Nun gewinnt also wieder einmal eine Journalistin diesen Preis, der ihr eigentlich nicht zusteht. 2021 wird unter anderem die ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geehrt.
Von Friedrichs ist der viel zitierte Satz überliefert:
Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.
Man muss nur den Beitrag für das ZDF-„Auslandsjournal“ ansehen, den Katrin Eigendorf nach dem Sieg der Taliban in Afghanistan gedreht hat, um zu erkennen, dass sie keine gute Journalistin nach Friedrichs’ Vorgabe ist.
Der Autor
Rüdiger Jungbluth war Redakteur bei Reuters, Reporter beim „Stern“, Finanzkorrespondent des „Spiegel“, Vize-Chefredakteur von „Net-Business“ und Wirtschaftsredakteur der „Zeit“. Er schrieb Bücher über „Die Quandts“, „Die Oetkers“ und Ikea.
Eigendorf berichtet über die mutigen Frauen Afghanistans und stellt den Zuschauern einige vor. Sie beklagt, dass den Frauen „ihr Recht genommen“ werde, „sie selbst zu sein, ihr Recht, Mensch zu sein“. Eigendorf lässt eine Afghanin zu Wort kommen, die sagt, dass die Medien eine wichtige Rolle spielten, weil für die Frauen Afghanistans die einzige Chance auf ein freieres Leben darin liege, dass die Welt Druck auf die Taliban ausübe. Der Fernsehzuschauer spürt, dass Eigendorf diesen Frauen mit ihrer Arbeit helfen will. Sie hat deren Sache für gut befunden und sie macht sich gemein.
Mit dem Preis stimmt was nicht
Mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis stimmt etwas nicht. Das kommt davon, dass mit seinem berühmten Satz einiges nicht stimmt. Das scheint den Verein, der den Preis alljährlich verleiht, merkwürdigerweise nicht zu stören. Er präsentiert das Zitat ganz oben auf seiner Homepage. Wie eine ewig gültige Maxime. Und er bescheinigt gleichzeitig Eigendorf „eine authentische Empathie für die Opfer eines historischen Versagens“.
Manche Preisträger haben sich in den vergangenen Jahren mit Friedrichs’ Satz kritisch auseinandergesetzt. Die NDR-Journalistin Anja Reschke beklagte 2018, dass ihr der Satz von verärgerten Zuschauern des Magazins „Panorama“ „fast täglich um die Ohren geklatscht“ werde, dabei sei doch bei „Panorama“ eine Haltung „sozusagen Einstellungskriterium“ gewesen. Anne Will behauptete 2007: „Hanns Joachim Friedrichs hat ein ZU VIEL an Meinungsfreudigkeit bei Journalisten beobachtet und sie gemahnt, sich zu mäßigen“, sie selbst sehe das genau umgekehrt.
Aber sie interpretierte Friedrichs falsch, wie man erkennt, wenn man sich mit ihm und seinem Satz intensiver beschäftigt.
Am Sterbebett?
Wann und wo hat Friedrichs die Worte gesprochen, die zu seinem Vermächtnis geworden sind? Meist wird der Satz auf ein „Spiegel“-Interview zurückgeführt, das der Moderator kurz vor seinem Tod 1995 gab. Er wurde gefragt, ob ihn gestört habe, dass er als Moderator ständig „den Tod“ habe präsentieren müssen. Er antwortete:
Nee, das hat mich nie gestört. Solche Skrupel sind mir fremd. Also, wer das nicht will, wer die Seele der Welt nicht zeigen will, in welcher Form auch immer, der wird als Journalist zeitlebens seine Schwierigkeiten haben. Aber ich hab’ es gemacht, und ich habe es fast ohne Bewegung gemacht, weil du das anders nämlich gar nicht anders machen kannst. Das hab’ ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein.
Friedrichs spricht hier also nur von einem bestimmten Stil, den er kultiviert hat und mit dem er zu einem überaus populären Nachrichtenmoderator geworden war. Der Vermächtnis-Satz in der heute zitierten kategorischen Form ist in dem Interview gar nicht enthalten.
Daraus haben manche geschlossen, Friedrichs werde bis heute durchweg falsch zitiert. Sogar einer der beiden damaligen „Spiegel“-Interviewer glaubt das und zeigte sich reumütig. Cordt Schnibben schrieb 2018 auf Twitter:
Ich bin Transporteur dieses Zitats, weil ich damals am Sterbebett von Hanns Joachim Friedrichs diesen Satz gehört und nachgefragt habe. Er hat es eingegrenzt in einem sehr politischen, parteipolitischen Sinne: Also, wenn die SPD das Ehegattensplitting abschafft und ich als Moderator einer öffentlich-rechtlichen Newssendung find es gut, dann darf mir der Zuschauer das nicht anmerken. Daraus zu machen, dass ein Journalist quasi ein haltungsloser, emotionsloser Journalist sein sollte, dem man seine Haltung nicht anmerkt, ist eine Pervertierung.
Schnibben schrieb in seinem Tweet auch, es sei ein „dämlicher Fehler“ von ihm gewesen, dass die Konkretisierung des Satzes damals nicht im „Spiegel“ abgedruckt worden sei. Aber der Reporter, der von Anfang an in der Jury des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis sitzt, muss sich gar keine Vorwürfe machen. Nicht nur, weil die Definition des guten Journalisten in dem „Spiegel“-Gespräch ja gar nicht vorkommt, nur einzelne Wendungen und die auch noch in einem anderen Kontext als der, den Schnibben heute erinnert.
Maxime des Mentors
Friedrichs’ Credo ist dennoch kein Fake. Es gibt eine andere Quelle für das Zitat: die von Friedrichs 1994 veröffentlichte Autobiografie „Journalistenleben“. Darin berichtet er von einem Mentor, den er als junger Journalist bei der BBC in London hatte: Charles Wheeler. Zu dessen Maximen habe gehört, dass ein „seriöser Journalist“ Distanz zum Gegenstand seiner Betrachtung halte und sich „nicht gemein“ mache mit einer Sache – auch nicht mit einer „guten Sache“. Es handelte sich dabei also um Ratschläge, die Wheeler als Chef der BBC-Nachrichten-Abteilung seinem deutschen Kollegen für das News-Business gegeben hatte.
Vermutlich war es ein Lektor (denn die sind üblicherweise für so etwas zuständig) beim Verlag Droemer Knaur, der aus dieser Passage ein wohlklingendes Zitat destillierte, mit dem sich die Rückseite des Umschlags schmücken ließ:
Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er Distanz zum Gegenstand seiner Betrachtung hält; dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er immer dabei ist, aber nie dazugehört.
