Ist Judith Rakers ganz anders, als ich dachte? In der Tagesschau erscheint sie mir als eindimensionale, perfektionistische Nachrichtensprecherin mit goldglänzendem Haar, die sich nie verspricht. Auch nur um eine Dimension lebendiger nehme ich sie in der Talkshow „3 nach 9“ wahr; sie stellt da halt auch Fragen. Jetzt ist Rakers unter die Podcasterinnen gegangen – und siehe da: sie hat noch eine ganz andere Seite. Thema ihres Podcasts: „Homefarming – Mach’s Dir lecker zu Hause!“
Über den Anglizismus Homefarming können wir streiten. Selbstversorgung, darum geht’s, klingt aber so bürokratisch deutsch, dass wir gerne beim Homefarming bleiben. Klingt nach Ferien auf dem Bauernhof und ist als Podcast-Thema so nischig, dass es schon wieder gut ist. Und auch der Zuschnitt auf Rakers ist eine Abwechslung. Denn Podcasts nach dem üblichen Muster (zwei Hosts, wenn möglich einer davon ein Promi, 45 Minuten bis eine Stunde, fröhliches Geplauder, fertig) gibt es genug. Podcasts, die eine bestimmte Nische bedienen, vielleicht auch mal kauzig oder skurill sind, fehlen mir oft. Solche, bei denen man sich erst einmal fragt: „Wen interessiert denn sowas?“. Gut, das Gärtnern an sich ist jetzt keine winzige Nische. Aber Rakers Podcast ist zumindest speziell, vor allem die Sache mit den Hühnern.
Der Hahn heißt Giovanni
In dieser ersten Episode tut Rakers noch sehr genau das, was sie auch als Nachrichtensprecherin tut: ablesen. Sie liest vor, und zwar einen Aufsatz darüber, wie sie zum Gemüseanbau und zur Hühnerhaltung im Garten gekommen ist.
Die Kolumne
Podcasts haben es verdient, wie andere Medien besprochen, gelobt und kritisiert zu werden. Alle zwei Wochen machen das Larissa Vassilian und Sandro Schroeder hier abwechselnd: in der Podcast-Kritik.
Larissa Vassilian war unter dem Pseudonym Annik Rubens eine der ersten deutschen Podcasterinnen und zehn Jahre lang „Schlaflos in München“. Seit 2007 widmet sie sich mit „Slow German“ deutschlernenden Hörer:innen aus der ganzen Welt. Sie hat zwei Bücher zum Thema Podcasting geschrieben, arbeitet unter anderem beim Bayerischen Rundfunk, wo sie eine der „Podcast-Entdecker“ des gleichnamigen Newsletters ist und mit Christoph Süß den „quer“-Podcast „Nachmittags Schwimmschule“ moderiert.
Sie schwärmt von der „Sehnsucht nach der Natur“, die sie in der Großstadt Hamburg immer wieder überkam. Davon, wie sie monatelang alte Bauernhöfe besichtigte, um sich den Traum von der kleinen Oase im Grünen zu erfüllen – ein wenig wie Pippi Langstrumpf zu sein, inklusive Pferd im Garten. Gefunden hat sie dann ein Fachwerkhaus „in the middle of nowhere“, wie sie sagt, ohne Leitungswasser und Kanalisation, mit viel Arbeit verbunden und drei Hühnern inklusive.
Und dann geht es um die Anzucht von eigenem Gemüse. Der Vorteil davon liegt auf der Hand: man weiß, wo es herkommt. Und laut Judith Rakers hat man bei der eigenen Anzucht viel mehr Auswahl, als es im Supermarkt Sorten gibt. Sie schwärmt von „pinkem Mangold, Kartoffeln, die aussehen wie ein Clownfisch und ballonförmigen Zucchini“. Im Handel gäbe es halt nur die Sorten, die lange haltbar und gut zu transportieren seien – im eigenen Garten seien der Fantasie da keine Grenzen gesetzt.
Der Podcast soll uns nun alle auch zu Homefarmern machen. Er soll uns begleiten auf unserem Weg durch das Jahr – denn jede Folge richtet sich ähnlich wie bekannte Gartenzeitschriften danach, was saisonal gerade im Garten zu tun ist. Es geht viel um Hühner, denn die haben es Judith Rakers wie gesagt angetan. Ihr Hahn heißt Giovanni, „aus Gründen“, wie sie schmunzelnd erzählt, er sei ein Gentleman alter Schule. Alles, was sie selbst über Hühner weiß, will sie im Podcast vermitteln. Zum Beispiel, dass manche Hühner bei kalten Temperaturen gar keine Eier legen. Aha. Man braucht „Winterleger“, um das ganze Jahr über Eier zu haben. Wieder was gelernt.
Zwischen Drei-Wetter-Taft und Gummistiefeln
Zum Thema Homefarming hatte Judith Rakers 2021 einen Bestseller geschrieben, und mit Barbara Schöneberger fachsimpelte sie im Podcast „Mit den Waffeln einer Frau“ auch schon einmal über Hühnerhaltung. Die Frau, die um 20 Uhr im Ersten die Nachrichten aus aller Welt vorliest und dabei eher nach Drei-Wetter-Taft aussieht, schlonzt privat offenbar viel lieber in Gummistiefeln und Jeanshemd herum.
