Doch kein Skandal

Wie der DGB-Chef als „Autor“ in den Koalitionsvertrag kam

Sechs Gewinner des Machtwechsels von der Großen Koalition zur Ampel hat der Medienunternehmer Gabor Steingart ausgemacht und in seinem viel gelesenen Newsletter „Steingarts Morning Briefing“ benannt: Klar, Olaf Scholz. Aber auch: Robert Habeck, Kevin Kühnert, Christian Lindner, Frank-Walter Steinmeier und Reiner Hoffmann.

Reiner Hoffmann, der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)? Genau der.

Steingarts Begründung:

Er hat Spuren im Ampel-Koalitionsvertrag hinterlassen – jedenfalls in der digitalen Version. Darin ist mit dem Hinweis „Zuletzt geändert von…“ die Kennung des Spitzenfunktionärs zu erkennen. Uhrzeit: 14:33 Uhr.

Der Koalitionsvertrag wurde allerdings erst um 15 Uhr vorgestellt. Aus der DGB-Zentrale hieß es gestern, Hoffmann habe keine Änderungen im Dokument vorgenommen, nur gelesen. Getreu dem Motto von Bill Clinton: „Ich habe nur gezogen, nicht inhaliert.“

Steingart scheint die DGB-Aussage also für eine unglaubwürdige Schutzbehauptung zu halten.

Robin Alexanders Tweet

Die merkwürdige Autorenangabe im Dokument hat zuerst Robin Alexander öffentlich gemacht, der stellvertretende „Welt“-Chefredakteur. Er twitterte gestern Nachmittag einen Screenshot von den Metadaten, in dem er den Namen Hoffmann mit einem roten Ausrufezeichen markiert hatte, und schrieb dazu: „Wer den letzten Schliff an den #Koalitionsvertrag legte … 😀“

Sein Tweet wurde vielfach geteilt und geliked – stieß aber auch auf regen Widerspruch: Die Angabe in den Metadaten belegt nämlich in keiner Weise, dass der DGB-Chef irgendwie Einfluss auf den Inhalt des Dokuments genommen hätte. Es reicht, dass er es selbst abspeicherte oder ein PDF daraus machte, um bei Word als letzter Bearbeiter angezeigt zu werden. Schon dass sich aus den Daten eine Bearbeitungszeit von 0 (null) Minuten ergibt, sollte als Hinweis deutlich genug sein – mal abgesehen von der rührenden Vorstellung, dass weniger als eine halbe Stunde vor der öffentlichen Präsentation des Vertrages, der die Grundlage für vier Jahre gemeinsamen Regierens sein soll, irgendjemand schnell noch Wörter einfügen kann.

Die Metadaten in dem verschickten Word-Dokument Screenshot: Übermedien

Wer glaubt sowas?

Ach so, ja, zum Beispiel: „Focus Online“.

Fragen über Fragen

Dort erschien heute Morgen ein Artikel mit der Überschrift: „An heikler Stelle im Ampel-Vertrag taucht plötzlich der Name von Chef-Lobbyist auf“, der mit dem Ratschlag endet, dass die „künftigen Koalitionäre besser den Vertrag nochmals Wort für Wort überprüfen“ sollten, „bevor sie ihn ihren Delegierten und Mitgliedern zur Abstimmung vorlegen – oder gar unterschreiben!“

Der Autor spricht von einer „Ungereimtheit“ und stellt viele Fragen, ohne auch nur bei einer den Versuch zu unternehmen, eine Antwort zu finden, zum Beispiel durch so etwas wie: Recherche.

Als Autor und Besitzer des Dokuments ist Olaf Scholz‘ Finanzstaatssekretär Wolfgang Schmidt eingetragen. Bei Schmidt ist es nachvollziehbar, dass er als Scholz-Vertrauter am Koalitionsvertrag mitwerkelte. Aber darf Gewerkschafter Hoffmann das? Und was hat er zuletzt am Text des Koalitionsvertrags geändert, bevor er an die Presse versendet wurde? Wissen die Grünen davon? Was, wenn Hoffmann Teile des Texts umgeschrieben hat? Etwa zu Klimaschutz? Oder zur Aktien-Rente der FDP? Oder hat er nur Rechtschreibfehler korrigiert? Fragen über Fragen…

Stellt man einzelne davon, zum Beispiel, dem DGB, bekommt man von einer Sprecherin die Antwort:

Herr Hoffmann hat den Koalitionsvertrag bekommen, 90 Minuten bevor er vorgestellt wurde. Das dürfte ja auch niemanden überraschen. Die Bearbeitungszeit, das kann man sehen, betrug 0 Minuten. Herr Hoffmann hat keinerlei Änderungen vorgenommen. Ganz sicher hat er nicht noch mal Hand angelegt, um dort unsere Positionen einzubringen.