So steht es da, fast wie in Stein gemeißelt.
Im Kern ist damals also Folgendes passiert: Wheelers Maxime wurde zur Werbezwecken kurzerhand Friedrichs zugeschrieben, und das Motiv dahinter war Verkaufsförderung für ein Buch durch eine Stilisierung des Autors – der große Journalist als Mahner und Vorbild. Man darf davon ausgehen, dass das mit Friedrichs’ Zustimmung geschah; dass er den Cover-Entwurf kannte und dass der ihm gefiel. Er sah sich ja selbst so, als einen guten Journalisten, der auf Distanz hielt und von dem andere etwas lernen konnten.
Worte und Taten
Wie war es wirklich mit der Distanz und Parteiferne in Friedrichs’ journalistischem Leben? Mit seiner Haltung, seinen Meinungen? Wie unabhängig war er?
Hanns Joachim Friedrichs war über Jahrzehnte Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland, bei ARD und ZDF, er arbeitete als Reporter und Moderator, als Auslandskorrespondent in den USA und als Redaktionsleiter des ZDF-Hauptabteilung Sport (wo er die „gute Sache“ Torwand abschaffte und nach gemeinen Protesten wieder einführen musste).
In seiner Autobiografie beklagt Friedrichs, der Rundfunk sei „praktisch mit dem Tag seiner Gründung in die Gefangenschaft der politischen Parteien geraten“ und belegt das auch an Beispielen. Aber es wird in dem Buch aber auch klar, dass sich Friedrichs selbst mit diesem System gut zu arrangieren wusste. Er machte seine Karriere auf dem „roten Ticket“. Das war ihm bewusst und er thematisierte es mehrfach in seinen Erinnerungen.
Da berichtet er von seinem Gegner Edmund Gruber, der Chefredakteur von ARD-aktuell war, als Friedrichs 1985 als erster deutscher Anchorman zu den „Tagesthemen“ kam. Gruber habe gewusst, „dass ich den Freunden der CDU/CSU, mit denen er sich so eng verbunden fühlte, nicht zugerechnet werden konnte“. Deshalb war dem „roten“ Hajo auch die als CDU-Frau geltende Ulrike Wolf als weitere Moderatorin beigeordnet worden.
Beinahe Regierungssprecher
In welchem Maß er ein Parteigänger der SPD war, diese Frage umschifft Friedrichs im Buch. Er schreibt lediglich über sein rotes Ticket: „Ob sich eine solch pauschale Einordnung mit der Wirklichkeit deckt, danach bin ich nie gefragt worden – in Bonn wird entschieden, wer in welches Kästchen gehört.“
In dem großen „Spiegel“-Interview, das er kurz vor seinem Tod 1995 gab, war Friedrichs dann aber überraschend offen. Auf die Frage, ob er je erwogen habe, in die Politik zu wechseln, antwortete er freimütig: „Ich habe das mal im Visier gehabt, als Pressesprecher einer möglichen Regierung Lafontaine.“
Man ist erstaunt, denn das passte ja nun gar nicht zum Bild des Journalisten, der auf Abstand zu den Parteien bedacht gewesen sein soll. Bemerkenswert ist der zeitliche Zusammenhang: Oskar Lafontaine war SPD-Kanzlerkandidat bei der Bundestagswahl 1990. Damals war Friedrichs Moderator der „Tagesthemen“ und zugleich Aspirant auf den Prestige-Posten eines Regierungssprechers für den Fall eines Wahlsiegs (der dann aber nicht eintrat).
Bei der Bundestagswahl 1994 hatte Friedrichs seine „Tagesthemen“-Zeit hinter sich. Dieses Mal unterstützte er offen die SPD und ganz persönlich deren Kanzlerkandidaten Rudolf Scharping. „Er ist ein politisches Talent“, sagte Friedrichs dem „Stern“. „Er ist absolut glaubhaft, kann zuhören, ist höflich und kein Angeber.“ Er nutzte seine Fernsehpopularität zur Wahlwerbung. Und „gemein“ machte er sich dabei auch. Als persönlicher Berater wolle er Scharping eine „heitere Gelassenheit“ beibringen, kündigte Friedrichs an, die Aura werde dann mit der Macht von selbst kommen. Aber wie zuvor schon Lafontaine unterlag dann auch Scharping dem CDU-Kanzler Helmut Kohl.
Eine grüne Botschaft
Neben diesem parteipolitischen Engagement gab es weitere Themen, die Friedrichs am Herzen lagen, „gute Sachen“, für die er sich, jedenfalls in Maßen, einsetzen mochte. Als er nach seiner Zeit bei den „Tagesthemen“ eine naturkundliche Sendung unter dem Titel „Wunderbare Welt“ präsentierte, sah er darin „eine grüne Botschaft“, die er weitertragen wollte. Im „Spiegel“-Interview klagte er auch über Umweltzerstörung: „Wenn der Mensch sich weiter so bemüht, dann kriegt er auch das noch kaputt.“
Schon 1988 hatte Friedrichs einen Eingangstext zu einem Lied von Udo Jürgens beigetragen, in dem dieser das Wachstum der Weltbevölkerung thematisierte und die katholische Kirche wegen ihrer Sexualmoral und des Verbots der Empfängnisverhütung angriff: „Gehet hin und vermehret Euch“, hieß der Song.
Von dramatischer Musik unterlegt, lautete Friedrichs’ Prolog:
Es ist Zeit Alarm zu schlagen. An jedem Tag wächst die Zahl der Menschen auf unserem Planeten um 300.000, in jeder Woche um über zwei Millionen. In jedem Monat kommen mehr Menschen neu auf diese Welt, als in New York zuhause sind. Aber wir wollen es nicht wissen, noch ist es nicht unser Problem. Wenn wir es merken, wird es zu spät sein.
Auf die Angstmache folgte der Analyse-Teil:
Wo die Menschen am ärmsten sind, vermehren sie sich am schnellsten. Es ist schon jetzt zu wenig Platz auf dieser Erde und es wird immer weniger Platz sein. Nicht Kriege, Seuchen und Naturkatastrophen, es sind die Menschen selbst, die ihren Lebensraum vernichten. Wer die Umwelt schützen will, der muss die Welt bewahren. Fünf Milliarden sind genug.
