Wochenschau (113)

Das Sterben zeigen

Seit ein paar Monaten frage ich mich, in welcher Form die Pandemie am sinnvollsten abgebildet werden kann. Wie berichtet man über ihren Schrecken, ihre Konsequenzen, ihre akuten Gefahren? Alle Darstellungsformen, ob Kurven, Tabellen, Bilder, Interviews und Reportagen erwecken für mich den Eindruck, als rede man über Windstärken, um die Existenz eines Sturms zu dokumentieren. Sie nähern sich dem Virus zwar an, aber berichten über seine Brutalität und die Auswirkungen auf uns alle nur auf unbefriedigende Weise vermittelnd, nicht wirklich zeigend, also: tell statt show. Die journalistische Herausforderung bei einer Pandemie ist ähnlich wie bei Hunger, Krieg oder Klima: Die Sache überhaupt greifbar zu machen, begreifbar zu machen.

Ich meine, diesbezüglich mittlerweile eine verzweifelte, suchende Ratlosigkeit auf medialer Ebene auszumachen. Vielleicht ist es reine Projektion meinerseits, aber ich habe den Eindruck, dass sich ein „Was sollen wir denn noch zeigen, um den Ernst der Lage sichtbar zu machen?“ in einzelnen Berichten eingestellt hat.

Der kürzeste Artikel des „Spiegel“ zu Corona zum Beispiel trägt den Titel: „Was Entwurmungsmittel gegen Corona taugen“ und geht so:

Es wirkt nicht! Sie gefährden sich damit womöglich sogar. Lassen Sie bitte die Finger davon.

Frontberichte

Ein anderer Weg, um bestenfalls Bewusstsein zu schaffen, ist mittlerweile ein eigenes Genre: Frontberichte von Menschen in Gesundheitsberufen. (Diese Form gab es auch schon vor Corona, aber während der Pandemie bekommt sie eine neue publizistische Dringlichkeit.)

Am 20. November hat der „Spiegel“ einen Schwerpunkt zum Thema Pflegenotstand gesetzt und dafür auf seiner Startseite Berichte von Menschen aus Gesundheitsberufen präsentiert. Stationsleiterinnen und Krankenpfleger schilderten die Zustände, die aktuell coronabedingt in überlasteten Kliniken und Abteilungen herrschen.

„Ich hatte oft nur Glück, dass keiner meiner Patienten gestorben ist“, erklärt die Ex-Pflegerin Ute Beißwenger.

„Ich kann diesen Wahnsinn nicht ertragen“, sagt die Intensivpflegerin Claudia Hoffmann.

„Ich habe Angst vor dem Dezember“, sorgt sich die Stationsleiterin Carolin von Ritter-Zahony.

Im Interview mit Pfleger Ricardo Lange fragt Nike Laurenz schlicht: „Wie stirbt ein Mensch, der Corona hat, Herr Lange?“, und Lange antwortet:

[…] auch wenn die meisten ersticken, verläuft der Prozess des Sterbens davor sehr unterschiedlich, da ist das Virus sehr tückisch. Ich hatte mal einen Patienten, der war wach, ansprechbar, halbwegs in Ordnung. Natürlich nicht so, dass er auf der Normalstation hätte liegen können, aber auch nicht so krank, dass er hätte intubiert werden müssen. Ich habe zu ihm gesagt: „Schönen Abend noch, wir sehen uns morgen.“ Am nächsten Tag war er tot.

Visualisierungen

Die „Süddeutsche Zeitung“ verdeutlichte das Sterben durch eine ebenso reduzierte wie aussagekräftige grafische Form, indem sie ebenfalls am 20. November für jeden bislang Verstorbenen ein Kreuz abdruckte, 100.000 Kreuze über vier Seiten hinweg.

Titelseite der "New York Times" mit den Namen von 1000 Corona-Toten
Titelseite „New York Times“ vom 24. Mai 2020

Durch die Vervielfältigung entstand ein neues Bild, eine eigene Bildsprache, um das Unabbildbare abzubilden, die an den Versuch der „New York Times“ erinnerte, die 1.000 Namen von Coronatoten auf ihre Titelseite druckte.

Die „Süddeutsche“ ging die Abstraktheit der Pandemie zudem mit digitalen Projekten an, arbeitete mit Visualisierungen, Interaktivität und Scroll-Mechaniken, um die Ungreifbarkeit von Infektion und Tod journalistisch zu überwinden.

