„Eine unschöne Geschichte“

Streit mit libanesischem Helfer: „Spiegel TV“ findet einen Sündenbock

Claas Meyer-Heuer (rechts) und Thomas Heise bei „Leute“ Screenshot: Youtube / SWR1

Die „Spiegel TV“-Redakteure Claas Meyer-Heuer und Thomas Heise sind gerade auf Tour, um für ihr Buch über Clan-Kriminalität zu werben. Vor gut zwei Wochen waren sie zu Gast in der SWR-Talkshow „Leute“. Die Moderatorin sprach sie auch auf das Schicksal eines jungen Libanesen an, der „Spiegel TV“ bei Recherchen zu dem Thema in Beirut geholfen hatte, daraufhin Morddrohungen bekam und sein Land verlassen musste. Übermedien hatte den Fall öffentlich gemacht – und den Ärger des Mannes, der das Gefühl hat, nach seiner Flucht nach Deutschland von dem Magazin im Stich gelassen worden zu sein.

Gegenüber uns hat der „Spiegel“ damals zu den Vorgängen nur unter dem Mantel der Verschwiegenheit Stellung genommen. Im SWR-Gespräch aber nahmen Meyer-Heuer und Heise öffentlich Stellung – in erstaunlicher Weise: Sie bezweifelten, dass der betroffene ehemalige Helfer sich überhaupt so geäußert habe, wie er sich gegenüber Übermedien geäußert hat, und sie stellten einen ehemaligen „Spiegel TV“-Volontär, der an den Recherchen beteiligt war, öffentlich als möglichen Betrüger dar.

Konkrete Nachfragen von Übermedien zu dem Interview beantwortete die „Spiegel“-Pressestelle auch diesmal nicht.


Im SWR-Interview spricht die Moderatorin Nicole Köster die „Spiegel TV“-Redakteure darauf an, ob sie bei ihrer Arbeit bedroht würden, und erwähnt dann auch eine Morddrohung in Form einer Patronenkugel. Die war an den libanesischen Helfer Amir S. (Name geändert) addressiert gewesen. Meyer-Heuer hatte diese Drohung in einem „Spiegel TV“-Bericht ohne Rücksprache mit ihm öffentlich gemacht und den Eindruck erweckt, dass sie an die Redaktion gerichtet war.

„Eine unschöne Geschichte“, nennt Meyer-Heuer im SWR die Gefährdung des Helfers, und fügt hinzu: „Mittlerweile ist er aber in Sicherheit. Er ist nicht mehr im Libanon. Wir haben uns auch darum gekümmert, dass er dann in Deutschland bleiben kann, sozusagen.“

Sozusagen. Richtig ist, dass „Spiegel TV“ den libanesischen Helfer Ende 2018 zunächst unterstützt hat, zum Beispiel mit einem Brief an die Behörden und dem Hinweis, dass er nach Einschätzung von Polizeiexperten ernsthaft in Gefahr sei.

Nachdem Amir S. allerdings nur als „subsidiär schutzberechtigt“ anerkannt wurde, endete die Unterstützung. Über eine Sozialarbeiterin in seiner Asyl-Unterkunft wandte sich Amir S. konkret an Meyer-Heuer mit der Bitte, Anwaltskosten zu übernehmen, um Einspruch gegen den Asylbescheid einzulegen. Die Redaktion lehnte das nach interner Besprechung jedoch ab.

Im SWR-Gespräch stellen die „Spiegel TV“-Leute das ganz anders dar:

Moderatorin: Es gab dann noch Bitten um finanzielle Unterstützung von Anwaltskosten. Hätten Sie die übernehmen können?

Thomas Heise: Wenn das konkreter geworden wäre, wahrscheinlich Ja. (…)

Meyer-Heuer: Wir können nochmal an dieser Stelle eines klarstellen. Der Mann hat sich nie bei uns gemeldet. Das gab da immer einen Mittler zwischen … angeblich zwischen … also, an uns hat der Stringer nie Forderungen gestellt. Der hat nie gesagt: Zahlt meine Anwaltskosten. Hat der persönlich uns nie vorgetragen. Das kam über einen anderen Menschen, und diesem anderen Menschen vertrauen wir kein Stück mehr. Wir wissen nicht, ob das Geld wirklich bei ihm gelandet wäre. Deshalb … und der Mann, der möglicherweise durch unsere Arbeit ein Problem bekommen hat, hat sich an uns nie gewandt.

Mit „diesem anderen Menschen“ muss Meyer-Heuer den früheren „Spiegel TV“-Volontär Andrew M. meinen, der den Kontakt zu Amir S. hergestellt hatte und sich – anders als „Spiegel TV“ – bis heute für sein Schicksal verantwortlich fühlt.

Dass ausgerechnet der nun dafür verantwortlich sein soll, dass „Spiegel TV“ Amir S. nicht mehr unterstützt hat, ist eine atemberaubende Unterstellung. Tatsächlich hat sich Andrew M. nach seinen Erfahrungen beim „Spiegel“ und bei Spiegel-TV enttäuscht von der Redaktion und vom Journalismus abgewandt. Aber welchen Anlass soll er dazu gegeben haben, ihm als Kontaktmann zu Amir S. zu misstrauen? Und ihm sogar öffentlich die Unterschlagung von Geld zuzutrauen? Und warum hat „Spiegel TV“ dann nicht direkt den Kontakt zu Amir S. gesucht?