Irritierend an diesen Sätzen ist, dass es Friedrichs offenbar vor allem darum ging, die Umwelt vor den Menschen zu schützen, und zwar in erster Linie vor den armen Menschen, die zu viele Kinder zeugten. Dass es in Wahrheit nicht die Armen waren, die für ihren Konsum ein Übermaß an Ressourcen verbrauchten und dabei auch noch Unmengen Kohlendioxid emittierten, das blendete der passionierte Porsche-Fahrer Hajo Friedrichs aus.
Nichts gegen Meinungsfreude
Anders als ihm heute von Bewunderern und Kritikern unterstellt wird, hatte Friedrichs nichts gegen Meinungsfreude im Journalismus. Er verachtete Journalisten wie den ZDF-Chefredakteur Reinhard Appel und nannte ihn in seinem Buch einen „Propheten der Ausgewogenheit, der brotlosen Kunst, es allen recht zu machen“. Den bissigen „Monitor“-Moderator Klaus Bednarz schätzte er dagegen sehr. An den täglichen Kommentaren in den „Tagesthemen“ störte Friedrichs, dass in denen eine Meinung oft gar nicht zu erkennen sei:
Da wird einerseits zu bedenken gegeben, andererseits aber darauf hingewiesen, um am Ende bleibt irgendetwas abzuwarten.
Er selbst verstand sich als Reporter und Moderator. Nur selten zeigte er eine Haltung. Vor der Fußball-Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien schrieb Friedrichs in einer Fernsehzeitschrift eine Kolumne über sein „Unbehagen“ angesichts einer WM in einem Land, das nach einem Putsch im Jahr zuvor von einer Junta regiert wurde und in dem die politischen Gegner der Generäle erbarmungslos verfolgt wurden. Demokratie und Freiheit schätzte Friedrichs sehr, er war ein Individualist und angelsächsisch geprägt.
Heute würde sich Hanns Joachim Friedrichs vermutlich sehr wundern, wenn er sähe, welches Eigenleben dieser eine, ursprünglich gar nicht von ihm selbst stammende Satz entwickelt hat – und wie diese Worte sogar in politischen Auseinandersetzungen immer wieder instrumentalisiert werden.
Der wichtigste Satz
Friedrichs selbst hielt einen ganz anderen Satz für den wichtigsten seines journalistischen Lebens: „Die Tore in der Mauer stehen weit offen.“ Diese Worte sprach er am 9. November 1989 zu Beginn der „Tagesthemen“, die an diesem Tag erst um 22.42 Uhr anfingen.
Vier Stunden zuvor hatte das SED-Politbüromitglied Günter Schabowski in Berlin eine neue Regelung für Reisen von den DDR-Bürgern nach dem westlichen Ausland angekündigt und auf Nachfrage ergänzt, diese trete seines Wissens „sofort, unverzüglich“ in Kraft. Tausende Ost-Berliner strömten in den folgenden Stunden zu den Grenzübergängen.
Als Friedrichs auf Sendung ging, waren die „Tore in der Mauer“ in Wahrheit aber noch zu. Das konnten die Zuschauer der „Tagesthemen“ nach der Anmoderation sogar selbst sehen, in einem ersten Bericht des Berliner Korrespondenten Robin Lautenbach. Der stand am verschlossenen Grenzübergang Invalidenstraße und berichtete, dass DDR-Bürger dort bislang nicht ausreisen dürften.
So war es zu diesem Zeitpunkt auch an den anderen Berliner Übergängen, wie man heute weiß. Lediglich am Grenzübergang Bornholmer Straße hatten die Grenzsoldaten schon von etwa 21.30 Uhr an einigen DDR-Bürgern den Übergang erlaubt (und dabei deren Pässe ungültig gestempelt, um eine Rückkehr zu verhindern). Davon erfuhren dann auch die Zuschauer der „Tagesthemen“. In einer Live-Schalte hatte Robin Lautenbach einige West-Berliner bei sich, die vorher an der Bornholmer Straße gewesen waren. Ansonsten aber war an der Berliner Mauer alles dicht, als Friedrichs in Hamburg von weit geöffneten Toren sprach. Das war auch noch so, als die „Tagesthemen“ endeten.
Mit seinen starken Worten befeuerte der Moderator den Ansturm von DDR-Bürgern auf die Grenzübergänge. Viele Ostberliner machten sich nach den „Tagesthemen“ auf den Weg, um sich selbst ein Bild zu machen und die angekündigte Reisefreiheit zu testen. An den verschlossenen Übergängen kam es zu dramatischen Szenen. Glücklicherweise hielten die Soldaten dem Druck nicht stand und öffneten die Grenze.
Um Mitternacht standen die „Tore in der Mauer“ dann tatsächlich offen. Das war eine gute Sache – die von einem einflussreichen TV-Moderator mitherbeigeführt worden war. Von einem ziemlich guten Journalisten, der es mit der nachrichtlichen Wahrheit an diesem Abend nicht so genau nahm.
31 Kommentare
„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich keine Zitate ausdenkt, die ihm in den Kram passen.“ 4. Brief an die Galater, 22,42
Friedrichs stellte den Zusammenhang zwischen Armut und Bevölkerungsentwicklung sicher nicht her, um armen Ländern die Schuld für Ressourcenverbrauch zu geben. Diese Verkürzung ist entstellend. Armut und Bevölkerungentwicklung sind auf jeden Fall auch eine Ursache für Umweltzerstörung. Dass Friedrichs diese Feststellung macht, als CO2 noch nicht das dominierende Umweltthema ist, kann man ihm nicht vorwerfen
Also das Zitat gilt für deutsche Journalisten nicht weil es von einem Engländer stammt?
Ich dachte, der angelsächsische Journalismus im allgemeinen und die BBC im besonderen sind das große Vorbild für Medienschaffende in Deutschland.
Als Leser, Hörer und Seher bleibt der Satz für mich richtig, egal wer ihn ursprünglich gesagt hat.
Benennt die Auszeichnung einfach in Charles-Wheeler-Preis um, dann stimmt’s doch!
Lustiger Gedanke, dass ein Zitat „gelten“ soll.
Und mit dem Charles-Wheeler-Preis könnte man dann Katrin Eigendorf auch nicht auszeichnen.
Ich denke Sie wissen, wie ich das gemeint habe. Wenn Ihnen keine bessere Entgegnung einfällt, verbuche ich das mal plump als argumentativen Erfolg.
Bin jetzt nicht ganz sicher, was überhaupt Ihre Argumentation war, aber verbuchen Sie ruhig.
