2021 hat sich für mich größtenteils nach zähem Stillstand, höchstens zögerlichem Vorantasten angefühlt. Dabei gab es für Journalist*innen doch wegweisende Veränderungen, räumlich und praktisch, in der konkreten Ausübung ihrer Arbeit, aber auch in ihrer gesellschaftspolitischen Positionierung als Pfeiler einer funktionalen Demokratie.
Die Corona-Pandemie hat so manche Entwicklungen im Journalismus zwar nicht unbedingt in Gang gesetzt, aber doch stark beschleunigt. Zum Beispiel das verstärkte Arbeiten im Homeoffice und die Reduktion der Newsrooms. Die Pandemie hatte natürlich auch 2021 großen Einfluss auf Themen und Produktionsbedingungen. Aber auch unabhängig vom Virus befindet sich der Journalismus in einem Prozess der Selbstfindung. Ich frage mich: Was hat sich für Journalist*innen im Jahr 2021 verändert und welche Entwicklungen werden in Twenty-twenty-two fortgesetzt?
Die Kolumne
Samira El Ouassil ist Zeitungswissenschaftlerin, verdient ihr Geld aber mit Schauspielerei und politischem Ghostwriting. Außerdem ist sie Vortragsreisende und macht, zusammen mit Friedemann Karig, den Podcast „Piratensender Powerplay“. Bei Übermedien schreibt sie seit 2018 jede Woche über Medien, Politik und Kommunikation.
Lektion 1: Journalismus ist kein Ort
Der niederländische Medienwissenschaftler Mark Deuze vertritt die Ansicht, dass in Zukunft große Redaktionen durch eine fragmentierte Belegschaft von unternehmerisch denkenden Journalisten ersetzt werden – eine technisch versierte, global denkende Gruppe, die von verschiedenen Standorten aus gemeinsam an Projekten arbeitet.
Was wie das der Pandemie geschuldete Arbeiten klingt, sind jedoch Überlegungen, die Deuze bereits vor der Pandemie getätigt hatte – aber mit den neuen hybriden Arbeitsmodellen und der Verzoomung der Newsrooms werden seine Prognosen vermutlich schneller Wirklichkeit. Das Arbeiten im Homeoffice beziehungsweise die unter dem pandemischen Druck entstandenen Möglichkeiten, ohne physische Anwesenheit dennoch täglich frische journalistische Produkte in die Schaufenster stellen zu können, erlaubt ein Nachdenken darüber, wie ortsgebunden Journalismus eigentlich sein muss: ob Präsenz zu besseren Produktionen und Produkten führt und was den konstanten Kern von professionalisierten Redaktionen ausmacht, in dem alles zusammenkommt.
In seinem Text „What Journalism Is (Not)“ erklärt Deuze, dass die traditionelle Organisation für die Nachrichtenindustrie nicht mehr notwendig sei, um relevant zu bleiben. Eine gewagte These, denkt man kurz, doch dann erklärt Deuze eben auch, was aus seiner Sicht den Journalismus zu Journalismus macht:
Wir befinden uns in einem wunderbaren Sumpf: Der Journalismus bleibt gleich, aber die Bedingungen, unter denen er praktiziert wird, haben sich nicht nur erheblich verändert, sie befinden sich in ständigem Wandel. Es ist zunehmend meine Behauptung, dass der Journalismus ein großes Potenzial hat, die Vorstellungskraft, Kreativität und (um Hans-Georg Gadamer zu paraphrasieren) Verschmelzung von Horizonten zu fördern, und eine Vielzahl von Funktionen (über die Information der Bürger hinaus) erfüllt, die für das Gedeihen der Gesellschaft notwendig sind. Indem er sich jedoch ständig an die sich verändernde soziale, technologische und politische Landschaft ausrichtet, kämpfen Journalismus als Beruf sowie Nachrichten als Branche darum, sich anzupassen und zu transformieren.
(Übersetzung von uns)
Journalismus als eine Disziplin, die sich im Dienste der Öffentlichkeit über ein Set an professionellen Werten definiert – wie Objektivität, Aufrichtigkeit oder das Streben nach Aufdeckung – ist zunächst eine Haltung, ein Wille, ein Auftrag sowie eine Technik, um jenen zu erfüllen. Was er nicht zwangsläufig ist: ein Ort.
