Er gehörte zu den wichtigsten und besten Journalisten in Deutschland, zumindest für meinen Geschmack: Hans-Ulrich Jörges, der tolle Geschichten, Kolumnen und Kommentare geschrieben hatte für die „Süddeutsche“, dann unter dem legendären Manfred Bissinger in der „Woche“, die es leider schon lange nicht mehr gibt, und schließlich für den „Stern“. Was er dort Woche für Woche ablieferte, war oft das Beste, was im gesamten Blatt stand: pointiert, bissig, originell.
Ich mache keinen Hehl draus: Ich habe ihn nicht nur geschätzt, sondern oft auch bewundert. Ulli Jörges, für lange Zeit ständiger Gast in den Talkshows von ARD und ZDF, war ein Garant dafür, dass es dort nie langweilig wurde. Manchmal wütete er wie ein Berserker, entlarvte Politiker-Bla-Bla als das was es war, nämlich Politiker-Bla-Bla.
Der Autor
Christoph Lütgert fing 1969 journalistisch bei der Nachrichtenagentur dpa an. Er wechselte später ins Bonner Hauptstadtbüro des NDR-Hörfunk, wurde „Panorama“-Reporter und Chefreporter Fernsehen beim NDR. Auch nach seiner Pensionierung 2010 präsentierte er noch TV-Formate wie „ARD exklusiv“ und „Panorama – die Reporter“.
Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist er seit langem nicht mehr gefragt, und so giftet er im Rückblick: „In den Talkshows von ARD und ZDF erschöpft man sich in Stillstand und Routine.“ Bei Maybrit Illner, Frank Plasberg und Anne Will – „da, glaube ich, haben manchmal schon die Schönheitschirurgen mehr zu tun als die befruchtenden Redakteure“. Nur zur Einordnung: Der grantelnde Rentner Jörges wird im Dezember 70, die ARD-Talk-Lady Anne Will ist 55 und ihr ZDF-Pendant Illner 56.
Dass er von denen nicht mehr eingeladen wird, dafür hat Jörges eine Helden- oder Märtyrer-Geschichte parat, die er immer wieder gerne erzählt. Er habe den Talkshows von ARD und ZDF öffentlich angelastet, sie hätten mit einer Überpräsenz von AfD-Politikern wesentlich zu den Wahlerfolgen der Rechtsausleger-Partei beigetragen. Seitdem werde er geschnitten. Rache, sozusagen, Rache an einem Aufrechten.
Vom Held zur tragischen Figur
Wenn wenigstens Jörges selbst daran glaubt, ist es höchst merkwürdig, dass er sich jetzt ausgerechnet bei „Bild“ verdingt – dem Medium, dem etwa die Berliner AfD schon mal dankbar attestiert hatte, es habe sehr viele Positionen dieser Partei übernommen.
Jetzt ist der Held von damals zur tragischen Figur geworden, einer, der mit Verve seine eigene Demontage betreibt. Man möchte ihm zurufen: „Mensch Ulli …!“ Aber so überzeugt, wie er von sich wirkt, würde er wohl gar nicht hören. Als Dauer-Talker bei „Bild“-TV verkauft er sich weit unter dem Wert, den er früher hatte. Da sitzt er in der der Quassel-Runde „Viertel nach Acht“ und palavert mit anderen Diskussionsteilnehmern auf einem Niveau, das ihn in seinen guten Zeiten angewidert hätte. „Stammtisch“ wäre zu hoch gegriffen.
Beim Dauer-Thema Corona kennt er kein Halten mehr. Er wettert, ganz auf „Bild“-Linie und im „Bild“-Jargon, gegen eine „Corona-Mafia“ und wider deren „Angstmache“, verteufelt Karl Lauterbach, anerkannte Virologen und den RKI-Präsidenten Lothar Wieler, drischt auf „die Medien“ ein und nimmt „Bild“ natürlich davon ausdrücklich aus. Allein deren Kurs stimme.
Jörges, Schutzpatron der Ungeimpften
Ein paar Kostproben: Die Quote der vollständig Geimpften in Deutschland ist mit unter 70 Prozent noch immer beängstigend niedrig, Jörges aber verkündet bei „Bild“, die erlösende „Herdenimmunität“ hätten wir längst erreicht.