Aber, ernstgemeinte Frage: Das heißt, Sie lehnen Reportagen wie die von Frau Eigendorf ab? Die sich auf die Seite zum Beispiel von jetzt bedrohten Frauen in Afghanistan stellen?
Von dem ganzen „wer hat was gesagt“ mal ab: Was war an dem Satz noch mal richtig? Ein „guter“ Journalist darf sich mit keiner guten Sache gemein machen … weil?
(Das „gut“ ist zweifelsohne eine Frage des Sichtweise. Wenn nur das damit gemeint ist, ok.)
Z. B. im „Klima“-Kontext: Ist „sich gemein machen“ schon, wenn ein Journalist aufschreibt, was die Folgen bei ungebremster Erwärmung wären? Oder erst, wenn er sagt, dass das schlecht wäre, wenn es so kommt?
Über den Spritverbrauch von Kleinwagen darf man dann schreiben, aber niedrigen Spritverbrauch nicht als etwas Positives beschreiben?
So viel Potential für rechtes Rumgeheule …
@Stefan Niggemeier
Ernstgemeinte Antwort im Rahmen meiner Möglichkeiten:
Ich finde nicht, dass sich Frau Eigendorf „auf die Seite von jetzt bedrohten Frauen in Afghanistan“ gestellt oder zuviel Empathie gezeigt hat. Sie hat alle zu Wort kommen lassen und berechtigte Fragen nach der Zukunft der Frauen und des Landes gestellt. Einmal hat sie ihrer Bedrückung Ausdruck verliehen, in einer Reportage sind aber wohl persönliche Eindrücke erlaubt, obwohl die Aussagen des Übersetzers für sich stark genug waren.
Ein sehr gutes Stück Fernsehjournalismus, die Verleihung des Preises ist für mich gerechtfertigt.
Der BBC-Redakteur Charles Wheeler war für den jungen Hanns Joachim Friedrichs ein Vorbild, ihn zitiert er in seinem Buch (teilweise zusammen verfaßt mit Harald Wieser). Im Gespräch mit dem schon todkranken Hajo für den SPIEGEL haben wir über das Zitat gesprochen, er hat es präzisiert und eingeschränkt auf seinen Job als Nachrichtensprecher einer öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung. Es ist leider ein Versäumnis, dass Jürgen Leinemann und ich das in die gedruckten Fassung nicht übernahmen. Er hat es vor allem auch deshalb präzisiert, weil er seit 1971 Mitglied der SPD war und deshalb betonte, dass dürfe man ihm in der Sendung nicht anmerken. Was der Text von Rüdiger Jungbluth zu Recht herausarbeitet: Hajo war weit davon entfernt einem haltungslosen, meinungslosen Journalismus das Wort zu reden.
@ Cordt Schnibben (#9):
Schön, hier von Ihnen zu lesen! Ihre Reue über die fehlende Einordnung wird ja auch im Text zitiert (in Form eines Tweets von 2018). Nun meint aber Herr Jungbluth, sie täuschten sich über den Inhalt des abgedruckten Gesprächs – das heißdiskutierte Zitat tauche dort gar nicht auf. Können Sie das aufklären?
@ Allgemein:
Ich mag das Zitat; ich finde es passt gut zum Ruf der BBC, trocken, informativ und nüchtern zu berichten (ob der Ruf nun noch berechtigt ist oder nicht). Auch den Nachrichtensendungen des ÖRR steht es gut zu Gesicht.
Das Problem ist die verbreitete Überinterpretation, verbunden mit der absurden Vorstellung, in früheren Jahrzehnten hätten Journalisten nichts als nackte Information ohne jede Einordnung, geschweige denn Wertung verbreitet (schon Enzensbergers Analyse der „Sprache des Spiegel“ von 1957 [!] könnte die Leserschaft eines besseren belehren).
Aus dieser Perspektive ist natürlich jeder Bericht, der zum Beispiel leidende Flüchtlinge in Moria zeigt, ein Fall von „Haltungsjournalismus“ und deshalb – mit verquerem Verweis auf Friedrichs – verdammenswert. Aus dieser Perspektive gehörte immer noch ein „Experte“ dazu, der erklärt: „Es handelt sich um eingeschleuste Terroristen, und es geht ihnen noch viel zu gut“.
Andererseits würde ein bisschen mehr Distanz – oder zumindest eine klarere Trennung von Nachricht und Kommentar – vielen (Online-)Medien durchaus guttun. Die Berichterstattung über Trump etwa hatte oft soviel Gemeinmachen mit der Sache der Gegenseite, dass a) die sachliche Information unterging und ich mich b) als erwachsener Leser bevormundet fühlte. „Trump sagte X, Kritikerin sagt Y“ – manchmal ist das kein schlechtes Format.
In eine ähnliche Richtung geht die Twitter-Zitiererei, die wohl dazu dient, eine Simulation von „Volkes Stimme“ zu einem Sachverhalt in einen Text einzubinden. Da liest man dann gerne drei oder vier einhellig-empörte Meinungen, die den Journalisten in seiner, ja: Haltung stützen. Das ist, als hätten Zeitungen früher laufend Leserbriefe in ihren Artikeln zitiert. Macht man nicht.
Meine Güte, so viele Verrenkungen, um Haltungsjournalismus irgend doch zu legitimieren. Das berühmte Zitat kann nicht für alles und jedes handlungsrelevant sein. Es definiert dennoch eine äußerst wichtige Maxime journalistischer Arbeit.
@Kritischer Kritiker
So lautet die Interview-Passage im SPIEGEL, in der es um das Zitat geht:
„Das hab ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst du es, daß die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören.“
Der letzte Satz zeigt, dass HJF die Aussage bezieht auf seinen Job als Nachrichtenmoderator, der jeden Abend die News überbringt.
Hier das ganze Interview: https://www.spiegel.de/politik/cool-bleiben-nicht-kalt-a-73e327d0-0002-0001-0000-000009176410-amp
@Laszlo Trankovits: Mit anderen Worten, Sie hatten vorher schon eine Haltung zu dem Thema und hätten deshalb unsere Recherche der Fakten gar nicht gebraucht?
@Laszlo Trankovits
Wer in Julian Reichelts Absetzung das Wirken eines links-grünen Zeitgeistes sieht, hat offenkundig weniger mit Haltungsjournalismus ein Problem, sondern eher mit vielen Haltungen. Aber es hindert Sie ja niemand, in Zukunft diese „äußerst wichtige Maxime journalistischer Arbeit“ selber zu befolgen.