Dann sei das Dokument „irgendwie weiterverschickt“ worden, sagt die DGB-Sprecherin. Wie, kann sie nicht erklären. „Wenn Sie fragen, wo bei uns der Maulwurf ist: Ich kann es Ihnen nicht sagen – die Pressestelle war es jedenfalls nicht.“

Stand nicht auf Seite 1 der „Welt“

Tatsächlich ist es so, dass viele Journalisten das Dokument schon vor der offiziellen Vorstellung aus inoffiziellen Quellen im Umfeld der verschiedenen Parteien bekommen hatten – die Datei, die aus SPD-Kreisen kam, trug den entsprechenden Bearbeitungshinweis des DGB-Chefs. Es sieht also so aus, also hätte jemand aus seinem Umfeld diese Datei an Medien geleakt.

Robin Alexander wiederum versteht gar nicht die Aufregung, die sein Tweet teilweise ausgelöst hat. Er habe gar nicht den Eindruck eines irgendwie empörenden Vorgehens erwecken wollen: „Würde ich darin einen Skandal sehen, hätte ich die Sache auf Seite 1 der ‚Welt‘ berichtet und nicht auf Twitter mit einem Lachsmiley“, sagte er Übermedien. Dass die SPD sich grundsätzlich mit Gewerkschaften rückkoppele, könne nur jemanden wundern, der sich in der Politik gar nicht auskenne. „Ich wollte nur den Gag machen, dass die Geheimnistuerei an diesem Punkt erkennbar nicht geklappt hat.“

Der Lachsmiley mag ein Hinweis sein, aber Tatsache ist auch, dass Alexander, wie scherzhaft auch immer, davon sprach, der DGB habe „letzten Schliff“ an den Koalitionsvertrag gelegt. Das haben Teile des Publikums offenbar genau so verstanden oder verstehen wollen.

Gabor Steingart zum Beispiel.

13 Kommentare

  1. @Eman

    Ist das immer noch eine Grundsatzdiskussion oder gibt es da mittlerweile offizielle Festlegungen?

  2. Mal völlig unabhängig, vom Skandal, der keiner ist: Wie, um Himmels Willen, kann man denn nur auf die Idee kommen, die finale Lesefassung eines solchen Dokuments als Word-Datei zu verschicken?

  3. Der ganze Vorgang schreit „Inkompetenz“.
    Von der Verwendung von Word, über das absichtliche (oder kompetenzfreie) Falschverstehen bis hin zum Abschreiben.
    Der Generationenwechsel muss so langsam mal Fahrt aufnehmen. Und nein, ich meine nicht unseren designierten „Probleme sind dornige Chancen“ Finanzminister.

    Hoffnung gibt mir das:
    https://blog.fefe.de/?ts=9f60b12e

  4. @ #4

    „Liken“ ist ein deutsches Verb und kein englisches, und wie man deutsche Verben dekliniert ist keine Grundsatzdiskussion. Dass der Verbstamm aus einer Fremdsprache stammt, ist ja nichts Besonderes.

  5. @Eman

    Ihren Standpunkt habe ich verstanden, meine Frage war aber, ob es dazu mittlerweile eine offizielle Regelung gibt, meiner Erinnerung nach waren sich die Germanisten in dieser Hinsicht vor zehn Jahren nicht so wirklich einig.

  6. Auch wenn OT: „gelikt“ ist Quatsch.
    Nicht, weil es irgendwelchen offiziellen Regeln widerspricht, sondern, weil das diejenigen, die das Wort im Alltag nutzen, niemals so schreiben würden bzw. nie so schreiben.
    Und Alltag/Realität schlägt bei Sprache immer Regeln.

    Hätte gedacht, dass diese simple Erkenntnis gerade bei denjenigen, die sich mit Sprache befassen, schon längst angekommen ist. Aber scheint nicht so zu sein, wie man auch beim angeblich so falschem Gendern sieht.

  7. @ #8: Gnihihihi.

    Vorschläge zur Güte:
    Am liken dran sein.
    Vong Likierung her.
    Gutfindstatus.
    Likensack.

  8. @ #8: Ja, danke für die Korrektur. (Soweit #8s Hinweis nicht unmittelbar verständlich sein sollte: Es war Konjugieren gemeint.)

    @ #10: Müsste man empirisch untersuchen … passiert vielleicht auch. Allerdings ist Sprachnormierung Teil des Sprachgebrauchs bzw. des Sprachspiels. Rezentes Beispiel ist die deutsche Rechtschreibreform der 1990er, die salopp ausgedrückt kein Mensch brauchte (die also gerade nicht aus dem tatsächlichen Gebrauch kam, sondern Normierung par excellence war), deren Ergebnisse die Schreibenden aber heute weitgehend selbstverständlich berücksichtigen. Würde heute z. B. der Genderdoppelpunkt in gleicher Weise normiert, wäre er (nach ein paar Jahren hyperventilierender Springer-Presse) ebenso normal.

    Bei einer simplen Sache wie Aufklärung über die o. g. Interferenz aus dem Englischen würde ich mir so ein bisschen gut kommunizierte Normierungsarbeit gelegentlich wünschen.

    Dann hätte hier auch niemand die Kommentarspalte derailt … ;)

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