SZ-Feuilleton gegen grüne Aufrüstungslust

Ist Anton Hofreiter der Krieg? Ein schlechter Versuch, eine wichtige Debatte anzuzetteln

Aufmacher: Die Grünen im Krieg. Früher waren sie für Abrüstung - heute können die Panzer nicht groß genug sein, die Grüne wie Anton Hofreiter fordern. Über die Kehrtwende einer Partei

Der Hitlervergleich gilt aus guten Gründen als rhetorische Bombe, die nur in extremen Fällen gezündet werden sollte, wenn überhaupt. Er lässt sich allerdings, wie ich heute beim Lesen der „Süddeutschen“ erfahren musste, noch steigern: Statt mit einem Diktator kann man Leute auch gleich mit einem ganzen Krieg vergleichen. Genauer: mit Krieg als solchem.

Hilmar Klute beginnt seinen Feuilleton-Aufmacher (€), mit dem die SZ auch groß auf der Titelseite wirbt, mit folgenden Worten:

Es gibt ein düsteres Gedicht von Georg Heym über den Krieg, das geht so los: „Aufgestanden ist er, welcher lange schlief/ Aufgestanden unten aus Gewölben tief.“ Als sei die Drohkulisse noch nicht gigantisch genug, läuft es wie folgt weiter: „In der Dämmrung steht er, groß und unerkannt/ und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.“ Merkwürdigerweise ploppt vor manchem inneren Auge bei diesen Versen gerade das Bild Anton Hofreiters auf, der ja nachdem er in der Regierung nicht das geworden war, was er werden wollte, eine Weile abgetaucht war.

Just in dem Augenblick, als der Krieg in der Ukraine losging, erwachte Hofreiter zu neuem Leben.

Gut, es ließen sich jetzt vermutlich ganze Seminare mit der Interpretation füllen, ob der SZ-Autor den Grünen-Politiker hier wirklich mit dem Krieg gleichsetzt oder ihn nur als dessen Helfer und Handlanger darstellt. Aber Klute hat erkennbar Lust, zumindest mit der frivolen Andeutung zu spielen, dass das von Tod und Verderben handelnde Gedicht namens „Der Krieg“ heute auch „Der Hofreiter“ heißen könne.

Das klingt gewagt, allerdings traut sich Klute nicht einmal auszusprechen, dass das seine Assoziation ist. Das Bild Hofreiters ploppe bei diesen Versen „vor manchem inneren Auge“ auf, behauptet er, was offenkundig Unsinn ist, vor allem aber rhetorisch feige.

Laut, vage, ungerecht

Klute schreibt darüber, wie erstaunlich es ist, dass aus den Grünen, die einmal aus der Friedensbewegung hervorgegangen sind und sich mit Kriegseinsätzen wie dem im Kosovo außerordentlich schwer getan haben, eine Partei geworden ist, für die die Waffen, die Deutschland an die Ukraine liefern soll, gar nicht schwer genug sein können. Genauer gesagt schreibt er nicht darüber, er wütet dagegen. Er tobt, und vielleicht ist es ehrliche Verzweiflung, die ihn dabei antreibt, dass sich die Position zum Krieg nicht nur so verschoben hat, sondern dass das sogar ohne größere, schmerzhafte Diskussion in der Partei und ihrem Milieu geschieht.

Leider ist er dabei nicht nur laut, sondern auch ungerecht und vage und kämpft sich an vielen Strohmännern ab statt an tatsächlichen Stimmen. Das macht seinen Text nicht nur wahnsinnig unüberzeugend, sondern auch unbrauchbar als Ausgangspunkt für eine ernsthafte Debatte.

Anton Hofreiter muss sich darin irgendwie mit dem Krieg vergleichen und auch sonst unschön vorführen lassen – aber er ist wenigstens noch ein konkreter Gegner. An seinen Äußerungen von früher und heute lässt sich gut zeigen, wie radikal die Änderung bei den Grünen ist. Aber mit Hofreiter ist Klute nach vier Absätzen durch, und alles, woran er sich danach abarbeitet, sind selbst aufgebaute Popanze.

Vor allem: Twitter.

Twitter geht immer als Feindbild, aus dem vielstimmigen Getöse dort wird in solchen Feuilletongeschichten immer ein erstaunlicher Gleichklang, gegen den man dann ankämpfen kann.

