Praktikumsvergütung im Journalismus

Wo keine Villa ist, ist auch kein Weg

„Endlich! Dafür haben wir echt lange gekämpft! Ab 1. Juli 2021 werden alle Praktika beim ZDF im Inland – unabhängig ob es sich um Pflicht- oder freiwillige Praktika handelt und unabhängig von einer Mindestdauer – mit 350 Euro pro Monat vergütet. (…) Das ZDF zielt darauf ab, als Ausbildungunternehmen attraktiv zu bleiben und jungen Menschen das Sammeln von Erfahrungen und eine Mitarbeit im ZDF unabhängig von ihrer finanziellen Situation, ihrem sozialen Status und ihrem kulturellen Hintergrund zu ermöglichen.“

Sätze einer Bildungsmanagerin des ZDF, gepostet in dem Job- und Vernetzungsportal Linkedin, die am vergangenen Wochenende auf Twitter für Empörung sorgten. Nach wütenden Kommentaren wurde der Post mittlerweile gelöscht.

„Journalismus geht nicht ohne Praktika. Und Leben in Mainz, München, Hamburg geht nicht ohne Geld. Das Ergebnis: Elitärer Bubble-Journalismus oder verschuldete Berufseinsteiger:innen“, kommentiert die Journalistin Luisa Thomé auf Twitter und bringt den nicht zu vereinenden Widerspruch des Senders auf den Punkt: Der Ruf nach Diversität in den Redaktionen kollidiert mit dem, was Redaktionen – in diesem Fall das ZDF – bereit sind zu zahlen.

Klar, 350 Euro sind nicht Nichts, aber andererseits auch nicht genug. Das Geld reicht kaum für die Miete eines WG-Zimmers. Von den Fixkosten wie Essen, Versicherungen, Handyvertrag undsoweiter ganz zu schweigen. Wer da ohne elterliches Backup oder die Hilfe von anderen Verwandten auskommen muss, hat schlechte Karten.

Und damit sind wir beim Problem. People of Colour, Arbeiter*innenkinder, junge Migrant*innen sind nicht grundlos unterrepräsentiert in der hiesigen Redaktionslandschaft. Oftmals fehlt es ihnen an Mitteln, sich durch das Berufsanfänger*innen-Dickicht zu schlagen. Zumal in aller Regel mehr als nur ein Praktikum ansteht, bis der Berufseinstieg geglückt ist.

Stellenanzeige für ein Praktikum. Vergütung: keine.
Stellenanzeige für ein Praktikum. Vergütung: keine. Screenshot: Meinpraktikum.de

Wenn wir über Diversität in Redaktionen reden wollen, dann sollten wir uns also nicht länger mit dem ganzen Vielfalts-Gerede aufhalten, sondern darüber sprechen, worüber sonst am liebsten geschwiegen wird: über Geld.

Praktikum, Nebenjob, ein freier Tag pro Monat

Mit Ende 20 beschloss ich, es mit Journalismus zu versuchen. Bei eingehender Betrachtung eine totale Schnapsidee. Weder hatte ich Abitur gemacht, noch studiert. Stattdessen hatte ich die Schule mit einem Realschulabschluss beendet, arbeitete im Supermarkt, besuchte eine Schauspielschule und landete für Jahre im Kulturprekariat. Hätte ich mir vor meiner Entscheidung, es als Quereinsteiger im Journalismus zu versuchen, kühl meine Chancen ausgerechnet, ich hätte es gelassen.

Aber da ich schon immer eher Typ Bauchmensch war, kündigte ich meinen Job, vermietete meine Einzimmerwohnung und zog für ein dreimonatiges Praktikum in einer Redaktion wieder bei meiner Mutter ein – mit fast 30 Jahren. Als Praktikumsvergütung bekam ich 385 Euro. Um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen, begann ich nebenbei am Wochenende zu arbeiten. Praktikum plus Nebenjob ergaben ungefähr einen freien Tag pro Monat. Aber: Am Ende wartete neben einer dicken Erschöpfung die Aussicht auf ein Volontariat.