@Stefan Niggemeier Nein, ich finde es sogar ehrenwert, die Hintergründe und Geschichte des Zitats zu beleuchten. Was mich stört, ist die Absicht des Beitrags, den ich glaube, deutlich zu erkennen. Die Botschaft ist: Der Satz sei im Grunde stark zu relativieren, er sei gar nicht so gemeint gewesen, nämlich die Vorgabe an jeden guten Journalisten, bei der Berichterstattung Distanz, Nüchternheit und Unparteilichkeit zu wahren. Die bewusste Vermischung der unterschiedlichen journalistischen Gattungen wie (vorwiegend nachrichtliche) Berichterstattung, Kommentar, Feature, Reportage usw. ist die Methode, mit der die überragende Bedeutung des Zitats (wer auch immer es in welcher Absicht auch immer gesagt hat) relativiert wird. (Kunst/Künstler-Problematik). Ich kann nicht verstehen, wie verdienstvolle, kluge Medienjournalisten seit geraumer Zeit Grundlagen journalistischer Arbeit teilweise beiseite schieben oder stark relativieren. Als ob sich irgendetwas geändert habe an der gesellschaftlichen und politischen Aufgabe des Journalismus.
Wer relativiert denn seit geraumer Zeit Grundlagen journalistischer Arbeit? Und wo?
@Laszlo Trankovits
Als ob sich irgendetwas geändert habe an der gesellschaftlichen und politischen Aufgabe des Journalismus.
Vielleicht ist das ja tatsächlich geschehen?
Anhand ihrer Aufzählung zu „gutem Journalismus“ würde mich das als einfacher Leser jedenfalls freuen.
die Vorgabe an jeden guten Journalisten, bei der Berichterstattung Distanz, Nüchternheit und Unparteilichkeit zu wahren
Distanz: ja, gut, dann sieht man etwas aus der Draufsicht, wo dann aber Feinheiten untergehen müssen. Ich hoffe, guter Journalismus, auch außerhalb des Features oder der Reportage, sollte auch Feinheiten beleuchten.
Nüchternheit: klingt erst mal ganz gut, aber ich sehe da jetzt eigentlich nur alte Zöpfe. Ein Journalist, der für seinen Job brennt, was soll an dem Schlecht sein?
Unparteilichkeit: ist es nicht mittlerweile schon seit Jahren Konsens, dass es die nicht gibt. Allein schon die Auswahl der Themen, über die berichtet wird, zeigt eine Parteilichkeit.
Der Haltungsjournalismus ist ein permanenter Angriff auf journalistische Prinzipien. Haltungsjournalismus prägt allerdings seit Jahren die deutsche Medienwirklichkeit, insbesondere in den öffentlich-rechtlichen Sendern. „Micha“ schreibt als Leser zu recht, es gäbe keine wirkliche Unparteilichkeit. Diese Erkenntnis widerspricht nicht dem Versuch, möglichst unparteilich zu sein, um dem Leser, Hörer und Zuschauer letztendlich das Urteil zu überlassen. Das alte Argument (seit Archimedes), es gäbe keine Objektivität, darf den Journalisten nicht daran hindern, es immer wieder mit Fairness und Klugheit anzustreben. Und: ausgewiesene Kommentare und selbst emotionale Feature lassen genug Raum für pointierte, wertende Beiträge. Das geht aber nicht in der Berichterstattung. Selbst Nazis oder Massenmörder lassen sich objektiv schildern, ohne im Geringsten ihre Unmenschlichkeit zu verschleiern. Aber vor allem bei „normalen“ Themen wie Energie, Schulden oder Waffenexport wird der Unterschied zwischen einer tendenziösen und einer ausgewogenen, fairen Berichterstattung deutlich. Die Verletzung dieser Prinzipien kann man fast jederzeit überprüfen: schalten Sie einfach das Radio ein und hören Sie einem der Nachrichtensender der ARD zu.
@Laszlo
Die Verletzung dieser Prinzipien kann man fast jederzeit überprüfen: schalten Sie einfach das Radio ein und hören Sie einem der Nachrichtensender der ARD zu.
Ein solcher Satz beweist ja, dass Sie keineswegs objektiv sind, sondern absolut und bewusst übertrieben aus einer besonderen Haltung heraus argumentieren, die dann auch eine gewisse Hilflosigkeit zeigt.
Jetzt war das zwar keine Berichterstattung, es ist also auch nach Ihren Kriterien in Ordnung, diese langweilige Form zu wählen.
Nur, es macht Ihre Beiträge jetzt nicht sonderlich Diskussionswert.
Deshalb, schönen Tag noch.
Oh, da hat aber einer direkt das in #7 erwähnte Potential angebohrt.
@ #18: Was ist eigentlich mit Reitschuster, Achgut, DonA, Compact Verlag, etc.? Gelten da dann die gleichen Prinzipien, die Sie exklusiv bei der ARD feststellen?
Haltungsjournalismus bei den ÖR zu beklagen, während die Bild offensichtliche Kampagnen fährt, um ihre Politik durchzusetzen, ist schon lustig. Aber ja, voll schlimm, der linksgrüne Haltungsjournalismus der ARD in den letzten Jahren. Reminder: Die CDU hat das ZDF gegründet, weil ihr die ARD zu links war. Damals. Der Vorwurf ist alt, langweilig und meist falsch.
Was das Zitat und die Sichtweise dahinter angeht: Jeder Journalist hat eine Meinung und geht wählen. Man kann nur versuchen, so objektiv wie möglich an seine Themen ranzugehen. Und manchmal muss man Nazis Nazis nennen, weil sie Nazis sind. Vielleicht brauchen wir doch lieber einen Sagen-was-ist-Preis. Das Motto ist doch sehr viel schöner als der Satz von Friedrich.
@Cordt Schnibben (#12):
Danke für die prompte Antwort und Link!
Der Satz bleibt ein Leitmotiv für einen Journalisten – egal wann und wie er gesagt wurde. Und Frau Reschke liegt falsch.
@Holger Kreymeier: Ach so, na dann.
@ Laszlo Trankovits: „Aber vor allem bei „normalen“ Themen wie Energie, Schulden oder Waffenexport wird der Unterschied zwischen einer tendenziösen und einer ausgewogenen, fairen Berichterstattung deutlich.“
Schöne Beispiele, die zeigen, dass „Ausgewogenheit“ bestenfalls ein sehr subjektives Kriterium sein kann. Ich z.B. empfände Berichterstattung über Energie ohne Bezug zum Klimawandel oder über Waffenexporte ohne Erwähnung des dadurch erzeugten Leids als äußerst tendenziös. Das Auswählen berichtenswerter Aspekte kann ja nur eine subjektive Entscheidung sein. Dass das so ist, fällt uns aber in der Regel bloß auf, wenn die eigene Haltung davon abweicht.
