Die sanft neu gestaltete Zeitschrift „Architectural Digest“ (AD) „empfängt Sie nicht nur in einem aufgeräumt-klaren Look und Rhythmus“, so schreibt es der Chefredakteur Oliver Jahn im Editorial, „sondern konzentriert sich auf der Grundlage [ihrer] internationalen Einrichter-Expertise, [ihrer] exklusiven Zugänge und [ihrer] Erfahrung noch konsequenter auf die gestalterischen Höhepunkte unserer Zeit.“
Zum Vorlesen müsste man wahrscheinlich die Lippen spitzen, beim Lesen reicht es, wenn man nur den kleinen Finger abspreizt. Blasiertheit ist in diesem Fall ein Konzept, und es geht eigentlich nur um die Frage, ob es eine Blasiertheit ist, bei der man mitlachen kann.
Beim Verlag Condé Nast, in dem AD erscheint, hat man die internationale Expertise für Magazine, zu denen man immer mindestens ein bisschen aufschauen muss, die „Vogue“ zum Beispiel, die „GQ“ und den „New Yorker“ – Blasiertheit ist hier not a bug, it’s a feature.
Entsprechend überhöht ist das gesamte Magazin: Die Möbel, die Häuser, jede verdammte Salatgabel ist eben keine Salatgabel, sie ist ein Objekt, das irgendetwas aussagt. Ich bin aufgewachsen in einem Haushalt, in dem Senfgläser als Wassergläser weiterlebten; ich kann ganz ehrlich nicht sagen, ob es außerhalb der Seiten von AD noch Menschen gibt, die so leben wie die Menschen in AD es offenbar tun, aber wenn es sie gibt, dann zweifle ich daran, dass sie so viel Spaß mit dem Heft haben wie ich.
Aber das ist teilweise eine böse Freude, weil Blasiertheit unglaublich limitiert, wenn sie nicht mit unterhaltsam selbstmörderischer Arroganz gepaart ist, und die muss man sich trauen. Und können. Als arroganter Mensch amüsant zu sein, ist schon eine Kunst; es in das limitierte Konstrukt einer Zeitschrift zu packen, ist ganz hohe Kunst, schon weil (Vorsicht, plattgelatschter Journalistensatz) „Ironie in geschriebenen Texten nicht funktioniert“.
Ich versuch’s trotzdem mal.
Das Editorial der aktuellen AD beginnt mit dem Satz:
Lange Zeit waren die Lager in der Interiorwelt klar: auf der einen Seite die Puristen reinweißer Wände, auf der anderen die Verfechter von Wandfarbe und Tapete.
Die Kolumne
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er vertritt für eine Weile Peter Breuer, der für uns seit Anfang des Jahres jede Woche zum Bahnhofskiosk gegangen ist, um Zeitschriften zu entdecken.
Fragen: Was ist die Interiorwelt? Gehöre ich dazu (Raufaser)?
Aber ich lass das mal. Ich werde auch nicht darauf rumreiten, dass meiner Meinung nach Puristen entweder reinweiße Wände haben oder eben puristische Vertreter reinweißer Wände sind, aber nie Puristen reinweißer Wände. Stattdessen verweise ich auf den Anfang der Geschichte, um die es im Editorial geht. Sie beginnt mit:
Lange ließ sich die Interiorwelt in zwei Fraktionen unterteilen: Verfechter weißer Wände versus Freunde von Wandfarbe und Tapete.
Jetzt kommt ein Versuch in Ironie: Der Einstieg ist so schön, den kann man ruhig zweimal benutzen. Sie sehen: nicht lustig.
Allerdings bin ich inzwischen fast sicher: Ich bin nicht Teil der Interiorwelt.
Und bevor der falsche Eindruck entsteht: Bei allem Bullshit ist AD wunderschön. Die Objekte sind alle tot, selbst die Menschen, aber wunderschön. Ich würde lieber in AD wohnen als in meiner Raufaser-Wohnung. Allerdings ist AD gleichzeitig die erste Zeitschrift, die ich je in den Händen hatte, bei der ganz schnell klar ist, dass man mit niemandem aus der Redaktion richtig gut saufen gehen kann.
