Werbeeinnahmen durch Nutzertracking

Den Verlagen fehlen die Strategien für das „Post-Cookie-Zeitalter“

Gute Nachricht für Online-Medien: Die Werbe-Apokalypse ist verschoben. Zumindest vorerst. Kurz vor dem Ablauf der Frist der belgischen Datenschutzbehörde hat die IAB Europe, der Dachverband der europäischen Onlinewerbebranche, Anfang April einen Behelfsplan eingereicht, mit dem die Datenschutzmängel bei dem „Transparency and Consent Framework“ (kurz: TCF) behoben werden sollten. 

Das TCF ist eine zentrale Schnittstelle, also ein Industriestandard, hinter fast allen Cookie-Bannern, die erscheinen, wenn man als Nutzer eine Nachrichtenseite öffnet. Das TCF wird zur Abwicklung der personalisierten Werbung benötigt. Würde das System zusammenbrechen oder rechtlich nicht mehr erlaubt sein, blieben viele Werbeplätze leer, die Einnahmen eines Großteils des Online-Journalismus gingen in den Keller. Es geht um Milliardenbeträge: Mehr als zwei Drittel der Online-Werbeerlöse in Deutschland stammen aus dieser Werbeform. 

Doch der Kollaps des cookie-basierten Werbesystems ist allenfalls verschoben, nicht abgewendet. Ob der Behelfsplan mehr als ein paar Monate oder nur ein paar Wochen hält, ist ungewiss – die IAB Europe hat gegen den Bescheid der Datenschützer geklagt. Zudem läuft derzeit eine Reihe von Verfahren gegen das System der personalisierten Werbung. Dabei ist das System für viele Medien scheinbar unverzichtbar geworden. 

Tricks und Tracking

Die für alle sichtbaren Folgen haben wir bereits vor zwei Jahren dokumentiert: Mit einer Reihe von Tricks ringen auch deutsche Verlage ihren Lesern die Zustimmung ab, sich quer durch das Internet tracken zu lassen, geben Daten im Zweifel an Hunderte Unternehmen weiter. Die Lage ist nicht besser geworden. Insbesondere seit Apple dem Werbetracking den Krieg erklärt hat, hat sich ein guter Teil der Werbeindustrie darauf spezialisiert, die eigenen Methoden noch unübersichtlicher zu machen.

Ein verbreiteter Trick: Statt Cookies von den Werbe-Servern direkt ausspielen zu lassen, werden die Werbekennungen direkt von den Servern der Verlage ausgespielt. Ein anderer: Unbemerkt vom Leser wird der Browser von einer redaktionellen Webseite direkt auf die Webseite eines Werbedienstleisters umgeleitet. Somit wird aus dem „Third Party Cookie“ ein vermeintlich harmloser „First Party Cookie“, den die Browser akzeptieren.

Eine weitere Methode ist es, die Werbekennungen nicht mehr in Form eines Cookies abzulegen, sondern andere Browser-Speicher zu verwenden. Natürlich lösen solche Kniffe allenfalls ein Katz-und-Maus-Spiel aus, bei dem Apple, Firefox und schließlich auch Google immer neue Tracking-Sperren in ihre Browser integrieren – nicht zuletzt, weil die vielen Umleitungen Browser ausbremsen und Nutzer frustrieren.

Aber: Dieses Wettrüsten der Adtech-Branche ist nicht mit den Prinzipien der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu vereinbaren. Die sieht nämlich vor, dass Endnutzer bei bestimmten Datenverarbeitungen informiert zustimmen müssen, wenn es keine anderen Rechtfertigungsgründe gibt. Dazu gehört insbesondere die Datenverarbeitung zu Werbezwecken. Vergeblich hatte sich die Verlagsbranche darum bemüht, die Werbefinanzierung von Medien als einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund zu etablieren. Trotzdem operieren viele Angebote, als ob sie dieses rechtliche Privileg hätten – und kommen damit bis heute durch. 