Zwar sehen laut der nicht repräsentativen aber dennoch aufschlussreichen Studie „Changing Newsrooms 2021“ des Reuters Instituts weltweit befragte Medienschaffende das Büro als Schwerpunkt für die Zusammenarbeit und den physischen Newsroom noch als etwas, das den Geist des Unternehmens verkörpern soll; gleichzeitig hat es die coronabedingte Abwesenheit der Journalist*innen ermöglicht, über die Ortlosigkeit des Arbeitens in der Branche nachzudenken.
Ohne zu Beginn des Jahres zu metaphysisch werden zu wollen: Dass sich journalistisches Arbeiten unter diesen erschwerten Bedingungen neu orientiert, erlaubt es, die gesellschaftliche Position von Journalist*innen neu zu betrachten. Wo stehen Medienschaffende in dieser Krise, wenn sie in permanenter Flexibilität, die belastend wie befreiend sein kann, zwischen Privatem und Professionellen, Fragmentarischem und Dezentralem, zugleich Anker, Ausguck und Navigator sein sollen?
Die Erfahrungen mit Home-Office und hybrider Anwesenheit konnten zumindest den ewig stolz gepflegten Präsentismus widerlegen – also die Idee, dass nur produktiv ist, wer möglichst viel und möglichst lange im Büro ist. Redaktionen und Medienhäuser haben sich angepasst, weil sie es mussten, aber auch, weil ein neues Verständnis für die Art journalistischen Arbeitens erreicht wurde. Die Nachrichtenabteilung von RTL etwa nimmt derzeit an einem Pilotprojekt teil, bei dem Schreibtische entfernt und der Newsroom mit sogenannten shared hubs geöffnet wird, die jeder nutzen kann. Die anderen Redaktionen rasten in die neuen Bedingungen ein: In den USA haben etliche Newsrooms komplett geschlossen, es gab ein regelrechtes Aussterben lokaler Redaktionen. So hat etwa die „Daily News“ 2020 entschieden, die Büros an der New York Plaza dauerhaft zu schließen.
Wichtig bei diesem Umdenken sollte zukünftig auch sein, sicherzustellen, dass hybride Arbeitsformen die Ungleichheiten (etwa zwischen freien und festen Redaktionsmitgliedern) nicht verstärken, insbesondere bei Menschen mit Betreuungspflichten.
Lektion 2: Wissenschaftsjournalismus und journalistisches Arbeiten als Wissenschaft
Die Frage, wo der Journalist oder die Journalistin in alldem steht, führt mich insbesondere dazu, wie sich der Umgang mit Wissenschaftsjournalisten entwickelt hat, wie sie anerkannt oder als Gegner angegriffen wurden.
Im Juni 2021 veröffentlichte der Journalist und Autor Jonathan Rauch ein Buch mit dem Titel „The Constitution of Knowledge: A Defense of Truth“. Rauch zufolge zählen Journalist*innen zu der Bevölkerungsgruppe, die er als „wirklichkeitsbasiert“ bezeichnen würde; journalistisch erarbeitete Urteile basieren auf gemeinsamen Wahrheiten und schaffen zugleich ebensolche. Sie bilden sie nicht nur ab, sie gestalten auch die Öffentlichkeit. Das macht es, insbesondere in einem seit zwei Jahren anhaltenden, von Fehlinformationen durchdrungenen Krisenzustand, besonders dringlich, Wahrheiten zu finden.
Da das öffentliche Suchen und Aufdecken nach einem festen und für alle transparenten Set an theoretisch uneigennützigen Regeln erfolgt, setzt Rauch die journalistische Wahrheitsfindung hier mit der in der Wissenschaft gleich. Wahrhaftiger Journalismus befolgt immer – gewollt oder nicht – wissenschaftliche Methoden der Faktensuche.
Der Weg dorthin ist die redaktionelle Version der „sokratischen Methode“, wie Rauch schreibt. Jede These, jede journalistische Aussage muss auf Stichhaltigkeit und Validität hin überprüft, gegengecheckt, infrage gestellt, Autoritäten müssen kritisch hinterfragt werden. Die redaktionelle Arbeit, die Recherche, die Diskussionen im Newsroom werden gewissermaßen zu einem sokratischen Dialog, dessen journalistisches Ziel der Versuch ist, mithilfe der Methoden so nah an die Wahrheit heranzukommen, wie es die Instrumente erlauben. Wenn man so will, ist das publizistische Produkt die Dokumentation und das Ergebnis dieses sokratischen Prozesses. Journalisten arbeiten also im besten Fall schon grundsätzlich wissenschaftlich.