Der beste Bullshit-Halbsatz im ganzen Heft, in einer Geschichte über einen Glasbläser, erzählt von „Joseph Bleichners Cocktailgläsern ‚Tommy‘, die durch ihre perlende Gravur das Prickeln auf der Zunge vorwegnehmen, noch bevor die Olive in den Martini fällt.“ Ich wäre wahnsinnig gerne jemand, der bei diesem Satz denkt: „Wer war nochmal Joseph Bleichner“, aber ich wette schon wieder, dass meine Fraktion mehr Freude an AD hat, und wir denken: Was für ein Martini prickelt denn auf der Zunge? Olive schlecht?
Wer erträgt, dass Überschriften „Stille Tage, kein Chichi“ und „Das doppelte Jottchen“ lauten (die Hausbeitzerin heißt J.J., gnihihihi), der findet dafür Häuser und Wohnungen, die so schön und so aufgeräumt sind, dass es fast schon eine Therapie ist, sie anzustarren.
AD erspart uns weitgehend, uns über Geld Gedanken zu machen. Preise stehen vor allem bei den Objekten im vorderen Heftteil, alles andere markiert man nur innerlich mit dem Vermerk „zu teuer“, und das befreit, so wie in Träumen vom Ausgeben des Lottogewinns, wenn man merkt, dass man mit vier Millionen nicht auskommt – und lässig auf sechs erhöht.
Architectural Digest (AD)
Verlag Condé Nast
Ausgabe Juni 2016
8 Euro
14 Kommentare
Haben Sie keine anderen Sorgen? Und was für eine Überheblichkeit. Muss ich mich aufführen wie ein Prolet und Wasser aus Senfgläsern saufen, um nicht als völlig uncooler – ja, vielleicht sogar gesellschaftsschädlicher Konsumjunkie zu gelten? Als angeblicher Medienspezialist, der seinen Job nicht als Hobby und auch nicht nebenbei vom Sofa aus betreibt (wo sind Sie eigentlich über das Magazin gestolpert? Draußen, wo Sie hart und unbestechlich berichten, reportieren, analysieren?), sollten Sie wissen, dass die Leser dieser Zeitschriften halt einfach ein wenig Unterhaltung suchen. Anregungen für ein gepflegtes Ambiente. Vielleicht ein paar unerfüllbare Träume. Na wenn schon. Was diese Medien allerdings nicht sind: Wichsvorlagen für Banausen und und unterprivilegierte Journalisten, die händeringend nach Themen suchen, an denen Sie ihre doch eher mäßige Wissensbasis folgenlos einsetzen können. Eigentlich war ich gespannt auf ÜberMedien. Nach sechs Wochen ist die Enttäuschung groß. Vielleicht wäre es gut, wenn Sie alle um einen richtigen Tisch auf richtigen Stühlen sitzen, darüber nachzudenken, was vor allem in Ihrer Redaktionsstube so alles schief läuft.
Hochgeschätzter Pantelouris!
Ich möchte ein Kind von dir!
Kann mich dem Vorredner also eher garnicht anschließen.
Geiles Teil!
Das Mit-Saufen-Gehen-Können-Potential als Distinktionsmerkmal ist journalistisch völlig unterschätzt und sollte, um mit Thomas Bernhard zu sprechen: “ Anlass einer längeren Studie sein“!
Und naja. ist, nach meiner Wahrnehmung, sicher pointiert, der Artikel, aber halt grad NICHT eine stumpfe Abwatsche, sondern schaut ja genau und informiert hin.
Für mich wieder so Grund, sehr gern mich für Euren Monatsbeitrag zu ruinieren. Wenn die Kinder am Monatsende hungern und mich fragend anblicken, weil es wieder nur Zigaretten zur Milderung ihres Hungers gibt, sage ich mir: ja!
Aber ÜberMedien muss leider trotzdem.
Knihihihihi. Gerade beschlossen: Ich freu mich nicht nur heimlich!
@ Peter Gollong: Halten Sie es wirklich für unangemessen, eine Zeitschrift zu kritisieren, die schlechte Texte produziert und Luftblasen voller Distinktionsgehubere? Halten Sie es wiederum tatsächlich für salonfähig, dem Autor seine vermeintliche Unterprivilegiertheit vorzuhalten, weil Sie sich nicht vorstellen kann, dass diese Wichsvorlage für halbgebildete Snobs nur mäßig unterhält? Oder um es wirklich ganz einfach zu formulieren, auch wenn Sie es dann wohl nicht verstehen: Haben Sie denn gar keine Kinderstube genossen?
