Wochenschau (112)

Angst vor der Angstmache

Am 2. März 2020 veröffentlicht der britisch-amerikanische Moderator und Komiker John Oliver ein Video, in dem er erstmalig vom Coronavirus berichtet, das in Deutschland zu Beginn medial als mysteriöse Lungenkrankheit herumgeisterte. Zwanzig Minuten lang erklärt er, unterhaltsam aufbereitet, was man zum damaligen Zeitpunkt wissen konnte, informiert, was man nun beachten müsse und was uns voraussichtlich noch bevorsteht. Dann schließt er seinen Monolog mit den Worten:

An diesem Punkt fragen Sie sich vielleicht: Wieviel Angst sollte ich jetzt haben? Und die Antwort ist wahrscheinlich: Ein bisschen! Ein bisschen. Sehen sie, ich will nicht alarmistisch sein, aber ich will auch nicht kleinreden, was uns noch erwartet. Es geht darum, ein sensibles Gleichgewicht zu finden. Grundsätzlich, wenn sie Bleichmittel trinken, um sich zu schützen, sollten sie sich verdammt nochmal beruhigen. Wenn sie jetzt Haltestangen in der U-Bahn ablecken, weil sie sich für unverwundbar halten, sollten Sie das auch nicht tun. Sie sollten irgendwo zwischen diesen Extremen bleiben. Seien Sie nicht selbstgefällig und seien Sie kein verdammter Idiot.“

Diese Einstellung von Oliver, nicht alarmistisch sein zu wollen, aber trotzdem warnen zu müssen, bringt für mich den Limbo der Nachrichtenwerte auf den Punkt, den Medienschaffende und insbesondere Wissenschaftsjournalisten seit Beginn der Pandemie tanzen müssen: Einerseits wollen sie aufklären und warnen, wo es notwendig ist, andererseits sollten sie keine Panik verbreiten.

Szene aus der Dokumentation „Charité Intensiv“ Foto: rbb/Docdays/Carl Gierstorfer

Angstmacher

Die Frage ist: Wo fängt die Panikmache an? Schon in dem Moment, in dem vor Körperkontakt mit Menschen gewarnt und Angst vor dem Gegenüber erzeugt wird? Aber das ist ja gerade der Sinn einer Warnung: Menschen dazu zu bringen, etwas zu tun, das sie schützt. Ab wann ist so ein bisschen Panik – oder besser: größtmögliche Vorsicht – berechtigt?

Es gibt einen wiederkehrenden Vorwurf gegenüber Wissenschaftsjournalisten, sowohl im Bereich der Pandemie als auch in der Klimakommunikation: Sie seien vor allem Angstmacher. Das interpretierte ich als unterschwelligen Vorwurf, sie täten ihre Arbeit nur aus aufmerksamkeitsökonomischen Gründen, für eine größtmögliche Viralität oder Auflagensteigerung. Diese Bezichtigung kommt nicht von ungefähr, denn traditionell wird sie natürlich gegenüber Boulevardmedien geäußert, die ihr Geschäftsmodell mehr oder weniger unverblümt darauf aufbauen, Angst vor Menschen oder Entwicklungen zu schüren, um dann dank dieser Angst mehr Zeitungen zu verkaufen.

Aber könnte man wirklich einer öffentlich-rechtlichen „Quarks“-Redaktion oder einer reichweitenstarken Mai Thi Nguyen-Kim unterstellen, sie wollen ja nur Aufmerksamkeit und Klicks? 

Aktivisten

Es dauerte etwas, bis ich begriff, dass dem Vorwurf eine anderen Sorge zugrunde liegen könnte: die der unrechtmäßigen Mobilisierung. Denn während abbildender Journalismus, insbesondere der aufklärende Wissenschaftsjournalismus, eine rein informierende Funktion hat, kommt bei einer Warnung noch eine Handlungsaufforderung hinzu, also etwas, das dem Journalistischen normalerweise nicht zusteht: den Menschen sagen, was sie tun sollten. Das heißt, die Kritik an der angeblichen Panikmache ist vor allem eine Kritik an der angeblichen Bevormundung und an dem aktivistischen Moment, das dieser Handlungsaufforderung unterstellt wird.