Bei Klute liest sich das so:

Bemerkenswert ist auch, wie sicher sich gerade Schreibende und Twitternde der jüngeren Generation ihrer Haltung zu Waffen und Militär sind. Es werden jeden Tag büschelweise neue Narrative geschaffen. Manche davon beruhen auf Expertisen – bei vielen hat man allerdings den Eindruck, sie richteten sich danach, was sich gerade wie anfühlt.

Wie ungenau kann ein Text, der eine Argumentation sein will, formulieren? Bei „vielen“ Narrativen (die nicht benannt werden), die von Twitternden der jüngeren Generation (die nicht genannt werden) „büschelweise“ (hm?) geschaffen werden, hat man (Klute) einen Eindruck. Hilflos flüchtet er sich, um nicht konkreter werden zu müssen, in Passivkonstruktionen:

Es wird mit einer bislang ungekannten Kühnheit Abschied genommen von der nun als weltferne Bequemlichkeit empfundenen Gewohnheit, auf Antimilitarismus und Pazifismus zu setzen. Plötzlich wollen ganz viele aus ihren lange so vehement verteidigten Safe Spaces raus und ins Feld; gestern ging es noch um die Verteidigung des freien Internets, allerdings unter Daueraktivierung der Triggerwarnung vor sensiblem Material, nun soll es der Himmel über Kiew sein, der am besten mit amerikanischen Super Hornets von russischen Triumf-Raketen freigehalten wird.

Klute macht nicht nur aus der angeblichen kriegslüsternen Position irgendwelcher Twitterer heute eine Karikatur, auch deren angebliche Schneeflöckchenhaftigkeit früher ist ein Zerrbild.

Doppelte Verachtung

Man kriegt den Eindruck nicht los, dass diese Leute dem Glauben anhängen, ein Krieg funktioniere wie ein Twitter-Retweet.

Schon wieder diese Leute. Irgendwelche Leute, die irgendwelche Dinge twittern, die im Kopf von „man“, also Klute, schlimme Eindrücke erwecken.

Begeistert mischt Klute seine Verachtung für die neue Aufrüstungslust des grünen Milieus mit seiner Verachtung für Twitter, und letzteres ist ja eine bewährte und etablierte Feuilleton-Haltung, die den ganzen aufgeregten und aufregenden Text gleichzeitig so unendlich langweilig macht. Ja: Plötzlich sind auf Twitter alle, die gerade noch Experten für Viren und Pandemien waren, Fachleute für Osteuropa, die Nato, Waffensysteme, Kriegsführung. Jeder und jede kann hier ihren persönlichen Hot Take zu den Nachrichten des Tages loswerden und sich als Publizist betätigen.

Klute schreibt:

Wenn etwas in diesem Krieg sicher ist, dann wohl dies: Hätten all die Großsprecher, die jetzt am liebsten selbst die schweren Waffen mit dem Lastenfahrrad nach Kiew fahren würden, in der Politik ein Wort mitzureden, so wäre der Dritte Weltkrieg schon da.

Haha, mit dem Lastenfahrrad! Aber, ja, wenn Filmemacher, Wissenschaftler, Köche, Unternehmenschefs all das machen würden, was ihnen von „Großsprechern“ auf Twitter empfohlen wird, wären auch Kultur, Forschung, Kulinarik und Wirtschaft vermutlich längst am Ende. Wenn diese Leute aber, wie Klute meint, in der Politik kein Wort mitzureden haben – wo ist das Problem? Warum sich an ihnen abarbeiten? Und nicht, zum Beispiel, an Leuten, die in der Politik ein Wort mitzureden haben? Es wird ja nicht nur Hofreiter sein.

Klute fordert einerseits, zu Recht, eine breite Diskussion über eine so gravierende Frage von Krieg und Frieden. Und will andererseits, dass nicht alle einfach mitreden.

Wirkliche Militärexperten

Wer aber seiner Meinung nach mitreden soll, damit die Diskussion nicht zu kriegerisch wird: Generäle.

Wenn wir dieser Tage wirklichen Militärexperten, also Soldaten, zuhören, erleben wir eine Art der Zurückhaltung, die man bei all jenen vermisst, die militärische Mäßigung für eine politische Sünde halten.

