Inhalte von ARD und ZDF geklaut

Was erlaubt sich „Bild“? (Und warum ist das nicht allen erlaubt?)

So sah das aus am Wahlsonntagabend: Tina Hassel, Hauptstadtstudioleiterin der ARD, interviewt bei „Bild Live“ unter dem Logo von „Bild Live“ CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. (Allerdings, Überraschung: nicht live.)

Paul Ziemiak im ARD-Interview bei „Bild Live“
Alle Screenshots: „Bild Live“

„Bild“ hatte das Interview ungefragt vom Ersten übernommen und zeigte es wenige Minuten, nachdem es dort gelaufen war, in voller Länge in seinem neuen Fernsehsender. Das gleiche machte die Redaktion unmittelbar danach mit einem Interview, das Shakuntala Banerjee im ZDF mit SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil geführt hatte.

ZDF-Interview mit Lars Klingbeil bei Bild Live

„Bild Live“ bestritt seinen als Sensation angekündigten Wahlabend in größerem Umfang mit Inhalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den das Blatt sonst regelmäßig bekämpft – und warb sogar damit. Im Countdown zu den 18-Uhr-Prognosen von ARD und ZDF sagte ein beunruhigend aufgeregter „Bild“-Moderator Kai Weise:

Wir haben so lange hingefiebert auf diesen Moment, es ist nicht mal ne Minute hin, und wir nehmen schon in den Blick die Blicke in die Parteizentralen, zu den Grünen, zur CDU und vor allen Dingen den Blick aber auf ARD und ZDF. Hier bei „Bild Live“ werden Sie nichts verpassen. Sie werden alle Ergebnisse auf einen Blick sehen. Alle Prognosen auf einen Blick.

Ein mehrfach geteilter Screen zeigte kurz darauf gar nicht mehr das „Bild“-Studio, sondern nebeneinander die Live-Feeds von ARD und ZDF.

Man muss es gesehen und gehört haben:

Frech

Es war ein besonderer Service der „Bild“-Redaktion, die durch eine kühl kalkulierte Verletzung des Urheberrechts möglich wurde. Denn die Prognose-Zahlen der Sender selbst wurden zwar von allen anderen Medien verbreitet – aber für die Übernahme der Live-Bilder hatte „Bild“ keine Erlaubnis.

Gefangen im Split-Screen: „Bild Live“-Gestikulatur Kai Wiese

Mit der gleichen Chuzpe bediente sich „Bild Live“ auch bei der „Berliner Runde“, die ARD und ZDF um 20:15 Uhr mit Spitzenkandidaten und Partei-Vorsitzenden veranstaltete. „Und jetzt geht’s los“, sagte „Bild Live“-Moderator Thomas Kausch zur Anmoderation, „wir schauen uns die wichtigsten Argumente an und analysieren dann immer sofort hier im Studio.“

Den Vorspann der Sendung übertrug „Bild“ nicht, das ZDF-Senderlogo war vom „Bild Live“-Logo teilweise überdeckt, aber bis 20:28 Uhr zeigte „Bild“ 13 Minuten lang ununterbrochen die Diskussion im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Als „Bild Live“ sich ausblendete, sagte Kausch abfällig: „Wir wollen uns keine Schönrednereien und langen Phrasen anhören“ – und übergab das Wort an „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt.

Diese unerlaubte Selbstbedienung ist, einerseits, außerordentlich frech. Nicht nur wegen der sonst von „Bild“ gepflegten Abneigung gegen ARD und ZDF, sondern auch weil sich Axel Springer seit vielen Jahren als schärfster Kämpfer für ein außerordentlich weitreichendes Recht an eigenen Inhalten geriert. Suchmaschinen wie Google etwa sollen selbst kurze Textausschnitte nicht ohne Lizenz anzeigen dürfen; „der Copypreis der Zukunft ist das Copyright“ war ein Mantra des Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner. Und dieses Unternehmen nutzt nun ohne Erlaubnis die Inhalte von konkurrierenden Medien, um sein eigenes Angebot attraktiver zu machen?

Doch der naheliegenden „Wie können die nur!“-Empörung folgten, andereseits, einige überraschende „Warum dürfen das nicht alle?“-Rufe.

