Die Autorin
Laura Steinke ist freie Journalistin und Verfechterin des Lokaljournalismus. Die ausgebildete Redakteurin berichtet seit rund zehn Jahren für verschiedene Lokal- und Regionalmedien.
Corona kam – und die Terminkalender der Lokalredaktionen waren von einem Tag zum anderen leer. Es gab wie überall nur noch ein Thema: Corona. Und zwar in allen Facetten.
Auf einmal musste alles sofort passieren. Manche Medienhäuser hatten zwar schon länger neue redaktionelle Konzepte in der Schublade, aber nun keine Chance, sie in Ruhe anzuschieben. Andere mussten von jetzt auf gleich alles umkrempeln. Und das mitunter bei Kurzarbeit. Wie also hat sich die redaktionelle Arbeit der Lokalzeitungen in den vergangenen anderthalb Jahren verändert? Und was wird bleiben?
Auch wenn sich weithin die Einsicht durchgesetzt hat, dass Terminjournalismus kein Qualitätsjournalismus sein kann, war genau das bei vielen Regionalmedien noch immer Alltag. Und so stand eines ganz oben bei Redaktionen: endlich Raum für eigene Themen. Neben Corona.
Das wichtigste Prinzip dieser neuen Zeitrechnung sei „Thema first“, sagt Christian Eißner. Er ist leitender Redaktionscoach bei „Die Mehrwertmacher“, eine Beratungsagentur, die sich auf die Medienbranche spezialisiert hat. Die Pandemiezeit habe gezeigt, wie wichtig es sei, den Redaktionsalltag nachhaltig zu organisieren: „Heute kann keine Redaktion mehr von der Hand in den Mund leben“, sagt er. Langfristige Planung sei nicht nur mit Blick auf die kommenden Tage und Wochen das A und O – sondern auch um zu überlegen, welche Geschichten sich für welche Kanäle eigneten.
Eißners Eindruck hat sich gleich zu Beginn der Pandemie bestätigt. In Online-Konferenzrunden tauschten sich Chefredakteure deutscher Lokalzeitungen mit ihm aus: „Die Verunsicherung war groß“, sagt er, „es gab ein großes Informationsbedürfnis“. Der Druck bei Blattmachern und Redakteuren sei vor dem Lockdown enorm gewesen, so sein Eindruck: „Nach dem Motto: ‚Wir müssen spiegeln, was bei uns vor Ort passiert‘.“ Manche Redaktion habe wegen der endlosen Presseterminlisten lange gar keinen Blick mehr dafür gehabt, was im Verbreitungsgebiet sonst noch los sei, was die Menschen beschäftige, wo es neue Geschichten zu heben gäbe. Bis Corona kam.
„Zum Glück!“, sagt Benjamin Piel, Chefredakteur des „Mindener Tageblatts“, der sich auch von Eißner beraten ließ. Zu Beginn des ersten Lockdowns habe ihn zunächst die Angst gepackt: „Corona hat uns ins kalte Wasser geschmissen, weil nichts mehr reinkam. Da war auf einmal Stille“, sagt er, doch: „Eine gute Erfahrung, sie hat uns nach vorne gebracht.“ Die Erkenntnis: Lokaljournalismus funktioniert nicht nur ohne Veranstaltungen – sondern auch mit nur einem einzigen Thema.
Laura Steinke ist freie Journalistin und Verfechterin des Lokaljournalismus. Die ausgebildete Redakteurin berichtet seit rund zehn Jahren für verschiedene Lokal- und Regionalmedien.
Auch bei den Oberpfalz-Medien machte Corona auf einmal den Weg frei für neue Ansätze. Chefredakteur Kai Gohlke erzählt, man habe schon vorher überlegt, wie es gelingen könnte, mithilfe der 1000 Freien weg zu kommen von der Standardberichterstattung. Corona gab die Antwort: Als Pressetermine und Veranstaltungen wegbrachen, mussten die Freien eigene Geschichten anbieten. Gohlke sagt: „Auf einmal hatten wir interessante Themen in der Zeitung.“
„Es braucht einen gewissen Mut“, um Inhalte so radikal zu verändern, sagt Dennis Rink, stellvertretender Chefredakteur der rheinland-pfälzischen Blätter „Allgemeine Zeitung“ und „Wormser Zeitung“. Gerade im Lokalen, wo das Publikum an Ritualen hänge. Corona habe den Veränderungsprozess, den sie in der Redaktion schon angeschoben hatten, „massiv beschleunigt“, so seine Bilanz. „Das hat uns auf ein Niveau gehoben, auf dem wir vorher noch nicht waren.“ Für ihn steht fest: „Corona hat die Zeitung besser gemacht.“
Und noch etwas ergab sich, weil der übliche Terminjournalismus wegfiel: Die Redakteur*innen hatten auf einmal Zeit für anderes. Corona habe dafür gesorgt, dass mehr relevante Themen in der Zeitung stehen, so Piel vom „Mindener Tageblatt“: „Die Bedeutung von Recherche hat total zugenommen“, berichtet er. „Das ist etwas, das bleiben wird – und bleiben muss.“ Obendrein habe er den Eindruck, dass die Arbeit den Redakteur*innen „auch mehr Spaß macht“, ihnen „die eigene Arbeit“ relevanter scheine.