Wenn der frühere Brigade-General Erich Vad anmerkt, die Lieferung schwerer Waffen käme einem Kriegsbeitritt Deutschlands extrem nahe – ist das dann noch die Stunde, auf Hofreiter und die Twitter-Freischärler zu hören?

Auch hier wieder fordert Klute, unter dem Deckmantel, mehr Diskussion zu wollen, bestimmte Leute aus der Diskussion auszuschließen. Wenn sich ein Brigade-General gegen die Lieferung schwerer Waffen ausspricht, dann ist die Sache damit für ihn klar.

Aber immerhin nennt Klute mal einen konkreten Namen, dann kann man ihm nämlich auch entgegenhalten, dass gerade dieser General eine durchaus problematische Persönlichkeit ist. Zum einen wegen seiner politischen Nähe zu neurechten Kreisen. Zum anderen aber auch, weil er konkret mit seinen Fach-Expertisen zum Ukraine-Krieg immer wieder spektakulär schief liegt. Zum Beispiel hatte er am 25. Februar vorhergesagt, dass der Krieg in wenigen Tagen vorbei sein werde.

Das ist der eine Mann, auf dessen Einschätzungen zum Ukraine-Krieg wir laut Klute hören sollen, und dafür alle anderen, insbesondere die ahnungslosen Politiker und Twitter-Nutzer, ausblenden?

(Auf Twitter dokumentieren Leute schon länger, warum es zweifelhaft ist, Vad immer wieder als Experten einzuladen, aber was wissen die schon.)

Staatspolitisches Geschick

Wie unseriös Klute argumentiert, zeigt sich nicht nur daran, wie er die von ihm abgelehnten Positionen karikiert, sondern auch wie er die, die er teilt, zusammenfasst. Über die Politik des Bundeskanzlers schreibt er: „Dabei ist Scholz durchaus zu Waffenlieferungen bereit, nur eben unter Aufwendung staatspolitischen Geschicks.“

Das ist eine fast schon grotesk wohlwollende Interpretation der Scholzschen Politik – an der viele schon deshalb verzweifeln, weil sie so unklar ist und sich Scholz weigert, sie vernünftig zu erklären. Aber Klute braucht es ja ohnehin nicht konkreter; er fasst das kaum erklärte Tun oder Nichttun von Scholz einfach als „staatspolitisches Geschick“ zusammen, und wer würde dagegen sein wollen?

Im erstaunlichen Gleichklang mit Rechten, die glauben, dass es gegen eine Gesellschaft spricht, wenn sie ausdauernd und sensibel über den richtigen Umgang miteinander diskutiert, arbeitet er sich dann noch an der Identitätspolitik ab und an Debatten, die er langweilig, überflüssig und unernst findet:

Der Krieg hat in Deutschland eine Gesellschaft überrascht, die sich seit Langem in oft öden privatistischen Debatten verloren hat. Es ging um sprachliche Austarierungen, Geschlechtergerechtigkeit und vielerlei Spielarten des Das-darf-man-nicht.

Wer mochte, konnte dort mit wenig Lebenserfahrung und viel moralischem Gestaltungswillen mitmachen, keine große Sache. Für eine Debatte über Krieg und Frieden scheint uns jetzt der Lebensernst zu fehlen. Aber das Schlachtfeld zwischen Lemberg und Kiew ist keine Twitter-Timeline (…)

Wieder Twitter. Es ist eine fast schon mythische Überhöhung des sozialen Netzwerkes, die durch diese Berufsmeiner stattfindet (im Gegensatz zu den meisten Privatmeinern auf Twitter). Das Schlachtfeld zwischen Lemberg und Kiew (und, geographisch, vor allem jenseits von Kiew, aber, hey, Details) ist nicht nur keine Twitter-Timeline, sondern auch keine Zeitungsseite im Feuilleton, möchte man ihm entgegenhalten – na und?

„Wann wird in diesem Land wieder in alle Richtungen argumentiert?“, fragt Klute und merkt gar nicht, dass zum Beispiel der in die von ihm gewünschte Richtung argumentierende General Vad gerade in fast allen Talkshows sitzt.