Schade

Christian Humborg, Geschäftsführender Vorstand von Wikimedia Deutschland, kritisierte zwar, dass Springer so „dreist“ gewesen sei, die Bilder illegal zu verwenden. Aber er forderte ARD und ZDF auf, politisch aktuelle Inhalte freizugeben und ihre Nachnutzung zu erlauben: „Schade, dass dies ausgerechnet für die ‚Elefantenrunde‘ nicht erfolgte, obwohl diese politisch außerordentlich bedeutsam ist und als Eigenproduktion ohne Fremdbilder produziert wurde.“

Auf die politische Bedeutsamkeit hatte sich auch „Bild“ bezogen, um die rechtswidrige Übernahme legitim erscheinen zu lassen: „Die Bundestagswahl war ein zeithistorischer Moment.“ Bei der „Berliner Runde“ handele es sich „um ein nachrichtliches Ereignis von überragender Bedeutung, das von ARD und ZDF als gebührenfinanzierter Rundfunk zentral veranstaltet wird, aber auch für Menschen relevant ist, die sich am Wahlabend auf anderem Wege informieren möchten.“

„Bild“ gibt sich zwar generös und behauptet, man sei „gerne bereit“, etwaige finanzielle Ansprüche zu begleichen, stellt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hier aber als eine Art Dienstleister für die gesamte Gesellschaft dar – aus der man sich auch als kommerzielles Unternehmen bedienen könne. Das ist eine interessante Argumentation, der „Bild“ noch in derselben Stellungnahme widerspricht, wenn das Blatt von ARD und ZDF fordert, ein Leistungsschutzrecht gegenüber amerikanischen Digitalkonzernen wie Google und Facebook durchzusetzen. Konkret gemeint ist damit: Lizenzgebühren dafür zu verlangen, dass Vorschauen auf ihre Inhalte angezeigt werden, wie es Verlage – angeführt von Springer – tun wollen.

Für die Dreistigkeit der Übernahme – und die Bigotterie, das als vorgeblicher Kämpfer für das Urheberrecht zu tun – kann man sich nur wünschen, dass die Sache für den Verlag wenigstens halbwegs teuer wird. Zu befürchten ist, dass ARD und ZDF eine entsprechend eindeutige Forderung oder auch ein juristisches Vorgehen gegen „Bild“ scheuen werden – um die ohnehin vorhandenen Spannungen nicht weiter anzuheizen. Es ist sehr nachvollziehbar, wenn „Tagesspiegel“-Redakteur Joachim Huber anmahnt, das hier vermutlich fällige Geld mit der gleichen Energie einzutreiben wie säumige Rundfunkbeiträge: „Eigener Krawall in Ehren, Schreihälse-TV meinetwegen, aber die Vorstellung, dass mein Rundfunkbeitrag am Ende auf dem Bild-TV-Schirm landet, damit will und werde ich mich nicht anfreunden.“

Übrigens ist eine unnachgiebige Haltung auch deshalb nur fair, weil Springer umgekehrt mit größtem Ehrgeiz auch erstaunlich hohe Rechnungen stellt, wenn es um die Verwendung von eigenen Inhalten in öffentlich-rechtlichen Fernsehbeiträgen geht, und sei es nur in Form von kurzen Schnipseln.

Frei

Aber jenseits dieser konkreten Genugtuung und Gerechtigkeit lohnt es sich, den Anlass zu nutzen, auch die grundsätzliche Frage zu stellen: Warum sind solche Inhalte wie zum Beispiel die „Berliner Runde“, die von allen finanziert werden und von allgemeinem politischen Interesse sind, nicht für alle frei verwertbar?

Einer, der diese Forderung aufstellt, ist der österreichische Wirtschaftswissenschaftler Leonhard Dobusch, der auch im ZDF-Fernsehrat sitzt und dort das Internet vertritt. Er glaubt, dass es nicht nur im Interesse der Allgemeinheit, sondern auch der öffentlich-rechtlichen Sender selbst ist, dass ihre Inhalte möglichst große Verbreitung finden – auch jenseits der eigenen Kanäle. Das helfe ihrer Reichweite und ihrer Relevanz. Es geht um Eigenproduktionen „ohne Verwertungskaskaden“ – also etwa keine Fiction, bei der nach der Erstausstrahlung viele weitere Rechte zur Wiederholung oder Verbreitung betroffen sind, aber „Informationsinhalte, Magazine, Talkshows und dergleichen“, wie er auf „Netzpolitik“ ausführt.