Patentrezept: Abwarten

Das Verfahren in Brüssel zeigt: Sechs Jahre nachdem die DSGVO in Kraft getreten ist, könnte das bald nicht mehr geduldet werden. Den Anstoß zum Brüsseler Verfahren hatten nicht etwa die offiziellen Datenschützer gegeben, sondern eine Beschwerde von Bürgerrechtsorganisationen um den irischen Aktivisten Johnny Ryan, der seit Jahren gegen die Werbedatenindustrie zu Felde zieht. 

Inzwischen haben die deutschen Datenschutzbehörden ihre Empfehlungen überarbeitet und machen Website-Betreiber darauf aufmerksam, dass sie keinesfalls auf der sicheren Seite sind, wenn sie den verbreiteten Industriestandard weiternutzen wollen. Das bedeutet nicht, dass amtliche Zwangsmaßnahmen unmittelbar bevorstehen. Werbekunden, Werbeagenturen und Verlage verhalten sich deshalb abwartend und schieben die Verantwortung weitgehend an den Branchenverband IAB Europe ab.

Bisher war diese Strategie bemerkenswert erfolgreich. Fast zwei Jahrzehnte hatte die deutsche Bundesregierung die europäischen Vorgaben zu Cookies nicht umgesetzt – bis der Bundesgerichtshof dem Treiben ein Ende setzte. Auch die deutschen Datenschutzbehörden scheuen bisher eine Auseinandersetzung mit den Verlagen, die schließlich nur das letzte Glied in einer Kette sind, die von internationalen Datenverarbeitungskonzernen geschmiedet wurde. 

Gesetzliche Hintertür in den Browser

Ein letzter Coup war wohl ein Fehlschlag: So hatten Bundestagsabgeordnete eine vermeintliche Hintertür in das neue Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz (TTDSG) geschrieben, die es insbesondere Verlagen erlauben sollte, weiter unbeschränkt Daten zu übermitteln – sogar ohne lästige Cookie-Banner. Es geht um die sogenannten PIMS-Dienste (Personal Information Management-System). 

Die Hoffnung: Diese PIMS-Dienste könnten treuhänderisch die Daten für die Nutzer verwalten und so das jetzige Werbegeschäft ohne jegliche Reform retten. Das sollte so funktionieren: Der Nutzer würde bei einem solchen Dienst einmalig seine Zustimmung geben, der Dienst würde dann stellvertretend für den Nutzer agieren. Also kein Aufploppen von Cookie-Bannern mehr, kein Zustimmen zu oder Ablehnen von Verarbeitungszwecken für jede einzelne Seite, die man besucht. Gleichzeitig sollte Browser-Herstellern wie Apple und Google verboten werden, Cookies zu blockieren, wenn die Nutzer dies nicht ausdrücklich gewünscht hätten. Wie ein solches System jedoch konkret aussehen sollte – etwa als Einlog-Dienst oder als Browser-Plugin – konnte vorher niemand beantworten. Die Bundesregierung soll die Details per Verordnung nachliefern. 

Ein Forschungsgutachten macht die Wunschvorstellungen weitgehend zunichte: Die Anforderungen der europäischen DSGVO an die Zustimmung der Nutzer sind zu hoch. Zudem müsste sich ein solcher PIMS-Dienst bereiterklären, Verantwortung für die Datentransfers zu übernehmen. Angesichts des schlichtweg unüberschaubaren Datenhandels wäre dies eine Mission mit unkalkulierbarem Risiko. Und das will derzeit niemand eingehen. Das TCF war eigens dafür entworfen worden, Verantwortung so lange zu verteilen, bis keine wirkungsvolle Kontrolle möglich ist. Wenn niemand nachvollziehen kann, welche Daten wohin genau gelangt sind, kann auch niemand zur Verantwortung gezogen werden. 

Dieser Status Quo bröckelt aber immer weiter. So klagen nicht nur Datenschutzaktivisten, sondern auch der Bundesverband der Verbraucherzentrale gegen Cookie-Banner und das System, das sie repräsentieren. Auf Branchenkonferenzen herrscht oberflächliche Einigkeit: Das „Post-Cookie-Zeitalter“ wir als gegeben hingenommen.