13 Kommentare

  1. Finde es schade, dass er seine Assoziation nicht wenigstens einem „Schlachtfeldtaxi-Fahrer“ zugeschrieben hat. Das wäre richtig steingart und eine Verneigung vor den großen Strohmannbauern des Diskurses.
    Finde es bezeichnend, dass bei Klute Super Hornets Triumf-Raketen abwehren sollten. Was keinen Sinn macht aber er braucht ja nur Waffensystem-Namen, damit das expertiger klingt, was er schreibt.
    Da kommt dann auch der Bridage-General her. Der Natürlich ein Brigadegeneral ist aber dann isses auch schon egal.
    Das schlimmste aber finde ich, dass Generäle wie Vad jetzt den Diskurs führen sollen. Nicht nur, weil der Mann offensichtlich ungeeignet ist – oder zumindest starke, fachmännische Betreuung braucht. Sondern auch, weil ein Krieg und die Debatte darum bitte nicht nur von Militärs geführt werden sollte.
    Denn in der Ukraine stehen sich nicht nur zwei Armeen sondern auch zwei Staaten gegenüber. Das heißt Politik hat hier genau so eine Rolle im Diskurs. Über Krieg sollten immer alle reden, er betrifft ja auch alle.
    Zuletzt möchte ich meinen Wunsch wiederholen, das Wort „viele“ im Journalismus zum Problemwort zu machen. Es ist so hässlich.
    Aber leider befürchte ich eher, dass diese Art von Text – das Abarbeiten an Strohmännern, so fetzig zu schreiben und amüsant zu lesen ist, dass sich das als Gattung durchsetzt. Poschardt hat das jahrelang gemacht und damit Twitter dominiert (wo man es zugelassen hat). Das passt einfach. Man muss nur die richtigen Buzzwords einbauen (Lastenfahrrad!) und wer liest, weiß, wer gemeint ist. Konkret muss dann nix mehr werden.

  2. Aber das Schlachtfeld zwischen Lemberg und Kiew ist keine Twitter-Timeline

    Ich weiß das ist vielleicht nebensächlich, aber der Satz „triggert“ mich auf zwei weitere Arten. Erstens die Weigerung, den aktuellen Namen der Stadt zu verwenden. Lwiw heißt die Stadt. Sie hieß die meiste Zeit ihrer Existenz Lwow (polnisch, russisch) und der Name Lemberg verweist entweder auf Österreich-Ungarn oder die wenigen Jahre der nazideutschen Eroberung. Beides wohl kaum angemessen wenn man sonst dem ukrainischen Volk solidarisch zur Seite stehen will. Seit 1991 heißt die Stadt Lwiw, offiziell und auch in der ukrainischen Sprache, die dort mehrheitlich gesprochen wird. Ich finde das ein Mindestmaß an Respekt, diesen aktuellen Namen zu verwenden.

    Zweitens die Verortung des Krieges zwischen Lwiw und Kiew. Wenn man sich mal anschaut, wo tatsächlich Truppenbewegungen stattfanden bzw stattfinden, dann ergibt das wenig Sinn. Der Tagesspiegel hat das sehr schön aufbereitet (wie in einem anderen Artikel hier schon gelobt): https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/wie-weit-sind-die-soldaten-aktuelle-karte-der-russischen-invasion-in-der-ukraine/ – man kann gut sehen, dass sich die allermeisten Kriegshandlungen an der gesamten östlichen Grenze, von Kiew über Charkow* über den Donbass bis zur Krim abspielen. Die Westukraine zwischen Kiew (also wenn man von Kiew etwas weg geht) und Lwiw zeichnet sich gerade dadurch aus, dass dort überhaupt kaum Kriegshandlungen stattfinden. Dorthin flüchten die Menschen aus den Kriegsgebieten.

    Insofern finde ich diese Verortung merkwürdig. Ist das Versehen oder Absicht?

    *Das mag absurd klingen nach meinem ersten Absatz über Respekt, aber genau deswegen ziehe ich die Logik durch: die mehrheitlich russischsprachigen Bewohner der Stadt nennen sie Charkow und nicht Charkiw.

  3. Wieso kann jemand, der so inkompetent argumentiert, so publik in einer großen deutschen Tageszeitung schreiben?

    Noch zu dem folgenden Zitat:
    „Wenn wir dieser Tage wirklichen Militärexperten, also Soldaten, zuhören“
    dann hören wir mitnichten nur davon, dass Deutschland sich mit Waffenlieferungen zurückhalten solle. Ich würde das sogar eher als Außenseitermeinung bezeichnen.
    (Einer sagte sogar, es sei wie der Unterschied Golf zu Renault, ob die Ukrainer nun nen T-72 oder Leopard I fahren und sprach sich für direkteste Lieferungen aus.)