Jetzt, da wir alle erkennen aufgrund der sehr viel höheren Impfquote, als wir angenommen haben, dass alles zuende geht, und dass die große Aufregung abebbt und dass die pandemische Notlage beendet wird, dann sollte auch der Staat, die Politik den Mut haben, 2G an öffentlichen Plätzen zu verbieten.
Die Beschränkungen in Theatern, Museen – „das muss man dringend eingrenzen jetzt, da das Ganze sowieso zuende geht.“ Bei 2G, so Jörges in einer anderen Ausgabe des „Bild“-Talks
geht es darum, die Nichtgeimpften gerade in der Vorweihnachtszeit so unter Druck zu setzen, dass sie am eigentlichen Leben, am Leben, das Spaß macht, nicht teilnehmen dürfen, dass sie sich am Ende eben doch impfen lassen, weil sie das am Ende eben nicht aushalten. 2G ist Schikane (…). 2G ist in Wahrheit absurd.
Hans-Ulrich Jörges – Schutzpatron der Ungeimpften, der diese bemitleidenswerte Spezies unbedingt vor dem schrecklichen Übel einer Impfung bewahren muss. Seine Lieblingsgegner: SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und RKI-Präsident Lothar Wieler: „Lauterbach darf auf keinen Fall Gesundheitsminister werden. Herrn Wieler würde ich als neue Regierung entlassen.“ Denn dessen RKI lastet Jörges an:
(…) dass wir über ein halbes oder ein Jahr lang auf das marode Bett dieser Behörde gekettet sind und allen Einschränkungen unterworfen sind und erfahren am Ende, es war eigentlich unnötig. Seit einem Vierteljahr erleben wir das Trommelfeuer auf die Ungeimpften. Die machen den Rest krank, und dann sind alle Intensivstationen belegt. Wir kennen den Gesang, und in Wahrheit ist es gar nicht mehr nötig.
Atemberaubende Realitätsverweigerung
Kann man Hans-Ulrich Jörges einen Corona-Leugner nennen? Auf alle Fälle einen, der die Gefahren leugnet. Expert:innen wie Melanie Brinkmann, Karl Lauterbach oder Christian Drosten warnten schon vor Wochen vor einem schrecklichen Herbst, da forderte die „Bild“-Fernseh-Runde um Jörges, diese Virologen sollten sich für ihre grundlose Schwarzmalerei endlich mal bei den Bürgern entschuldigen. O-Ton Jörges:
Was tut die Corona-Mafia? Die sagt, das reicht immer noch nicht. Natürlich vorneweg, natürlich, Herr Lauterbach. Die sagen: Es reicht nicht. Die würden ja arbeitslos. Die hätten ja kein Thema mehr (…). Das kann nicht so bleiben. Wir hätten jetzt Anspruch auf den Freedom Day. Der kommt natürlich mit Herrn Spahn und Herrn Lauterbach gar nicht. Also: Deutschland braucht den Freedom Day.
In Radio und Fernsehen, in Zeitungen und Zeitschriften massenhaft erschütternde Reportagen aus Krankenhaus-Intensivstationen, die in der vierten Corona-Welle heillos überlastet sind, Aussagen von verzweifelten Ärzten und erschöpftem Pflegepersonal, die Angst vor jedem neuen Tag haben – für Hans-Ulrich Jörges im „Bild“-Fernsehen alles nur „Märchen“.
Diese Form der Realitätsverweigerung ist atemberaubend, oder sie macht wütend. O-Ton:
Wir erleben im Moment einen Propaganda-Feldzug mit Angstmache gegen die Nicht-Geimpften, indem man sagt: Ihr seid schuld, wenn die Kliniken volllaufen und normale Leute nicht operiert werden können, weil die Notfallbetten aufgebraucht sind. (…) Es sind Märchen, und es waren früher auch Märchen. (…) Da kann ich nichts anderes sagen als: Hysterie frisst Hirn. Und ich habe langsam den Eindruck, dass maßgebliche Figuren der Corona-Politik ein Interesse daran haben, der neuen Regierung einen Scherbenhaufen zu hinterlassen, nämlich ein in Hysterie versetzes Volk.