Bilder, Sinnbilder

Der Tod selbst wird dabei allerdings schwer begreifbar und muss anhand der Berichte von Beteiligten oder durch die grafische Abstraktion erahnt werden; es ist immer eine Vermittlung, die bereit selbst durch eine Mediatisierung ja schon selbst eine Vermittlung ist. Wie konkret, wie visuell muss der Horror werden, um unvermittelt zu sein? Sarah Elizabeth Lewis, Professorin für Kunst- und Architekturgeschichte sowie afrikanische und afroamerikanische Studien an der Harvard University, plädiert in ihrem Text „Where Are the Photos of People Dying of Covid?“ für eine Sichtbarmachung der Verstorbenen selbst und sagt im Interview:

„Wenn man an verschiedene Momente in der Geschichte zurückdenkt, sei es der Bürgerkrieg oder die große Depression oder Momente in der Bürgerrechtsbewegung, dann gibt es Bilder, die zu Symbolen für Opfer und menschliche Kosten werden. Was wir jetzt nicht sehen, und es ist wirklich schwierig, sich das vorzustellen, sind diejenigen, die an Covid gestorben sind, die an Covid sterben, deren eigenes Opfer wirklich eine Möglichkeit ist, die Schwere des Augenblicks zu verstehen.

Wie sie im Gespräch mit dem öffentlich-rechtlichen Sender NPR erklärt, glaubt sie „als Historikerin“ daran, dass Debatten in den USA in Bezug auf Maskenpflicht und Impfungen anders verlaufen wären, hätte es mehr Bilder von persönlichem Leid gegeben. Sie sagt:

Die Geschichte lehrt uns das. Ob im Zusammenhang mit der Bürgerrechtsbewegung oder mit Pandemien, wir wissen, dass Bilder, die als Sinnbilder für Opfer auftauchen, die Massen zum Handeln bewegt haben. Ich glaube, sie tun dies, weil sie uns zwingen, uns mit dem Unaussprechlichen auseinanderzusetzen.

Pietät

Es gibt offensichtliche und selbstverständliche Gründe, warum das Sterben selbst nicht sichtbarer ist, die Toten nicht die Protagonisten und Protagonistinnen der Nachrichten und Artikel sind: Natürlich aus Schutz der Persönlichkeitsrechte, aber auch aus Pietät und Rücksicht auf die Verstorbenen und ihre Angehörigen. Oder sollte man aus Pflegeheimen und Intensivstationen plötzlich wie aus Kriegsgebieten berichten und die Kamera auf Leichen und Sterbende richten?

Genau dafür entschied man sich in einer 15-minütigen Dokumentation der „New York Times“, die den Arbeitsalltag zweier Krankenschwestern auf einer Covid-Station in Arizona zeigt; aus ihrer Perspektive, gefilmt mit kleinen GoPro-Kameras. Wir sehen, wie sie die Hände Sterbender halten, mit ihnen beten, wie sie Angehörige per Videotelefonie ans Bett bringen, damit sie sich von den Sterbenden verabschieden können. Wir sehen, wie die Krankheit Patienten tötet. Wir sehen aber auch die Überarbeitung der Schwestern, ihre Traurigkeit über jeden Verstorbenen, die psychische Belastung.

Die herausragende vierteilige Doku-Serie „Charité intensiv“ begleitete ebenso das Klinikpersonal der Covid-Station 43 in der Berliner Charité während des Höhepunkts der Winterwelle.

Die Krankheit wandelt sich in der Berichterstattung von einer unsichtbaren Bedrohung zu einem konkreten, alptraumhaften Szenario; von etwas, von dem einem traurig und wütend erzählt wird, zu etwas Gezeigtem, das einen traurig und wütend machen kann und machen darf.

Nahe Tote, ferne Tote

Wir gehen auch ein bisschen bigott mit der Darstellung des Todes in Medien um, insofern als dass wir die Totenwürde unterschiedlich sensibel respektieren, je nachdem wie geografisch nah oder entfernt die Opfer sind. Es scheint: Je weiter weg, desto mehr sichtbare Leichen ertragen wir. Ist das Argument der Pietät also ein gültiges, wenn es nicht für alle Menschen gilt?

Der Wiener Journalismusforscher Folker Hanusch beschäftigt sich mit der Darstellung des Todes in westlichen Medien. In seinem Buch „Representing Death in the News: Journalism, Media and Mortality“ erklärt er, „dass der Tod, und insbesondere die bildliche Darstellung des Todes, in westlichen Zeitungen tatsächlich sehr selten gezeigt wird“. Eine systematische Analyse der Berichterstattung über den Tod in großen amerikanischen Zeitungen habe festgestellt, „dass zwar häufig über den Tod berichtet wurde, aber nur sehr selten Leichen gezeigt wurden. Diese Feststellung wurde auch in anderen Zusammenhängen wiederholt“. Demnach zeigen die Zeitungen „zwar nur sehr wenig tatsächliche Todesfälle, aber wenn, dann kommen die Toten mit größerer Wahrscheinlichkeit aus dem Ausland und noch wahrscheinlicher aus weit entfernten Kulturkreisen“.