  4. Und ja, wieder muss irgendwie diffus ein gewisser „wokismus“ als Sündenbock für wirklich alles, was irgendwie schief gelaufen ist, in den letzten Jahrzehnten, mit eingeflochten werden:

    „Der Krieg hat in Deutschland eine Gesellschaft überrascht, die sich seit Langem in oft öden privatistischen Debatten verloren hat. Es ging um sprachliche Austarierungen, Geschlechtergerechtigkeit und vielerlei Spielarten des Das-darf-man-nicht.“

    Für was diese Lifestyle-Linken wohl sonst noch alle verantwortlich gemacht werden, wenn das so weiter geht?
    Vulgär-Liberalismus dümmster Ausprägung an Stellen, wo ich sie gar nicht vermutet hätte, mit einem deutlichen Schuss Privilegierten Gejammer im Abgang.

    Schön herausgearbeitet wurde in diesem Kommentar, wie hirnrissig das Twitterbashing mittlerweile geworden ist.
    Ich suche 2 Bücher heraus, in denen kompletter Bullshit geschrieben steht, und folgere daraus, dass Bücher einfach kompletter Mist sind und ohne Bücher alles viel besser wäre.
    Das liest sich übertrieben simplifiziert, aber letztlich beschreibt es symptomatisch den Umgang immer noch viel zu vieler mit den neuen Medien.

  5. Seit dem vollkommen indiskutablen Igor Levit Artikel von Helmut Mauró ist klar und erklärt, dass sie im Feuilleton-Aufmacher bei der SZ gerne mal Provokation und Polemik veröffentlichen. Sichtlich halten sie die Mischung von klugen Leuten wie Nils Minkmar mit eher wirren Schreibern wie Klute und Mauró für Pluralismus. Im Grunde wie in vielen Talkshows: Streitkultur soll gefördert werden, in dem die Klugen sich an den Wirren abarbeiten. Sehr schade, weil Streitkultur und das gute Ausdiskutieren von Positionen oft fehlen. Aber so entsteht nur eine Simulation von Streit und gegensätzlichen Positionen. Für Polemik und Provokation muss man halt auch präzise denken und nicht einfach Ressentiments verrühren.

  6. Schöne Analyse, bin fasziniert, was man so alles in dem Text entdecken kann. Dass man Passivkonstruktionen auch als eine gewisse Feigheit betrachten kann, war mir neu, ist aber total einleuchtend für mich.

  7. Schon bei der Einleitung fragt man sich, was Herr Klute geraucht haben mag. Bei den düsteren Zeilen von Heym kommen mir alle möglichen Assoziationen, aber garantiert nicht ausgerechnet Hofreiter. Man muss dessen derzeitiges Agieren nicht mögen, aber auf sowas zu kommen, ist schon Feuilleton-Gaga in Hochform.

    Ob Klute in dem Artikel auch irgendwo die Idee diskutiert, Grüne und andere könnten ihre Position geändert haben, weil sich die Realität radikal geändert hat (bzw. geändert wurde, durch Putins Entscheidungen)?

    @Frank Gemein / #4: „Ich suche 2 Bücher heraus, in denen kompletter Bullshit geschrieben steht, und folgere daraus, dass Bücher einfach kompletter Mist sind und ohne Bücher alles viel besser wäre.“

    Ein guter Vergleich, den man durchaus weiter treiben kann. Man könnte sicher auch mehr als 2 solcher Bücher auftreiben und sogar in umfassenden Untersuchungen ermitteln, dass die Mehrzahl oder zumindest ein großer Teil der Bücher, die verkauft und gelesen werden, von zweifelhafter literarischer und inhaltlicher Qualität sind. Spricht das nun gegen das Medium Buch? In der Denkweise von Herrn Klute bestimmt.

  8. Erspare mir nach der dankenswert fundierten Kritik die Lektüre des Originalartikels. Sie erinnert mich in frappanter Weise an einen anderen Artikels von Herrn Klute in der SZ (zum Stand des Fernsehkabaretts: „Witz komm raus“ am 18.12.).