Wäre es nur dieses jämmerliche „Bild“-Fernsehen, könnte man die Chose vergessen. Die Quoten pendeln zwischen 0,1 Prozent und „nicht messbar“ – trotz aller Krakeelerei. Aber den Jörges-Blödsinn gibt’s auch auf youtube. Und da wird er millionenfach angeklickt.
Bisschen flach über’n Kopf schlagen
Kein anderes Medium hat dermaßen inkonsistent und widersprüchlich zu Corona berichtet wie „Bild“. Mal wurden Experten wegen ihrer Warnungen verteufelt. Gegen den Virologen Christian Drosten wollte „Bild“ einen regelrechten Volkssturm entfesseln. Dann wiederum wurde die Regierung niedergemacht, sie habe die schlimme Corona-Entwicklung verpennt.
Nicht einmal diese vielfach dokumentierte, weil millionenfach in „Bild“ gedruckte Realität will Hans-Ulrich Jörges zur Kenntnis nehmen. Deshalb noch eine seiner Äußerungen auf „Viertel nach Acht“ bei „BildTV“:
Da muss man auch mal so’n bisschen den Medien flach über’n Kopf schlagen. Die sollen doch mal denken anfangen. Ich meine, dieses Blatt hier und diese Sendung hier hat immer einen eigenen Kurs verfolgt und hat richtig gelegen damit.
Eine Frage an Jörges hätte ich noch: „Mensch Ulli, hörst Du Dir eigentlich selbst zu?“
20 Kommentare
Am besten gefällt mir: „Wer leben will, muss geimpft oder genesen sein“. Da kommt er versehentlich der Wahrheit recht nah.
Schade, dass Ihr nicht diesen schönen Artikel von 2017 aus dem Übermedien-Archiv verlinkt hat, weil schon damals klar wurde, dass Jörges glaubt, alles zu wissen, und deswegen immun dagegen zu merken, dass er gar nichts weiß.
Warum bloß muss ich bei der Lektüre die ganze Zeit „Matussek“ denken?
Keine Ahnung! Ich musste bei der Lektüre die ganze Zeit an „Jörges“ denken.
Ich kann jedes Wort hier unterschreiben – ausdrücklich inklusive hinsichtlich der früheren Bewunderung!
Bei ihm habe ich den Eindruck, der ist so besoffen von seiner Meinung und der Wortgewalt ihrer Darbietung, dass er sich selbst jeder Korrekturmöglichkeit beraubt: wie sollte so jemand nach so einer wortgewandten Zuspitzung ohne Gesichtsverlust für mehr Impfungen plädieren, mal so als theoretisches Beispiel?
Übrigens hat das Sahra Wagenknecht mal nach einer jörges’schen Polterei bei Lanz sehr treffend retourniert mit: „Sie waren auch schon mal niveauvoller, Herr Jörges!“ Gilt wohl leider über den damaligen konkreten Anlass hinaus…
(Kleiner editorischer Hinweis: Soweit ich weiß war Jörges auch bereits vor der „Woche“ leitend beim Stern, versteht sich das Wort „schließlich“ im entsprechenden Satz nicht als zeitliche Abfolge, ist es nur missverständlich, nicht falsch)
Ich fasse das alles nicht!
Fragt sich, ob er das, was er sagt, wirklich denkt, oder es sagt, weil’s das Gehalt von Bild sichert. Vielleicht auch so eine Parallele des Bildsenders zu Fox News – denken die Moderator:innen und Kommentator:innen bei Fox und Bild wirklich so, wie sie reden? Oder reden die so, weil’s dafür Geld, Quote (ok, bei Bild fehlt dieser Punkt) und Adrenalin gibt? Oder steigern sie sich nach einiger Zeit so rein, dass sie es am Ende wirklich glauben, was sie sagen, so autosuggestive Radikalisierung? Wie dem auch sei, man mag kaum glauben, dass sie’s glauben.
@Mr Re (#7):
Da Jörges schon vor anderthalb Jahren im Stern in ähnliche Richtung geschwurbelt hat (Übermedien berichtete), würde ich mal davon ausgehen, er meint es ernst.
@KK: Das macht es dann irgendwie schlimmer, weil man sich dann fragen muss, was da schiefgelaufen ist, dass er so abgedriftet ist oder ob man in der Rückschau andere Dinge anders interpretieren sollte, z.B. das hemdsärmlige Auftreten in Talkshows, das im Beitrag beschrieben wird.