Das führt vielleicht zum eigentlichen Grund der Abwesenheit der Toten: Es ist auch eine kulturabhängige, genauer, eine makrosoziologische Frage, die sich in die Art, wie wir den Tod mediatisieren, fortsetzt. Hanusch veranschaulicht die Kontextsensitivität im medialen Umgang mit dem Tod in seiner Studie zur Berichterstattung über das Erdbeben in Haiti im Jahr 2011, in der er mehrere Länder miteinander verglichen hat:

Es zeigten sich starke Unterschiede in der bildlichen Darstellung – abhängig davon, ob ein Land katholisch oder protestantisch beeinflusst ist. Medien in katholisch geprägten Ländern haben viel explizitere Fotos abgedruckt. Meine Erklärung dafür war, dass die Ikonographie des Katholizismus generell „blutiger“ ist.

Kontrollierter Umgang

Es wäre jetzt einfach zu argumentieren, dass einer der Gründe der visuellen Abwesenheit des Todes auch die allgemeine Verdrängung des Todes aus westlichen Gesellschaften ist – aber dass der Tod aus der Moderne verdrängt wurde, ist soziologisch widerlegt; der Umgang mit ihm ist jedoch ein kontrollierter, entritualisierter, was wiederum wie eine Art Verdrängung des Ablebens wirken kann.

Der Soziologe Klaus Feldmann entwickelte die These, dass wir „nicht im Zeitalter der Verdrängung des Todes, sondern der Kontrolle, ja des erfolgreichen Kampfes gegen Sterben und Tod“ leben.

Was gesellschaftlich eigentlich erfolgte – und wie eine Verdrängung des Todes aus modernen Gesellschaften erscheinen kann – ist eine Individualisierung des Todes, bei gleichzeitiger Verlängerung der Lebenserwartung. Das heißt: Die meisten Menschen haben heute mehr Lebenszeit, um sich keine Sorgen über den Tod machen zu müssen. Hinzu kommen gesellschaftliche Entwicklungen der Säkularisierung, Desakralisierung und ein bürokratischer Umgang mit dem Tod in Form von Hospitalisierung, sowie ein modernes Wissenschaftsverständnis.

Geimpft, genesen, gestorben

Die Überfordertheit, die sich aus dem Umgang mit dem Sterben ergibt (das ja dennoch existiert), wenn dieses eher individuell organisierte Ereignis nun in die Öffentlichkeit drängt, kann man vielleicht an der kritischen Reaktion auf eine Äußerung Jens Spahns erkennen. Während der Bundespressekonferenz am 22. November sagte er: „Wahrscheinlich wird am Ende dieses Winters jeder geimpft, genesen oder gestorben sein“ – und er hat recht.

Was irritierte, war möglicherweise nicht die Resolutheit, mit der er das verkündete, sondern die Lakonie, die aus diesem Satz spricht, während im Kontrast dazu etwas Katastrophales geschildert wird. Das kann sich in der vermeintlichen Krassheit des Gegensatzes von Form und Inhalt wie Zynismus anfühlen, ist aber vielleicht tatsächlich einfach auch die letzte Möglichkeit, den Horror, den wir jetzt schon erleben, wiederzugeben und zu kommentieren. In Krisenzeiten ist Lakonie die Verzweiflung der Erschöpften.

Radikal direkt

Aufgrund dieser Verzweiflung und Ohnmacht sowie der Individualisierung des Umgangs mit dem Tod, hat sich die Auseinandersetzung mit dem Sterben auch in die sozialen Netzwerke verlagert, beispielsweise in Form von Aufnahmen aus Pflegestationen und durch online geteilte Berichte zermürbter Ärztinnen und Pfleger auf Instagram und Twitter.

Insbesondere Carola „Doc Caro“ Holzner und Pfleger Ricardo Lange nutzen ihre Kanäle, um den Horror zu verarbeiten und zu vermitteln. Die Mediatisierung des Todes zeichnet sich hier durch eine radikale Direktheit aus, in der nichts verborgen oder beschönigt wird.

Im April 2021 begab sich der indische Journalist Vinay Srivastava auf die Suche nach medizinischer Hilfe, als er unter heftigen Covid19-Symptomen litt. Die Pandemie hatte Indien gerade mit voller Wucht erwischt, über 270.000 Neuinfektionen an einem Tag, die Metallgerüste der Krematorien schmolzen aufgrund ihres Dauereinsatzes. Die Krankenhäuser waren überfüllt, er wurde abgewiesen.

