Offener Brief

„Die geplanten Reformen würden die investigative, politische Berichterstattung deutlich beschneiden“

Mehrere Dutzend Autor:innen, Journalist:innen und Mitarbeiter:innen der Politischen Magazine und Dokumentationen der ARD protestieren in einem Offenen Brief gegen die geplante Programmreform des Ersten. Sie wenden sich gegen die vorgesehene Kürzung der Sendeplätze der Politischen Magazine und der Dokumentations-Reihe „Die Story im Ersten“ im linearen Fernsehen. Die Programmdirektoren der ARD sollen darüber in dieser Woche entscheiden.

Wir dokumentieren hier ihren Offenen Brief.


Aufruf: #UnserFernsehenEuerAuftrag

Sehr geehrte Intendant:innen, sehr geehrte Direktor:innen,

in den vergangenen Tagen wurden Pläne bekannt, wonach es erhebliche Einschnitte im Bereich investigativer, politischer Berichterstattung der ARD geben soll. Wir Programmmacher:innen, freie Journalist:innen und Autor:innen der Politikmagazine in der ARD und der „Story im Ersten“, sind davon überzeugt, dass die geplanten Einschnitte den Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und seine Bedeutung im Bereich Information erheblich beschädigen würden. Deswegen fordern wir Sie mit diesem Brief dazu auf, die geplante Programmreform nicht in dieser Form umzusetzen.

Nach Informationen verschiedener Medien ist im Gespräch, die Zahl der Sendeplätze der Politikmagazine (Fakt, Kontraste, Monitor, Panorama, Report Mainz, Report München) zu reduzieren. Und zwar von jeweils 15 auf elf pro Jahr, insgesamt also von 90 auf 66, dies entspräche einer Kürzung um fast 30 Prozent. Darüber hinaus soll demnach die Dokureihe „Die Story im Ersten“ abgeschafft werden. Diese Kürzungen und Streichungen würden nach unserer festen Auffassung zu einer Beschneidung der eigenen publizistischen Bedeutung führen, die das Programm entwerten und dem Programmauftrag zuwiderlaufen würde. Daran ändern auch die zwei geplanten zusätzlichen Sendeplätze für Reportagen nichts, welche die Einschnitte aus unserer Sicht keineswegs aufwiegen.

Die Rolle von Politikmagazinen und Formaten wie der „Story im Ersten“ ist heute wichtiger denn je. Sie bilden mit ihren Recherchen in einer Zeit der Desinformation und Fake-News, in der die Feinde der Demokratie Rückenwind spüren, ein wichtiges Gegengewicht. Sie unterstützen den gesellschaftlichen Diskurs im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Und sie sind nicht zuletzt ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sie stoßen Debatten an und ihre Themen werden oft von anderen Journalist:innen aufgegriffen. Mittelbar profitieren so auch Menschen von der investigativen Arbeit, die die ursprünglichen Beiträge gar nicht gesehen, aber Anteil an der ausgelösten gesellschaftlichen und politischen Debatte haben oder die Wirkung von Öffentlichkeit auf politische Entscheidungen wahrnehmen und in den Genuss durch sie ausgelöster Veränderungen kommen.

Es ist die kontinuierliche Berichterstattung über ein konkretes Thema, die den Wert der Politikmagazine ausmacht. So können sie immer wieder ein Schlaglicht auf bestimmte politische Zusammenhänge und gesellschaftliche Missstände werfen, die sonst in Vergessenheit gerieten. Die Autor:innen der Magazine ermöglichen es mit ihrer Fachkompetenz und ihren Recherchen, die Berichterstattung über einen Themenkomplex über eine lange Zeit fortzuschreiben. Das zeigt sich etwa bei der regelmäßigen Berichterstattung zu CumEx-Geschäften, zu Rechtsextremismus, zum Attentat auf dem Breitscheidplatz, die wesentlich zur Aufklärung beiträgt.

Die betroffenen Redaktionen brauchen die Rückendeckung der Verantwortlichen in den Sendern,um weiterhin tiefgründig und angstfrei recherchieren zu können, um Zusammenhänge offenzulegen und Missstände aufzudecken. Solche Formate weiter zu schwächen oder gar ganz zu streichen, sendet aus unserer Sicht ein fatales Signal nach innen – an die Redakteur:innen und Autor:innen. Es sendet darüber hinaus ein fatales Signal nach außen – an die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft im Allgemeinen – und die Gegner:innen des öffentlich- rechtlichen Rundfunks im Besonderen.