In der aktuellen pandemischen Situation sehnt sich eine Öffentlichkeit aber naturgemäß nach Verständnis, nicht nur nach der Vermittlung von Informationen. In einer oft unübersichtlichen wissenschaftlichen Nachrichtenlage geht es nicht mehr nur um die reine Darstellung von Geschehenem, sondern auch um eine Unterstützung beim Begreifen. Für Wissenschaftsjournalisten ergibt sich dadurch eine undankbare Position; einerseits müssen sie die Rezipient*innen an die Hand nehmen, andererseits werden sie genau dafür mitunter gerne kritisiert, weil sie dies angeblich zu ideologisch, zu bevormundend, zu gängelnd tun. Dieser Widerspruch ist schwierig aufzulösen, denn schließlich brauchen wir ja gerade in einer Infodemie den Fremdenführer, der uns nicht nur informiert, sondern beim Orientieren hilft. Gleichzeitig müssen Wissenschafts- und Datenjournalist*innen in der Pandemie noch viel konzentrierter erfahren und kommunizieren, was Wissenschaft bedeutet: dass Erkenntnisse von neuen Erkenntnissen übertroffen werden können. Was gestern noch galt, muss heute nicht mehr (in dieser Form) richtig sein.
Da wir vor allem auch in der pandemischen Entwicklung mit Feedbackloops zurechtkommen müssen, also mit informationellen Rückkopplungsschleifen zwischen Politik und Wissenschaftsjournalismus, steigt zudem nicht nur die gesellschaftliche, sondern auch die politische Verantwortung von Wissenschaftsjournalisten.
Wenn das Jahr 2021 uns etwas gelehrt haben sollte, dann der Wert dessen, was Wissenschaftsjournalismus leisten kann – genauso wie die Notwendigkeit einer auf Expertise basierenden Berichterstattung, die in der Lage ist, Wissenschaft für die Öffentlichkeit zu übersetzen.
Nicht nur im Hinblick auf die Corona-Pandemie, sondern insbesondere bei der Klimaberichterstattung sind die Herausforderungen dieser Übersetzungsarbeit enorm: Die Klimakrise findet sowohl unmittelbar vor unserem Fenster statt – wie wir es 2021 etwa an den folgenreichen Hochwassern sehen konnten – als auch in einer Art Zeitlupe über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg. Die Nachrichtenagenden von Redaktionen sind in vielerlei Hinsicht nicht auf solch einen Wandel ausgerichtet. Wissenschaftsjournalst*innen nehmen deshalb schon allein in der Form ihres Arbeitens eine Sonderrolle ein, sobald sie vor noch nicht eingetretenen Problemen warnen. Diese Rolle wird ihnen oft zu ihrem Nachteil ausgelegt, die Berichterstattung über wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Zukunft betreffen, als Alarmismus, dem genauen Gegenteil von gutem Journalismus, deklariert.
Ihre Aufgabe wird sich zusehends mit der von Politikjournalist*innen überschneiden müssen. Wenn Wissenschaftsjournalist*innen auf Grundlage ihrer Expertise politische Entscheidungsträger*innen zur Rechenschaft ziehen, wird dies mitunter als Überschreitung ihrer Pflichten angekreidet.
Diese undankbare Konstellation wird auch noch verstärkt durch die Tatsache, dass Wissenschaftsjournalisten oft eine Politik kritisieren, deren volle Auswirkungen sie und das Publikum wohl gar nicht mehr erleben werden. Schlechtestenfalls werden sie als nebulös warnende Kristallkugelwichtigtuer und Angstmacher abgestempelt, die sich im politischen Berlin nur groß machen wollen, weil ihnen das Erklären von Augentierchen nicht mehr auszureichen scheint.
Dabei können und sollten uns gerade Wissenschaftsjournalist*innen helfen und aufzeigen, was guten Journalismus ausmachen sollte – beim Auffinden und Konkretisieren von (gesellschaftlichen) Problemen. Eigentlich wäre das naheliegend: Das wissenschaftliche Arbeiten zeichnet sich ja in vielen Bereichen durch eine Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit aus, die Journalist*innen generell nicht fremd ist (oder sein sollte).