Jeder, nicht nur der Journalist, sollte sich darum bemühen, wichtige Informationen erst einmal so objektiv wie möglich aufzunehmen. In der Wissenschaft kennt man den Bias, der dadurch unvermeidbar entsteht, dass bei einer Studie das Wunschziel vorab feststeht.
Was aber ist von Journalisten zu halten, die sich den Nimbus der Objektivität anheften?
Cancel-Culture Vorwürfe sollen zumeist letztlich nur unliebsame Kritiker „canceln“, Political Correctness Vorwürfe sind die Begleitmusik , wenn durch gezieltes Framing der Diskurs gefährlich weit nach rechts gerückt wird.
Und so wird auch der Ruf nach Neutralität zu einer Einbahnstraße.
Was eine gewisse Logik hat: Denn da sind anscheinend eher empfängliche Menschen, Menschen mit Skrupeln, zu finden.
Vielleicht sollte man sich mit dieser nicht-gemein-machen-Sache nicht zu sehr gemein machen. Das tun jedenfalls gute Journalisten, auch wenns eine gute Sache ist.
Ein seriöser (nachrichten)journalistischer Beitrag informiert mich möglichst objektiv – im Sinne von Fakten – über etwas und hilft mir gleichzeitig, das worüber er mich informiert – im Sinne von Zusammenhängen – einzuordnen.
Aber allein durch die Auswahl, zu welchem Thema/Ereignis ein Beitrag gemacht wird (und zu welchem nicht) und auch durch die Entscheidung, in welchen Zusammenhang (und in welchen nicht) er gestellt wird, macht man sich mehr oder weniger damit „gemein“.
Umso wichtiger scheint mir deshalb, dass vor dem Hintergrund einer (wenn nötig explizit transparent gemachten) klar erkennbaren Haltung geschieht, zu der ich mich – so oder so – positionieren kann.
Damals hat man nicht an CO2 und Klimawandel, sondern an Abholzung, Übernutzung von Grundwasser und Flüssen (Jordan!), Verkarstung usw. gedacht. Insofern erscheint mir HJFs Fokus auf bestimmte, meist eher ärmere Weltgegenden aus damaliger Problemsicht durchaus logisch.
„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich keine Zitate ausdenkt, die ihm in den Kram passen.“ 4. Brief an die Galater, 22,42
Friedrichs stellte den Zusammenhang zwischen Armut und Bevölkerungsentwicklung sicher nicht her, um armen Ländern die Schuld für Ressourcenverbrauch zu geben. Diese Verkürzung ist entstellend. Armut und Bevölkerungentwicklung sind auf jeden Fall auch eine Ursache für Umweltzerstörung. Dass Friedrichs diese Feststellung macht, als CO2 noch nicht das dominierende Umweltthema ist, kann man ihm nicht vorwerfen
Also das Zitat gilt für deutsche Journalisten nicht weil es von einem Engländer stammt?
Ich dachte, der angelsächsische Journalismus im allgemeinen und die BBC im besonderen sind das große Vorbild für Medienschaffende in Deutschland.
Als Leser, Hörer und Seher bleibt der Satz für mich richtig, egal wer ihn ursprünglich gesagt hat.
Benennt die Auszeichnung einfach in Charles-Wheeler-Preis um, dann stimmt’s doch!
Lustiger Gedanke, dass ein Zitat „gelten“ soll.
Und mit dem Charles-Wheeler-Preis könnte man dann Katrin Eigendorf auch nicht auszeichnen.
Ich denke Sie wissen, wie ich das gemeint habe. Wenn Ihnen keine bessere Entgegnung einfällt, verbuche ich das mal plump als argumentativen Erfolg.
Bin jetzt nicht ganz sicher, was überhaupt Ihre Argumentation war, aber verbuchen Sie ruhig.
Aber, ernstgemeinte Frage: Das heißt, Sie lehnen Reportagen wie die von Frau Eigendorf ab? Die sich auf die Seite zum Beispiel von jetzt bedrohten Frauen in Afghanistan stellen?
Von dem ganzen „wer hat was gesagt“ mal ab: Was war an dem Satz noch mal richtig? Ein „guter“ Journalist darf sich mit keiner guten Sache gemein machen … weil?
(Das „gut“ ist zweifelsohne eine Frage des Sichtweise. Wenn nur das damit gemeint ist, ok.)
Z. B. im „Klima“-Kontext: Ist „sich gemein machen“ schon, wenn ein Journalist aufschreibt, was die Folgen bei ungebremster Erwärmung wären? Oder erst, wenn er sagt, dass das schlecht wäre, wenn es so kommt?
Über den Spritverbrauch von Kleinwagen darf man dann schreiben, aber niedrigen Spritverbrauch nicht als etwas Positives beschreiben?
So viel Potential für rechtes Rumgeheule …
@Stefan Niggemeier
Ernstgemeinte Antwort im Rahmen meiner Möglichkeiten:
Ich finde nicht, dass sich Frau Eigendorf „auf die Seite von jetzt bedrohten Frauen in Afghanistan“ gestellt oder zuviel Empathie gezeigt hat. Sie hat alle zu Wort kommen lassen und berechtigte Fragen nach der Zukunft der Frauen und des Landes gestellt. Einmal hat sie ihrer Bedrückung Ausdruck verliehen, in einer Reportage sind aber wohl persönliche Eindrücke erlaubt, obwohl die Aussagen des Übersetzers für sich stark genug waren.
Ein sehr gutes Stück Fernsehjournalismus, die Verleihung des Preises ist für mich gerechtfertigt.
Der BBC-Redakteur Charles Wheeler war für den jungen Hanns Joachim Friedrichs ein Vorbild, ihn zitiert er in seinem Buch (teilweise zusammen verfaßt mit Harald Wieser). Im Gespräch mit dem schon todkranken Hajo für den SPIEGEL haben wir über das Zitat gesprochen, er hat es präzisiert und eingeschränkt auf seinen Job als Nachrichtensprecher einer öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung. Es ist leider ein Versäumnis, dass Jürgen Leinemann und ich das in die gedruckten Fassung nicht übernahmen. Er hat es vor allem auch deshalb präzisiert, weil er seit 1971 Mitglied der SPD war und deshalb betonte, dass dürfe man ihm in der Sendung nicht anmerken. Was der Text von Rüdiger Jungbluth zu Recht herausarbeitet: Hajo war weit davon entfernt einem haltungslosen, meinungslosen Journalismus das Wort zu reden.