Es ist wichtig, dass die ARD ihrer Wächterfunktion in politischen und gesellschaftlichen Prozessen wahrnehmbar nachkommt. Nur so werden Zuschauer:innen in ihrer Haltung bestätigt, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in diesen Zeiten den Rücken zu stärken. Programmentscheidungen, die dem zuwiderlaufen, liefern nur Argumente an die Gegner:innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Mit Dokumentationen und längeren filmischen Inhalten will die Programmdirektion die Mediathek stärken. Das ist sinnvoll. Doch: Warum wird eine investigative und etablierte Dokumentationsreihe im Ersten dann linear gestrichen?

Das Argument, wonach die Politikmagazine in der Mediathek kaum abgefragt würden, kann nicht überzeugen. Bis heute müssen Zuschauer:innen aufwändig suchen, um die Magazine in der Mediathek zu finden – insofern wäre eine Stärkung der Präsenz und Auffindbarkeit hier zielführender. Wir stellen uns nicht gegen ein kluges Digitalkonzept, welches nicht-lineare Abrufzahlen mitdenkt und die Online-Präsenz stärkt. Ein hochwertiger Onlineauftritt auf verschiedenen Kanälen, der einen Mehrwert in Zeiten von Desinformation im Netz liefert, ist längst Alltag in den politischen Redaktionen.

Wir rufen Sie – die Intendant:innen und Fernsehdirektor:innen – dringend auf, die Kritik an den Reformplänen im eigenen Haus zu berücksichtigen, der eigenen journalistischen Verantwortung nachzukommen und den Plänen in der vorliegenden Form nicht zuzustimmen. Die ARD hat einen Programmauftrag. Die geplanten Reformen würden die investigative, politische Berichterstattung deutlich beschneiden. Wir wünschen uns eine breite Debatte über diese weitreichende Reform und möchten die Pläne mit diesem Brief öffentlich zur Diskussion stellen.

Mit freundlichen Grüßen,

Freie Journalist:innen der Politikmagazine der ARD und der „Story im Ersten“ sowie weitere Unterstützer:innen