Vielleicht kommen wir durch diesen Konflikt zwischen der richtigen Ansprache und der journalistischen Aufgabe dieser Angst vor der Angstmache näher. Denn im Falle der Berichterstattung rund um Covid-19 und die Impfung gibt es eine Besonderheit: Es treffen drei Kommunikationsformen aufeinander. Erstens die medienlogische Kommunikation, die reichweitenorientiert (und oftmals auch ökonomisch motiviert) kommuniziert, zweitens die Wissenschafts- und Gesundheitskommunikation, die Fakten abbildend kommuniziert, und drittens die Risikokommunikation, die in ihrer Kommunikation mobilisieren muss. Letztere vermittelt Informationen über medizinische, ökologische und soziale Gefahren, sie entkräftet im besten Fall durch Aufklärung Bedenken und schwächt die Verbreitung falscher Informationen ab. Hier verfolgen Medien also zusätzlich zur Abbildung der Welt auch die Agenda, Leben retten zu wollen und mögliche negative Auswirkungen auf die Bevölkerung zu minimieren – oder sie zumindest zu bewältigen.

 
Während Wissenschaftskommunikation oder Wissenschaftsjournalismus beispielsweise erklärt, wie Viren sich über Aerosole verbreiten, betont die Risikokommunikation noch zusätzlich, dass dementsprechend Masken getragen werden sollten oder warnt vor maskenloser Anwesenheit in geschlossenen Räumen. Die Risikokommunikation muss also warnen, muss Menschen dazu bringen, sich auf Grundlage der wissenschaftsjournalistischen Aussagen vernünftig zu verhalten, aber sie kommt ohne eine Mobilisierung nicht aus. Diese Kippstelle zwischen Informieren und Auffordern wird gerne – willentlich oder unwillentlich – als aktivistisch fehlinterpretiert, oder zumindest als Überstrapazierung der journalistischen Pflichten kritisiert. Aufgrund der Dringlichkeit der Nachrichtenlage, ob bei Corona oder beim Klima, erfordert die Ansprache eine Warnung, einen Appell oder eine Aufforderung.

Relativierer

Hinzu kommt eine Komponente, welche die Risikokommunikation bei Kritikern noch unbeliebter macht: die absichtliche Unterbewertung von negativen Abweichungen.

In der Medienlogik wird naturgemäß auf Fehler und negative Vorkommnisse geblickt; es ist auch Aufgabe der Medien, genau das zu tun: Da hinschauen, wo etwas nicht funktioniert. In einer medienlogischen Kommunikation ergibt es also Sinn, beispielsweise Impfdurchbrüche oder Nebenwirkungen zu problematisieren. Es wäre keine valide journalistische Arbeit, Schwächen in einem System wissentlich nicht zu berücksichtigen.

In einer Risikokommunikation und mit einer aufgesetzten wissenschaftsjournalistischen Brille wird hier aber das Maß an Angst bewusst runtergedimmt und Abweichungen statistische Unvermeidbarkeit, Empirie und Wahrscheinlichkeitsrechnung entgegengehalten. Diese betonte, selektive Nüchternheit, bei gleichzeitigem Warnungsimperativ sorgt bei den „Panikmache!“-Rufern aber natürlich für um so mehr Argwohn und Unmut. Vor dem Virus muss ich also Angst haben und mich impfen lassen, vor den Nebenwirkungen aber plötzlich nicht?

Aus diesem Grund muss die Risikokommunikation in Krisenzeiten genau diese von Medien so geliebten negativen Abweichungen in einen Kontext setzen, um dann eben nicht nur medienlogische Kommunikation zu sein, sondern bessere Wissenschaftskommunikation.

Kolumnisten

Die Max-Planck-Forscherin und Modelliererin Viola Priesemann forderte eine präzisere Einordnung von journalistisch kommunizierten Zahlen und twitterte: „Wir brauchen quantitative Aussagen und faire Vergleiche, damit wir keine Desinformation fördern.“

(Bemerkenswert ist die Warnung vor „Desinformation“, denn die Medienforscher Claire Wardle and Hossein Derakhshan empfehlen die Unterscheidung zwischen Fehlinformation und Desinformation. Fehlinformationen bezeichnen verzerrte, mehrdeutige oder ungeklärte Informationen, die auf Fehlinterpretationen oder falschen Zusammenhängen beruhen. Desinformation hingegen bezieht sich auf absichtlich falsche Informationen, einschließlich aus dem Zusammenhang gerissene, gefälschte oder vollständig erfundene Inhalte. Hier müsste man von einer Fehlinformation sprechen, wobei es in der Verantwortung der Sendenden liegt, deren Verbreitung zu verhindern.)