    Weil ich mich damals ziemlich darüber geärgert habe, hatte ich einen Leserbrief verfasst, der frappant ähnliche Ansatzpunkte enthält:
    >>> Herr Klute prangert in seinem Artikel „eine fatale Entwicklung“ des aktuellen deutschen Fernsehkabaretts an und wirft dabei die „Heute-Show“, „die Anstalt“, Jan Böhmermann, Martin Sonneborn und Lisa Eckhart alle in einen Topf – unter dem Subtitel „Mag das Thema noch so ernst sein: Im öffentlichen Diskurs, vor allem im unterhaltungssüchtigen TV, geht der Trend zum Kabarett-Clown“.
    Er beobachte eine „eigentümliche Veränderung in der Besetzung öffentlicher Diskussionsrunden“ und erlebe, dass dort mehr und mehr die Kabarettisten zu Wort kommen. Ist das tatsächlich so? Und wenn ja – in welcher Rolle traten sie denn dann dort auf? Ich verfolge das Gesamtgeschehen der deutschen (Polit-)Talkshow-Landschaft nur sporadisch und damit sozusagen „stichprobenhaft. Was ich dort erlebe, sind allerdings Menschen, die in aller Regel „als sie selbst“ dort auftreten, nicht als ihre Figur.
    Nun kann man darüber streiten, ob Schauspieler, Schriftsteller, Musiker, Sportler oder andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in solchen Sendungen grundsätzlich etwas zu suchen haben, wenn es um Themen geht, in denen sie keine ausgewiesenen Experten sind. Aber weshalb sollte eine Lisa Eckart in einer Literatursendung nicht über Bücher sprechen, die sie gelesen hat und dort ich mit „Autorennamen um sich werfen“ (wie in der selben Sendung auch Ulrich Matthes und Andrea Petcovic, die auch nicht als Literaturkritiker bekannt sind …), ausserdem ein Serda Somuncu über die deutsche Integrationspolitik sprechen?
    Ob man mit den jeweiligen inhaltlichen Positionen einverstanden ist, sei bei beiden Beispielen dahingestellt – aber wo ist dort der „platte Witz“ oder das Clowneske“? Die „in der öffentlichen Diskussion … merkwürdige Tendenz, den Ernst zu verabschieden und die ungekünstelte, sachkundige und nicht auf Pointen abzielende Rede zu verachten“ wird doch dort von den Kabarettisten gerade nicht bedient, vielmehr treten sie aus den Kulissen Ihrer Figuren hervor und positionieren sich dort mit ihrer persönlichen Meinung.
    Herr Klute wirbt für die „Lektüre eines Leitartikels oder eines gesellschaftspolitischen Essays“, statt sich eine Sendung wie „die Anstalt“ anzusehen. Ist das sein Ernst? Sind Max Uthoff und Claus von Wagner für ihn tatsächlich „flache Politclowns“? Gerne lese ich Leitartikel, aber genauso gerne lasse ich mir von den beiden genannten Kabarettisten die selben politisch und/oder gesellschaftlich brisanten Inhalte mit Statistiken, Grafiken und (nach von ihm nur „sogenannten“) Eigenrecherchen in Form einer „Art Spaßprojekt der Gegenaufklärung“ präsentieren.
    Und dass der Kabarettismus sich dabei als eine „Instanz der Wahrheitsfindung“ darstellt – ist das nicht seit jeher eine seiner Kernaufgaben und -ziele? Wollten nicht auch Helmut Qualtinger, Dieter Hildebrand, Wolfgang Neuss etc. letztlich nichts anderes als Täuschungen entlarven und andere Wahrheiten als die, die uns nur so erscheinen, pointiert ans Licht bringen oder zumindest zur Debatte stellen?
    Wir sind uns einig, dass sich eine kabarettistisch Figur (bzw. die Person dahinter) letztlich „klar fassen“ lassen muss. Aber es ist – milde ausgedrückt ungünstig, wenn nicht: – unredlich, dass er in seinem Artikel vieles zusammenwürfelt, das man besser getrennt voneinander betrachten sollte: Personen (so ist die Figur Martin Sonneborn in Brüssel m.E. eine eigene Kategorie, die man separat diskutieren kann), Rollen (ohne Rolle/Figur als Gast in einer Sendung – Figur im eigenen Kabarett – „Mischform“) und Formate. <<<

    Ganz offensichtlich handelt es sich also um eine Art "Methode-Klute", die sowohl in meinem erwähnten, als auch in dem von Stefan Niggemeier analysierten Artikel zu Tage tritt!