Ich hatte den Artikel bereits vor Freude weiter-empfohlen, als ich erst 3/4 durch war, und kam dann erst in den Kommentarbereich. #1 ist ein wunderbares Beispiel für „Den Text auf eine Weise als schlecht beschimpfen, die extrem offensichtlich macht, dass man sich einfach nur viel zu exakt von ihm beschrieben fühlt und beleidigt ist“. Hat den Lesewert nochmal massiv erhöht.
Also sowohl Peter Breuer als auch Michalis Pantelouris schreiben wirklich hervorragende Heftkritiken. Bitte beide behalten.
Ansonsten schließe ich mich #5 Vetaro an.
Text gut, Kommentare gut, alles gut.
Kann mich #4, #5, #6 und insbesondere Oblomow nur anschließen. Würde sofort meine Kinder verhungern lassen, um von Michalis Pantelouris neue zu bekommen.
@1:
Sie haben „Armes Deutschland!“ vergessen.
Die Heftkritiken sind für mich ein Grund mit ÜberMedien zu abonnieren.
Weiter so. Klasse.
(Um sich hier mal locker zu machen, muss ja auch mal, zwischen all dem Anspruch
Ich las grad eine Geschichte über das Sexualorgan eines im Wellnessbereich sicher sehr hart (sorry, ich musste den bringen) arbeitenden Mannes, die ich nur deshalb las, weil wenn die Namen hier, wenn die so blau, die auch sowas so uh und im Internetz machen.
Wie ich jüngst herausfand.
Dies hat mich durchaus und nachhaltig erheitert.)
Den epischen Beef zwischen rein-weiße-Wände-Puristen und den muss-bunt-sein-Leuten kennt man doch aus dem Fernsehen; erst letztens wurde ein „Bunter“ bei einem Drive-by-Angriff erschossen, die Mörder waren ganz sicher die Puristen, denn sie schrien beim wegfahren: „Wie gefallen die Farbtupfer an Deiner Hauswand JETZT!“
Gut, dass da mal jemand vermittelt.
Herrlicher Kritiker-Eiertanz: Ausgangspunkt war die AD, deren Blasiertheit kritisiert wurde. Es folgte in den Kommentaren die Kritik der Kritik – worauf (einem Naturgesetz gleich) die Kritik der Kritik der Kritik folgte. Buddhisten würden das als den endlosen Kreislauf eins Kritikerlebens bezeichnen, aus dem es nur ein Entkommen gibt: Dieser Artikel kann nur ins Nirwana entschwinden, wenn schlussendlich ein AD-Redakteur Größe zeigt und gar nichts dazu schreibt…
Dank der treffenden Beschreibung dieser überhippen Glanzwelt habe ich wirklich längere Zeit überlegt, ob es wirklich Leute gibt, die von Berufs wegen Häuser (also vermutlich dann Holzhäuser) bei(t)zen, oder ob es doch nur ein schnöder Schreibfehler war…
Haben Sie keine anderen Sorgen? Und was für eine Überheblichkeit. Muss ich mich aufführen wie ein Prolet und Wasser aus Senfgläsern saufen, um nicht als völlig uncooler – ja, vielleicht sogar gesellschaftsschädlicher Konsumjunkie zu gelten? Als angeblicher Medienspezialist, der seinen Job nicht als Hobby und auch nicht nebenbei vom Sofa aus betreibt (wo sind Sie eigentlich über das Magazin gestolpert? Draußen, wo Sie hart und unbestechlich berichten, reportieren, analysieren?), sollten Sie wissen, dass die Leser dieser Zeitschriften halt einfach ein wenig Unterhaltung suchen. Anregungen für ein gepflegtes Ambiente. Vielleicht ein paar unerfüllbare Träume. Na wenn schon. Was diese Medien allerdings nicht sind: Wichsvorlagen für Banausen und und unterprivilegierte Journalisten, die händeringend nach Themen suchen, an denen Sie ihre doch eher mäßige Wissensbasis folgenlos einsetzen können. Eigentlich war ich gespannt auf ÜberMedien. Nach sechs Wochen ist die Enttäuschung groß. Vielleicht wäre es gut, wenn Sie alle um einen richtigen Tisch auf richtigen Stühlen sitzen, darüber nachzudenken, was vor allem in Ihrer Redaktionsstube so alles schief läuft.
Hochgeschätzter Pantelouris!
Ich möchte ein Kind von dir!
Kann mich dem Vorredner also eher garnicht anschließen.
Geiles Teil!
