ZDF-Fernsehrat

Lauter alte Bekannte

Am Freitag trifft er sich also zum ersten Mal, der Fernsehrat, das Kontroll-Gremium des Zweiten Deutschen Fernsehens. Es ist der neue, reformierte Fernsehrat, jedenfalls ganz formal. Viele der Leute aber, die da nach Mainz reisen, zur ersten Sitzung, zum neuen Fernsehrat, waren vorher schon da: in dem alten Gremium, teilweise Jahre. Chefs von Staatskanzleien, ein Medien-Staatsrat, der Landesvorsitzende der Grünen in Hessen oder ein Ex-Ministerpräsident; alle mit besten Kontakten in die erste Klasse der Politik.

Formal kann man das jenen, die das erdacht haben, also den Politikern, nicht vorwerfen. Vor zwei Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass zu viele amtierende Politiker im Fernsehrat sitzen. Da der Fernsehrat aber möglichst staatsfern besetzt sein sollte, sei deren Einfluss „konsequent zu begrenzen“. Das, forderten sie, müsse der Gesetzgeber umsetzen.

Und das wurde nun gemacht, so wie es die Richter gefordert hatten: ein Drittel Politiker, zwei Drittel staatferne Mitglieder. Auf der so genannten Staatsbank, dem Politiker-Drittel, dürfen auch Amtsträger sitzen, so haben es die Länder im neuen ZDF-Staatsvertrag geregelt. Verfassungsrechtlich kein Problem, es erscheint aber immer noch wie ein Widerspruch: Politiker im Fernsehrat wachen kritisch übers ZDF, das kritisch über (diese) Politiker berichten soll.

Einer der Verfassungsrichter, Andreas Paulus, hatte deshalb damals dafür plädiert, auf jeden Fall Regierungsmitglieder gänzlich aus dem Gremium rauszuhalten, da sie „stets versucht sein“ würden, „Einflussmöglichkeiten zur Durchsetzung der jeweiligen Regierungspolitik zu nutzen“. Doch entschieden wurde eben anders. Und es war klar, dass die Politik die Grenzen maximal ausreizen würde. Wieso auch nicht? Allerdings hieß es damals in Karlsruhe auch, es dürfe nicht zu einer „Versteinerung“ des Fernsehrates kommen, sprich: Es sollte Abwechslung, Rotation geben, wie es jedem Gremium, jeder Organisation gut tut, wenn Leute da nicht irgendwann festwurzeln.

Aber was macht der Fernsehrat daraus?

Rainer Robra zum Beispiel. Auf seinem Platz ist es definitiv versteinert: Seit 2002 ist Robra (CDU) Chef der Staatskanzlei in Sachsen-Anhalt – und genauso lange ist er im Fernsehrat, 14 Jahre also. Oder Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung, auch CDU. Ist seit 17 Jahren dort. An dieser Stelle wäre es besser gewesen, man hätte den Herren für ihr langjähriges Engagement gedankt und ihnen mal ein anderes Ehrenamt gegeben, in dem sie etwas tun können. Aber das ist natürlich ein frommer Wunsch. An solchen Personalien zeigt sich, wie die Politik und einzelne ihrer Protagonisten an Posten hängen.

Die Vertraute des Grantlers

Die Staatskanzleien sichern sich also weiterhin Einfluss. Sie wollen schön mitreden, was im ZDF passiert. Wobei im neuen Fernsehrat die kleinen Parteien gar nicht zum Zuge kommen: Die FDP beispielweise ist nicht mehr dabei, dafür hat die SPD ein Übergewicht an Sitzen. Zu den alten Bekannten kommen auf der Staatsbank außerdem neue einflussreiche Personen, zum Beispiel Karolina Gernbauer (CSU), die eng ist mit Ministerpräsident Horst Seehofer, was gut ist für Seehofer, der gerne gegen das ZDF stichelt. Nun hat er eine Freundin im Fernsehrat. Ihr Vorgänger, Markus Söder (CSU), der bayrische Heimatminister, ist ausgeschieden. Ihn wird im Fernsehrat niemand vermissen, weil sie Söder schon vermissten, als er noch Mitglied war, aber so gut wie nie in den Sitzungen.

Nur ein Bundesland hat sich getraut und seine Vertreterin nicht in der Staatskanzlei rekrutiert, nicht mal irgendwo in der politischen Landschaft, sondern in der Wissenschaft: Susanne Stürmer ist Präsidentin der Filmhochschule Babelsberg in Potsdam und hat langjährig Erfahrung im Film- und TV-Geschäft, erscheint also kompetent für so eine Aufgabe im Fernsehrat. Und wieder stellt sich die Frage: Was spricht bloß dagegen, mehr solcher Leute auch auf die Staatsbank zu setzen? Außer eben, dass es ein frommer Wunsch ist, über den Politiker nur ungläubig lachen.