Dass ich den Schritt geschafft habe, hat vor allem mit Faktoren zu tun, auf die ich recht wenig Einfluss hatte:

  • Ich habe eine Mutter, die mich bei ihr wohnen ließ
  • Sie lebte in einer Wohnung, die groß genug war, so das sie mich aufnehmen konnte
  • Ich fand einen Minijob mit flexiblen Arbeitszeiten
  • Wenige Monate nach meinem Praktikum wurde eine Volontärsstelle in der Redaktion frei

Ich schaffte es trotz meiner Arbeiter*innenkind-Identität, nicht deswegen. Das selbe Ergebnis, dennoch ist es ein Unterschied.

Praktika im Journalismus folgen einem unausgesprochenen Deal: Man gibt seine Arbeitskraft für kein bis wenig Geld, dafür kann man sich im Lebenslauf später mit dem Renommée der Redaktion schmücken, kann ein Netzwerk aufbauen und bekommt mit Glück einen Einstieg in die Branche.

Ein lauter Ruf, aber kaum Maßnahmen

Das ist alles schön und gut. Und es mag vielleicht sogar eine Berechtigung haben – die ich bisher übersehen habe –, dass man unterbezahlte Arbeit leistet. Ab dem Moment jedoch, wo es darum geht, Barrieren abzubauen und Menschen aus verschiedenen Milieus und Klassen den Zugang zu einer elitären, verschlossenen Berufsgruppe zu geben, kommt man mit dem reinen Ruf nach Diversität nicht weiter.

Davon hat offenbar auch das ZDF Wind bekommen und so kommt es zu diesem tollpatschigen, weil mit stolz geschwellter Brust vorgetragenen Lapsus der ZDF-Bildungsmanagerin, die genau dort zu feiern beginnt, wo eigentlich ein Problembewusstsein vonnöten wäre: bei 350 Euro.

Liebe Kolleg*innen des ZDF, ich habe eine schlechte Nachricht für euch: Wer Vielfalt will, sollte bereit sein mehr zu zahlen als die Miete eines 13 Quadratmeter großen Zimmers in Mainz-Bretzenheim.

Die neuen deutschen Medienmacher attestieren der Branche zwar, dass die Unterstützung für die Forderung nach einer Öffnung der Redaktionen größer denn je sei, und die meisten Chefredakteur*innen sagten, dass sie mehr dafür tun wollten. „Konkrete Zahlen zu erheben und darauf basierende Maßnahmen einzuleiten, lehnen die meisten allerdings ab. Wie aber soll es gelingen, deutsche Redaktionen durch Journalist:innen mit diversen Hintergründen vielfältiger zu gestalten, ohne eine entsprechende Strategie?“

Die wenigsten Redaktionen in Deutschland haben darauf eine Antwort parat.

Ich frage in meiner eigenen Bubble zum Thema Praktika und Vergütung nach und bekomme zwölf Antworten. Bis auf zwei haben alle von ihnen Erfahrungen mit unbezahlten Praktika gemacht. Die zwölf, die mir schrieben, haben ein bis fünf Praktika absolviert und dabei zwischen null und maximal 525 Euro verdient. Eine Antwort:

„Ich sag mal so, ohne Schwarzarbeit wäre ich finanziell abgesoffen.“

Die 525 Euro zahlte übrigens Arte in Straßburg, dort gelten bei Praktika, die länger als zwei Monate gehen, ein Mindestlohn von 3,75 Euro pro Stunde, bei einer Wochenarbeitszeit von 35 Stunden sind das 525 Euro.


Anmerkung der Redaktion: Übermedien zahlt Praktikant*innen 500 Euro pro Monat.

17 Kommentare

  1. Danke. Die Überschriften bei der ZDF-Meldung letztens müsste eigentlich lauten „ZDF will weiterhin keine armen Leute für Praktikumsplatz“.

    Das Gehalt für Praktikanten ist medienübergreifend eine Frechheit. Gewerkschaften scheinen sich nicht dafür zu interessieren und die Praktikanten wollen ja verständlicherweise nicht aufmucken, am Beginn ihrer Karriere. Ich bezweifle, dass sich in Zukunft was ändern wird.