Beim Zuhören muss ich an meinen Nachbarn denken, auch so ein Homefarmer: Hat Hochbeete in jeder Ecke seines Gartens stehen, zieht im Keller kleine Tomatenpflanzen vor und erntet im Sommer riesige Zucchini und zuckersüße Erdbeeren. Sieht bei ihm immer spielerisch einfach aus. Ich selber hab das mal probiert und bin kläglich gescheitert. Habe viel zu viel Zeit und Geld investiert, um dann frustriert eine Handvoll Gemüse zu ernten. Und dann die Lust verloren.
Vielleicht hätte ich auch jemanden wie Judith Rakers gebraucht. Die hätte mich an die Hand genommen und Dinge gesagt wie: „Ich plädiere dafür, mit Motivationsgemüse zu beginnen“. Sie meint damit Anfängergemüse, sowas wie Radieschen. Die würden schnelle Erfolge bringen und so dazu motivieren, auch mal anspruchsvollere Gemüsesorten zu pflanzen. Etwa die Diva unter den Selbstversorger-Pflanzen: Die Tomate.
Das Gute ist jetzt aber, Ihr seid nicht allein, wenn Ihr diesen Podcast hört. Wir gehen da quasi zusammen durch alle Höhen und Tiefen des Tomatenanbaus und gemeinsam schaffen wir das auch. Auch wenn Ihr noch nie Gemüse angebaut habt, ich werde es Euch so erklären, versprochen, dass Ihr erfolgreich sein könnt. Auch als Anfänger. Auch mit der Tomate.
Und neben Hühnern und Gemüsezucht geht es dann auch noch darum: was tun mit all der Ernte? „Ich stand vor der Frage: wie kocht man einen Kohlrabi?“, erzählt Rakers – das habe sie tatsächlich überfordert. Die Tagesschau-Sprecherin erzählt dann von ihrer Kindheit mit dem alleinerziehenden Vater, bei dem es einfach und schnell gehen musste in der Küche. Rakers selbst habe eigentlich nur Raviolidosen öffnen und den Inhalt erwärmen können, zu mehr habe es nicht gereicht. Jetzt versorgt sie sich selbst und liefert die passenden Rezepte zur eigenen Ernte, zum Beispiel für Bruschetta mit frischen Tomaten aus dem Garten. „Wenn Ihr noch nie Gemüse angebaut habt dann wird dies der leckerste Sommer, den Ihr je hattet.“ Diese Motivation nimmt man ihr ab, das ist die echte Judith Rakers.
Zeitgeist treffsicher angesprochen, Community bedient
Und so soll auch die unaufgeregte Produktion des Podcasts suggerieren: Alles echt und naturbelassen. So wurde für die erste Folge des Podcasts auch schlicht ein Aufnahmegerät in Rakers’ Hühnerstall gestellt, um eine Stunde Hintergrundatmosphäre aufzuzeichnen, so sagt es die Gastgeberin. Anfangs kräht mir allerdings der eingespielte Hahn zu oft, später wurde das dann wohl abgestellt. Ich hoffe, dem Hahn geht es gut.
Rakers höre ich gerne zu, sie hat eine angenehme Stimme wie wir alle wissen, sie kann gut erzählen, auch wenn ich persönlich den freien Vortrag mehr mag als geskriptete Folgen. Zwischendrin laufen kurze Werbespots (na klar, für Gartenbedarf).
In Folge 3 ist dann auch ein Gast dabei, Selbstversorger-Ikone Wolf-Dieter Storl plaudert mit Judith Rakers. Er habe die Journalistin überhaupt erst dazu angespornt, selber Gemüse zu ziehen. Auf Instagram etwa scheint es so, als ob Rakers das nun auch mit einer eigenen, wachsenden und podcast-typischen Community gelingt. Gegenseitig motivieren sich Host Rakers und ihre Community. Die Menschen posten Bilder ihrer eigenen Pflänzchen. Daumen hoch dafür von Rakers.
Judith Rakers trifft den Zeitgeist, in Schlagworten: Rückbesinnung auf Natur, auf Nachhaltigkeit, auf Unabhängigkeit von großen Produzenten. Und damit landete sie Anfang März schon mit dem Trailer auf Platz 1 der Apple Podcast-Charts in der Kategorie „Freizeit“ und hält sich jetzt wacker seit Wochen auf Platz 2.
Erfolg hat der Podcast auch bei mir, ein bisschen: Nach den ersten vier Folgen hätte ich auch gerne Hühner im Garten und ein paar Hochbeete. Obwohl ich weiß: Für mich ist das eigentlich nichts. Ich bleibe also erst einmal bei meinen Bonsai, ein Gartenhobby reicht ja auch. Wie Rakers sagt: „Es geht um das Lebensgefühl, um das Glück der kleinen Dinge“.
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