Aber, wie gesagt: Formal ist es okay. Der Fernsehrat hat nun nur noch ein Drittel staatsnahe Vertreter. Positiv ist, dass bei den gesellschaftlichen Gruppierungen nun auch Minderheitenverbände sitzen, zum Beispiel Schwule und Lesben, Migranten, Muslime. Hier wurde einer Versteinerung also entgegen gewirkt. Und doch finden sich auch unter diesen per Definition staatsfernen Mitgliedern Parteisoldaten, teilweise Menschen, die früher mal hochrangige Ämter hatten. Das ist in Ordnung, laut ZDF-Staatsvertrag, wenn diese Personen seit mindestens 18 Monaten raus sind aus dem Geschäft. Aber was sind schon 18 Monate gegen teilweise lebenslange Politik-Karrieren?

Ich weiß zum Beispiel gerade nicht, ob sich in Köln, der Medienstadt, niemand anderes findet für die Kategorie „Medienwirtschaft und Film“ als eine Frau, die dort bis vor zwei Jahren 14 Jahre lang Bürgermeisterin war. Nichts gegen sie, sie ist sicher kompetent und sogar nett. Aber auch, wenn es formal okay ist: Sie hat einen starken (grünen) Parteihintergrund. Wie Ali Ertan Toprak, der auch früher bei den Grünen war, Referent von Cem Özdemir, und nun in der CDU. Im Fernsehrat sitzt er für Migranten. Als Staatsferner.

Oder, das beste Beispiel: Reinhard Klimmt.

Der Mann ist seit mehr als 50 Jahren in der SPD und hat höchste Ämter bekleidet. Er sitzt schon drei Jahre im Fernsehrat, und nun schickt ihn das Saarland, wo er politisch verankert ist, wieder hin, und zwar als Vertreter der Kategorie „Kunst und Kultur“. Und jetzt bitte keine Witze! Klimmt war eben Bundesverkehrsminister, er sammelt afrikanische Kunst und Klimmt heißt Klimmt, das ist schon mal Kultur genug. Offiziell heißt es, er sei bestens geeignet, weil er Vorsitzender im Landesverband Saarland des Deutschen Bibliotheksverbandes sei. Das ist alles sehr lustig.

Schon vor der Abstimmung bekannt

Das sind die Stellen, an denen man sich als ZDF-Zuschauer, der monatlich seinen Rundfunkbeitrag zahlt, ruhig mal veräppelt vorkommen kann. Irgendwann werden Politik und Fernsehrat verstehen, warum es wichtig ist, dass dieses Gremium unabhängig ist – gerade in Zeiten, in denen immer mehr Menschen meinen, der Rundfunk sei doch ohnehin ein Staatsfunk.

Es ist sowieso schwierig, Zuschauern plausibel zu machen, dass der Fernsehrat nicht so politisch durchdrungen ist, wie sie es vielleicht meinen. Und sobald von den Freundeskreisen die Rede ist, fangen immer alle an zu lachen. Die Freundeskreise treffen sich vor den Fernsehrats-Sitzungen im Hotel, der eine Kreis SPD-nah, der andere der Union. Diese Hinterzimmer-Clubs haben sich mit der Zeit herausgebildet. Sie kungeln schon mal informell aus, wie sie am nächsten Tag so abstimmen werden. Das ging einmal so weit, dass vor der Gremiums-Sitzung Pressemitteilungen auslagen, was der Fernsehrat beschlossen habe. Dabei hatte er da noch gar nicht abgestimmt.

Wie, bitte, soll man sowas den Zuschauern erklären?

Man muss nun sehen, wie sich die Freundeskreise entwickeln. Zumindest Franz Josef Jung (CDU), der bisher den Unions-Freundeskreis anführte, ist erneut im Fernsehrat; ihm würde nach 17 Jahren dort sicher auch etwas fehlen. Jung wird seine Schäfchen bestimmt wieder zum Schoppen Wein bitten. Wer den anderen Freundeskreis übernimmt, ist noch ungewiss. Aber was wäre eigentlich, wenn zumindest einige – oder, potz Teufel, sogar alle! – staatsfernen Mitglieder den staatsnahen Freundeskreisen fern blieben? Wäre das per Definition nicht geradezu logisch?