In seiner Verzweiflung fängt er an, seine Sauerstoffsättigung zu twittern: „Ich bin 65 Jahre alt. Außerdem habe ich Spondylitis, aufgrund derer mein Sauerstoff auf 52 gesunken ist. Niemand im Krankenhaus-Labor oder der Arzt geht ans Telefon“, schreibt er auf Twitter, in der Hoffnung auf Rettung. Ein durchschnittlicher Wert wäre mindestens 95. Die Spondylitis, seine Wirbelsäulenerkrankung, erschwert die Situation.

Er twittert, als sein Wert auf 50 fällt. Und er twittert ein Foto seines Pulsoximeters, ein kleines Gerät, welches die Sauerstoffsättigung misst, als sein Wert 31 beträgt. Kurz danach ist er tot.

Als Journalist, der er war, hat er sein Sterben an Corona öffentlich geteilt, es in einem Land mit kollabiertem Gesundheitssystem in Echtzeit dokumentiert.

Verzweiflung

Und während ich noch auf der Suche nach der Antwort auf die eingangs gestellte Frage bin – Wie berichtet man über den Schrecken und die Konsequenzen dieser Pandemie? – sehe ich das Video einer Seniorin aus Annaberg-Buchholz in Sachsen, die in der Freitagsausgabe von „MDR Aktuell“ interviewt und offenbar gefragt wurde, ob sie sich Sorgen mache. Sie antwortete:

Natürlich mache ich mir Sorgen! Ich bin doppelt geimpft, warte auf meine Boosterimpfung, mein Mann ist an Corona verstorben, ich war im Krankenhaus, und jetzt halte ich mich von meinen Enkeln fern, weil ich Angst habe, dass sie etwas aus der Schule nach Hause bringen und jetzt fahre ich auf den Friedhof. Das ist so unmöglich, was hier passiert. Das dürfte nicht sein! Und wenn im Sommer schon was gemacht worden wäre, dann wäre das nicht alles so schlimm.

Mir tut ihr Herz weh und ich fange an zu weinen. Das ist es – das Video müsste allen gezeigt werden! Was dieses Dokument so entrückend macht, ist der Zugang zu ihrem Schmerz, zu ihrer absoluten Verzweiflung über den Irrsinn dieser ganzen Situation. Sie bildet mit ihrer Fassungslosigkeit alle Opfer dieser Pandemie ab: sich, ihre Enkel, ihren Mann. Wir müssen dafür nicht einmal einen Verstorbenen zeigen, wir müssen dieser Verzweiflung über den Verlust nur eine würdige Abbildung gewähren.

Vielleicht ist es also nicht nur der Tod, den wir mehr sehen müssten, und die Wut der Impfgegner, die wir weniger zeigen sollten, sondern auch noch das journalistisch am schwierigsten Abzubildende: die unendliche Traurigkeit.

22 Kommentare

  1. „Das ist es – das Video müsste allen gezeigt werden!“

    Für die selbsternannten „Impfskeptiker“ sind das doch alles Darsteller, die angeheuert werden, um bei ihnen Emotionen zu wecken. Aber da fallen die Blitzbirnen doch nicht drauf rein, nur weil eine Oma heult! Dafür sind die doch viel zu schlau. Die (illegale) Regierung versucht doch nur, die weichzukriegen mit solchen Bildern! Das ist Propaganda und der Anfang vom Ende der Demokratie.
    Wer Sarkasmus findet darf ihn behalten.

    Die werden immer eine Erklärung finden, um ihre Position nicht überprüfen zu müssen.
    Impfpflicht jetzt, anders geht es nicht mehr. Hatten alle genug Chancen.

  2. Um den Schrecken von Corona wirklcih einordnen zu können, fehlt mir ein Vergleichswert. Die Zahlen stehen da und sollen zum Grausen verleiten. Aber ich kann die Zahlen nicht einordnen: Sterben mehr oder weniger Personen an Corona als an Autounfällen. Oder an Leukämie. Oder an Herzinfarkt? Wenn man diese Zahlen gegenüberstellen würde, so kann ich mir vorstellen, würden sie ihre volle Wucht entfalten.

  3. „Ist das Argument der Pietät also ein gültiges, wenn es nicht für alle Menschen gilt?“ Natürlich schulde ich nahen Angehörigen mehr Pietät als Menschen aus meinem größeren Bekanntenkreis, und denen wiederum mehr Pietät als völlig Fremden.
    Ein Toter (gemeint ist einer, den man kennt) ist eine Tragödie, eine Millionen Tote eine Statistik. Das kann gar nicht anders sein. Man kann nicht für die Millionen eine Millionen Mal so viel trauern wie für den einen, eher trauert man für den einen auch nicht.