Ein bisschen leichter als Wissenschaftsjournalistinnen und Wissenschaftsjournalisten haben es da Kommentatoren, Moderatoren, Komiker und Meinungstöner, zum Beispiel Kolumnistinnen wie ich. Mir kann man Appellative weniger leicht vorwerfen, weil ich nicht an die behauptete Sachlichkeit einer naturwissenschaftlichen Ansprache gebunden bin – was absurd ist, da man gerade eben genau von mir (und Kommentatoren, Moderatoren und Komikern) keine Tipps und Empfehlungen zur Pandemie und Impfung hören und annehmen sollte, sondern eben von den angeblichen Angstmachern, die keine wissenschaftlich fundierte Angst machen dürfen, weil das ihrem wissenschaftsjournalistischen Auftrag konterkarieren würde.

Ein Paradox, aufgrund dessen ich mir erlaube zu sagen, was Journalistinnen lächerlicherweise als Aktivismus um die Ohren gehauen würde: Buh! Lassen Sie sich impfen und überzeugen Sie andere, es Ihnen gleich zu tun!

7 Kommentare

  1. Im IPCC lösen die WissenschaftlerInnen das so, dass sie keine konkreten Handlungsanweisungen geben, aber eben sagen, wenn Handlung A vollzogen wird, dann ergibt sich daraus Folge A′.
    Wenn Handlung B vollzogen wird, dann folgt daraus B′.

    So kann man gut aufklären, den Menschen Hinweise geben, welche Handlungen zu welchen Folgen führen und muss sich eigentlich nicht dem Vorwurf hingeben, irgendwem etwas vorschreiben zu wollen.

    Allerdings, es wird trotzdem Leute geben, die Aktivismus schreien werden.

  2. Ein seriöser (wissenschafts)journalistischer Text informiert mich, hilft mir etwas einzuordnen und zeigt mir dadurch – ohne extra zu etwas auffordern zu müssen – mögliche und/oder nötige Handlungsoptionen.
    Bestenfalls bewirkt er so eine aufgeklärte(re) Haltung verbunden mit einer verbesserten Möglichkeit, sich zu einem Thema zu positionieren.
    Ob damit eine Angst einhergeht und/oder ein konkreter Handlungsimpuls entsteht ist dann eine Frage der persönlichen Relevanz, die ich den faktischen Inhalten beimesse.

    Ein unseriöser Text ist von versteckten Interessen geleitet, manipulativ oder propagandistisch.

  3. „Bemerkenswert ist die Warnung vor ‚Desinformation‘, denn die Medienforscher Claire Wardle and Hossein Derakhshan empfehlen die Unterscheidung zwischen Fehlinformation und Desinformation.“

    Ich glaube, Frau Priesmann wirft dem Spiegel hier weder Des- noch Fehlinformation vor. Sie fordert lediglich, er solle keine reißerischen Schlagzeilen machen und seine Zahlen ordentlich ins Verhältnis setzen – um Schwurblern keinen Vorwand für Desinformation zu liefern.

  4. Mir fällt beim Lesen dieses Kommentars unweigerlich Hannah Arendt ein.
    „Wahrheit ist das, was der Mensch nicht ändern kann.“
    Sie teilte dabei die Wahrheit in eine Vernunftwahrheit ( mathematische, philosophische und wissenschaftliche Wahrheit ) und eine Tatsachenwahrheit ( Geschichtliche Ereignisse ).
    Die Politik ist notwendig ein Feld der Meinungen. Wäre dem nicht so, dann bräuchte die Demokratie keine Parteien.
    Es darf aber nie so weit gehen, dass politische Meinung als gleichwertig zur Wahrheit postuliert wird.
    Der Faschismus ist immer bestrebt, die Tatsachenwahrheit abzuschaffen, indem er sofort versucht, die Herrschaft über die Erzählung der eigenen Geschichte zu erlangen. In diesem Lichte müssen Aussagen von Menschen wie Höcke oder Gauland betrachtet werden, und diese Manipulationen waren es, auf die Arendt vor allem zielte.
    Es ist aber keineswegs ungefährlicher, wenn heutzutage mehr und mehr die Vernunftwahrheit zur bloßen Meinung degradiert werden soll.
    Wissenschaft ist selten intuitiv, noch seltener für den Laien nachvollziehbar. Dazu kommt, dass die etablierten Methoden zur Prüfung/Verifizierung neuer Studien/Theorien weitgehend unbekannt sind.
    So ist der Irrtum naheliegend, man könne sich die eine Theorie aussuchen, die einem persönlich am ehesten gefällt. In der Konsequenz können die Folgen derartiger Ignoranz, besonders wenn diese bis in die Spitzen der Politik zu beobachten ist, ebenso dramatisch sein, wie die der Ignoranz gegen Tatsachenwahrheiten.
    Wir können keine „Meinung“ zur Existenz des Corona-Virus haben. Wir können dagegen die Meinung haben, dass die Wirtschaft eine große Zahl an Opfern wert sei. Nur muss ein Sozialdarwinist das dann auch so sagen und darf eben nicht seine Absicht vernebeln, indem er die Vernunftwahrheit attackiert. Denn das bleibt mittelfristig nicht ohne Folgen.
    Stichwort: Postfaktisches Zeitalter.