Ein positives Beispiel für ihn sind die Videos, die die ZDF-Naturdokureihe „Terra X“ unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht hat und teilweise hunderttausendfach in Wikipedia angesehen werden. Die Lizenz schreibt im Kern nicht viel mehr vor, als den Urheber zu nennen und eventuelle Veränderungen am Material zu kennzeichnen.

Im Gegensatz dazu hat die „Tagesschau“ ausgewählte Inhalte nur unter einer Lizenz freigegeben, die eine Bearbeitung der Inhalte sowie eine kommerzielle Nutzung ausschließt. Das schränke viele Verwendungsmöglichkeiten unnötig ein, meint Dobusch, sogar oft – wegen komplizierter Details – das Einbetten in der Wikipedia. Auch die Diagramme mit den Wahlergebnissen stehen zum Beispiel unter einer solchen restriktiven Lizenz.

An so einem Wahlabend produzierten ARD und ZDF stundenlange Inhalte, die relevant seien und bei denen nichts dagegen spräche, sie unter einer wirklich freien Lizenz zu veröffentlichen, sagt Dobusch. Dann dürften sie allerdings auch kommerzielle Anbietern wie „Bild“ verwenden. Und auch wenn Dobusch den „Bild“-Journalismus problematisch findet: Die Verwendung entsprechender öffentlich-rechtlicher Inhalte sei es nicht.

Würde man öffentlich-rechtliche Inhalte wie die Sendungen am Wahlabend unter eine freie Lizenz stellen, könnte auch eine rechte Brüllbude wie „Bild-TV“ davon profitieren und legal ihren Krawall mit entsprechenden Inhalten anreichern. Will man das? Man kann die Frage umdrehen: Will man auf eine solche Lizensierung, von der alle profitieren, nur deshalb verzichten, weil es auch rechte Brüllbuden tun?

Mein naiver Traum wäre ein Kombination, bei der ARD und ZDF erst mit aller Macht gegen den Urheberrechtsverstoß von „Bild“ vorgehen. Und dann, in Zukunft, diesen Stoff für alle freigeben.

Kann natürlich sein, dass man bei Axel Springer das dann wieder ungerecht findet.

Nachtrag, 30. September. ARD und ZDF haben angekündigt, juristisch gegen „Bild“ vorzugehen.

9 Kommentare

  1. Wieso sollten die das ungerecht finden, genau darauf waren die doch aus, dass ihnen jetzt die Leute beispringen und sagen „Ja wieso ist das eigentlich nicht ffa?“
    Der Springerkonzern kann nur gewinnen: Entweder darf er in 4 Jahren die Bilder der ÖRR gratis nutzen oder er wird, je nach Erfolg des Senders, in 4 Jahren selbst ein Meinungsforschungsinstitut beauftragen, um 18 Uhr selbst Ergebnisse veröffentlichen und zu einer eigenen Runde laden.
    Und in 8 oder 12 Jahren müssen sich dann die Kanzlerkandidaten entscheiden: Gehe ich in die Springerrunde oder die ARD Runde?
    Und alle so „Wie konnte es nur so weit kommen!“

    Und dieses selbstgerechte „hoffentlich müssen die erst mal ordentlich bezahlen“ finde ich sehr kindisch. Das ist doch alles im voraus eingepreist gewesen, ähnlich wie Anwaltskosten, wenn man mal wieder bewusst Persönlichkeitsrechte verletzt oder schlimmeres. Das habe ich übrigens vom damaligen Chefautor vom bildblog gelernt. Meinen Sie nicht, dass das nicht exakt so wie es jetzt läuft kalkuliert war?

  2. Dahinter steht die Frage, ob der ÖR ein bloßer Inhalteproduzent für alle (Bürger und Unternehmen) sein soll, oder eine eigenständige Sendergruppe, die vernünftigte Inhalte für die Bürgerinnen und Bürger produziert und präsentiert.

    Ich bin klar für letzteres. Warum soll der Staat und damit wir Bürger dafür bezahlen, damit Unternehmen ihre Rohstoffe umsonst bekommen, um damit Produkte herzustellen, die wir dann wieder bezahlen dürfen?! Das degradiert den ÖR zum Ermöglicher von Geschäftsmodellen, die nix taugen, oder zum Garant hoher Dividenden.

    Das Urheberrecht kennt im Übrigen aus guten Gründen Ausnahmen für Zitate. Sender, denen das nicht reicht, sind Hehler.