Ich würde generell davon ausgehen, dass mediale Meinungsmacher schon ungefähr denken, was sie sagen oder schreiben. Manche Drehung, Zuspitzung oder Rücksichtnahme mag Konzession an das jeweilige Medium und dessen Eigner oder Publikum sein, aber dass jemand grundsätzlich gegen seine Überzeugungen redet oder schreibt, und das auch noch konsistent über lange Zeit hinweg, halte ich doch für sehr unwahrscheinlich. Ansonsten könnte so jemand sich ja ein anderes Medium suchen, gerade jemand in der Position von Jörges.
Dass im Laufe der Zeit dann gewisse Radikalisierungs-, Festigungs- oder gelegentlich auch Umdenkprozesse einsetzen, will ich nicht bestreiten. Aber die laufen dann auch innerlich ab und nicht nur an der Oberfläche.
Mir fällt auf, dass Journalisten sich in Talkrunden oder Interviews z.B. bei Phoenix viel moderater und sachlicher äußern als auf ihren Twitteraccounts. Offensichtlich darf man da jede Zurückhaltung ablegen, ordentlich gegen Kollegen und Politiker austeilen und aus seiner politischen und weltanschaulichen Präferenz kein Geheimnis machen.
Jörges ist nicht bei Twitter, daher fehlt ihm dieses Ventil und er zieht auch im Fernsehen regelmäßig vom Leder. Da er ja keinen offiziellen Status mehr hat und in die „normalen“ Talkformate nicht mehr eingeladen wird, muss er halt zu „BILD-TV“ gehen um gehört zu werden. Und „BILD-TV“ ist Twitter ohne Zeichenbegrenzung!
(Anm.: in den Daten gibt es einen Meldeverzug, so dass die letzten Tage immer stark unterschätzt werden, was das RKI im Diagramm grau hinterlegt und auch erklärt)
fun-fact am Rand:
Bei Journalisten dieser Geschmacksrichtung wird das von den Fans als „meinungsstark“ gewürdigt.
Alle anderen bekommen Hajo Friedrichs Zitat an den Latz.
Just sayin.
#12 Feine Beobachtung.
Das ist halt das Problem mit lebenden Vorbildern: sie können einen irgendwann immer noch enttäuschen.
Besser nur tote Vorbilder haben, und am besten gar keine.
Zur „BILD“ fällt einem leider immer nur wieder ein: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern!“
So funktioniert diese Redaktion vermutlich und der Leser scheint es leider nicht mal zu merken oder es interessiert Ihn schlicht und ergreifend nicht.
@Mr Re (#7):
Zu den Radikalisierungen und hier konkret Herrn Jörges glaube ich tatsächlich an deutlich banalere Zusammenhänge. Zweifel ist ein Zeichen von Wachheit. Herr Jörges wird im Laufe der Jahre immer weniger Zweifel an seinen Ansichten zugelassen haben mit der Folge, dass die Wachheit nachließ. Ich vermute, er stört sich schlicht daran, dass er „in seiner Freiheit“ eingeschränkt wird. Dann macht man sich die Welt, wie sie einem gefällt und das eigene Kartenhaus darf ja nicht einstürzen.
Es sind nicht alle der Meinung, Jörges sei früher ein großartiger Journalist gewesen und erst kürzlich abgedriftet. Der Satiriker und Autor Stefan Gärtner zum Beispiel – bereits von 2006 ist dessen sprachkritische Analyse „Man schreibt deutsh“ über stilistische und inhaltliche Abgründe vermeintlicher Edelfedern. Jörges hat darin ein eigenes Kapitel: „Der Hirnwäscher“.
(Das Buch ist so lehrreich wie lustig. Sehr zu empfehlen, falls man es noch irgendwo bekommt.)
Ich vermute, man will auch im Rentenalter noch gebraucht werden. Zudem würde mich wirklich interessieren, was er bei Springer für seinen Unsinn an Geld bekommt. Das verbessert nicht seinen Inhalt aber vielleicht macht es sein Auftreten beim Drecksblatt verständlicher. Ich überlege gerade, eher unmoralisch, ab welcher Summe ich schwach werden würde? Oder ob überhaupt? Aber mich fragt ja wieder keiner😇
Wo ist Konservatives-Feuilleton-Man, wenn man ihn braucht? Er könnte das alles klarstellen!