  5. Feine Lektüre am Samstagmorgen!
    Das Ansinnen von Viola Prisemann verstehe ich. Falls das Kritik an der Überschrift im Spiegelartikel sein sollte, verstehe ich die Kritik nicht. Eine Auflösung würde ich im Artikel erwarten.
    Wobei mir das „…faire Vergleiche“ in diesem Kontex aufstößt. „Fair“ ist in den letzten Jahren das neue „richtig“ oder „korrekt“ geworden.

  6. „Es wäre keine valide journalistische Arbeit, Schwächen in einem System wissentlich nicht zu berücksichtigen.“

    Genau das ist aber die Regel, wenn es um Klimajournalismus in Deutschland geht. Ich lese viel von der journalistischen Angst vor Aktivisnusvorwürfen. Journalismus, der nicht erklärt, wie wir uns in diese desolate Lage hineinmanövriert haben, und nicht erklärt, was jetzt notwendig ist, damit wir da noch einigermaßen gut rauskommen, muss sich mit dem Vorwurf des journalistischen Inaktivismus auseinandersetzen. Inaktivismus ist eine Haltung zur planetaren Krise, die der Klimaforscher Michael E. Mann benannt und beschrieben hat. Ein neutrales Dazwischen gibt es nicht (mehr). Guter Klimajournalismus ist weder politisch noch unpolitisch, wie auch Klimaforschung nicht mehr einfach nur unpolitisch sein kann, in dem Moment wo erklärt werden muss, dass wir politische Maßnahmen brauchen, um ein akutes Problem zu lösen. Forschung wird politisch in dem Moment, wo sie erklären muss, was passiert, wenn bestimmte politische Maßnahmen in einer akuten Bedrohungslage eben nicht getroffen werden. Die Klimaforschung hat sich zu Recht dazu entschlossen, die Schwächen im System zu zeigen. We’re all in this green house together, hatte Carl Sagan bereits in den 80er Jahren gemahnt. Der Journalismus muss unbedingt der Forschung folgen, und zwar flächendeckend. Dass wir eine existentielle, planetare Krise haben, ist auch Ausdruck einer Medienkrise, die dringend aufgearbeitet und überwunden werden muss.

    Nur ein kleines Beispiel. Gerade in dieser Ausgabe von Übermedien wird gelobt, dass ein Spiegelpodcast nicht „alarmistisch“ sei. Alarmismusvorwürfe, auch negative, schüren Inaktivismus. Sicher muss eine Podcastrezension sich nicht an den Maßstäben des Wissenschaftsjournalismus messen lassen. Gleichzeitig fällt gerade an solchen Stücken auf, die vordergründig eine Beschäftigung mit der Klimakrise ausweisen, dass auch Übermedien die Klimakrise nicht als systemische Krise behandelt, obwohl der systemische Aspekt wissenschaftlich Konsens ist – obwohl die „Risiken“ der Klimakrise systemisch auf allen Kanälen bzw in allen Ressorts berichtet und erklärt und von euch beobachtet werden müssten.

    Bin Fan von euch und Übonnentin, aber in Sachen planetarer Krise müsst ihr ganz dringend NOCH mehr tun als ihr bereits tut. Corona hat die Schwächen, Möglichkeiten und Desiderata der Krisenkommunikation gezeigt.

    We’re all in this greenhouse together. And it is burning.*

    *) Wer jetzt Aktivismus schreit, hat nicht verstanden, was mit unserem Planeten passiert und ist Ausdruck der gegenwärtigen Medienkrise.

  7. Für mich ein leider etwas zahnloser Artikel. Ich hätte mir mehr Beispiele für tatsächliche Angstmache gewünscht, hier fällt mir leider immer wieder sehr negativ die sogenannte „Wissenschafts“-Redaktion des Spiegel auf. Das unsägliche Framing im Drosten Interview von Frau Hakenbruch und ihrer Co-Autorin war für mich das Ende der erträglichen Fahnenstange, woraufhin ich mein Spiegelabo gekündigt habe. Und allein die jetzt wieder morgendliche größere Schriftgröße der Online Schlagzeile bei der Verkündigung der neuen Inzidenzen hat für mich nur den Effekt der Angstmacherei.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.