    Der Spahn-Spruch klingt leider viel zu optimistisch, denn es wird impliziert, dass die Pandemie dann vorbei sei.

  4. Ich glaube, man sollte tatsächlich mehr Bilder von (unkenntlich gemachten) Toten zeigen. Denn es werden ja schon andauend Betroffene gezeigt, ob Angehörige von Coronaopfern oder Pflegerinnen oder Ärzte. Die Öffentlichkeit/Impfgegner/Ungeimpften hören und sehen aber nicht hin. Da stimme ich Anderer Max zu.

    Würde man aber stattdessen die vielen, vielen Verstorbenen zeigen, könnten die Zweifler, die Bequemen und die Gleichgültigen nicht einfach behaupten, es gäbe gar keine Coronatoten. So wie vor 70 Jahren als die US-Soldaten die ansässige Bevölkerung gezwungen haben, durch das KZ zu gehen, das oft nur wenige Kilometer vom Wohnort existierte. Es geht mir hier nicht um den NS-Vergleich. Ich will nur verdeutlichen: Auch damals konnte niemand nicht wissen was da vor sich ging. Viel zu groß war der Apparat, viel zu groß die nötige Logistik und Infrastuktur, viel zu viele Opfer gab es. Und dennoch war es sogar noch bis in die 80er und darüber hinaus gängig zu behaupten, dass viele Menschen, die den Nationalsozialismus erlebt hatten, von allem nichts gewusst hätten. Mit der Tour durchs KZ konnten sie aber wenigstens nicht mehr behaupten, sie hätten nicht existiert.

    Ohne diese Bilder wird es den Coronaleugnern meiner Meinung nach unnötig leicht gemacht, einfach so zu tun, als wäre eine Statistik nur ein beliebiger Haufen von Zahlen und ein sachliches Argument nur eine Meinung.

  5. @4: „(…) könnten die Zweifler, die Bequemen und die Gleichgültigen nicht einfach behaupten, es gäbe gar keine Coronatoten. (…)“

    Aus eigener Diskussionserfahrung: Da kommt dann ein „An oder mit Corona verstorben? ;) Die Propaganda glaubst du? lol“ und das Thema ist durch. Die sind schon voll Durchimmunisiert, leider gegen Fakten und nicht gegen Corona.

    Ich weiß, ich bin da etwas radikal: Impfflicht und die Leute aus ihren Arbeitsstätten mit Polizei rausholen und vor den Augen ihrer Kollegen zum Impfzentrum schleifen. Wenn se sich dann Judensterne anbappen, direkt Strafanzeige wegen Verharmlosung des Holocaust erstatten. Gegen deren asoziales Verhalten hilft kein Bitten und Predigen mehr. Da muss sich der Staat jetzt mal unbeliebt machen. Allein schon, damit ich in so einer Diskussion sagen kann: „Ist Pflicht, kann ich nichts für, hör auf mich anzufeinden. Feinde den Staat an, wenn du meinst.“
    Hilft auch gegen die herbeigeredete „Spaltung der Gesellschaft“. Wenn wir alle wieder gemeinsam gegen „den Staat“ schimpfen können, wären doch alle zufrieden.

    Und lass euch keine Scheiße einreden, die Lügen gerade aus allen Rohren:
    https://www.laekh.de/aktuelles/detail/warnung-vor-irrefuehrenden-informationen-zur-haftung-bei-covid-19-impfungen

  6. @5: Da ist durchaus was dran. Ich denke tatsächlich nicht, dass man mit Fotos von Coronatoten die Hardcore-Coronaleugner und marschierenden Faschisten einfangen kann. Allerdings glaube ich, dass ein erheblicher Teil derjenigen, die sich mit diesen Leuten gemein machen, doch schockiert und zum Nachdenken über die eigene Position angeregt werden.

    Ein Argument lässt sich leichter wegwischen als ein Bild, das sich ins Hirn brennt.

    In der Frage der Radikalität bin ich von Ihrer Position zum Umgang mit Impfverweigerern übrigens gar nicht so weit entfernt. Allerdings halte ich das physische Zwingen zum Impfen für überzogen. Davor gibt es noch einige Druckmittel, die endlich angewendet gehören.

  7. Ich sehe das auch so wie Anderer Max in #1.
    Man kann da versuchen medial zu „zeigen“ was man will — das kommt bei den Leuten nicht an. Die faseln dann von „Propaganda“, “ das gab es bei irgendeiner Grippe auch“, „die Leute sterben doch eigentlich an was anderem“ blabla.