  2. Das ZDF zahlt keinen Mindestlohn.

    Freiwilliges Praktikum ( 3 Monate) – 350 Euro. Für diesen Hungerlohn hat sich das ZDF ja jetzt gefeiert.

    Dieses Praxis gibt es so oder so ähnlich bei den meisten Medien.

  3. Oh, da ist was schiefgegangen bei meinem Kommentar. Anscheinend verschluckt Übermedien alles, was zwischen zwei Spitzen Klammern steht :) (größer als, kleiner als)

    So sollte es heißen:

    Das ZDF zahlt keinen Mindestlohn.

    Freiwilliges Praktikum (weniger als 2 Monate) – 0 Euro. „Musst du wirklich jeden Tag essen?“

    Pflichtpraktikum (mehr als 3 Monate) – 350 Euro. Für diesen Hungerlohn hat sich das ZDF ja jetzt gefeiert.

    Dieses Praxis gibt es so oder so ähnlich bei den meisten Medien.

  4. Hinweis: „Praktika im Journalismus folgen einem unausgesprochenem Deal“
    „unausgeprochenen“ wäre hier korrekt.

  5. Ich fühle da mit. Eine kleine Anekdote des Frusts steuere ich bei:
    Gerade erst hatten wir in einer Uni-Veranstaltung Besuch von diversen Journalist:innen österreichischer Printmedien. Die Antworten auf die Frage, wie sie an ihre Posten gekommen sind, klagen (aus heutiger Sicht) traumhaft: „Ich hab mein Studium abgebrochen und einfach losgelegt.“ (Chefredakteur einer Wochenzeitung) zugleich: „Heute läuft das anders. Ohne Studium, bekommt ihr nur schwer überhaupt einen Praktikumsplatz.“
    Resortleiter einer anderen Wochenzeitung: „Wir haben Kooperationen mit den Journalist:innen-Schulen. Die Schüler:innen werden natürlich priorisiert .“
    Ein TV-Journalist des Öffentlich Rechtlichen machte uns aber Hoffnung: „2025 gehen bei uns einige in Rente… Dass diese Stellen wiederbesetzt werden, ist aber nicht sicher.“
    In der gleichen Woche lief ein Beitrag im DLF Kultur zum Thema junge Medienformate (Vice, zett, bento etc.) und ihr Sterben: „Ja, das war für viele Quereinsteiger aus nicht-Akademiker:innenfsmilien eine große Chance. […] Wo es das heute noch gibt – keine Ahnung.“

    Es ist bedrückend.

    Meinen Prof hab ich gefragt, ob ich dann auf so eine Journalist:innenschule soll. Er meinte aber, dass die einen nur verhunzen.
    Ja Servus, Moin und Ciao, sag ich da.
    Aber es ist Licht am Ende des Tunnels: für Ende 2022 habe ich einen Praktikumsplatz. Es wurde weder nach meinem Lebenslauf, noch nach meinem Bildungsgrad gefragt, was zähle war die Motivation. Und vorfreudig bin ich jetzt schon.

    Grüsse

  6. 1992 machte ich eine Hospitanz beim ZDF Landesstudio Düsseldorf. Damals wurde diese so gut honoriert, dass ich mir für die Zeit eine Studi-Wohnung und ein angenehmes Leben in der, verglichen mit dem Münsterland deutlich teureren Stadt erlauben konnte – und am Ende blieb noch ordentlich was über. Leider weiß ich nicht mehr, wieviel es damals gab.

    Die Frage ist also: Wann wurde die Honorierung von Praktika beim ZDF abgeschafft?