Lektion 3: Verhältnismäßigkeiten und Feedbackloops
Das führt mich zur medialen Abbildung der Querdenker*innen, Maßnahmenverweigerer*innen und den aus Überzeugung handelnden Impfverweigerern. Auch diese bekamen 2021 sehr viel Raum in der Berichterstattung. Die Frage muss gestellt werden, ob ihre mediale Präsenz im Verhältnis zu ihrer tatsächlichen Zahl gerechtfertigt war oder ob die politische Sphäre ihnen (im medialen Vergrößerungsglas) zu viel Aufmerksamkeit gab, die sich auch in politische Entscheidungen zugunsten der Impfgegner übersetzte. Gerne wurde hierfür das „vor sich hertreiben“ als Bild genutzt.
Ich würde sagen: ja und nein. Dass man über diese Gruppe(n) berichtet, hat deshalb schon einen Wert, weil sie eine soziologische Besonderheit in Deutschland zu sein scheinen. In anderen europäischen Ländern sind die Zahlen extremistischer Maßnahmenverweigerer verhältnismäßig kleiner. Dennoch finden sich unter ihnen eben auch Personen, die engagiert handeln, um Nachrichten (über sich) zu produzieren – eine Selbstinszenierung und Sehnsucht nach Bestätigung, die man eben nicht durch Bilder und Berichte belohnen sollte.
Das führt zu der uns das ganze letzte Jahr über begleitenden Diskussion über eine falsche Ausgeglichenheit, das sogenannte False Balancing beziehungsweise Both-Sidedism, worüber auf Übermedien schon häufiger nachgedacht wurde (Stichwort: aus dem Fenster schauen, um zu überprüfen, ob es regnet).
Ein Schlüssel zur Auflösung des vermeintlichen journalistischen Dilemmas des Chronisten, der seiner Abbildungspflicht nachkommt, aber zugleich mit den demokratischen Mitteln der Presse nichts vergrößern sollte, was demokratiefeindlich ist, ist ein Text von John Dewey. Dewey machte bereits 1927 in seinem Buch „The Public and Its Problems“ folgenden Vorschlag:
Die Zeitung der Zukunft muss ihre Beziehung zu allen Institutionen überdenken, die das öffentliche Leben nähren, von Bibliotheken über Universitäten bis hin zu Cafés. Sie muss mehr tun, als diese Institutionen „abzudecken“, wenn sie zufällig Nachrichten machen. Sie muss mehr tun, als ihre Werbung zu drucken. Die Zeitung muss erkennen, dass ihre eigene Gesundheit von der Gesundheit Dutzender anderer Einrichtungen abhängt, die die Menschen aus ihrer privaten Welt herausholen. Je größer die Anziehungskraft des öffentlichen Lebens ist, desto größer ist der Bedarf an der Zeitung. Leere Straßen sind schlecht für Redakteure, trotz der Fülle von Kriminalnachrichten, die sie erzeugen können. Je leerer die Straßen, desto leerer wird die Zeitung den Lesern erscheinen, die in ihren Privathäusern verbarrikadiert sind…
(Übersetzung von uns)
In Anbetracht der pandemischen Maßnahmen entfalten die letzten Sätze eine milde Ironie. Aber im übertragenen Sinne finde ich den Gedanken reichhaltig: Die Presse arbeitet nicht nur im Dienste der Öffentlichkeit, ohne dabei Werkzeug der Gesellschaft sein zu müssen, und sie spiegelt diese Öffentlichkeit nicht nur, sondern fördert sie auch. Nicht aus ökonomischen Gründen, sondern aus demokratischen.
Das bedeutet, auch zu zeigen, was in Bezug auf die Pandemie eben genauso passiert, um die vitalen und konstruktiven Teile unseres „öffentlichen Lebens“, wie Dewey schreibt, sichtbar zu machen: die mehr als zwei Drittel, die sich haben vollständig impfen lassen, die unermüdliche Arbeit der Menschen in den Gesundheitsberufen, die Initiativen, die Arbeit in Schulen, Cafés, Geschäften, Universitäten. Auch und gerade sie Teil der publizistischen Öffentlichkeit werden und sein zu lassen, ist demnach geboten.
