Herr Russ-Mohl, Sie sind Medienwissenschaflter und sagen, es sei im geschäftlichen Interesse der Medien, sich kritisch mit anderen Medien und selbstkritisch mit sich selbst zu beschäftigen. Kurz gesagt: Medienkritik lohne sich für Medienunternehmen. Warum ist das so? Und wenn das so ist, warum tun die sich so schwer damit?
Ich würde nicht sagen, dass sich Medienkritik für alle Medien lohnt. Es sind die hochwertigen Medien, die darauf Wert legen, dass sie anspruchsvollen Journalismus produzieren, die sich verstärkt um Medienkritik kümmern müssten. Als Unique Selling Proposition, um sich von den anderen als besonders glaubwürdig und besonders kritisch abzuheben. Aber auch, um überhaupt eine Zahlungsbereitschaft zu generieren, denn sie wollen ja ihre Kundschaft zur Kasse bitten. Ohne ein Qualitätsbewusstsein beim Publikum wird das schwierig. Wenn man bezahlen soll für Journalismus, möchte man auch wissen, warum. Da machen die Medienunternehmen in Deutschland seit Jahren strategisch einen Fehler.
Ist es nicht gefährlich, wenn man sagt: Nutzt Medienkritik auch als Werbung für Euch selbst? Bekommt das nicht sofort eine Schieflage?
Medienjournalismus steht immer in dem Verdacht, eigentlich gar kein Journalismus zu sein, sondern PR fürs eigene Haus. Oder auch gezielte Kritik an der Konkurrenz. Aus diesem Dilemma findet man so leicht nicht raus. Auf der anderen Seite haben uns die Amerikaner, vor allem die „New York Times“, in den guten Zeiten auch die „Los Angeles Times“, gezeigt, dass man mit dem nötigen Sportsgeist fairen, um Objektivität bemühten Medienjournalismus machen kann. Voraussetzung ist, dass man kompetente Redakteure hat, die das Feld permanent beobachten. Und dass es eine Chefredaktion gibt, die einen breiten Rücken hat, um dafür zu sorgen, dass die Medienredaktion genügend Unabhängigkeit hat. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann Medienjournalismus viel zur Glaubwürdigkeit von anspruchsvollem Journalismus beitragen kann.
Es gibt aber eine Art Gefangenendilemma: Wenn nur einer es macht, nützt es eigentlich noch nichts. Es müsste eine Einigkeit unter den qualitätsbewussten Medien geben: „Wir beobachten uns gegenseitig und halten auch Kritik aus. Das ist in unserem gemeinsamen wohlverstandenen Interesse und besser, als wenn man alles unter den Tisch kehrt. Denn von allen anderen erwarten wir ja auch, dass sie nichts unter den Tisch kehren, da passen wir auf.“ Wenn Medien nur mit sich selbst großzügig sind und sich mit Kritik zurückhalten, merken das der intelligentere Teil des Publikums.
Bleibt die zweite Frage: Warum setzt sich diese Einsicht so schwer durch?
Die Verhaltensökonomie führt uns immer wieder vor, wie irrational wir in bestimmten Situationen entscheiden. Konkret überschätzen Chefredakteure zum Beispiel die Gefahr, Opfer von skandalisierender Medienkritik zu werden. Und sie überschätzen ihre Fähigkeit, als Mediatoren in eigener Sache mit Kritik von Lesern umzugehen. Die Fehlentscheidungen oder Nichtentscheidungen in Bezug auf Medienjournalismus lassen sich besser durch psychologische Effekte erklären, als wenn man erwartet, dass da rationale Akteure vernünftige Entscheidungen träfen.
Haben Sie Anzeichen, dass sich da etwas ändert und es ein Umdenken gibt?
Eher noch nicht. Wenn ich mir etwa anschaue, dass der „Spiegel“ seine Medienredaktion abgeschafft hat. Zur Jahrtausendwende hatte der Medienjournalismus vorübergehend mal Konjunktur. Dann wurde abgebaut.
Weil dann der Werbeeinbruch kam mit vielen negativen Nachrichten über die Branche.
Ich würde das viel persönlicher sehen: Da gab es ein paar Geschichten, die haben ein paar großen Häuptlingen in der Branche nicht gefallen. Dann hat man kollektiv beschlossen: Das machen wir nicht mehr.