Entweder Werbung oder Abo

Es gibt einige mutmachende Entwicklungen. Zum Beispiel hat die IAB Europe eine sogenannte Content Taxonomy, so etwas wie ein Wörterbuch für Werbeumfelder, veröffentlicht. Dies soll es ermöglichen, Werbung aufgrund der Inhalte einer Website auszuspielen, statt aufgrund der Persönlichkeitsprofile überwachter Nutzer. Also ganz klassisch: auf der Seite eines Reisemagazins wird Urlaubswerbung geschalten. 

Die NetID-Stiftung, die einen von den großen IT-Konzernen unabhängigen Login-Dienst anbietet, hat nach Jahren der Stagnation inzwischen neue Medien zur Zusammenarbeit gewonnen, zum Beispiel die Angebote des Axel-Springer-Verlags. Nutzer verwenden hierbei einen Login für die sich beteiligenden Seiten. Auch Contentpass, ein Anbieter, der für zwei Euro pro Monat trackingsfreies Lesen anbietet, konnte die Zahl der teilnehmenden Medien verdoppeln. Allerdings finden sich in der Liste großteils nur Nischenangebote, z.B. die Seite von „Falk Autoatlas“ oder der Zeitschrift „Ökotest“. Ein lohnender Einnahmestrom sind solche „Pur-Abos“, die zum Beispiel auch „Der Spiegel“ und „Bild‟ anbieten, noch lange nicht. 

Diese zarten Anfänge reichen aber nicht, das verkorkste Werbesystem wieder in Einklang mit den Datenschutzgesetzen zu bringen. Sowohl Verleger als auch Werbekunden bauen darauf, dass die Werbewirtschaft schon ein neues System bereitstellen wird, das das milliardenschwere Geschäft ohne harte Einschnitte retten soll. Gleichzeitig versuchen die Verlegerverbände über Wettbewerbsbeschwerden jede Reform zu verhindern. Sie gehen sowohl gegen Apples Anti-Tracking-Politik vor, als auch die Pläne Googles, das Werbegeschäft auf neue Füße zu stellen. 

Obwohl der Suchmaschinen-Konzern den Verlagen eine deutlich größere Macht geben will, ihre eigenen Leserdaten zu monetarisieren, misstrauen diese den Versprechungen aus den USA. Ein Blick in die Klage, die in Texas gegen den Online-Konzern eingereicht wurde, zeigt den Grund. So soll Google immer wieder versucht haben, die Verlage im undurchdringlichen Dickicht des Werbegeschäfts zu übervorteilen. Selbst wenn sich die Vorwürfe nicht bestätigen sollten, prägen sie das Bild, das viele Verleger von Google haben. 

Allerdings fehlt den Verlagen selbst eine Vision, wie es weitergehen soll. Im vergangenen Jahr hatte BDZV-Chef Mathias Döpfner einen offenen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geschickt, indem er praktisch ein Datenverarbeitungsverbot für die Konzerne des Silicon Valley forderte, für sich aber selbst eine totale Freigabe der Monetarisierung wünschte. Schutz von Leserdaten? Fehlanzeige. 

Magische Lösungen?

Diese Appelle haben nur zum Teil Erfolg. Zwar zeigen sich Gesetzgeber bereit, die Macht von Google, Apple und Co. drastisch einzuschränken, aber wer an ihrer Stelle die Werbeauslieferung organisieren soll, ist unklar. In diese Lücke stoßen immer neue Anbieter, die von sich behaupten, die Quadratur des Kreises gefunden zu haben: Rechtssicherheit und Zugang zu einem unerschöpflichen Pool von Daten. 

