Deutschlandfunk

Das kleine Flüchtlingsbashing für zwischendurch

Zweiter Weihnachtstag, mit dem Auto auf dem Weg zurück nach Berlin. Hinter Braunschweig gerate ich in den Deutschlandfunk. Es läuft eine Kultursendung. Sigrid Löffler erklärt dem Moderator, warum die falschen Leute die Literaturpreise in diesem Jahr bekommen haben und dass die Literaturkritiker alle das Houellebecq-Buch falsch verstanden haben. Dann leitet der Moderator zum nächsten Thema über:

Eine Million illegaler Immigranten wurde dieses Jahr in Deutschland willkommen geheißen, und sowohl die Kirchen als auch die Kanzlerin lassen verlauten, dass es keine Obergrenze gibt. Dafür hat sich bei uns das Wort „Flüchtlinge“ eingebürgert. Der Titel gilt für jeden Menschen, den es hierher zieht, auch wenn er seine Identität nicht preisgibt. Die Nebeneffekte des politischen Willkommenszwangs werden immer deutlicher sicht- und spürbar: Schul- und Turnhallen werden zweckentfremdet, Sportvereine verlieren ihre Existenzgrundlage, und die Niedersächsische Landesmusikakademie in Wolfenbüttel ist auch bedroht.

Ich höre nicht so viel Deutschlandfunk. Vielleicht wäre ich als regelmäßiger Hörer besser darauf vorbereitet, dass das Programm jederzeit, auch in der unscheinbaren Anmoderation eines Beitrags in einer Kultursendung, nach rechts unten ausschlagen kann. Vermutlich hätte ich als regelmäßiger Hörer wenigstens die Stimme von Moderator Burkhard Müller-Ullrich erkannt und wäre nicht überrascht gewesen. Müller-Ullrich ist ein rechter Publizist, den Leser meines Blogs daher kennen könnten, dass er auf dem Sender auch schon mal aus nichtigstem Anlass angedeutet hat, dass grüne Frauen dafür bekannt seien, Kindesmissbrauch zu propagieren.

Und nun, am zweiten Weihnachtstag, erklärt er fast beiläufig sämtliche Menschen, die in den vergangenen zwölf Monaten nach Deutschland gekommen sind, um hier Asyl zu beantragen, zu Kriminellen. Jeden einzelnen von ihnen, ob er aus Syrien oder Afghanistan kommt, aus Eritrea oder vom Balkan. „Eine Million illegaler Immigranten.“

Natürlich hat nicht jeder dieser Menschen ein Recht, in Deutschland zu bleiben. Aber der allergrößte Teil ist auf legalem Weg eingereist und hält sich legal hier auf. Es sind keine Kriminellen. Es sind Menschen, die einen Antrag stellen, hier leben zu dürfen, und von denen die meisten vom deutschen Staat ein Bleibe- oder Aufenthaltsrecht bekommen: als Asylberechtigte, als Flüchtlinge, als Schutzberechtigte.

Burkhard Müller-Ullrich diffamiert diese Menschen, die vor Krieg und Armut fliehen, als „illegale Immigranten“, und er diffamiert diejenigen, die sie nicht als Kriminelle behandeln, gleich mit.

Er hat, wie viele Rechte, ein Problem mit dem Wort „Flüchtling“, was ein bisschen ironisch ist, weil es sonst die Rechten sind, die sich darüber mokieren, wenn Menschen vorschlagen, bestimmte Begriffe nicht zu verwenden. Als „Political Correctness“ wird das dann bezeichnet, was ein Schimpfwort ist. Wenn die Rechte bestimmte Wörter tabuisieren will, wie in diesem Fall „Flüchtling“, wird es nicht „Political Correctness“ genannt.

„Dafür hat sich bei uns das Wort ‚Flüchtlinge‘ eingebürgert“, sagt Müller-Ullrich also sarkastisch, wobei nicht ganz klar ist, worauf sich das „dafür“ bezieht. Vermutlich auf die „illegalen Migranten“. „Flüchtling“, sagt Müller-Ullrich also, ist nur ein Euphemismus für „illegaler Immigrant“.