Wie würde man einen Kulturwandel hinkriegen, zum Beispiel der Institution eines Ombudsmanns endlich in Deutschland zum Durchbruch verhelfen?
Der Ausgangspunkt müsste bei Leitmedien sein, wie die „New York Times“ oder der „Guardian“ im angelsächsichen Raum Standards setzen, was die Rechenschaftspflicht gegenüber Lesern angeht. Solange es die FAZ oder die SZ nicht machen, werden es andere nicht tun. Es fehlt vielleicht auch eine visionäre Persönlichkeit, die das zu ihrer Sache macht.
In Medienberichterstattung zu investieren wird natürlich jetzt noch schwieriger, wenn überall Ressourcen abgebaut werden.
Man müsste trotzdem dafür sorgen, dass die Medienressorts personell überhaupt vorhanden sind oder besser besetzt werden, nicht nur als Ein-Mann-Ressorts. Da könnte man innerhalb der Kulturressorts umbesetzen. Da gibt es so viel für Spezialinteressen, die am großen Publikum vorbeigehen, während das Publikum wirklich mehr über Medien wissen will und auch sollte.
Sind Sie sicher?
Es liegt immer daran, was man dem Publikum anbietet. Wenn man das Thema auf Seite 56 abhandelt, darf man sich nicht wundern, wenn das Publikum sich nicht so wahnsinnig dafür interessiert.
Hinter der Gründung von Übermedien.de steht ja für uns auch der Versuch, uns unabhängig zu machen von den Verlagen und Sendern und den Berührungsängsten, die es dort mit dem Thema gibt.
Wenn die Verlage ein bisschen langfristig und strategisch dächten, würden sie es selber machen und dafür die nötigen Freiräume schaffen.
Der Vertrauensverlust der Medien scheint dramatisch, und da geht es keineswegs nur um die, die „Lügenpresse“ rufen. Hätte bessere Medienkritik, überzeugende Selbstkritik verhindern können, dass das so eskaliert?
Das weiß ich natürlich nicht mit Gewissheit. Aber wenn man sich kontinuierlich selbst beobachtet hätte, hätte man schon feststellen können, dass die Kurve seit 30, 40 Jahren langsam, kontinuierlich in den Keller geht, sowohl was die Glaubwürdigkeit der Medien, als auch das Berufsprestige der Journalisten anbelangt. Wenn man sich mit damit auseinandergesetzt hätte, statt es als Ahnungslosigkeit von Elfenbeinturmwissenschaftlern abzutun, hätte man etwas verändern können und wäre heute nicht ganz so überrascht.
Eine Reaktion auf die zunehmende Kritik an Journalisten ist die von Philipp Jessen, dem Online-Chef des „Stern“, der seine Kollegen auffordert, sich „gerade zu machen“. Es scheint zunehmend ein Gefühl unter Journalisten zu geben: Wir sollten aufhören, uns dauernd zu verteidigen und an uns rumzukritteln, und viel selbstbewusster auftreten.
Etwas Ehrlichkeit würde auch schon ganz gut tun, und zur Ehrlichkeit würde gehören, dass die, die für Qualität kämpfen, sich öffentlich von denen distanzieren, die das nicht tun. Wir haben da einen falschen Branchenkonsens, dass man sich nicht gegenseitig anpinkelt, obwohl man genau weiß, dass der andere Dinge macht, die gegen jede Ethik verstoßen. Wenn man die deckt und sich gemeinsam hinstellt mit den Schurken in der Branche, geht das natürlich schief. Wenn die, die sich glaubhaft für Glaubwürdigkeit einsetzen und sich entsprechend verhalten, gemeinsame Sache gegen die schwarzen Schafe machen würden, sähe das ganz anders aus.
Aber es gibt da draußen ja schon so viel Medienkritik. Alle meckern an den Medien herum. Müssen die Medien selbst da wirklich auch noch mitmachen? Wird dadurch nicht alles noch schlimmer?
Vielleicht ist der Zeitpunkt, damit jetzt anzufangen, nicht ganz günstig. Aber es ist nie zu spät. Und es macht einen Unterschied, ob professionelle Journalisten nach ihren Kriterien bewerten, kritisieren, oder ob das Hinz und Kunz draußen tut. Dass man denen das Feld einfach überlassen hat, war ein großer strategischer Fehler. Dann könnte man Hinz und Kunz ja auch die Berichterstattung über Politik und Wirtschaft überlassen. Meine Sorge ist, dass in Zukunft Hinz und Kunz in Verbindung mit hochprofessioneller PR und Trolls und gezielten Desinformationsstrategien dafür sorgen, dass man als Normalmensch eigentlich gar nicht mehr weiß, wem man glauben kann und was man glauben kann.