Das Mit-Saufen-Gehen-Können-Potential als Distinktionsmerkmal ist journalistisch völlig unterschätzt und sollte, um mit Thomas Bernhard zu sprechen: “ Anlass einer längeren Studie sein“!
Und naja. ist, nach meiner Wahrnehmung, sicher pointiert, der Artikel, aber halt grad NICHT eine stumpfe Abwatsche, sondern schaut ja genau und informiert hin.
Für mich wieder so Grund, sehr gern mich für Euren Monatsbeitrag zu ruinieren. Wenn die Kinder am Monatsende hungern und mich fragend anblicken, weil es wieder nur Zigaretten zur Milderung ihres Hungers gibt, sage ich mir: ja!
Aber ÜberMedien muss leider trotzdem.
Knihihihihi. Gerade beschlossen: Ich freu mich nicht nur heimlich!
@ Peter Gollong: Halten Sie es wirklich für unangemessen, eine Zeitschrift zu kritisieren, die schlechte Texte produziert und Luftblasen voller Distinktionsgehubere? Halten Sie es wiederum tatsächlich für salonfähig, dem Autor seine vermeintliche Unterprivilegiertheit vorzuhalten, weil Sie sich nicht vorstellen kann, dass diese Wichsvorlage für halbgebildete Snobs nur mäßig unterhält? Oder um es wirklich ganz einfach zu formulieren, auch wenn Sie es dann wohl nicht verstehen: Haben Sie denn gar keine Kinderstube genossen?
Ich hatte den Artikel bereits vor Freude weiter-empfohlen, als ich erst 3/4 durch war, und kam dann erst in den Kommentarbereich. #1 ist ein wunderbares Beispiel für „Den Text auf eine Weise als schlecht beschimpfen, die extrem offensichtlich macht, dass man sich einfach nur viel zu exakt von ihm beschrieben fühlt und beleidigt ist“. Hat den Lesewert nochmal massiv erhöht.
Also sowohl Peter Breuer als auch Michalis Pantelouris schreiben wirklich hervorragende Heftkritiken. Bitte beide behalten.
Ansonsten schließe ich mich #5 Vetaro an.
Text gut, Kommentare gut, alles gut.
Kann mich #4, #5, #6 und insbesondere Oblomow nur anschließen. Würde sofort meine Kinder verhungern lassen, um von Michalis Pantelouris neue zu bekommen.
@1:
Sie haben „Armes Deutschland!“ vergessen.
Die Heftkritiken sind für mich ein Grund mit ÜberMedien zu abonnieren.
Weiter so. Klasse.
(Um sich hier mal locker zu machen, muss ja auch mal, zwischen all dem Anspruch
Ich las grad eine Geschichte über das Sexualorgan eines im Wellnessbereich sicher sehr hart (sorry, ich musste den bringen) arbeitenden Mannes, die ich nur deshalb las, weil wenn die Namen hier, wenn die so blau, die auch sowas so uh und im Internetz machen.
Wie ich jüngst herausfand.
Dies hat mich durchaus und nachhaltig erheitert.)
Den epischen Beef zwischen rein-weiße-Wände-Puristen und den muss-bunt-sein-Leuten kennt man doch aus dem Fernsehen; erst letztens wurde ein „Bunter“ bei einem Drive-by-Angriff erschossen, die Mörder waren ganz sicher die Puristen, denn sie schrien beim wegfahren: „Wie gefallen die Farbtupfer an Deiner Hauswand JETZT!“
Gut, dass da mal jemand vermittelt.
Herrlicher Kritiker-Eiertanz: Ausgangspunkt war die AD, deren Blasiertheit kritisiert wurde. Es folgte in den Kommentaren die Kritik der Kritik – worauf (einem Naturgesetz gleich) die Kritik der Kritik der Kritik folgte. Buddhisten würden das als den endlosen Kreislauf eins Kritikerlebens bezeichnen, aus dem es nur ein Entkommen gibt: Dieser Artikel kann nur ins Nirwana entschwinden, wenn schlussendlich ein AD-Redakteur Größe zeigt und gar nichts dazu schreibt…
Dank der treffenden Beschreibung dieser überhippen Glanzwelt habe ich wirklich längere Zeit überlegt, ob es wirklich Leute gibt, die von Berufs wegen Häuser (also vermutlich dann Holzhäuser) bei(t)zen, oder ob es doch nur ein schnöder Schreibfehler war…