Vom „Spiegel“ gibt es auf all das keine Antworten.

Im SWR-Interview geben sich die „Spiegel TV“-Leute ahnungslos:

Moderatorin: Dieser junge Libanese sagt, er sei sehr enttäuscht, dass es wenig Wertschätzung gegeben hätte, und er sagt, die Zusammenarbeit, die bereut er sehr, also im Nachhinein würde er das nie mehr machen.

Meyer-Heuer: Das hat er uns gegenüber nie gesagt.

Heise: Das wissen wir nicht.

Meyer-Heuer: Das wissen wir nicht, ob das wirklich stimmt. Also, ich will das nicht anzweifeln, aber mir gegenüber hat er das nie gesagt, sozusagen. Er hat sich nie bei mir gemeldet und gesagt: Ich bin enttäuscht von dir, Claas. Ich hab mit ihm vor allen Dingen zusammen gearbeitet. Er hat sich bei mir nie persönlich gemeldet, um das an dieser Stelle mal zu sagen.

(…)

Moderatorin: Tut Ihnen das im Nachhinein leid, dass Sie jemanden in eine so schwierige Situation gebracht haben, dass dessen Leben dadurch im Grunde eine schlechte Wendung genommen hat?

Heise: Ob es wirklich ’ne schlechte Wendung genommen hat, wissen wir nicht so genau. Er wollte sowieso irgendwie raus aus dem Libanon. Der ist ja dann auch rausgekommen.

Meyer-Heuer: Nach unseren Kenntnissen.

Heise: Nach unseren Kenntnissen. Wir wissen es immmer nur aus zweiter Hand, weil wir das von ihm nie so gehört haben.

Meyer-Heuer: Die Geschichte ist nicht unkompliziert. Ich spreche kein Arabisch. Er hat damals schlechtes Deutsch gesprochen, eigentlich gar keins, und sehr schlechtes Englisch. Wir hatten damals immer einen Mitarbeiter dabei, einen Spiegel-TV-Mitarbeiter, der letztendlich mit ihm kommuniziert hat. Was sozusagen der Libanese wirklich gedacht, gefühlt und gemacht hat, das müssen Sie sozusagen den fragen, um den es vor allem geht. Derjenige, der uns jetzt vorwirft, wir hätten ihn im Stich gelassen.

Heise: Aber natürlich sind solche Geschichten immer unschön, ist doch gar keine Frage.

Meyer-Heuer: Mir tut das ja auch leid!

Heise: Wir wollen überhaupt niemand gefährden, das liegt uns total fern.

Warum behaupten die „Spiegel TV“-Redakteure, es habe keine konkrete Bitte um ein Unterstützung gegeben, wenn es eine solche Bitte gab? Wie kommen sie darauf, dass Amir S. „sowieso irgendwie raus aus dem Libanon“ wollte, weshalb die die Flucht aufgrund von Morddrohungen vielleicht nicht „wirklich ’ne schlechte Wendung“ für ihn war?

Auch auf diese Fragen will der „Spiegel“ nicht antworten. Er teilt uns nur mit:

(…) wir werden uns nicht zu konkreten Gefährdungslagen für Mitarbeitende oder zu internen Abläufen äußern. SPIEGEL TV nimmt die Fürsorgepflicht sehr ernst und tut das Mögliche, um die Reporter und Stringer zu schützen. Das gilt selbstverständlich auch für den jungen Libanesen, der uns bei den Recherchen und Dreharbeiten in Beirut unterstützt hatte.

Die „Fürsorgepflicht“ des „Spiegel“ scheint nicht für den ehemaligen Volontär zu gelten, mit dessen Arbeit man nach unseren Informationen bestens zufrieden war. Er dient als Sündenbock für zweifelhafte eigene Entscheidungen – und wird ohne jede Erklärung als jemand diffamiert, dem nicht zu trauen ist und sogar ein Betrüger sein könnte.

4 Kommentare

  1. Erst (mehrfach sogar):

    Meyer-Heuer: (…) Also, ich will das nicht anzweifeln, aber mir gegenüber hat er das nie gesagt, sozusagen. (…)

    Dann:

    Meyer-Heuer: (…) Ich spreche kein Arabisch. Er hat damals schlechtes Deutsch gesprochen, eigentlich gar keins, und sehr schlechtes Englisch. Wir hatten damals immer einen Mitarbeiter dabei, einen Spiegel-TV-Mitarbeiter, der letztendlich mit ihm kommuniziert hat. (…)

    Ist das sein Ernst?

  2. ..fehlt nur noch dass sie sagen, dass sie den Mann quasi nur vom sehen kannten, sozusagen, weil, soweit bekannt ist fand ja keine direkte Kommunikation statt, sozusagen..

    GRUNDGÜTIGER!!

  3. Oh, es geht also menschlich + professionell noch enttäuschender. Das Argument ist jetzt also daß der – des deutschen nicht mächtige- Informant sie ja nicht direkt kontaktiert hätte? Sie also rein GAR nichts wissen KÖNNEN? Und der ehemalige SPIEGEL Mitarbeiter, der der Mittler war, wird jetzt aus nicht genannten Gründen diskreditiert? Wow.

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