Benjamin Arnold (FAKT, MDR)
Michael Baiculescu (Verleger Wien)
Florian Barth (exakt und FAKT, MDR)
Dirk Bitzer (Wirtschaftsredaktion Fernsehen, WDR)
Susanne Böhm (Die Story im Ersten, Menschen Hautnah und FrauTV, WDR)
Elke Brandstätter (MONITOR, WDR)
Simone Brannahl (KONTRASTE, RBB)
Michaela Bruch (Menschen hautnah und Lokalzeit Bergisches Land, WDR)
Stefan Buchen (PANORAMA, NDR)
Lea Busch (PANORAMA, NDR)
Julia Cruschwitz (FAKT, MDR)
Thomas Datt (FAKT, MDR)
Manuel Daubenberger (PANORAMA, NDR)
Richard Derichs (Studio Aachen, WDR)
Dante Liam Dietrich (kugelzwei / WDR)
Edith Dietrich (ARD-PLUSMINUS und Markt, WDR)
Pune Djalilehvand (KONTRASTE, RBB)
Daniel Donath (KONTRASTE, RBB)
Dorothe Dörholt
Jürgen Döschner
Silvio Duwe (KONTRASTE, RBB)
Ulf Eberle (Menschen Hautnah, Unterwegs im Westen, Die Story, WDR)
Andrea Everwien (KONTRASTE, RBB)
Florian Farken (FAKT, MDR und Die Story im Ersten)
Erika Fehse (Die Story im Ersten, Menschen hautnah, WDR)
Jürgen Fränznick (ARD-Studio New York)
Matthias Fuchs (ARD-PLUSMINUS und Markt, WDR)
Armin Ghassim (PANORAMA, NDR)
Arndt Ginzel (u.a. FAKT, MDR)
Thomas Goerger (AKTUELLE STUNDE, WDR)
Christoph Goldbeck (Menschen hautnah, Quarks und Planet Schule, WDR)
Vassili Golod
Elke Groß (MONITOR, WDR)
Katharina Gugel (Menschen hautnah, WDR)
Carolin Haentjes (exakt und FAKT, MDR)
Anna Herbst (WDR Doku)
Nora Hespers (Sport Inside, WDR)
Michael Houben (Die Story im Ersten und ARD-PLUSMINUS)
Christian Humbs (KONTRASTE, RBB)
Melanie Jost (Markt, WDR und ARD-PLUSMINUS)
Annette Kammerer (PANORAMA, NDR)
Robert Kempe (WDR)
Aiko Kempen (MONITOR, WDR)
Antje Kießler (Nachrichten WDR/NDR)
Susett Kleine (KONTRASTE, RBB)
Secilia Kloppmann (exakt und FAKT, MDR)
Sonja Kolonko (Markt, Quarks und Menschen hautnah, WDR)
Anja Köhler (ARD-MoMa)
Frank Konopatzki (MONITOR, WDR)
Herbert Kordes (MONITOR, WDR)
Bernhard Küchler (MONITOR, WDR)
Jörg Laaks (Die Story im Ersten, Unterwegs im Westen, Westart, WDR)
Barbara Lamber (MONITOR, WDR)
Eva-Maria Lemke (KONTRASTE, RBB)
Ilka aus der Mark (Die Story im Ersten)
Andreas Maus (MONITOR, WDR)
Luisa Meyer (MONITOR, WDR)
Stefanie Mnich (KONTRASTE, RBB)
Esat Mogul (MONITOR, WDR)
Eva Müller (Autorin und Regisseurin)
Noelle O’Brien-Coker (Hörfunk, WDR)
Andrea Oster (Moderation WDR 5 Morgenecho / Politikum)
Nina Ostersehlte (ARD Cosmo, ARD-MoMa, Die Story im Ersten)
Nadia Ouled-Ali (MONITOR, WDR)
Peter Podjavorsek (Menschen Hautnah, MDR, Frontal 21, ZDF)
Markus Pohl (KONTRASTE, RBB)
Thomas Purschke (Sport Inside, WDR)
Lutz Polanz (MONITOR, WDR)
Jonas Reese (WDR 5 Morgenecho)
Timo Reinders (MONITOR, WDR)
Julia Regis (MONITOR, WDR)
Torsten Reschke (MONITOR, WDR)
Lena Rumler
Eberhard Rühle (u.a. Die Story im Ersten)
Katharina Schiele (PANORAMA, NDR)
Julius Schmidt (Newsroom, WDR)
Markus Schmidt (WDR)
Sandra Schmidt (MONITOR, WDR)
Jan Schmitt (MONITOR und Die Story im Ersten, WDR)
Verena von Schoenfeldt (ARD-Studio Rio de Janeiro)
Eva Schötteldreier (u.a. Die Story, “Gott und die Welt”)
Jonas Schreijäg (PANORAMA, NDR)
Oliver Schröm (PANORAMA, NDR)
Mathea Schülke (MONITOR, WDR)
H.-C. Schultze (u.a. KONTRASTE, RBB; Markt, MONITOR, WDR, ARD-Plusminus, Frontal 21, ZDF)
Lisa Seemann (MONITOR, WDR)
Felix Seibert-Daiker (FAKT, MDR)
Ahmet Șenyurt
Ursel Sieber (KONTRASTE, RBB und MONITOR, WDR)
Marcel Siepmann (exakt und FAKT, MDR)
Tina Soliman (PANORAMA, NDR)
Andreas Spinrath (MONITOR, WDR)
Fritz Sprengart (Die Story im Ersten, Unterwegs im Westen, WDR)
Lara Straatmann (MONITOR, WDR)
Tom Theunissen
Karl Waldhecker (Service und Verbraucher TV, WDR)
Hanna Wangler (MONITOR, WDR)
Marcus Weller (KONTRASTE, RBB)
Christian Werner (exakt und FAKT, MDR)
Mareike Wilms
Gregor Witt
Christina Zühlke (MONITOR und Die Story im Ersten, WDR)

(aktualisierte Unterstützerliste, Stand: 19. Juli)


8 Kommentare

  1. Niemand hat diese Beschwerde bisher kommentiert. Daraus folgere ich: Die Unterzeichner stehen ziemlich allein da mit ihren Forderungen. Sie nehmen sich wichtiger als sie für die Gebührenzahler sind. Die Polit-Magazine der ARD und des ZDF haben keine Relevanz mehr. Ihre Zeit ist abgelaufen. Kein Hahn würde nach ihnen krähen, wenn sie abgeschafft würden. Natürlich die ausgenommen, die von ihrer Existenz profitieren. Besser wäre es, Tagesthemen und Heute-Journal würden erweitert, nicht nur zeitlich, sondern auch diskursmäßig. Entweder beide Sendungen verbreitern ihr politisch-weltanschauliches Spektrum oder das eine Magazin verortet sich im Zweifel links, das andere rechts.

  2. Auch so eine Masche, die ich auf den Tod nicht ausstehen kann:

    Die Abwesenheit von Wortmeldungen mal eben als Zustimmung für „wasauchimmer“ werten.