  7. Hallo Ihr Lieben,
    eigentlich müsste man diese Frage doch auf den ganzen Arbeitsmarkt ausdehnen:
    Es ist ja das Eine, wenn ein Praktikumsgeber deshalb nichts oder wenig bezahlt, weil das Praktikum nur ein paar Wochen dauert und der Praktikant kostenintensiv betreut und weiter gebildet wird.
    Aber inzwischen ist es ja Gang und Gäbe, dass junge Menschen erst mal mindestens ein Jahr umsonst arbeiten sollen und dabei gefälligst verwertbare Leistung zu erbringen haben. Dazu kommen „freiwillige“ soziale Jahre, Praktika vor dem Studienbeginn und Weitere währenddessen. Wie soll man da als junger Mensch Jahre in der Sozial- und Rentenversicherung ansammeln? Oder genug Geld verdienen um eine Familie gründen zu können? Oder private Altersvorsorge betreiben? Oder Fortbildungen finanzieren? Oder in einen Bausparvertrag einzahlen?
    Bezahlte Arbeit darf kein Privileg sein, sie ist die Grundlage unserer Volkswirtschaft. Und das bedeutet eben auch, dass Einarbeitungsphasen bezahlt werden müssen.
    Wir müssen als Gesellschaft grundsätzlich weg von der Idee der kostenlosen Arbeitskraft, egal in welcher Branche, egal in welchem Lebensalter.

    Liebe Grüße
    Jasmin

  8. @Jasmin, ich habe Andrea Nahles Stimme im Ohr „Arbeit ist Würde Für. Diese. Menschen.“
    Wallah, Arbeit ist Würde. So leicht ist’s nicht. Wie du sagst, es ist der Umgang mit Arbeit, mit unbezahlter Arbeit, mit unsicherer, befristeter Arbeit, mit „selbstständiger“ Arbeit, bzw. (wie David es eh angemerkt hat): mit Arbeitskraft und ihrer Reproduktion. D.h. dass Arbeitgeber:innen einem einen Tag frei geben, damit man 3 Tage noch inner Bar arbeiten kann. Wenn Davids Mama ihm nicht geholfen hätte – sie sich seine Reproduktionen von Arbeitskraft quasi geteilt hätten – dann hätts auch schlecht ausgesehen.

  9. Endlich schreibt es mal einer. Vielen Dank für diesen Kommentar, Olivier David.
    Ich wundere und ärgere mich schon lange darüber, wie die sozioökonomische Herkunft bzgl. Diskriminierung ausgeblendet wird. Damit geht die ganze Diskussion mit Hautfarbe, Muttersprache, sexueller Orientierung etc. zu großen Teilen an den wirlich Betroffenen vorbei.

    Denn das Problem von dunkelhäutigen, homosexuellen weiblichen Arbeiterkindern, die im Ausland geboren sind, ist ja nicht in erster Linie die Hautfarbe, die sexuelle Orientierung, das Geschlecht oder die Farbe des Reisepasses (für all das diskriminiert sie die Gesellschaft aber natürlich zusätzlich). Nein, es ist das Fehlen finanzieller Mittel, der niedrige soziale Status und der sich daraus ergebende Habitus.

    Stammte diese ausgedachte Person aus einer gutsitueriten großbürgerlichen Familie, würde sie aufgrund der genannten Merkmale trotzdem noch diskriminert, das will ich gar nicht abstreiten – ganz im Gegenteil. Aber der soziale Status und das wirtschaftliche Überleben wären zu keiner Zeit gefährdet.

    Stattdessen hat dieselbe Person nur mit Arbeitereltern keine Chance, je in den Vorstand einer Aktiengesellschaft zu kommen, wird bei Beförderungen unabhängig von den Leistungen stets übergangen („leider nicht souverän genug“) und hat keine Chance in Auswahlverfahren für hochdotierte Einstiegsstellen oder Nachwuchsförderprogramm zu bestehen – völlig egal, ob sie plötzlich weiß und hetero wird.

    Das ZDF beweist nur als ein Unternehmen von vielen, wie wenig das verstanden wird.
    Stattdessen werden jetzt Oberschichtkinder gefördert, die weiblich, dunkelhäutig oder schwul sind. Im Grund ja auch ok, schließlich werden die ja nach wie vor diskriminiert. Aber echte wirtschaftliche(!) und damit existenzielle(!) Probleme haben ihre Kumpelinnen und Kumpel, deren Eltern keinen Geschäftswagen fahren.

