Presseschau (3)

Vergesst die Personen: Auf die Koalition kommt es an!

Die schwarzgelbe Koalition, die das Land von 2009 bis 2013 regierte, war die lahmste, auch glückloseste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung. Nur noch unter Qualen erinnert man sich an die Steuererleichterungen für Hotelbetreiber, an die Guttenberg-Affäre, an die Enthaltung der Bundesrepublik, als es im UNO-Sicherheitsrat um den Libyen-Konflikt ging, und den Talkshowauftritt von Philipp Rösler bei Markus Lanz, in dem er sich über die Kanzlerin lustig machte.

Rücktritt des Verteidigungsministers wegen der Luftschläge gegen Zivilisten in Kunduz, Rücktritt der Bildungsministerin wegen einer akademischen Plagiatsaffäre. Der Finanzminister Schäuble machte den südlichen europäischen Partnern die Hölle heiß, wenn sie nicht wie verrückt sparen wollten, und Dirk Niebel ging als Entwicklungshilfeminister auf Reisen und sorgte für ulkige Fotos. Irgendwann titelte der „Spiegel“: „Aufhören!“

Das Ganze war ein solcher Flop, dass die FDP sich später weigerte, in die Jamaika-Koalition einzutreten, weil das damals eben so schrecklich gewesen war und die Partei verdientermaßen aus dem Parlament flog. Und wer bestimmte damals die wirren, schwachen Richtlinien der Politik? Dieselbe wie heute, Angela Merkel.

Bloß, dass sie heute als mächtigste Frau der Welt gilt, als Anführerin der freien Welt und eine, die insbesondere in der Flüchtlingsfrage „die Ehre Europas gerettet hat“, wie die französische Politikerin Martine Aubry treffend formulierte. Die Geschichtsbücher werden Merkel einen besonderen Platz einräumen, und die Leute in Europa mögen sie. Ihre schwarzgelbe Koalition ist unterdessen zu Recht vergessen. Merkel reüssierte politisch als Partnerin der Sozialdemokraten in den drei großen Koalitionen.

Popcorn!

Im derzeitigen Wahlkampf befördern manche Journalisten eine ungute Perspektivenverschiebung. Sie fordern mehr Personalisierung, weniger Sach- und Koalitionsberichterstattung. Ein Beispiel ist die Kolumne von Nikolaus Blome auf spiegel.de. Darin amüsiert er sich über Kollegen, die nach mehr Sachthemen verlangen, und vergleicht den Wahlkampf mit einem Kinobesuch: Man genießt Popcorn und möchte unterhalten werden.

Wie bestellt und nicht abgeholt, ertönen trotzdem die Rufe nach mehr Sachlichkeit und „Inhalten“. Doch das ist, als wollte man im Kino das Licht andrehen, obwohl der Film erst mittendrin ist und der Becher mit dem Popcorn noch halb voll.

Ganz nebenbei sei auf die kollegiale Merkwürdigkeit hingewiesen, mit der Blome den Autor des „Spiegel“-Leitartikels, auf den er sich bezieht, nämlich Markus Feldenkirchen, gar nicht erst nennt. (Er schreibt, Feldenkirchen „barmt“, weil er Inhalte fordert.)

Blome jedenfalls möchte von den drei KandidatInnen mehr Persönliches erfahren (wozu?), will mehr Momente der Wahrheit und findet generell: In einem Wahlkampf sind Personen das Spannendste.

Problemverschiebung

Für uns Journalisten bestimmt. Medien profitieren davon, Menschen in den Fokus zu stellen, denn dem Publikum fällt es leichter, sich eine Meinung über eine Person zu bilden, als sich durch den Wust an politischen Vorschlägen durchzuarbeiten. Der amerikanische Psychologe Daniel Kahnemann hat das gut untersucht: Wenn wir ein komplexes Problem, etwa die Frage, ob man dieses oder jene Auto kaufen soll, nicht lösen möchten, ersetzt unser Gehirn die schwere durch eine leichte Frage: Wie gefällt mir der Wagen optisch? Oder wie finde ich den Verkäufer?

So auch im Wahlkampf: Dieses Klimazeugs ist schwer und beängstigend, niemand mag die drohenden Veränderungen, also fällt es leichter, über Annalena Baerbock zu reden. Allerdings gibt es über sie, wie auch über Scholz und Laschet, wenig zu sagen. Sie haben noch nie die Bundesrepublik regiert, man kann sie ja nicht in einen Simulator stecken.

Bald wird wieder nach den echten Typen gerufen, nach Originalen wie früher in der Politik – aber erstens waren früher keine guten Zeiten und zweitens waren die heute verehrten Klassiker wie Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl zu ihrer aktiven Zeit extreme Hassfiguren, gerade auch im eigenen Lager.