@ Cordt Schnibben (#9):
Schön, hier von Ihnen zu lesen! Ihre Reue über die fehlende Einordnung wird ja auch im Text zitiert (in Form eines Tweets von 2018). Nun meint aber Herr Jungbluth, sie täuschten sich über den Inhalt des abgedruckten Gesprächs – das heißdiskutierte Zitat tauche dort gar nicht auf. Können Sie das aufklären?
@ Allgemein:
Ich mag das Zitat; ich finde es passt gut zum Ruf der BBC, trocken, informativ und nüchtern zu berichten (ob der Ruf nun noch berechtigt ist oder nicht). Auch den Nachrichtensendungen des ÖRR steht es gut zu Gesicht.
Das Problem ist die verbreitete Überinterpretation, verbunden mit der absurden Vorstellung, in früheren Jahrzehnten hätten Journalisten nichts als nackte Information ohne jede Einordnung, geschweige denn Wertung verbreitet (schon Enzensbergers Analyse der „Sprache des Spiegel“ von 1957 [!] könnte die Leserschaft eines besseren belehren).
Aus dieser Perspektive ist natürlich jeder Bericht, der zum Beispiel leidende Flüchtlinge in Moria zeigt, ein Fall von „Haltungsjournalismus“ und deshalb – mit verquerem Verweis auf Friedrichs – verdammenswert. Aus dieser Perspektive gehörte immer noch ein „Experte“ dazu, der erklärt: „Es handelt sich um eingeschleuste Terroristen, und es geht ihnen noch viel zu gut“.
Andererseits würde ein bisschen mehr Distanz – oder zumindest eine klarere Trennung von Nachricht und Kommentar – vielen (Online-)Medien durchaus guttun. Die Berichterstattung über Trump etwa hatte oft soviel Gemeinmachen mit der Sache der Gegenseite, dass a) die sachliche Information unterging und ich mich b) als erwachsener Leser bevormundet fühlte. „Trump sagte X, Kritikerin sagt Y“ – manchmal ist das kein schlechtes Format.
In eine ähnliche Richtung geht die Twitter-Zitiererei, die wohl dazu dient, eine Simulation von „Volkes Stimme“ zu einem Sachverhalt in einen Text einzubinden. Da liest man dann gerne drei oder vier einhellig-empörte Meinungen, die den Journalisten in seiner, ja: Haltung stützen. Das ist, als hätten Zeitungen früher laufend Leserbriefe in ihren Artikeln zitiert. Macht man nicht.
Meine Güte, so viele Verrenkungen, um Haltungsjournalismus irgend doch zu legitimieren. Das berühmte Zitat kann nicht für alles und jedes handlungsrelevant sein. Es definiert dennoch eine äußerst wichtige Maxime journalistischer Arbeit.
@Kritischer Kritiker
So lautet die Interview-Passage im SPIEGEL, in der es um das Zitat geht:
„Das hab ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst du es, daß die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören.“
Der letzte Satz zeigt, dass HJF die Aussage bezieht auf seinen Job als Nachrichtenmoderator, der jeden Abend die News überbringt.
Hier das ganze Interview:
https://www.spiegel.de/politik/cool-bleiben-nicht-kalt-a-73e327d0-0002-0001-0000-000009176410-amp
@Laszlo Trankovits: Mit anderen Worten, Sie hatten vorher schon eine Haltung zu dem Thema und hätten deshalb unsere Recherche der Fakten gar nicht gebraucht?
@Laszlo Trankovits
Wer in Julian Reichelts Absetzung das Wirken eines links-grünen Zeitgeistes sieht, hat offenkundig weniger mit Haltungsjournalismus ein Problem, sondern eher mit vielen Haltungen. Aber es hindert Sie ja niemand, in Zukunft diese „äußerst wichtige Maxime journalistischer Arbeit“ selber zu befolgen.
@Stefan Niggemeier Nein, ich finde es sogar ehrenwert, die Hintergründe und Geschichte des Zitats zu beleuchten. Was mich stört, ist die Absicht des Beitrags, den ich glaube, deutlich zu erkennen. Die Botschaft ist: Der Satz sei im Grunde stark zu relativieren, er sei gar nicht so gemeint gewesen, nämlich die Vorgabe an jeden guten Journalisten, bei der Berichterstattung Distanz, Nüchternheit und Unparteilichkeit zu wahren. Die bewusste Vermischung der unterschiedlichen journalistischen Gattungen wie (vorwiegend nachrichtliche) Berichterstattung, Kommentar, Feature, Reportage usw. ist die Methode, mit der die überragende Bedeutung des Zitats (wer auch immer es in welcher Absicht auch immer gesagt hat) relativiert wird. (Kunst/Künstler-Problematik). Ich kann nicht verstehen, wie verdienstvolle, kluge Medienjournalisten seit geraumer Zeit Grundlagen journalistischer Arbeit teilweise beiseite schieben oder stark relativieren. Als ob sich irgendetwas geändert habe an der gesellschaftlichen und politischen Aufgabe des Journalismus.
Wer relativiert denn seit geraumer Zeit Grundlagen journalistischer Arbeit? Und wo?
@Laszlo Trankovits
Vielleicht ist das ja tatsächlich geschehen?
Anhand ihrer Aufzählung zu „gutem Journalismus“ würde mich das als einfacher Leser jedenfalls freuen.
Distanz: ja, gut, dann sieht man etwas aus der Draufsicht, wo dann aber Feinheiten untergehen müssen. Ich hoffe, guter Journalismus, auch außerhalb des Features oder der Reportage, sollte auch Feinheiten beleuchten.
Nüchternheit: klingt erst mal ganz gut, aber ich sehe da jetzt eigentlich nur alte Zöpfe. Ein Journalist, der für seinen Job brennt, was soll an dem Schlecht sein?
Unparteilichkeit: ist es nicht mittlerweile schon seit Jahren Konsens, dass es die nicht gibt. Allein schon die Auswahl der Themen, über die berichtet wird, zeigt eine Parteilichkeit.