  9. @erwinzk / #2
    Der Vorschlag, Ortsnamen in der jeweiligen Landes- oder Mehrheitssprache zu schreiben, ist mir auf Anhieb sympathisch. Wenn man da aber versucht, konsequent zu sein, kommt man in Teufels Küche. Man müsste Brüssel aus Texten verbannen und stets Bruxelles schreiben, Straßburg dürfte nur noch Strasbourg sein. Wenn man weiß, dass das tschechische c wie ein deutsches to gesprochen wird, dann wird es einem nichts ausmachen, statt Reichenberg Liberec zu schreiben (und zu sagen). Als studierter Bohemist kann ich auch halbwegs korrekt (wenn auch mit deutschem Akzent) Brno, Plzeň, Budějovice, sogar Třebíč, Třeboň und Jindřichův Hradec aussprechen – von Leuten, die das nicht können, höre ich aber ebenso gerne Brünn, Pilsen, Budweis, Trebitsch, Wittingau oder Joachimsthal. Genauso geht es mit selbst auch mit dem ein oder anderen ukrainischen Ort. Ich bin durchaus froh, das Dnipro jetzt so heißt und ich nicht mehr Dnepropetrovsk sagen muss, denn das geht mir nur schwer über die Zunge. Und wenn ich jetzt Ihrem Argument mit der Mehrheitssprache folge (Charkow statt Charkiv): Muss ich jetzt in Zweifelsfällen immer bei Wikipedia nachsehen, wenn ich es nicht weiß? In Belgien weiß ich nicht immer auf Anhieb, ob ein Ort im flämischen oder wallonischen Teil liegt. Sagt die Mehrheitsbevölkerung eher Leuven oder eher Louvain? Vielleicht bleibe ich der Einfachheit halber dann doch bei Löwen? Sagen die ortsansässigen Schweizer:innen mehrheitlich Neuchâtel, oder veilleicht doch Neuenburg? Und muss ich jetzt eigentlich Ausländer:innen kritisieren, wenn sie eigene Namen für deutsche Städte haben? Darf man in Frankreich dann nicht mehr schreiben, das ZDF habe seinen Sitz in Mayence, in Tschechien nicht mehr vom Bistum Mohuč (ebenfalls Mainz) sprechen und chinesische Studierende nicht mehr an die Uni von 美因茨 (lateinische Umschrift Meiyinci) gehen? Und muss ich mir nicht auch Gedanken und Minderheitenschutz machen? Sollte ich nicht nach dem zehnten Mal Bautzen beim elften Mal Serbisch Budišin schreiben? All diese Fragen führen mich dazu, entspannt auf Ortsnamen-Varianz zu reagieren: es gibt nun mal Synonymie: Manche Dinge können mit unterschiedlichen Namen bezeichnet werden. Das heißt nicht, dass es keinen Unterschied macht, in welchem Kontext ich welchen Namen wähle. Aber man muss anderen zugestehen, im selben Kontext eine andre Wahl zu treffen, als man selbst es tun würde.

  10. Korrektur zu #10 oben: tschechisches c spricht man natürlich wie deutsches tz, das to hat mir die Autokorrektur leider reingehauen.

  11. Zweite Korrektur zu #10 oben: Budyšin ist natürlich Sorbisch, nicht Serbisch.
    Und weil es so schön ist, mit Beispielen zu wuchern: was ist eigentlich mit italienischen Städten? Nur noch Milano, Venezia, Roma, Siracusa, nie wieder Mailand, Venedig, Rom und Syrakus?

  12. Ich nenne die spanische Hauptstadt „Madritt“, nicht „Mathrith“, also nicht mit (stimmhaften) „ti-äitsch“-Lauten.

    Offenbar bin ich ein unsolidarischer Kerl, der zulassen würde, dass Spanien von Portugal erobert wird.
    Aber aus Fairnissgründen nenne ich dessen Hauptstadt Lissabonn.

    Außerdem, Leute, die Städte immer noch mit toten Namen aus der Gründerzeit bezeichnen, auch wenn die Einheimischen die schon lange anders nennen, und obwohl der alte Name „Kolonie“ bedeutet, sollen sich mal nicht beschweren. Gilt auch für Italiener. Also Köln jetzt.

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