Am besten gefällt mir: „Wer leben will, muss geimpft oder genesen sein“. Da kommt er versehentlich der Wahrheit recht nah.
Schade, dass Ihr nicht diesen schönen Artikel von 2017 aus dem Übermedien-Archiv verlinkt hat, weil schon damals klar wurde, dass Jörges glaubt, alles zu wissen, und deswegen immun dagegen zu merken, dass er gar nichts weiß.
https://uebermedien.de/23304/was-der-stern-ueber-angela-merkel-nicht-weiss-und-was-nicht/
Warum bloß muss ich bei der Lektüre die ganze Zeit „Matussek“ denken?
Keine Ahnung! Ich musste bei der Lektüre die ganze Zeit an „Jörges“ denken.
Ich kann jedes Wort hier unterschreiben – ausdrücklich inklusive hinsichtlich der früheren Bewunderung!
Bei ihm habe ich den Eindruck, der ist so besoffen von seiner Meinung und der Wortgewalt ihrer Darbietung, dass er sich selbst jeder Korrekturmöglichkeit beraubt: wie sollte so jemand nach so einer wortgewandten Zuspitzung ohne Gesichtsverlust für mehr Impfungen plädieren, mal so als theoretisches Beispiel?
Übrigens hat das Sahra Wagenknecht mal nach einer jörges’schen Polterei bei Lanz sehr treffend retourniert mit: „Sie waren auch schon mal niveauvoller, Herr Jörges!“ Gilt wohl leider über den damaligen konkreten Anlass hinaus…
(Kleiner editorischer Hinweis: Soweit ich weiß war Jörges auch bereits vor der „Woche“ leitend beim Stern, versteht sich das Wort „schließlich“ im entsprechenden Satz nicht als zeitliche Abfolge, ist es nur missverständlich, nicht falsch)
Ich fasse das alles nicht!
Fragt sich, ob er das, was er sagt, wirklich denkt, oder es sagt, weil’s das Gehalt von Bild sichert. Vielleicht auch so eine Parallele des Bildsenders zu Fox News – denken die Moderator:innen und Kommentator:innen bei Fox und Bild wirklich so, wie sie reden? Oder reden die so, weil’s dafür Geld, Quote (ok, bei Bild fehlt dieser Punkt) und Adrenalin gibt? Oder steigern sie sich nach einiger Zeit so rein, dass sie es am Ende wirklich glauben, was sie sagen, so autosuggestive Radikalisierung? Wie dem auch sei, man mag kaum glauben, dass sie’s glauben.
@Mr Re (#7):
Da Jörges schon vor anderthalb Jahren im Stern in ähnliche Richtung geschwurbelt hat (Übermedien berichtete), würde ich mal davon ausgehen, er meint es ernst.
@KK: Das macht es dann irgendwie schlimmer, weil man sich dann fragen muss, was da schiefgelaufen ist, dass er so abgedriftet ist oder ob man in der Rückschau andere Dinge anders interpretieren sollte, z.B. das hemdsärmlige Auftreten in Talkshows, das im Beitrag beschrieben wird.
Ich würde generell davon ausgehen, dass mediale Meinungsmacher schon ungefähr denken, was sie sagen oder schreiben. Manche Drehung, Zuspitzung oder Rücksichtnahme mag Konzession an das jeweilige Medium und dessen Eigner oder Publikum sein, aber dass jemand grundsätzlich gegen seine Überzeugungen redet oder schreibt, und das auch noch konsistent über lange Zeit hinweg, halte ich doch für sehr unwahrscheinlich. Ansonsten könnte so jemand sich ja ein anderes Medium suchen, gerade jemand in der Position von Jörges.
Dass im Laufe der Zeit dann gewisse Radikalisierungs-, Festigungs- oder gelegentlich auch Umdenkprozesse einsetzen, will ich nicht bestreiten. Aber die laufen dann auch innerlich ab und nicht nur an der Oberfläche.