Der Haltungsjournalismus ist ein permanenter Angriff auf journalistische Prinzipien. Haltungsjournalismus prägt allerdings seit Jahren die deutsche Medienwirklichkeit, insbesondere in den öffentlich-rechtlichen Sendern. „Micha“ schreibt als Leser zu recht, es gäbe keine wirkliche Unparteilichkeit. Diese Erkenntnis widerspricht nicht dem Versuch, möglichst unparteilich zu sein, um dem Leser, Hörer und Zuschauer letztendlich das Urteil zu überlassen. Das alte Argument (seit Archimedes), es gäbe keine Objektivität, darf den Journalisten nicht daran hindern, es immer wieder mit Fairness und Klugheit anzustreben. Und: ausgewiesene Kommentare und selbst emotionale Feature lassen genug Raum für pointierte, wertende Beiträge. Das geht aber nicht in der Berichterstattung. Selbst Nazis oder Massenmörder lassen sich objektiv schildern, ohne im Geringsten ihre Unmenschlichkeit zu verschleiern. Aber vor allem bei „normalen“ Themen wie Energie, Schulden oder Waffenexport wird der Unterschied zwischen einer tendenziösen und einer ausgewogenen, fairen Berichterstattung deutlich. Die Verletzung dieser Prinzipien kann man fast jederzeit überprüfen: schalten Sie einfach das Radio ein und hören Sie einem der Nachrichtensender der ARD zu.
@Laszlo
Ein solcher Satz beweist ja, dass Sie keineswegs objektiv sind, sondern absolut und bewusst übertrieben aus einer besonderen Haltung heraus argumentieren, die dann auch eine gewisse Hilflosigkeit zeigt.
Jetzt war das zwar keine Berichterstattung, es ist also auch nach Ihren Kriterien in Ordnung, diese langweilige Form zu wählen.
Nur, es macht Ihre Beiträge jetzt nicht sonderlich Diskussionswert.
Deshalb, schönen Tag noch.
Oh, da hat aber einer direkt das in #7 erwähnte Potential angebohrt.
@ #18: Was ist eigentlich mit Reitschuster, Achgut, DonA, Compact Verlag, etc.? Gelten da dann die gleichen Prinzipien, die Sie exklusiv bei der ARD feststellen?
Haltungsjournalismus bei den ÖR zu beklagen, während die Bild offensichtliche Kampagnen fährt, um ihre Politik durchzusetzen, ist schon lustig. Aber ja, voll schlimm, der linksgrüne Haltungsjournalismus der ARD in den letzten Jahren. Reminder: Die CDU hat das ZDF gegründet, weil ihr die ARD zu links war. Damals. Der Vorwurf ist alt, langweilig und meist falsch.
Was das Zitat und die Sichtweise dahinter angeht: Jeder Journalist hat eine Meinung und geht wählen. Man kann nur versuchen, so objektiv wie möglich an seine Themen ranzugehen. Und manchmal muss man Nazis Nazis nennen, weil sie Nazis sind. Vielleicht brauchen wir doch lieber einen Sagen-was-ist-Preis. Das Motto ist doch sehr viel schöner als der Satz von Friedrich.
@Cordt Schnibben (#12):
Danke für die prompte Antwort und Link!
Der Satz bleibt ein Leitmotiv für einen Journalisten – egal wann und wie er gesagt wurde. Und Frau Reschke liegt falsch.
@Holger Kreymeier: Ach so, na dann.
@ Laszlo Trankovits: „Aber vor allem bei „normalen“ Themen wie Energie, Schulden oder Waffenexport wird der Unterschied zwischen einer tendenziösen und einer ausgewogenen, fairen Berichterstattung deutlich.“
Schöne Beispiele, die zeigen, dass „Ausgewogenheit“ bestenfalls ein sehr subjektives Kriterium sein kann. Ich z.B. empfände Berichterstattung über Energie ohne Bezug zum Klimawandel oder über Waffenexporte ohne Erwähnung des dadurch erzeugten Leids als äußerst tendenziös. Das Auswählen berichtenswerter Aspekte kann ja nur eine subjektive Entscheidung sein. Dass das so ist, fällt uns aber in der Regel bloß auf, wenn die eigene Haltung davon abweicht.
Jeder, nicht nur der Journalist, sollte sich darum bemühen, wichtige Informationen erst einmal so objektiv wie möglich aufzunehmen. In der Wissenschaft kennt man den Bias, der dadurch unvermeidbar entsteht, dass bei einer Studie das Wunschziel vorab feststeht.
Was aber ist von Journalisten zu halten, die sich den Nimbus der Objektivität anheften?
Cancel-Culture Vorwürfe sollen zumeist letztlich nur unliebsame Kritiker „canceln“, Political Correctness Vorwürfe sind die Begleitmusik , wenn durch gezieltes Framing der Diskurs gefährlich weit nach rechts gerückt wird.
Und so wird auch der Ruf nach Neutralität zu einer Einbahnstraße.
Was eine gewisse Logik hat: Denn da sind anscheinend eher empfängliche Menschen, Menschen mit Skrupeln, zu finden.
Vielleicht sollte man sich mit dieser nicht-gemein-machen-Sache nicht zu sehr gemein machen. Das tun jedenfalls gute Journalisten, auch wenns eine gute Sache ist.
Das hatte ich auch schon auf dem Schirm: https://www.mainpost.de/ueberregional/meinung/leseranwalt/fuer-was-das-zitat-von-hanns-joachim-friedrichs-nicht-taugt-art-9594812
Anton Sahlender, Vereinigung der Medien-Ombudsleute
Ein seriöser (nachrichten)journalistischer Beitrag informiert mich möglichst objektiv – im Sinne von Fakten – über etwas und hilft mir gleichzeitig, das worüber er mich informiert – im Sinne von Zusammenhängen – einzuordnen.
Aber allein durch die Auswahl, zu welchem Thema/Ereignis ein Beitrag gemacht wird (und zu welchem nicht) und auch durch die Entscheidung, in welchen Zusammenhang (und in welchen nicht) er gestellt wird, macht man sich mehr oder weniger damit „gemein“.
Umso wichtiger scheint mir deshalb, dass vor dem Hintergrund einer (wenn nötig explizit transparent gemachten) klar erkennbaren Haltung geschieht, zu der ich mich – so oder so – positionieren kann.
Damals hat man nicht an CO2 und Klimawandel, sondern an Abholzung, Übernutzung von Grundwasser und Flüssen (Jordan!), Verkarstung usw. gedacht. Insofern erscheint mir HJFs Fokus auf bestimmte, meist eher ärmere Weltgegenden aus damaliger Problemsicht durchaus logisch.