Insbesondere die Idee des „Data Cleanrooms“ weckt große Hoffnungen. Damit könnten Dienstleister verschiedene Datenbestände abgleichen ohne persönliche Daten an die jeweils andere Seite weiterzugeben. Ein Versandhändler könnte also erfahren, dass er es mit einem Katzenhalter zu tun hat, er bekäme aber zu wenige Informationen, um diesem ein genaues Kundenprofil zuzuweisen. 

Doch wenn man betrachtet, woher diese Datenbestände eigentlich stammen sollen, schwindet die Hoffnung auf eine nutzerfreundliche und gesetzeskonfrome Lösung gleich wieder. Zum Beispiel sollen Leser bei der von dem Technologieunternehmen „The Trade Desk“ geförderten Lösung „Unified ID“ gezwungen werden, sich auf jeder Webseite mit einer eindeutigen Kennung einzuloggen und gleichzeitig alle Werbenutzungen freigeben. Die Begründung: Schließlich gehe es um das offene Internet und die Kunden würden den Tausch Privatsphäre gegen kostenlose Dienste schon verstehen. 

Mit denen ist es allerdings nicht mehr allzu weit her. Gerade in Deutschland werden die Paywalls der Nachrichtenangebote immer höher, immer mehr Inhalte sind zahlender Leserschaft vorbehalten: Exklusiv-Interviews, Analysen, Reportagen. Die Verlage versuchen auch, ihre Werbeeinnahmen zu diversifizieren. So schrecken auch große Medien nicht mehr davor zurück, ihre Rezensionen über Produkte durch Provisionen von Amazon und anderen Plattformen zu finanzieren. 

Die personalisierte Werbung bot für Redaktionen einen an sich paradiesischen Zustand: Sie mussten im Wesentlichen nur Leser anziehen, die Vermarktung übernahmen andere. Der Preisverfall und der drohende komplette Wegfall der personalisierten Werbung sorgt dafür, dass Medien und Redaktionen zunehmend ein Umfeld schaffen, das dem Konsum entgegenkommt. Gerade Nachrichtenredaktionen müssen schmerzlich erfahren, dass Berichte über Themen wie Krieg oder die Pandemie abgestraft werden, weil Markenartikler die Themen auf Blocklisten setzen. Kürzlich musste sich der Nachrichtensender CNN dafür rechtfertigen, mitten in die Kriegsberichterstattung aus der Ukraine eine Werbung für die Restaurantkette „Applebees“ ausgespielt zu haben.

Der US-Medienmarkt reagiert traditionell schneller als der deutsche. Buzzfeed zum Beispiel hat seinen Newsroom zusammengestrichen und viele Redakteure entlassen, die zum Ansehen der Medienmarke beitrugen, aber nicht genug Geld in die Kasse brachten. Der Rest soll mit deutlich geringeren Gehältern klarkommen. 

In Deutschland sind die Entwicklungen bisher weniger spektakulär, aber auch hier kaum noch zu übersehen. So wurden die Redakteursstellen der „Stuttgarter Zeitung“ und der „Stuttgarter Nachrichten“ zusammengestrichen, die komplette Redaktion wird nun umstrukturiert. Statt den klassischen Ressorts soll es künftig nur noch Themen-Teams geben, die Titel wie „Liebe/Partnerschaft“, „Entscheider und Institutionen“ oder „Automobilwirtschaft“ tragen. Man könnte es auch „Werbeumfelder“ nennen. Allerdings befürchten die Mitarbeiter, dass hier keine hochwertige Inhalte finanziert werden sollen, sondern dass es vielmehr um „Clickbait‟ geht. 

Solche Entwicklungen finden nur selten den Weg in die Öffentlichkeit, auch weil Journalisten sich in Deutschland traditionell als unabhängig von dem Werbegeschäft halten. Mit dazu beigetragen hat die personalisierte Werbung, da sie scheinbar einen nicht enden wollenden Geldstrom in die Verlage lenkte. Wenn dieser Geldstrom nun versiegt, wenn die Verlage es aber tatsächlich auf einen Kollaps des Systems ankommen lassen, können ganze Redaktionen von dem Umschwung fortgerissen werden. 

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