Wahlplakat der CDU: Kurt Georg Kiesinger mit dem Slogan "Auf den Kanzler kommt es an"
CDU-Wahlplakat mit Kurt Georg Kiesinger, 1969 Foto: Konrad-Adenauer-Stiftung CC BY-SA

Die Personalisierung des Wahlkampfs, wir spüren es an allen Ecken, passt einfach nicht zu unserem System. Es gibt keine Direktwahl der Kanzler, das Parlament wählt die Regierungschefs – und hier also die einer Koalition. Die bestimmt, wie die kommende Regierung arbeitet. Bundeskanzler Olaf Scholz wird – nur als Beispiel – mit einer grünen und gelben Truppe das Land ganz anders verändern als mit der CDU.

Glücklicher ohne Personenkult

Auf die Koalition kommt es an. Das ist mitnichten eine deutsche Besonderheit.

Länder, in denen die Menschen gerne und glücklich leben, werden oft von Menschen regiert, die kaum bekannt sind. Und je heftiger der Personenkult ausgeprägt ist, desto unglücklicher lebt es sich in einem Land. Der Schriftsteller Vladimir Nabokov, der sowohl vor den Nazis wie vor Stalin floh, wünschte sich ein Land, in dem Porträts der Machthaber nicht größer als eine Briefmarke sind.

Finnland, Norwegen, die Schweiz und Dänemark führen regelmäßig die Listen mit der Zufriedenheit, dem Glücksgefühl ihrer Bürgerinnen und Bürger an. Aber selbst in ihren eigenen Ländern gibt es kein politisches Star-System, keinen Zirkus um diese effizienten MachthaberInnen auf Zeit – und außerhalb der nationalen Grenzen sind sie oft völlig unbekannt.

Und wenn im Herbst die legendäre Angela Merkel aus dem Amt scheidet, werden wir über die Frau, die so lange die Richtlinien der Politik bestimmt hat, ungefähr genau so viel wissen wie bei ihrer ersten Wahl 2005: Physikerin, geschieden und in zweiter Ehe lebend, fleißig, intelligent und nicht korrupt. Alles andere? Keine Ahnung.

Sinnlose TV-Duelle

Wenn Politik gelingt, mit der passenden Koalition und persönlichem Einsatz, dann braucht diese Kombination keine weitere Show. Wie sich Baerbock, Scholz oder Laschet in dem für sie völlig neuen Amt machen werden, ist heute nicht vorherzusagen. Darum sind Formate wie Kanzler-Duelle oder Trielle bei uns immer enttäuschend. Sie passen zu einem Präsidialsystem in Ländern mit nuklearer Power, aber sicher nicht in das verschachtelte und verschränkte Machtsystem des Grundgesetzes.

Die Praxis zeigt es: War man von der Performance der Angela Merkel in den letzten TV-Duellen so entsetzt, dass man stattdessen ihren direkten Kontrahenten wählte, änderte man gar nichts an der Mehrheit ihrer Regierung im Parlament.

Das Format ist sinnlos. Eine stundenlange Höllenshow mit Verbänden, Gewerkschaften, Kirchen, allen Ministerpräsidenten, den Fraktionsvorsitzenden und Vertretern aus 27 EU-Staaten, die aller jederzeit und permanent reden, wäre das adäquate Format.

Es gibt immer wieder, gerade bei Journalistinnen und Journalisten, die Sehnsucht nach der historischen Zeit und der historischen Figur, der Wunsch, ihr nahe zu sein oder sie, im Gegenteil, zu entlarven. Dieser Impuls erinnert mich an zwei Schulfreunde, die aus dem Iran kamen und im Freibad immer versuchten, so schnell und kraftvoll vom Drei-Meter-Brett abzuspringen, dass sie über den Rand des Tauchbeckens fliegen und auf dem Beton landen. In der Hitze kommt man eben auf Gedanken, aber der langweilige Ausgang ist ihnen doch vorzuziehen.

Gute Politik wird meist von biederen, etwas langweiligen Leuten gemacht. Darum ist ein Wahlkampf, dessen Drama darin besteht, wenig Drama zu bieten, und der insgesamt die Bürgerinnen und Bürger so langweilt, dass sie beginnen, sich selbst Gedanken zu machen, eine ausgezeichnete Sache.

3 Kommentare

  1. „Nur noch unter Qualen erinnert man sich […] an die Enthaltung der Bundesrepublik, als es im UNO-Sicherheitsrat um den Libyen-Konflikt ging“

    Also für mich was das das größte Verdienst Westerwelles in der damaligen Regierung. Libyen wurde dann ja nicht gerade in paradiesische Zustände gebombt.

    https://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland-als-makler-im-libyen-konflikt-gerechtigkeit-fuer-guido-westerwelle/25451916.html

    Oder was habe ich falsch verstanden?

  2. „Sie haben noch nie die Bundesrepublik regiert, man kann sie ja nicht in einen Simulator stecken“ – genau das stimmt für Olaf Scholz ja nun nicht, der als Finanzminister und Vize-Kanzler die Republik nun schon seit einiger Zeit mitregiert. Auch das ist ja Teil des Personalisierungsproblems: Dass alle nur auf die Kanzlerin schauen, die Minister:innen der kleinen Ministerien aber nur noch totalen Nerds bekannt sind.

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