Mir fällt auf, dass Journalisten sich in Talkrunden oder Interviews z.B. bei Phoenix viel moderater und sachlicher äußern als auf ihren Twitteraccounts. Offensichtlich darf man da jede Zurückhaltung ablegen, ordentlich gegen Kollegen und Politiker austeilen und aus seiner politischen und weltanschaulichen Präferenz kein Geheimnis machen.
Jörges ist nicht bei Twitter, daher fehlt ihm dieses Ventil und er zieht auch im Fernsehen regelmäßig vom Leder. Da er ja keinen offiziellen Status mehr hat und in die „normalen“ Talkformate nicht mehr eingeladen wird, muss er halt zu „BILD-TV“ gehen um gehört zu werden. Und „BILD-TV“ ist Twitter ohne Zeichenbegrenzung!
Bemerkenswert auch, wie unwidersprochen Jörges nachprüfbar falsche Fakten verbreitet. Zum Beispiel behauptet er, dass die Hospitalisierungsrate seit Ende Oktober von 5,77 auf 3,93 (9. Nov) gefallen sei:
https://www.youtube.com/watch?v=QlIXiUtb6H8#t=01m00s
Weiter behauptet er, dies seien ‚alles offizielle Zahlen des Robert Koch Instituts‘
https://www.youtube.com/watch?v=QlIXiUtb6H8#t=03m54
Tatsächlich ergeben die Seiten des RKI, dass in dem von Jörges genannten Zeitraum die 7-Tage Inzidenz für Hospitalisierungen von 6,76 auf 8,11 gestiegen ist.
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/COVID-19-Trends/COVID-19-Trends.html?__blob=publicationFile#/home
(Anm.: in den Daten gibt es einen Meldeverzug, so dass die letzten Tage immer stark unterschätzt werden, was das RKI im Diagramm grau hinterlegt und auch erklärt)
fun-fact am Rand:
Bei Journalisten dieser Geschmacksrichtung wird das von den Fans als „meinungsstark“ gewürdigt.
Alle anderen bekommen Hajo Friedrichs Zitat an den Latz.
Just sayin.
#12 Feine Beobachtung.
Das ist halt das Problem mit lebenden Vorbildern: sie können einen irgendwann immer noch enttäuschen.
Besser nur tote Vorbilder haben, und am besten gar keine.
Zur „BILD“ fällt einem leider immer nur wieder ein: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern!“
So funktioniert diese Redaktion vermutlich und der Leser scheint es leider nicht mal zu merken oder es interessiert Ihn schlicht und ergreifend nicht.
@Mr Re (#7):
Zu den Radikalisierungen und hier konkret Herrn Jörges glaube ich tatsächlich an deutlich banalere Zusammenhänge. Zweifel ist ein Zeichen von Wachheit. Herr Jörges wird im Laufe der Jahre immer weniger Zweifel an seinen Ansichten zugelassen haben mit der Folge, dass die Wachheit nachließ. Ich vermute, er stört sich schlicht daran, dass er „in seiner Freiheit“ eingeschränkt wird. Dann macht man sich die Welt, wie sie einem gefällt und das eigene Kartenhaus darf ja nicht einstürzen.
Es sind nicht alle der Meinung, Jörges sei früher ein großartiger Journalist gewesen und erst kürzlich abgedriftet. Der Satiriker und Autor Stefan Gärtner zum Beispiel – bereits von 2006 ist dessen sprachkritische Analyse „Man schreibt deutsh“ über stilistische und inhaltliche Abgründe vermeintlicher Edelfedern. Jörges hat darin ein eigenes Kapitel: „Der Hirnwäscher“.
(Das Buch ist so lehrreich wie lustig. Sehr zu empfehlen, falls man es noch irgendwo bekommt.)
Ich vermute, man will auch im Rentenalter noch gebraucht werden. Zudem würde mich wirklich interessieren, was er bei Springer für seinen Unsinn an Geld bekommt. Das verbessert nicht seinen Inhalt aber vielleicht macht es sein Auftreten beim Drecksblatt verständlicher. Ich überlege gerade, eher unmoralisch, ab welcher Summe ich schwach werden würde? Oder ob überhaupt? Aber mich fragt ja wieder keiner😇
Wo ist Konservatives-Feuilleton-Man, wenn man ihn braucht? Er könnte das alles klarstellen!