Und: „Der Titel gilt für jeden Menschen, den es hierher zieht, auch wenn er seine Identität nicht preisgibt.“ Müller-Ullrich tut so, als wäre „Flüchtling“ ein Titel und nicht zu allererst ein Begriff, der beschreibt, dass diese Menschen vor etwas fliehen, und sei es auch nur – „nur“ – wirtschaftliche Not. Aber wer diese Tatsache beschreibt, indem er von Flüchtlingen spricht, lenkt für ihn von der Tatsache ab, dass es sich um Illegale handele. Er will die Menschen nicht über die Tatsache ihrer Flucht definieren, sondern über die fehlende Rechtmäßigkeit ihrer Einreise und Anwesenheit in Deutschland. Die behauptete fehlende Rechtmäßigkeit.

Auch wenn jemand seine Identität nicht preisgibt, sagt Müller-Ulrich, bekomme er den schönen Titel „Flüchtling“. Er will damit wohl suggerieren, dass massenhaft Leute hierherkommen, die sich als irgendjemand ausgeben oder als niemand und trotzdem bleiben dürfen.

Den Begriff der „Willkommenskultur“ verkehrt er sarkastisch in einen „Willkommenszwang“. Das ist ein Wort, das nicht viele benutzen. Die Islamhasser von der Hetzseite „Politically Incorrect“ benutzen es. Die Neonazis von der NPD benutzen es; Sascha Roßmüller, zum Beispiel, Vorstand der bayerischen NPD in einer Pressemitteilung („Der toleranzbesoffene Willkommenszwang gewählter Schadpolitiker führt inzwischen zu einer eklatanten Diskriminierung der Deutschen in ihrer eigenen Heimat!“). Und Burkhard Müller-Ullrich vom Deutschlandfunk benutzt es im Deutschlandfunk.

Den Begriff der „Willkommenskultur“ hatte er schon bei der Themenvorstellung am Anfang der Sendung verächtlich gemacht, indem er einen Bericht ankündige „über die niedersächsische Landesmusikakademie in Wolfenbüttel, die vor lauter Willkommenskultur nicht mehr funktioniert“. Er diffamiert so die ganze Idee, Flüchtlinge mit offenen Armen zu empfangen und ihnen zu helfen, indem er nicht unterscheidet zwischen ihr und Schwierigkeiten, Misständen und notwendigen Kompromissen bei der konkreten Umsetzung. Der Sarkasmus, mit dem er spricht, ist typisch unter anderem für die Rhetorik seiner Kollegen aus der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“.

Es ist kein politischer Kommentar, in dem sich Müller-Ullrich Flüchtlinge zu Kriminellen macht und gegen ihre Aufnahme wettert, es ist keine Argumentation, es ist nur ein kurzes, fast beiläufiges Ausspucken in der Anmoderation eines Beitrages einer Kultursendung im öffentlich-rechtlichen Deutschlandfunk. Aber das war ihm wichtig, diese dreißig Sekunden für ein bisschen Hetze zu nutzen.

9 Kommentare

  1. Man mag die Tendenz kritisieren, gleichwohl ist richtig, dass jeder Flüchtling zunächst per se illegal hier ist – es sei denn, er hätte ein gültiges Visum… Ich habe das auch erst in der Flüchtlingsberatung gelernt.
    Disclosure: Ich arbeite für den Deutschlandfunk

  2. Ich kenne die Arbeit von Burkhard Müller-Ullrich BMU im DLF seit Jahren und schätze gerade diese von Ihnen kritisierte ironisierte, würzige, anregende Anmoderation, Kommentierung und Journalismus von ihm.
    Es ist geradezu genial, wie BMU hier die Tagespolitik und ihre Widersprüche, Spitzen und Komik im Spiegel der Medienaufbereitung und -berichterstattung am Ende des Tages (zur Literaturzeit) andeutet, zusammenfasst und inspirierend wiederholt.
    Das adjektivierte „Illegale“ bezieht sich darauf, dass unsere europäischen Grenzen im Schengen-Rahmens illegal über- und durchquert werden. „Willkommenszwang“ trifft es genauer als Willkommenskultur, denn letztere müssen Deutsche erst noch entwickeln und längere Zeit beweisen, denn eine Kultur ändert sich nicht in Wochen und natürlich wird jeder anständige Deutsche den zu uns gekommenen Imigrationswilligen (vor allem Kinder, Frauen, Familien) helfen und den vielen mitreisenden Illegalen und Kriminellen (vor allem jüngere Männer) den ‚Fußtritt‘ geben!
    Was Sie hier machen -im Gegensatz zu den brillanten und von mir hoch geschätzten Kommentaren des BMU- ist intellektueller Kindergarten. Es regt meinen Intellekt nicht einmal an. Sie kochen die widergekauten Speisen der vergangenen Tage und Wochen erneut auf.
    Als standfester Demokrat habe ich ein Problem mit Ihrer flachen, seichten Kritik und abwertender Typisierung aber keines Falls und noch nie mit der sehr guten journalistischen Qualität des BMU (z.B. DLF, wo es noch mehr derselben bedürfte). Dass Sie ihn als bekannten rechten Journalisten in eine Schublade verfrachten, der dem DLF einen Rechtsruck verpasse, nehme ich mit Empörung zur Kenntnis, es erlaubt mir Sie als gutmenschelnden Roten einzuordenen, der diesem neuen Blog mit linksradikalen Scheuklappen die nötige Weit- und Übersicht und jeden freiheitlich-demokratischen Raum nehmen möchte.
    Ich habe heute kurz getestet und schnell entschieden, dass ich weder Ihrer wenig anregenden linken Attitüden bedarf noch Zeit für Ihre unreife Regenbogen-Kritikasterei aufbringen kann.
    Guten Tag.