    Die Fernsehräte des ZDF sollten sich lieber auf die Qualität der Inhalte fokussieren. Da haben sie sehr viel Arbeit vor sich. Mir ist es zum Beispiel komplett unverständlich, warum eine Bettina Schausten Christian Lindner kurz nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen fünf Minuten lang in verschiedenen Formulierungen wiederholt fragen muss, mit wem er denn nun am liebsten koalieren wolle und ob er wirklich nicht doch noch eine Möglichkeit ausschließen möge.
    Das passiert mir bei einem FDP-Politiker selten, aber da habe ich mit ihm gelitten.
    Genauso die Fragen der Kolleginnen und Kollegen vor Ort bei den Parteien. Alle fragen sie das Gleiche und nur Quatsch. Das ist unteres Sportjournalistenniveau: „Warum haben Sie 1:5 verloren? Woran lag’s“

    Jetzt haben ARD und ZDF vier Jahre Zeit, sich anständige Fragen zu überlegen, oder in den Wahlsendungen ab 18 Uhr einfach nur die Zahlen vorzulesen und ansonsten schöne Einspieler aus sehenswerten Gegenden Deutschlands zu zeigen.
    Dann müssen sie auch keine Angst vor der Bild haben.

  3. @Anderer Max: Natürlich war das eingepreist. Aber dann sollen sie’s wenigstens auch zahlen müssen.

    Und natürlich wird Springer es schaffen, das wieder ungerecht zu finden, weil sie das als ungerechten Wettbewerbsvorteil der Öffentlich-Rechtlichen darstellen werden, dass deren Inhalte dann überall frei verteilt werden dürfen.

    @Wilke Eugen: Oh ja, Danke!

  4. Mal noch ein anderer Aspekt, der etwas außen vor blieb: Das Format, dass man den Stream einer anderen Quelle laufen hat und darüber dann selbst kommentiert, hat durchaus Potential und ist in einer jüngeren Zuschauerschicht sehr vertraut. Auf Twitch passiert sowas regelmäßig, wenn z.B. große Gaming-Events gestreamed werden. Viele schauen sich sowas auf dem kommentierten Stream ihrer Lieblingsstreamer an, zum Teil wird das sogar vom Veranstalter gesponsort.
    Ich meine auch gesehen zu haben, dass Rezo am Wahlabend irgendwas aus dem TV gestreamed und kommentiert hat.

    Ist halt auch ein weiteres Argument dafür, dass der ÖR seine Übertragungen für soetwas freigeben sollte, um eben auch frische und zeitgemäße Formate zu ermöglichen.

  5. @4, Chef: Ja … Da muss man schon echt verdammt um die Ecke denken um auf diese Interpretation zu kommen, aber ja, türlich.
    Ist der Ruf erst ruiniert … wird Schwachsinn argumentiert.
    Aber ich bin ja auch nicht die Zielgruppe.

  6. Das Problem hat man teilweise sogar in der Schule, dass man nicht automatisch alle Inhalte der Mediatheken für den Unterricht verwenden darf. (zumindest offiziell *hüstel*)

  7. Vom Prinzip her ja: nirgendwo ist freier Zugang zu Informationen so wichtig und das allgemeine öffentliche Interesse so groß wie bei der politischen Willensbildung, und deshalb wäre das hier sinnvoll, die Wahlberichterstattung frei zur Verfügung stellen zu können.

    Andererseits kann man das auch erst nach einer Schutzfrist von einer Stunde freigeben oder so.
    Die interessierte Öffentlichkeit kann sich immer noch entscheiden, ob sie es an der Quelle sehen will oder auf BILD-TV warten.

  8. Der ÖRR tut seinem Auftrag durchaus genüge, wenn er seine relevanten Inhalte für eine angemessene Zeit in der eigenen Mediathek abrufbar hält. Es gibt keinen Grund zu fordern, dass kommerzielle Trittbrettfahrer sich da selbst bedienen. Springer schon gleich gar nicht.
    Was ich mich allerdings frage: Wieso repräsentiert Leonido – ein Österreicher mit Piraten-Gesinnung – eine gesellschaftlich relevante Gruppe namens Internet (wie skurril ist allein das?) im Fernsehrat des ZDF? Dann möchte ich bitte gerne ins Aufsichtsgremium des ORF berufen werden. Auch absurd, aber gleiches Unrecht für alle! Nach Wien fahre ich immer gern, auch auf Kosten der Beitragszahler im benachbarten Süden.

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