Bisher haben sich offenbar alle Mitglieder in einen Freundeskreis begeben, je nach politischer Wohlfühltemperatur. Es wäre wichtig, es gäbe mehr Leute wie bisher Gesine Lötzsch (Linke), die diesen Treffen immer fernblieb. Sie wolle keinen Block unterstützen, hat sie mal gesagt, sondern lieber ihre Meinung reinrufen können, ohne dass sie irgendjemand darauf hinweist, dass man das aber doch am Vorabend ein bisschen anders vereinbart habe.

Nur wenn es solche Mitglieder gibt, die sich nicht in Hinterzimmer verziehen, sondern in der öffentlichen Sitzung offen sprechen und ihre Kontrollfunktion dort ernst nehmen, steigt die Unabhängigkeit des Gremiums. Und seine Glaubwürdigkeit erhöht sich, wenn der Fernsehrat insgesamt transparenter arbeitet, wenn seine Arbeit offen und überprüfbar ist. Immerhin nennt er sich der „Anwalt des Zuschauers“.

Mehr Transparenz, weniger Gekungel

Zuweilen sind Zuschauer in den Sitzungen enttäuscht, wenn Programmbeschwerden nur knapp behandelt werden (und dann abgelehnt). Diskutiert wird dort schon, aber nur wenig. Die Beschwerden werden vorher in den Ausschüssen bereits beratschlagt, und diese Sitzungen sind geheim, bisher waren sie sogar so geheim, dass der Fernsehrat sich eine Schutzfrist von acht Jahren in die Geschäftsordnung geschrieben hatte. Erst dann konnte man, unter bestimmten Bedingungen, Einsicht in die Protokolle beantragen. Nach acht ganzen Jahren.

Diese Praxis hat das Bundesverfassungsgericht damals ausdrücklich bemängelt und auf mehr Transparenz gedrängt. Ein bisschen was ist schon passiert, aber nur zaghaft. Das muss der Fernsehrat nun selbst regeln. Die Geschäftsordnung wird am Freitag beschlossen, und die Ausschüsse werden besetzt – auch das wird nochmal zeigen, wie der neue Fernsehrat tickt.

Wen setzt er, zum Beispiel, in den Programmausschuss Chefredaktion, der sich mit dem Programm und mit Beschwerden beschäftigt? Auch in den Ausschüssen gilt, dass dort nur ein Drittel staatsnahe Mitglieder sitzen dürfen. Fraglich ist auch, wer Vorsitzender wird, in den Ausschüssen und im Gesamtgremium. Wieder jemand mit Parteikarriere und Amt, wie der langjährige Vorsitzende Ruprecht Polenz (CDU)? Ihm muss man zugute halten, dass er die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben vorangetrieben hat, teilweise sogar kritisch mit Blick auf die Politik.

Auch hier wäre es am Fernsehrat selbst, ein Zeichen zu setzen – und ein Mitglied auf den Chefsessel zu hieven, das staatsfern ist. Am Freitag wird sich also noch mal einiges entscheiden. Und ein andermal kichern wir dann darüber, dass der Vertreter für „Kunst und Kultur“ ausgerechnet aus dem Saarland kommt. Und dass für die Kategorie „Heimat und Brauchtum“ Sachsen-Anhalt zuständig ist, wo unlängst eine Partei bei der Landtagswahl abräumte, die für eine Heimat der Vergangenheit steht. Aber die regiert ja nicht. Und außerdem sind das wirklich nur Lustigkeiten am Rande.

5 Kommentare

  1. Vergessen wurde in der Auflistung u.a. noch Rudolph Seiters, der als Präsident des DRK dort sitzt, aber ebenfalls auf eine lange Politikerkarriere bei der CDU zurückschauen kann.

  2. „Lauter alte Bekannte“ – der Gedanke kam mir beim Lesen dieses Beitrags nach der unmittelbaren Lektüre der beiden vorangegangenen zum gleichen Thema auch, da die gleichen Beispiele wiederholt angeführt werden:
    • die Personalie Gernbauer
    • die Personalie Stürmer
    • die Beteiligung von Vertretern LSBTTIQ
    • die Personalie Klimmt
    • die beiden Freundeskreise und die Haltung von Frau Lötzsch dazu
    ?

  3. Was mir noch auffällt: 8 von 60 (13,34%) Fernsehratsmitgliedern vertreten eine Religionsgemeinschaft oder bekleiden eine Funktion innerhalb einer Religionsgemeinschaft, während Atheisten oder Agnostiker nicht repräsentiert sind.

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