    Ich glaube aber nicht, dass eine Impfpflicht langfristig hilft weil die Leugner sich dann noch mehr als Opfer darstellen können.
    Die einzige Möglichkeit, hier ein Umdenken zu erreichen ist mMn die Welle durchlaufen zu lassen. Dann passiert nämlich das, was oben im Artikel mit:

    „Je weiter weg, desto mehr sichtbare Leichen ertragen wir.“

    richtigerweise gesagt wird.
    Wenn hier mehr Leute sterben und jeder das im Bekanntenkreis erfährt — nur dann wird es ein Umdenken geben.
    Das sieht man ja auch in Spanien, Portugal etc. Überall, wo es schon eine schlimme Welle gegeben hat sind die Proteste gegen Coronamaßnahmen marginal.

    Klingt blöd, ist ethisch sicherlich fragwürdig — und für andere Kathastrophen wie z.B. dem Klimawandel ein sehr schlechtes Zeichen — aber offenbar lernen Menschen nur durch eigene Schmerzen und nicht durch „bessere Information“ aus den Medien.

  8. „Ohne diese Bilder wird es den Coronaleugnern meiner Meinung nach unnötig leicht gemacht…“ Eigentlich finde ich nicht, dass die Medien in der Hinsicht „versagt“ haben. Bzw., bestimmt haben die auch nicht immer alles richtig wiedergegeben, aber die kommunikativen Fehler liegen mehr bei der Regierung, was mich mittlerweile sehr frustriert.
    Mal als Beispiel: Weil Taten mehr als Worte zählen, vermittelt die Entscheidung, Impfzentren zu schließen, mehr „Alles ist gut“, als man mit Bildern von Coronatoten wieder rückgängig machen kann.
    Oder, statt zu sagen, dass man keine Impfpflicht einführen wolle, hätte man auch sagen können, dass man eine Impfpflicht für unnötig hielte, wenn man bis Monat x eine Impfquote von y% hätte (neue griechische Buchstaben vorbehaltlich). Aber es war ja Wahljahr.

  9. Ich kenne einige Impfgegner, und ich weiß inzwischen, dass man denen mit Fakten nicht beikommen kann. So zerbrechen frühere Freundschaften.
    Die Herzoperation meines Bruders (geimpft) musste zweimal verschoben werden – wegen ungeimpfter Corona-Intensivfälle.

    Vielleicht ist es zu hart, aber ich bin für die Sperrung der Intensivstationen für Ungeimpfte. Die sollen Globuli schlucken und zum Wunderheiler gehen.

  10. Ob den Hardcore-Leugnern das Video der Oma hilft, sich aus ihrem Wahn zu befreien, ist fraglich – ist es nicht viel einfacher, diese Frau dann als Schauspielerin abzutun, damit man sich nicht eingestehen muss, monate- (bald jahre-!)lang Unsinn erzählt zu haben? Denn dieses Eingeständnis wäre ja ein unangenehmes, und das möchte man lieber vermeiden.
    Anderseits: Und wenn das Video auch nur drei Wankelmütige erreicht, die sich danach impfen lassen, wäre das ja schon den Aufwand wert, es über alle Kanäle zu verbreiten.

  11. Die Oma abzutun, ist einfach, aber inzwischen sind die Querdenker nur noch das halbe Problem.
    Die andere Hälfte des Problemes ist, dass der Schutz der Impfung selbst bezweifelt wird, u. a. von besagter Oma.

    Wenn Delta eine Basis-Reproduktionszahl R0=6 hat, also eine infizierte Person steckt i.M. 6 weitere an, müssen 5/6 oder rd. 83% immun sein, um einen exponentiellen Anstieg zu verhindern, weil dann R auf 1 gedrückt wird. Wenn die aktuellen Impfungen eine Schutzwirkung vor Ansteckung zwischen Geimpften sagen wir 99% bewirkt, würde also eine Impfquote von 84% reichen. (Genesenenanteil vernachlässigt)
    Wenn die Schutzwirkung selbst nur 84%igen Schutz bewirkt, müssen 100% geimpft werden. Wenn es nur 80% wären, 104%, was die Frage aufwirft, wie das mathematisch gehen soll.
    Ich lasse mich trotzdem impfen, aber die Risiko-Nutzen-Relation der Impfung ist nicht so günstig, wie das behauptet wurde und weiterhin wird.

  12. @Mycroft, 11

    Was meinen Sie? Dass die Impfung nicht dazu führen wird, dass wir Corona ausrotten können ist hinlänglich bekannt.
    Nur, die Impfung hilft immer noch vor Ansteckung (wenn auch nicht zu 100%) und vor allem — was viel wichtiger ist — vor einem schweren Verlauf.
    Die Kosten/Nutzen-Rechnung ist also nicht: „Können wir Corona ausrotten“ (nein, können wir nicht) sondern: „Können wir mit Corona leben lernen“. Und dazu braucht es die Impfung zwingend, damit uns nicht ständig die Krankenhäuser überlaufen.