  10. Merke grade, dass ich mit meinem vorhergigen Kommentar zum Kommentar etwas vom Weg abgekommen bin. Kern meiner Aussage ist es jedenfalls, dass Arbeiterkindern unendlich viele (auch unüberwindbare) Hürden in den Weg gelegt werden, wenn es um gesellschaftlich angesehene und gutbezahlte Stellen geht.

    Gesprochen wird darüber aber fast nie, sondern stattdessen (endlich und wenigstens) über Diskriminierung aufgrund äußerer Merkmale sowie Herkunft, Geschlecht etc. Arbeiterkinder sind aber oft mehrfach betroffen (siehe sozioökonischer Status von Einwandererkindern).

    So funktonieren vermeintlich objektive Anforderungen (weil sie ja schließlich für alle gelten) wie (Auslands-) Praktika und/oder Auslandssemester so wunderbar als Gatekeeper für alle Nicht-OberschichtlerInnen: Sie können es sich wirtschaftlich nicht leisten und zack, kein Volo bei einer angesehen Tageszeitung und kein Studium an einer Journalistenschule.

  11. Dass ausgerechnet das ZDF Praktika so ipsig bezahlt, ist ärgerlicher als die schlechte Bezahlung generell.

    Die Klassenfrage ist hier dann nämlich tatsächlich das Hauptsieb.
    Arbeiterkinder, die Abi machen, kriegen ungeachtet von Hautfarbe, Herkunft, Religion und was nicht alles gesagt: „Studier‘ was, womit Du später mehr als wir verdienst.“
    Die Kinder Journalist werden zu lassen, ist dann tatsächlich ein Luxus.

  12. Diese Ausbeutung und dass alle mit ihr konform gehen, hat mich auf jeden Fall davon abgehalten, Journalist zu werden.
    Trotzdem habe ich großen Respekt vor allen, die sich so damit so sicher sind, dass sie lieber mit dem Kopf durch die Wand gehen, anstatt einen sicheren Weg einzuschlagen.
    Ich habe selber immer gerne über Themen geschrieben, in die ich mich sowieso hineingewühlt habe. Ich habe immer gerne recherchiert und auch ein paar aufschlussreiche Interviews geführt und es dann immer genossen, den Klickzähler aufwärts laufen zu sehen. Das gibt einem eine tolle Bestätigung, wenn man gelesen wird und die Leute den Beitrag auch noch leidenschaftlich diskutieren. Aber nach meinem FÖJ im Bereich der Erneuerbaren habe ich mir geschworen, mich nie wieder für eine 40h Woche mit einer Vergütung von 355€ ausbeuten zu lassen. Das war auch richtig so, denn heute verdiene ich auch mal 350€ oder mehr an einem einzelnen Tag und könnte es mir finanziell wieder leisten, Artikel zu schreiben. Nur fehlt mir nach 50h Arbeit in der Woche einfach die Zeit dafür und auch meine beiden ideologischen und „ehrenamtlichen“ Ausflüge in den Journalismus, in denen mir das Handwerk erklärt wurde, liegen bereits über ein Jahrzehnt zurück.

