten Artikels auf:
Dieser Artikel war mit einem Bild aus einer offiziellen Quelle bebildert, das auch von der Luftwaffe auf ihrem Twitter-Account verwendet wurde, sich aber nachträglich als veraltet herausgestellt hat. Wir haben es deshalb aus dem Artikel gelöscht.
Vorhin war das Foto bei @Bild noch „privat“ und „exklusiv“. Nun, da es sich als alt entpuppt hat, stammt es plötzlich „aus einer offiziellen Quelle“. pic.twitter.com/pqDchlLU2S
— Stefan Niggemeier (@niggi) May 3, 2022
Tatsächlich hatte die Luftwaffe das von „Bild“ als exklusiv gekennzeichnete Foto am Nachmittag auf Twitter verbreitet – in irreführender Weise, weil sie es nicht als Symbol- oder Archivbild kennzeichnete, aber auch ohne es ausdrücklich als aktuell zu bezeichnen.
Wie die „Bild“ siebeneinhalb Stunden später, offenbar ohne jede Überprüfung und mit dem beachtlichen Gedankensprung von „die Luftwaffe hat das getwittert“ zu „wir haben das exklusiv“ kam? „Bild“ versprach noch am Abend, etwas zu prüfen:
Danke für den Hinweis. Wir haben das Bild aus einer offiziellen Quelle erhalten. Die Luftwaffe selbst bebildert damit in einem Tweet den Zwischenfall. Wir haben es nun umgehend gelöscht; einen Transparenzhinweis ergänzt. Und prüfen, wie es zu dem Fehler kommen konnte.
— BILD (@BILD) May 3, 2022
In der Axel-Springer-Veranstaltung, in der Johannes Boie sagte, dass man wirklich alles gegenrecherchiere, nannte Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner die Berichterstattung von „Bild“ den „Gold-Standard der Kriegsberichterstattung“.
Frederik von Castell ist Redaktionsleiter von Übermedien. Als Datenjournalist und Faktenchecker war er unter anderem für HR, SWR und dpa tätig. Von Castell ist außerdem Recherchetrainer, unter anderem am Journalistischen Seminar Mainz.
Die Bildzeitung lügt für Aufmerksamkeit? Ich bin entsetzt!
Ich bin inzwischen schon froh, dass die das nicht mit Modellflugzeugen gestellt haben.
Ente gut, alles gut.