  13. Eigentlich mehr: welche Impfquote bräuchte man, damit kein Lockdown mehr erforderlich wird? Ich habe mittlerweile den Verdacht, dass Impfen allein das Problem nicht löst.
    100.000 Kreuze in der Zeitung oder eine traurige Frau beantworten mir die Frage nicht.

  14. Was mir (unabhängig von diesem Artikel) Sorgen bereitet, ist die Verrohung der Debatte.

    @4: Sie schlagen hier ersthaft handgreifliche und publikumswirksame Maßnahmen gegen Ungeimpfte vor? Das ist wie Öl is Feuer gießen und sich darüber beschweren dass es brennt. Die Relativierung, dass Ihre Ansicht „etwas radikal“ ist, macht mir noch mehr Sorgen. Was ist dann radikal?

  15. Menschen, die noch nicht gegen Covid geimpft sind, haben genau eine Sache gemein: dass sie nicht geimpft sind. Impfskeptiker, -verweigerer, Coronaleugner sind von unterschiedlichen Motiven geleitet. Das bedeutet auch, dass sie unterschiedlich angesprochen werden können. Sei es argumentativ oder visuell.

    Diese Differenzierung ist wichtig um die Wirkung der Bilder abzuschätzen. Ein Coronaleugner wird sich davon nicht beeindrucken lassen. Er stellt aber auch nicht das Gros der Ungeimpften dar. Ich kann mir vorstellen dass dokumentarische Bilder viele Menschen erreichen können. Eine zusätzliche Wirkung entwickeln Schicksale, die sich in unmittelbarer Nähe abspielen. Bei Nachbarn oder im Stadtviertel.

  16. @JJ:
    Anderer Max meint das sicherlich ironisch – Verschwörungstheoretiker öffentlich festnehmen zu lassen ist ganz offensichtlich die beste Methode, sie in ihren Theorien zu bestätigen. Und ihre Kollegen, die ihnen nicht glauben wollten, kämen auch ins Grübeln.

  17. @Mycroft

    abhängig von der vorherrschenden Mutation. Ich meine (ohne Gewähr) für Delta mal was um die 85% gelesen zu haben.
    Aber ein Lockdown folgt ja auch nicht automatisch — das ist ja eine politische Entscheidung. Wie gesagt könnte man ja auch „einfach“ keine Kontaktbeschränkungen machen und die Kliniken überlaufen lassen.

    @Jupiter Jones

    ja, die Verrohung der Debatte ist sehr problematisch (betrifft ja nicht nur Covid sondern auch andere Themen).
    Allerdings finde ich zuviel „wir müssen den Leuten zuhören“ auch nicht den richtigen Weg. Irgendwann muss man auch mal aufhören, abstrusen Meinungen „zuzuhören“ und Konsequenzen ziehen (und nein, ich meine damit nicht das von Anderer Max vorgeschlagene Vorgehen — aber Konsequenzen müssen irgendwann folgen sonst macht der Staat sich lächerlich; siehe Demos in Sachsen, bei denen die Polizei einfach zuschaut. Wenn keiner Regeln durchsetzt, schafft sich der Staat irgendwann selber ab.).

  18. @Ichbinich
    Richtig. Es geht hier aber auch nicht um zuhören, sondern darum das Leid und Sterben sichtbar und nahbar zu machen. Konsequenzen (jenseits von sozialem Druck) kann es nur geben, wenn der Staat die rechtlichen Grundlagen dafür schafft. Die bestehende Kontaktbeschränkungen werden weitestgehend eingehalten. Aber eine Impfpflicht ist noch nicht beschlossen.

    Zudem ist die Impfpflicht kein Allheilmittel. Auch wenn sie nur Menschen in bestimmten Berufen auferlegt wird. Die Berufsgruppen sind diejenigen, die wir in unserer Gesellschaft dringend benötigen. Es besteht ein nicht unerhebliches Risiko von Kündigungen und Radikalisierung.
    https://www.ethikrat.org/mitteilungen/mitteilungen/2021/ethikrat-empfiehlt-pruefung-einer-impfpflicht-gegen-covid-19-fuer-mitarbeitende-in-besonderer-beruflicher-verantwortung/?cookieLevel=not-set

    Ich bin überzeugt davon, dass es eine Vielzahl ungeimpfter Menschen gibt, die offen sind und sich noch nicht komplett abgeschottet haben. Das sollte die Zielgruppe sein.

