Nils Minkmar ist Publizist. Er war Redakteur bei „Willemsens Woche“, der „Zeit“, der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und dem „Spiegel“. Seit Mai 2021 ist er fester Autor des Feuilletons der „Süddeutschen Zeitung“.
Für Übermedien schreibt er alle zwei Wochen in der „Presseschau“ über Medien, vor allem Gedrucktes.
Es ist ein bisschen seltsam, dass ein Magazin mit dem Titel „Vier“ dann sieben Euro und fünfzig Cent kostet, statt wenigstens acht und damit zwei Mal vier oder einfach nur vier Euro, aber andererseits ist es auch eine gute Einführung in die komplexe Welt dieses medienkritischen Magazins. Im Netz finden sich Versuche, das Heft über gofundme zu finanzieren, das brachte aber nicht die erforderte Summe, also ergänzt man das über den Kioskpreis.
Vier trägt als zweiten Titel „Die Vierte Gewalt“, als sei es die selbst, gemeint ist aber eine Kritik der Medien, das steht wiederum klein auf der Seite: „Die Alternative zum Mainstream für den deutschsprachigen Raum“.
Auf dem Titelbild ist Sucharit Bhakdi abgebildet, das ganze Heft widmet sich der Kritik an den Covid-Bekämpfungsmaßnahmen und ihrer medialen Darstellung. Auf der Rückseite steht eine Eigenanzeige mit dem Seufzer der Erleichterung: „Endlich wieder Frei schreiben“ mit drei Ausrufezeichen und das Foto einer mechanischen Schreibmaschine, auf der eine schwere Eisenkette mit Schloss liegt. Tippen könnte man aber trotzdem, die Kette verhindert das gar nicht, liegt bloß oben drauf, aber egal.
„Vier“ hat es sich laut Editorial zur Aufgabe gemacht, die durch Corona aufgetretene Spaltung der Gesellschaft zu überbrücken. Bhakdi soll dafür das Symbol sein: „Die unterschiedliche Wahrnehmung der Person Sucharit Bhakdi und dem, wofür er steht, macht deutlich, wie sich die Gesellschaft in unserem Land gespalten hat.“ In einer gewöhnlichen Familie kann man sich nicht mal auf eine einheitliche Wahrnehmung der Nachbarn und wofür sie stehen einigen, geschweige denn der Bundeskanzlerin, wie sollten sich dann achtzig Millionen Bundesbürger auf eine einheitliche Wahrnehmung von Professor Bhakdi einigen können, zumal, wenn man ihn, wie es bei mir der Fall wäre, nur vage vom Namen her kennt?
Pfeile auf Leute
Aber es gibt ja in „Vier“ ein Interview mit dem Herrn, einem emeritierten Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie und Professor an der Mainzer Universität, der mit seiner Frau den Bestseller „Corona Fehlalarm?“ geschrieben hat und dessen Behauptungen nicht zuletzt von seinen Universitäten als falsch zurückgewiesen wurden.
Das Interview enthält jede Menge deftiger Zitate: „Diesen Wissenschaftlern die Macht zu geben, die Kraft hinter dem Pfeil zu sein, der auf die Bevölkerung abgeschossen wurde, ist verwerflich!“ Man möchte anmerken, dass das Abschießen von Pfeilen auf Leute ohnehin verwerflich ist, auch wenn keine Wissenschaftler abziehen, aber wenn man so anfinge, fände man aus dem Magazin gar nicht mehr hinaus.
Bezeichnend für das Interview mit Bhakdi ist diese Frage: „Professor Bhakdi, Sie sind im Ruhestand, Sie haben eine Frau und ein kleines Kind. Sie wohnen in dieser schönen, ländlichen Umgebung und könnten eigentlich das Leben genießen. Warum tun Sie sich das Alles an?“ Das fragt sich der Leser unterdessen auch. Der Kern von Bhakdis Kritik richtet sich auf die Impfungen, die er für mangelhaft erprobt hält, die aber in einer Allianz aus Medizinern und Politikern gefördert werden. Dass aber die Kanzlerin und der Gesundheitsminister vor die Presse traten, als Probleme mit dem Wirkstoff von AstraZeneca bekannt wurden, kommt nicht zur Sprache. Wie überhaupt in diesem Magazin, das angeblich Brücken bauen will, nur die Querdenkerseite zu Wort kommt.
Strachau über Strachau
„Vier“ ist das Werk von Uwe Strachau. Er schreibt das Editorial, den einführenden Essay „Corona – Das große Versagen“, dann eine Glosse unter dem Pseudonym Paul Kessler (so hieß auch der Protagonist von Strachaus Roman „2012-Erwachen“), den Artikel „Mythos Lockdown“, den Artikel „Generation Corona – Die große Depression“, den Essay „Die kritische Masse“, den Artikel „Wenn Morgens um sieben die Staatsmacht klingelt“ und die Reportage „Ein Tag unter ‚Covidioten‘.“ Andere Beiträge sind Zweitveröffentlichungen oder Sachen aus dem Netz, es wirkt wie der Versuch, die Querdenkerblase gedruckt abzubilden.