    Ich werte jetzt mal die große Zahl an Nichtwählern besonders bei den EU-Wahlen als deutliches Signal dafür, dass Eierlaufwettbewerbe olympische Disziplin werden sollen!

  3. Wie funktioniert das genau, #1? Muss das rechts-lehnende Magazin dann immer bei den Linken einen ebenso großen Skandal aufdecken, wenn welche bei der CDU/CSU gefunden werden?

    Leider, leider sind viele Fakten eher links, aber das ist natürlich schwer weltanschaulich zu akzeptieren.

    Ich schaue diese Magazine nicht, aber finde den Brief nachvollziehbar und zustimmungsfähig. Sorry, dass ich nicht vorher kommentiert habe.

  4. Ich vermute eher, dass das Nichtkommentieren größtenteils aufgrund stiller Zustimmung zustande kommt. So ist es jedenfalls bei mir. Ich finde den offenen Brief stark: dass da Menschen für eine, ihre Sache einstehen und sich auch öffentlich mit Namen dazu bekennen. Sie könnten ja auch einfach die Klappe halten und der Dinge harren, die da kommen. Wie so viele andere. Also von mir Daumen hoch!

  5. @Jan: Ist das nicht seltsam? Linke meinen oft, viele Fakten seien eher links. Bei Rechten ist es umgekehrt. Aber Fakten sind weder links noch rechts. Was aber sind Fakten und was sind Meinungen? Wer entscheidet das? Sie oder ich?

  6. Das sollte ein Hottake sein, aber die klappen in nebenbei getippten Kommentaren natürlich nicht so gut. Insbesondere beim Klimathema kommt es mir so vor, bei Gendern und Migration lässt sich vielleicht eher drüber streiten ;) Die Fakten sind natürlich neutral, aber wer mit Fakten argumentiert ist plötzlich linksgrünversifft.

    Man kann Meinung und Fakten eigentlich ganz gut durch die wissenschaftliche Methode trennen, weder Sie noch ich müssten da entscheiden, aber darauf können sich verschiedene Gruppen auch nicht (mehr) einigen. Insgesamt scheint mir Wissenschaftsleugnung eher von rechts zu kommen, wobei natürlich diese zweidimensionale Darstellung wie in den meisten Kontexten zu kurz greift. Querfronteln tut es bei Homöopathie, Impfungen, Corona.

    Ich will auch gar nicht leugnen, dass die Weltanschauung eine Recherche zumindest prägt, allerdings ist der Vorwurf eines links-grünen ÖRR meiner Meinung und natürlich auch den Fakten nach komplett absurd. Auf diese Implikation bin ich angesprungen.

  7. #7
    Fakten haben kein politisches Lager, sonst sind es keine mehr.
    Wenn aber ein politisches Lager ( extreme Rechte, esoterische Teile der Linken ) die relevanten Ergebnisse weltweiter Forschung zum Thema Pandemie als Teil einer weltweiten Verschwörung ablehnen, dann wird das, was sie als „Alternativen“ anbieten, dadurch ja auch nicht zum Fakt aufgewertet.
    Genauso aber entsteht dieses absurde Bild, es gäbe alternierende Fakten, die gleichberechtigt koexistierten.

    Schlimmer sind aber wohl die Teile der Gesellschaft, die, obwohl sie den wissenschaftlichen Erkenntnisstand anerkennen, ein Interesse daran zu haben scheinen, diesen zu entkräften, zu unterdrücken und ihm „fake news“ entgegen zu stellen.
    Bekannteste Beispiele sind wohl die Organisationen, die von der Tabakindustrie eingesetzt wurden, um die Schädlichkeit des Tabakkonsums zu leugnen. Ebenso die, von u.a. den großen Öl Firmen mit zig Millionen finanzierten climate change denial groups.

    Es gibt aber auch die Sozialdarwinisten bis ins sog. „liberale“ Lager ( welches die Konservativen mittlerweile leicht mal rechts überholt ), bei denen man zumindest vermuten kann, dass die Opfer dem wirtschaftlichen Erfolg eben untergeordnet werden müssen. Und eben das „Prepper“ Lager, dem es nur um eine möglich gute Ausgangsposition für einen Endkampf geht.
    All denen ist an allgemeiner Informiertheit wenig gelegen.

    Wir müssen diese Sendungen tatsächlich mit Zähnen und Klauen verteidigen, gegen die „Infowar“-Krieger.
    Klar, da gibt es auch Potential nach oben und eine kritische Begleitung ist sicher die beste Unterstützung. Aber wenn irgendwann nur noch die Murdochs, Berlusconis und Springers die Informationen kontrollieren sollten, dann wird es zappenduster.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.