  19. @ichbinich
    „Ich meine (ohne Gewähr) für Delta mal was um die 85% gelesen zu haben.“ Ja, aber nein.
    Das ist die Quote, die bei Delta _immun_ sein muss, damit es kein exponentiales Wachstum gibt. Aber selbst wenn das die nötige Impfquote wäre, war es ein dummer Move, die Impfzentren zu schließen, bevor diese Zahl auch nur annähernd erreicht war.

    „Aber ein Lockdown folgt ja auch nicht automatisch — das ist ja eine politische Entscheidung.“ Achwas.
    Ok, anders formuliert: bei welcher Impfquote – meinetwegen beschränkt auf Delta – wäre die nötige Herdenimmunität erreicht, um einen exponentiellen Verlauf zu verhindern, oder wahlweise der Anteil an Intensivpatienten so vernachlässigbar gering, dass selbst ein exponentieller Verlauf das System nicht überlasten würde, so dass ein Lockdown jedenfalls nicht mehr erforderlich würde, um das Überlaufen der Intensivstationen zu verhindern?

    Wenn Sie mir jetzt ganz andere Zahlen nennen, ok, ich habe derzeit aber nicht den Eindruck, dass selbst eine 100%ige Impfquote das Problem lösen würde, ohne weitere Maßnahmen erforderlich zu machen.

  20. @MYCROFT
    Dito zu den impfzentren.

    Zur impfquote: derzeit sind ca. 30% der Intensivpatienten geimpft (https://www.swp.de/panorama/intensivstation-geimpfte-corona-patienten-ungeimpfte-inzidenz-schwerer-verlauf-covid-19-intensivbetten-60763587.html). Bei einer impfquote von im moment ca. 70% wären also die Intensivstation bei einer 100%igen Impfquote nur halb so voll wie jetzt. Ich gehe davon aus, dass das reichen würde um keine Kontaktbeschränkungen mehr durchzuführen zu müssen (außer Maske tragen). Vor allem, wenn wir auch noch besser boostern würden.
    Das sieht man ja auch in anderen Ländern mit sehr hoher impfquote (https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-gibraltar-inzidenz-impfung-100.html). Dort gibt es zwar hohe inzidenzen, die Intensivstationen sind aber leer, es sind also keine großen Einschränkungen notwendig.

  21. @Jupiter Jones

    Ich glaube halt nicht, dass „mehr zeigen“ oder „mehr kommunizieren“ noch was bringt. Die Leute, die sich bisher nicht haben impfen lassen, werden sich mMn damit auch nicht überzeugen lassen.

    Und meine Erfahrung ist nicht, dass Kontaktbeschränkungen und Regeln eingehalten werden. Wir haben hier in Sachsen angeblich 2G für Gastronomie. Ich wurde bisher noch nie! richtig kontrolliert (also mit Scan des QR-Codes und Personalausweis). Und in bestimmt 75% der Fälle wird garnicht kontrolliert. Da kann ich jetzt 2Gplus machen wie ich will — es ändert am Ende nichts.
    Ich bin kein Gastronom und kann daher nicht sagen, ob die Unternehmen ab und an darauf kontrolliert werden — ich glaube es aber nach meinen Erfahrungen nicht. Denn wenn es da Strafen gäbe, würden sie die Regeln sicher besser durchsetzen.
    Und ich wurde auch noch nie in der Bahn oder bei irgendwo sonst kontrolliert (weil angeblich haben wir ja „Lockdown für Ungeimpfte — aber auch das gibt es nur auf dem papier).

    Es gibt mMn nur noch 2 Möglichkeiten. Impfpflicht oder Lockerung aller Maßnahmen und alle Leute so schnell wie möglich infizieren lassen. Ich wäre für letzteres, weil ich glaube dass eine Impfpflicht die Gesellschaft deutlich mehr spaltet.
    Was wir derzeit machen, ist wieder Kinder leiden lassen (gegenteilig zu allen „Beteuerungen“ der Politik). Und dass wir schonwieder an dem Punkt sind und offenbar immer noch vor „Querdenkern“ kuschen macht mich wirklich wütend. Wir schränken hier im 2. Jahr in Folge eine ganze Generation ein weil wir nicht den Ar*** in der Hose haben da klar zu sein und Grenzen aufzuzeigen.
    Siehe https://www.lr-online.de/nachrichten/sachsen/sachsen-corona-schulschliessungen-aktuell-welche-schulen-sind-geschlossen-60737647.html für Schulen. Kindergärten sind auch schonwieder komplett im Notbetrieb oder auch geschlossen. Was das für die Kinder/Jugend in Zukunft für Folgen hat können wir überhaupt noch nicht abschätzen.

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