Am Ende des Hefts kommt „Vier“ zu seinem eigentlichen Thema, Strachau selbst. Er hat eine Autobiografie auf einer Seite verfasst, daneben ist ein ganzseitiges Porträtfoto von ihm zu sehen. Eine Art Melancholie durchzieht seine Selbstbeschreibung: „Als Jahrgang 1961 bin ich in einer Zeit aufgewachsen, die mit der heutigen nicht mehr viel gemein hat (…) Mein Vater war Freileitungsmonteur beim regionalen Stromversorger, meine Mutter Hausfrau. Ich hatte drei ältere Brüder. Wie es sich für einen ordentlichen Arbeiterhaushalt gehörte, wurde selbstverständlich SPD gewählt.“
Doch diese politische Milieuzugehörigkeit ist ihm unterdessen abhanden gekommen. Strachau schreibt, er habe 2005 zum letzten Mal gewählt, und spricht bezogen auf die Jahre danach von einer „Parteienoligarchie“, die uns eine „SED 2.0“ beschert habe. Auch seine Tageszeitung, „ein alteingesessenes SPD-Blatt“, hat er nach dreißig Jahren abbestellt. Nun plädiert er für einen „basisdemokratischen Systemwechsel“ – vermutlich für einen, in dem auch die Uwe Strachaus dieser Welt mehr zu sagen hätten.
Nur was? Ganz deutlich wird seine Position nicht: Masken und Impfung sieht er kritisch, natürlich auch die Berichterstattung über Corona, aber mit Pflegern, Genesenen oder Angehörigen von Erkrankten spricht er in seinem Heft, das doch Brücken bauen möchte, nicht. Eine debattierfreudige Redaktion oder auch nur ein vielfältiges soziales Umfeld hätten auf diesen Widerspruch hingewiesen, hätten eine Formulierung wie SED 2.0 für die Bundesrepublik hinterfragt: Haben wir demokratischen Zentralismus, Medienzensur, Militarismus und Unterdrückung wie in der DDR? Dieses Heft ist doch schon der Beweis, dass es nicht so ist.
Das Magazin für mediale Vielfalt liest sich wie ein melancholischer Monolog. Das eigentliche Thema von „Vier“ und, wie ich vermute, auch von weiten Teilen der Querdenkerbewegung sind nicht die Medien, auch nicht die Corona-Maßnahmen – es ist die Einsamkeit.
6 Kommentare
Nordkorea und China z. B. haben ja auch kein Problem mit Pressezensur, hab ich jedenfalls noch nie etwas aus den Ländern selbst darüber gelesen. Aus Ungarn kannte man das mal, aber die scheinen das Problem gelöst zu haben, berichtet ja keiner mehr drüber.
Man muss auch mal über den Tellerrand gucken, nicht überall ist es so schlimm wie bei uns!
Wobei ich es besonders perfide finde, dass BILD jetzt ja abfragen lässt, was man sich alles nicht mehr zu sagen traut.
Die wollen doch nur, dass man sich selber reinreitet. Als Nord-Koreaner wäre man einfach viel zu schlau, auf den alten Trick reinzufallen.
„Die Alternative zum Mainstream für den deutschsprachigen Raum“. Ist das nicht schon die NZZ?
Und dann kommt auch noch Rüdiger Dahlke mit seinem „Krankheit als Chance“-Sch**ß zu Wort! Da haben sich die Schwurbler zusammengefunden.
Mit anderen Worten: ein Einmannprojekt mit dem Titel »Man darf in dieser Diktatur einfach nichts mehr sagen«. Aber das ist nicht das Schlimmste. Das Schlimmste an Einmannprojekten ist, dass die Einmänner denken, sie könnten alles. Den Titel hätte Strachau mal lieber einem Coverdesigner überlassen und die Anzeige auf der Rückseite einem Werber. Das sind beides inhaltliche und typografische Totalausfälle. Von dem Quark dazwischen nicht zu reden.
Kein Wunder, dass in 6 Monaten statt erträumter 50.000 nur 1.580 € zusammengekommen sind. Das könnte aber auch daran liegen, dass die Zielgruppe noch unter der Ballweg- und Schiffmann-Abzocke leidet und ihre Kröten momentan lieber zusammenhält.
Diejenigen, die am lautesten die Spaltung der Gesellschaft beklagen, sind also auch hier wieder die, die unentwegt für diese Spaltung arbeiten.
Nordkorea und China z. B. haben ja auch kein Problem mit Pressezensur, hab ich jedenfalls noch nie etwas aus den Ländern selbst darüber gelesen. Aus Ungarn kannte man das mal, aber die scheinen das Problem gelöst zu haben, berichtet ja keiner mehr drüber.
Man muss auch mal über den Tellerrand gucken, nicht überall ist es so schlimm wie bei uns!
Wobei ich es besonders perfide finde, dass BILD jetzt ja abfragen lässt, was man sich alles nicht mehr zu sagen traut.
Die wollen doch nur, dass man sich selber reinreitet. Als Nord-Koreaner wäre man einfach viel zu schlau, auf den alten Trick reinzufallen.
„Die Alternative zum Mainstream für den deutschsprachigen Raum“. Ist das nicht schon die NZZ?
Und dann kommt auch noch Rüdiger Dahlke mit seinem „Krankheit als Chance“-Sch**ß zu Wort! Da haben sich die Schwurbler zusammengefunden.
Mit anderen Worten: ein Einmannprojekt mit dem Titel »Man darf in dieser Diktatur einfach nichts mehr sagen«. Aber das ist nicht das Schlimmste. Das Schlimmste an Einmannprojekten ist, dass die Einmänner denken, sie könnten alles. Den Titel hätte Strachau mal lieber einem Coverdesigner überlassen und die Anzeige auf der Rückseite einem Werber. Das sind beides inhaltliche und typografische Totalausfälle. Von dem Quark dazwischen nicht zu reden.
Kein Wunder, dass in 6 Monaten statt erträumter 50.000 nur 1.580 € zusammengekommen sind. Das könnte aber auch daran liegen, dass die Zielgruppe noch unter der Ballweg- und Schiffmann-Abzocke leidet und ihre Kröten momentan lieber zusammenhält.
Diejenigen, die am lautesten die Spaltung der Gesellschaft beklagen, sind also auch hier wieder die, die unentwegt für diese Spaltung arbeiten.