Lektion 4: Journalisten besser beschützen
Von der Suche nach dem realen und symbolischen Ort, an dem Journalisten unbehelligt arbeiten können, über die Würdigung der Arbeit von Wissenschaftsjournalist*innen, die in Deutschland letztes Jahr ganz besonders in den Fokus von Pressefeinden geraten waren, kommen wir zur letzten erhofften Lektion aus 2021, die gleichzeitig mein Wunsch für 2022 wäre: dass wir Journalismus besser schützen, indem wir Journalist*innen besser schützen.
Unter dem Hashtag #ausgebranntePresse werden Erfahrungen von Medienschaffenden gesammelt, die insbesondere seit Beginn der Pandemie und der Berichterstattung darüber bedrohlichen Spießrutenläufen ausgeliefert sind.
In seiner Rede wünscht sich Anmelder Eric Graziani schließlich vor dem ZDF-Studio, dass „die Presse zum Schweigen gebracht wird“. Im Nebensatz heißt es dann: „natürlich friedlich.“
Erst am Montagabend versammelte sich eine Menge an Menschen vor dem ZDF-Hauptstadtstudio, skandierte unter anderem „Lügenpresse“. Reporter Julius Geiler berichtet, wie der Anmelder der Demonstration vor dem Studio sich wünschte, dass die Presse zum Schweigen gebracht werde. „Natürlich friedlich“, ergänzte er.
Deutschland ist 2021 aus der Gruppe der Länder gerutscht, die für Pressevertreter zu den sichersten zählen. Auf der Weltkarte der Pressefreiheit ist Deutschland nicht mehr weiß, sondern gelb.
Hauptgrund der neuen Bewertung sind die Attacken auf Berichterstattende während ihrer Arbeit am Rande von Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen. Mit 65 gewalttätigen Angriffen im Jahr 2020 gegen Medienschaffende hat sich die Zahl der Attacken verfünffacht. Journalist*innen seien geschlagen, getreten, zu Boden gestoßen, bespuckt, bedrängt, beleidigt, bedroht und an der Arbeit gehindert worden.
Michael Rediske, Vorstandssprecher von „Reporter ohne Grenzen“, sagt deshalb:
Aufgrund der vielen Übergriffe auf Coronademonstrationen mussten wir die Lage der Pressefreiheit in Deutschland von „gut“ auf nur noch „zufriedenstellend“ herabstufen: ein deutliches Alarmsignal.
Es ist gefährlich, journalistisch zu arbeiten, und es ist auch 2021 gefährlicher geworden. Der russische Journalist Dmitry Muratov und die philippinische Journalistin Maria Ressa haben vergangenes Jahr den Friedensnobelpreis erhalten; verbunden mit einem klaren Aufruf, Journalismus zu schützen und die Sicherheit von Journalist*innen weltweit zu verbessern. Muratov und Ressa wurden ausgezeichnet für ihren Kampf für die Meinungsfreiheit unter erschwerten Bedingungen. „Im Moment sehen wir, dass ein Krieg gegen uns geführt wird“, sagte Muratov Anfang Dezember gegenüber dem „Time Magazine“.
Die Unesco hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, in der zusätzlich zu physischer Gewalt auch Online-Bedrohungen als Gefahr, der Journalist*innen ausgesetzt sind, mit erhoben wurden. 73% der befragten Frauen haben genau diese „online violence“ bereits erfahren. Zusätzlich erleben manche das, was in der Studie als „slow burn“ beschrieben wird: Diese Online-Übergriffe wirkten zwar auf den ersten Blick weniger drastisch als physische Gewalt, können aber aufgrund ihrer Konstanz heimtückische Auswirkungen auf die Betroffenen haben, darunter posttraumatische Belastungsstörungen. Wie nach einem Krieg.
Die Quintessenz der Lektionen
Und das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis des Jahres 2021 und Quintessenz der Lektionen: Journalismus muss entgegen aller Widrigkeiten jetzt ganz besonders funktionieren können. Die Gesellschaft trägt Journalisten gegenüber Verantwortung. Nicht nur der Journalismus hat einen Auftrag und eine Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber. Wenn dieser Auftrag Technik und Handwerk verbunden mit Arbeitsethos ist, müssen wir gesamtgesellschaftlich die bestmöglichen Arbeitsbedingungen herstellen und bewahren, um einen widerstandsfähigen Journalismus zu gewährleisten. Wir müssen unsere Journalist*innen und damit unser demokratisch und gesellschaftspolitisch wichtigstes Gut, besonders in eine Krise, schützen: die Wahrheit.
No comment?
Um kommentieren zu können, müssen Sie Übonnent sein.