Wir bewegen uns weg von einer Aufmerksamkeitsökonomie, wo Journalisten als Gatekeeper noch Kontrolle darüber haben, was wahr ist und was nicht. Immer mehr neue Akteure streuen auf für sie profitable Weise gezielt – oder geschrotet – Desinformation. Das kann dem Gemeinwesen auf Dauer nicht gut bekommen. Wir haben noch gar nicht erkannt, wie wir uns damit auseinandersetzen können. Es gibt eine schöne Studie von einem italienischen Forscherteam um Walter Quattrociocchi, dass sich über Social Media der Unfug und Blödsinn viel schneller ausbreitet als das, was Sie als seriöser Journalist und ich als Wissenschaftler in die Welt setzen können. Unsere News sind in der Regel Grautöne und nur halb so interessant wie die schrillen schwarz und weiß gemalten Botschaften von Hinz und Kunz, die sich über irgendetwas aufregen.
Wenn die Menschen, zu recht oder zu unrecht, den Medien nicht mehr glauben – würden sie ihnen dann die Medienkritik abnehmen?
Wenn Medien überhaupt keine Glaubwürdigkeit mehr haben, wird auch ihre Medienkritik nicht glaubwürdig sein. Aber woran sollen wir uns denn sonst noch festhalten? Ich glaube immer noch, dass die intelligenteren Leute unter uns letztendlich der FAZ oder der SZ oder auch der ARD mehr Glaubwürdigkeit schenken als vielem, was im Internet kursiert. Da habe ich als um Aufklärung bemühter Mensch immer noch Hoffnung.
Es gibt Kritiker, die mir unterstellen, ich sei ein nützlicher Idiot. Ich prangere ein paar Fehlerchen an, um zu verschleiern, dass es eigentlich um systematische Desinformation geht. Wenn Verlage mehr in Medienkritik investieren, stünde das ja unter ähnlichem Verdacht.
Auch an der Stelle kann ich nur sagen: Aufklärung könnte helfen. Dazu gehört auch der Blick hinter die Kulissen – aber der kontinuierliche Blick, nicht nur jetzt in so einer Alarmstimmung. Man müsste überhaupt die Publika informieren, wie der Journalismus schrumpft. Und was auf der anderen Seite an PR-Power in den letzten zwanzig Jahren aufgebaut wurde – natürlich um die Leute einseitig zu „informieren“. Insofern ist der Gedanke einer systematischen Desinformation nicht so falsch. Es wird sehr viel mehr in einseitige Information informiert als in guten Journalismus. Aber das hat auch mit unserer Zahlungsbereitschaft zu tun. Wenn wir denken, Information gibt es umsonst, ist uns nicht zu helfen. An der Stelle versagt auch die Schule. Warum ist Mediennutzung kein Top-Unterrichtsfach?
Medienkritik steht immer unter dem Verdacht, eigentlich nur eine Form des Masochismus zu sein.
Aber was wäre die Alternative? Dass es eine Blackbox in der Gesellschaft gäbe: die Medien, wir Journalisten. Gegenüber allem anderen sagen wir: Wir passen auf als Watchdog, wir setzen uns kritisch damit auseinander, wir schreien auf, wenn was falsch läuft. Nur bei uns selber legen wir andere Maßstäbe an und schweigen.
Aber die Medienkritik fokussiert sich natürlich auf das Negative und verzerrt dadurch den Blick aufs Ganze.
Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn wir das Prinzip des Konstruktiven Journalismus, das ja gerade wieder in Mode ist, auch auf uns selber anwenden würden. Gute Medienkritik zeichnet sich dadurch aus, dass sie Fehlentwicklungen ins Visier nimmt, aber auch Wege weist, wie sich diese korrigieren lassen, und Gelungenes entsprechend lobt.
Stephan Russ-Mohl ist Professor für Journalismus und Medienmanagement an der Università della svizzera italiana in Lugano. Er hat das European Journalism Observatory
gegründet, das die Kluft zwischen Medienwissenschaft und Medienpraxis verringern und einen Beitrag zur Qualitätssicherung im Journalismus leisten will.
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