  3. „Er hat, wie viele Rechte, ein Problem mit dem Wort „Flüchtling“, was ein bisschen ironisch ist, weil es sonst die Rechten sind, die sich darüber mokieren, wenn Menschen vorschlagen, bestimmte Begriffe nicht zu verwenden. Als „Political Correctness“ wird das dann bezeichnet, was ein Schimpfwort ist.“

    …womit ja auch schon gesagt wäre, dass die Rechten (Ich übernehme den Terminus mal der Einfachheit halber, auch wenn er arg unscharf ist.) ja durchaus nicht selten gegen bestimmte Begriffe vorgehen. Nur wenn sie selbst das machen, ist es natürlich was ganz anderes.

  4. Im dritten Satz wird Houellebecq fälschlich als „Houellebeck“ geschrieben. Könnte vielleicht korrigiert werden.

  5. Ich bin eigentlich kein Gscheidhaferl, aber der NPD-Bandido aus Bayern heißt Roßmüller, nicht Rosenmüller

  6. Wenn Frau Baetz tatsächlich bei einer Flüchtlingsberatung gelernt hat, „dass jeder Flüchtling zunächst per se illegal hier ist“, dann lässt das berechtigte Zweifel an der Qualität der Flüchtlingsberatung aufkommen. Tatsächlich handelt es sich um eine „illegale Einwanderung“, die laut dem in Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) festgelegten Grundsatz nicht bestraft werden darf, sofern er sich umgehend bei den Behörden meldet. Entsprechend muss er nach § 13 Abs. 3 AsylG an der Grenze oder andernfalls unverzüglich nach der unerlaubten Einreise um Asyl nachsuchen. Hat der Flüchtling dies gemacht, hält er sich also legal in D auf.

  7. Verehrter Stefan Niggemeier,
    Sie sind manchmal ungerecht, manchmal ungerecht – heute mal beides. Schade. Die Kolumnen und Moderationen von BMU sind von einer Tiefgründigkeit, die Ihnen offenbar leider ebenso entgeht wie abgeht, etwa beim eigenen Schreiben ganz und gar fremd ist. Wenn Sie jemals die Höhen der vielschichtigen Analyse, des listigen Scharfsinns und die Kunst des Formulierens eines BMU erklimmen sollten, wird Ihnen diese alberne Kolumne (nach einer Autofahrt…) noch peinlich werden. Daher: Bitte nicht löschen.
    Vermutlich hat der jahrelange Blick auf die BLÖD-Zeitung Ihre Sinne getrübt, ja infiziert – aber wenigstens hin/hören sollten Sie können. Dieser Text ist ein Fehlstart, ich wünsche Ihnen dennoch alles Gute für die Seite. Bessern Sie sich! Und hören Sie den DLF. ;)

  8. Vielen Dank für diesen Beitrag. Wenn die Aussagen dieses Herren im DLF für einige nicht mal mehr einen Aufreger wert sind, dann fühle ich mich ein wenig unwohl. Ich höre gerne unterschiedliche Meinungen, aber gegen Flüchtlinge zu hetzen, ist keine Meinung und um einen sachlichen Beitrag mit Erkenntnisgewinn handelt es sich erst recht nicht.

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