    Ich hatte damals als Unabhängiger für einen politischen Newsletter und für ein Computerspiele-Magazin geschrieben, während ich noch bei meinen Eltern lebte und Geldverdienen noch ein Sphäre war, die mir suspekt und verschlossen blieb. Ich hatte ja keine festen Arbeitszeiten, sondern schrieb einfach, wie ich lustig war. Mindestens einen guten Artikel habe ich pro Woche geschafft und mir war es einzig wichtig, von meinen Lektoren ein Lob zu bekommen. Doch seit ich meinen Lebensunterhalt selbst bestreiten muss, bedeutet es für mich eine Anmaßung, für meine Arbeit keinen oder kaum Lohn zu bekommen. Ich bin doch kein Sklave, sondern ein gleichberechtigter Teil unserer Gesellschaft! Natürlich sind Lehrjahre keine Herrenjahre, aber man muss doch auf sein Selbstwertgefühl achten und sollte sich nicht unter Wert verkaufen und auch nicht zu tief stapeln. Wenn ich Mitte 40 ausgesorgt habe und noch nicht ausgewandert sein sollte, werde ich mich definitiv der Kulturförderung widmen. Was ein großer Teil der Kulturschaffenden in Deutschland leistet, ist wirklich großartig, verdient Anerkennung und ich finde, dass das großflächig gefördert werden muss, damit man die Verwirklichung seiner Träume und das Ausleben der eigenen Talente und Interessen nicht mehr trotz, sondern auch wegen seiner Möglichkeiten schafft. Aber wenn es in Deutschland so weitergeht mit der Gleichgültigkeit der Ellenbogengesellschaft, die vor wenigen Generationen bereits die NSDAP ermöglicht hat, flüchte ich lieber vor der deutschen Ausbeutung und Missgunst, beende das Kapitel Deutschland für mich und blicke nicht mehr zurück. Das Selbstwertgefühl schließt eine Verbindung zur Heimat mit ein. Wenn diese Verbindung jedoch unerträglich werden sollte, muss man sich eine neue Heimat suchen.

  13. Okay, ich befürchte ich habe zu wenig Ahnung. Aber wenn ich eine Job ausprobieren will und ich mich für ein Praktikum entscheide, ist doch die Unverbindlichkeit gerade der Deal, oder nicht? Die Angestellten und der Arbeitgeber „opfern“ Arbeitszeit, um mir den Beruf näher zu bringen. Und ich kann vieles mitnehmen, ohne so produktiv sein zu müssen wie jene, die von dem Job leben wollen. Für mich ist klar, dass ich das nicht voll oder überhaupt entlohnt bekomme. Interessiert mich der Job aber so sehr, dass ich schon weiß, dass ich ihn ausüben möchte, entscheide ich mich doch nicht für ein Praktikum, sondern für eine Ausbildung. Und wenn ich mich im Praktikum für den Job entscheide, wechsle ich zur Ausbildung.

    Hat bei mir bislang immer so funktioniert. Schauwerbegestalter, Mediendesigner und jetzt Gärtner. Dazwischen Praktika beim Goldschmied, Gartencenter, beim Stadtentsorger und im Jugendheim.

    Ein Teil der Praktika habe ich in meinem Urlaub absolviert, um überhaupt herauszufinden, ob ich wirklich eine Änderung will. Einmal wohnte ich länger bei einem Freund, weil es ein komplett unentgeltliches Praktikum war und ich zu der Zeit keinen Job hatte. Nicht überall hätte ich sofort in eine Ausbildung wechseln können, aber durchaus nach Wartezeit. Die kann man ja anders überbrücken. Bis zur Gärtnerausbildung habe ich bei Rewe gejobbt und war regelmäßig in der Gärtnerei zu Besuch, damit sie ihren Praktikanten nicht vergessen. So erfuhr ich dann auch schnell vom freien Ausbildungsplatz.

    Ist das im Journalismus so anders? Gibt es echt keine Volontärstellen für Leute, die sich wirklich interessieren? Braucht es immer vorab das Praktikum? Dann ist es ja eher Zwang statt Freiwillig. Da müsste es tatsächlich so vergütet werden, dass dieser Berufsweg von jedem bestreitbar ist. Bei meinen Berufen hätte ich mich auch immer sofort auf einen Ausbildungsplatz bewerben können und as Praktikum wollte nur ich. Das wir mir auch wichtig, damit ich vorher weiß, mit wem ich viel Lebenszeit verbringen muss oder eben nicht will.

  14. @Nils: Dann nutzt die die Praktika genau so, wie sie immer gern von Politik und Wirtschaft verkauft werden: Um einen Einblick in einen Beruf zu bekommen, um besser entscheiden zu können, ob man das Jahrzehntelang machen möchte.

    Hut ab, übrigens, dass du sogar mehrmals das Berfufsfeld gewechselt hast. Offenbar auch erfolgreich. Muss man sich auch erstmal trauen und es dann auch hinkriegen.