Was auch noch bleiben könnte: neue Digitalabos. Dass sich alle seit Beginn der Pandemie umfassender informieren wollten, habe auch seine Redaktion deutlich gespürt, so Dennis Rink. Deswegen habe man mehr auf Paid Content gesetzt, das habe sich ausgezahlt: „Wir wachsen auch weiterhin und stellen fest, dass Corona vor allem ein Conversion-Treiber ist“, also mehr Menschen nicht nur lesen, sondern auch Abos abschließen. Bei den Oberpfalz-Medien und dem „Mindener Tageblatt“ sah die Tendenz genauso aus: mehr Reichweite, mehr Digitalabos.
Die Corona-Pandemie hat alte Strukturen aufgebrochen. Bei manchen Zeitungen haben die Folgen der Pandemie, von Lockdown bis Kurzarbeit, neue Konzepte erst angestoßen, bei anderen den laufenden Veränderungsprozess verschnellert. Nun ist die Frage: Was davon bleibt?
Kai Gohlke von den Oberpfalz-Medien sagt, er habe 15 Jahre Change-Management-Erfahrung, er sei sicher, der Wandel habe nur unter einer Bedingung Bestand: „Wir müssen unseren Leserinnen und Lesern auch Zeit zum Durchschnaufen geben“, gleiches gelte für die Redaktion selbst. So viele Veränderungen in kürzester Zeit, daran müssten sich alle erst gewöhnen. „Was wir jetzt im Zuge von Corona so schnell erreicht haben, ist kein Selbstläufer“, sagt er. „Wir müssen dranbleiben.“
Die größte Herausforderung laut der drei Chefredakteure ab jetzt: Bloß nicht zurück in den Termintrott! Rink von der AZ will mit seiner Redaktion Wege finden, die neuen Arbeitsmodelle beizubehalten. Und etwa künftig statt einer klassischen Konzert-Rezension lieber im Voraus über den Sänger schreiben. Dass sich die übliche Vereinsberichterstattung verändere, habe sich schon länger angekündigt, so Piel – weil die Vereine an Bedeutung und Mitgliedern verlören.
Im kommenden Jahr, wenn es wieder mehr derlei Termine gebe, rechnet Piel daher mit „Gegenwind“ von den Vereinen. Er wolle mit seiner Redaktion „standhaft bleiben“, erklärt er: „Wir müssen versuchen, die Tür zuzuhalten.“
„Endlich, jetzt wo der Bürger tatsächlich für sein Leben relevante Lokal-Informationen von uns benötigt, rentiert sich die Paywall!“
Vielen Dank für den Beitrag, liebe Laura Steinke. Als langjähriger Lokaljournalist (ebenfalls als Freier Autor) habe ich auch den Eindruck, dass viele Potenziale in dieser Phase gehoben wurden, als gar keine andere Wahl blieb, weil der Terminjournalismus plötzlich wegfiel. Ich kann aus meiner Erfahrung heraus vielleicht noch ergänzen: Auch wenn es um das Abarbeiten von Terminen ging, habe ich schon immer versucht, das Besondere an einem Thema hervorzuarbeiten oder einen anderen Zugang zu wählen – auch möglicherweise zulasten des Themas, das der „Terminanbieter“ transportieren wollte. Man schafft das auch meistens, diesen Dreh zu finden, der es für die Leser:innen spannender macht. Das trifft nicht immer auf ein positives Echo bei den Institutionen, weil sie es nicht gewohnt sind, dass jemand auch noch andere Aspekte anschneidet oder transportiert. Deswegen sehe ich den Begriff des Terminjournalismus gar nicht immer so negativ. Man kann aus allem etwas machen. Im anderen Extrem ist es zum Beispiel so, dass aus 40 Tagesordnungspunkten bei Gemeinderatssitzungen vielleicht noch zwei Eingang ins Blatt finden. Natürlich: nicht alle sind spannend. Aber viele Entscheidungen sind enorm wichtig für die Bevölkerung oder zumindest für Teile davon. Es wäre durchaus wünschenswert, wenn Lokaljournalismus das auch besser abbildet – dafür gibt es dann den Online-Bereich der Zeitungen.
Ich habe mich ja schon des öfteren gefragt, welchen tieferen Sinn diese Pandemie wohl hat. Jetzt weiß ich es endlich: Der Lokaljournalismus ist auf ein höheres Niveau gehoben worden! Das wird es mir erleichtern, weitere nötige Einschränkungen ebenso demütig wie freudig zu ertragen. Danke, Corona!
#2 Was wollen Sie uns denn mit diesem zynischen Kommentar denn kommunizieren? Es würde mich freuen, wenn Sie mich dahingehend illuminieren könnten.
Krise als Chance, oder?
Nur mal so als Klarstellung. ;-)
Louis Niemanns Kommentar bezieht sich auf Beitrag #3 und nicht #2. Da hat sich der Beitrag von Marcus Dischinger klammheimlich hinein geschmuggelt.
Dies war gestern noch anders. Das übliche Übermedien-Wirrwarr mit den Kommentaren. Der Beitragszähler war auf „3“, obwohl nur zwei Beträge zu dem Zeitpunkt freigeschaltet und sichtbar waren.
@ #6: Wie würde Fefe, die „Hassmaschine der Arschlochnerds“ sagen: „Softwareproblem. Da kann man nichts machen.“