    Das Problem sind Pflichtpraktika im Studium oder Quasi-Pflichtpraktika, um gute Stellen zu bekommen. Die geben Studierenden, die keine Eltern mit dickem Scheckbuch haben und ihren Kindern 1.000 pro Monat zustecken, eine simple Rechenaufgabe auf: Wie viel Zeit bindet dieses Praktikum und wie viel verdiene ich dabei? Bleibt mir daneben dann noch ausreichend Zeit und Kraft, um die fehlenden Mittel für meinen Lebensunterhalt aufzutreiben?
    Allein diese Gedanken halten ausreichend viele Arbeiter- und Kleineangestelltenkinder davon ab, ein solches Studium in Angriff zu nehmen.

    Darum müssen die Bildungspolitiker und -politikerinnen sowie die Personalverantwortlichen in Unternehmen endlich kapieren, dass Praktika keine Berufserfahrung vermitteln, sondern einfach nur einen Großteil der potenziell geeigneten BewerberInnen von vorneherein aussortiert. Und ich unterstelle, dass sie genau das tun sollen: So werden Pfründe verteidigt.

    Und ein anderer Aspekt kommt in diesem Zusammenhang auch zum Tragen: Die Fähigkeit, schon in jungen Jahren für sich selbst zu sorgen und notwendige, auch harte Entscheidungen zu treffen, wird beim Bewerbungsprozess nicht berücksichtigt. Vielmehr ist es so: „Ooohhh, Sie haben ein Praktikum im Marketing bei Audi gemacht. Wooow. GENAU solche Leute brauchen wir hier.“ und andererseits: „Wie haben Sie nochmal ihr Studium finanziert? Mit Paketeschleppen bei DHL und Pizzas ausliefern. Pfff hahaha. Jahahaa, beides ist für diese Stelle leider irrelevant. Sorry“

  15. Moin.

    Das Wort „Bubble“ taucht ja in diesem Beitrag gleich mehrfach auf und könnte möglicherweise Teil des Problems sein.

    Auch ich bin quer eingestiegen, ohne Abi, ohne Studium, ohne Eltern, die mir Zimmer oder gewaschene Wäsche geboten haben. Mit nem Gesellenbrief in ein erst unbezahltes Praktikum, dann in ein bezahltes, dann in ein Volontariat, heute habe ich einen eigenen kleinen Verlag mit sechs Festangestellten und vier festen Freien. Ich denke, dieser Weg ist nicht selten und zeigt ja auch in Ihrem Beispiel, Herr David, dass es gut funktionieren kann. Unser Beruf ist eben etwas für Überzeugungstäter, das hat ja auch etwas Gutes.

    Was mir seither häufig aufgefallen ist, sind zwei Dinge:

    1) Journalismus scheint es in Journalistenmedien immer nur dort zu geben, wo was los ist. Aber nein: auch in Neuruppin, Bleckede oder Lübeck kann man als Journalist arbeiten. Nur will dort keiner hin: Stellenausschreibungen bleiben einfach mal unbesetzt.

    2) Ich habe mittlerweile einige Praktikanten/Praktikantinnen und zwei Volontäre kommen und gehen sehen. Erstere bekommen, je nach vereinbarten Stunden, ab der 5. Woche eine faire Entlohnung, die Volontäre das, was ihnen nach Tarifvertrag zusteht. Geblieben ist keiner länger als ein Jahr. Was bei mir bleibt, ist die Erfahrung, dass der Journalisten-Nachwuchs sich eben nicht mit der Provinz oder Nischen abgeben will, sondern gerne in die Medien-Bubble eintauchen will, die man so vorgelebt bekommt. Und dementsprechend können sich die großen Medienhäuser offenbar solche Vergütungen erlauben, während andere Ressorts froh sein können, wenn der neue Bewerber nicht schon direkt im ersten Gespräch fragt, wieviel seines Volontariates/Praktikums denn aus dem Home-Office möglich sei.

    3) Das alles gilt auch für ausgelernte Kollegen.

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