„Größte ökonomische Krise“

Schlechte Zeiten für fiktionales Fernsehen?

„Sturm der Liebe“: Dreharbeiten nach Corona-Pause Foto: ARD/C. Arnold

Covid-19 hat in den vergangenen Monaten die Produktion von Filmen und Serien praktisch zum Stillstand gebracht: Zwei Drittel aller TV- und Film-Produzenten in Europa mussten ihre Produktionen stoppen, zumindest vorübergehend. Das ist das vorläufige Fazit von Elena Lai vom Europäischen Film- und TV- Produzentenverband CEPI. Hinzu kommt, dass sämtliche privaten TV-Sender drastische Verluste bei den Werbeeinnahmen zu verzeichnen haben.

RTL hat angekündigt, im zweiten Halbjahr mehr Unterhaltungsformate, mehr Wiederholungen, aber kaum neue fiktionale Produktionen zu bringen. „Wir mussten unter anderem die Produktion von ‚Alarm für Cobra‘ schieben, können derzeit aber weiter produzieren“, sagt ein Sprecher des Senders. Aussetzen musste auch die Serie „Der Lehrer“. Ein Film über Tennis-Legende Boris Becker soll ebenfalls erst im nächsten Jahr produzieren werden.

Schlechte Zeiten also für teure, aufwändige fiktionale Produktionen?

RTL gibt sich trotz allem optimistisch: Durch die Verschiebung geplanter Projekte sei der Ausstrahlungsoutput in diesem Jahr gemindert, aber dafür gebe es im nächsten Jahr umso mehr, heißt es.

ProSiebenSat.1: „Wir setzen alle geplanten Projekte um“

Auch Jana Kaun, „Vice President Local Fiction“ bei ProSiebenSat.1, ist zuversichtlich: „Ein paar Projekte mussten wegen der Beschränkungen vorübergehend pausieren, aber mittlerweile wurden alle Dreharbeiten wieder aufgenommen.“ Das betrifft die Sat.1-Miniserie „Du sollst nicht lügen“, den Krimi „Todesurteil“ sowie die zweite Staffel von „Frau Jordan stellt gleich“, einer gemeinsamen Produktion mit Joyn. Ein geminderter Fiction-Output sei nicht zu befürchten, so Kaun: „Wir setzen alle geplanten Projekte um.“

Aber kann das jetzt tatsächlich schon feststehen?

Grégoire Polad kommt anlässlich des Cannes Marché du Film zu einer deutlich pessimistischeren Einschätzung. Er sagt:

„Aktuell erleben wir die größte ökonomische Krise, der wir jemals gegenüberstanden.“

Der Chef der Association of Commercial Television in Europe findet es paradox, denn gerade in dieser größten Krise sei die Nutzung höher denn je. Polad sieht das größere Problem deshalb woanders: bei den internationalen Herausforderern, die keiner Regulierung unterlägen. „Wir benötigen gleiche Bedingungen für alle Marktteilnehmer“, fordert er.

Polad spielt damit etwa auf die Regulierungsbehörden an, die aus wettbewerbsrechtlichen Gründen sender-übergreifende Video-Plattformen deutscher TV-Anbieter verboten haben oder so stark regulierten, dass sie sinnlos erschienen, während große US-Player quasi ohne Einschränkungen in die nationalen Märkte vordringen können. Außerdem sind die großen US-Internetplattformen, die auch eigene Programme anbieten, so etwas wie Gatekeeper, wenn es um die Auffindbarkeit von Inhalten und Mediatheken geht. Hier fürchten klassische Fernsehsender, in den Hintergrund gedrängt zu werden.

Auch die Filmfinanzierung sei ins Schleudern geraten, gerade bei den unabhängigen Produzenten gebe es einen erheblichen Bedarf an finanzieller Unterstützung, sonst sei die Existenz dieser Unternehmen gefährdet.

Vier Millionen Euro für eine Serienfolge

In einem Worst-Case-Szenario, das Gilles Fontaine vom European Audiovisual Observatory entwarf, könnte die Covid-19-Krise zu einer systemischen Krise werden, mit einer tiefgreifenden Rezession, die auch das TV-Werbegeschäft aushöhlt. Die Einkünfte der Öffentlich-Rechtlichen sowie der Filmförderungen wären ebenso betroffen wie die von Pay-TV-Sendern und -Plattformen, die Rückgänge zu erwarten hätten, weil die Konsumenten sparen müssten.

Und das zu einer Zeit, in der die Ausgaben für die so beliebten Highend-Serien immer weiter steigen. Für die ZDF-Serie „Der Schwarm“, die in Vorbereitung ist, hatten die Macher ein Budget von vier Millionen Euro pro Folge angekündigt. Das wäre doppelt so viel wie für eine Episode von „Babylon Berlin“.

Schon jetzt sind die Verluste der privaten Sender bei den Werbeeinnahmen dramatisch. Für die Monate April und Mai gab der Vorstandssprecher der ProSiebenSat.1-Gruppe, Rainer Beaujean, ein Minus von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum an, „auch im Juni sehen wir noch keine Verbesserungen“. Im Vergleichszeitraum, dem zweiten Quartal 2019, konnten die Münchener 947 Millionen Euro Umsatz vermelden. Der Großteil davon wurde mit klassischer TV-Werbung erzielt. Ein Minus von 40 Prozent bedeutet also viele Millionen Euro weniger Umsatz.

„Ordentlich Probleme“ durch Verschiebungen

Bei der RTL-Gruppe dürfte es ähnlich sein, auch wenn die Verantwortlichen keine Zahlen nennen möchten. RTL-Chef Jörg Graf hatte neulich in einem Interview mit dem Fachdienst DWDL bestätigt, dass die Drehverschiebungen dem Sender „ordentlich Probleme“ bereitet hätten. Aufwändige Neustarts von Serien oder anderen Inhalten ergäben einfach keinen Sinn, wenn Kunden die Werbeplätze nicht ausreichend belegen würden.

Moritz von Kruedener von der Produktions- und Filmhandelsgruppe Beta Film rechnet angesichts der Einbußen „natürlich“ mit Auswirkungen auf die Programmentscheidungen der privaten Anbieter. Es sei aber noch zu früh, zu sagen, dass Sender oder Plattformen raus wollten aus der Fiction, um nur noch Non-Fiction und Sport zu machen – „das wäre zu vereinfacht und eine völlig falsche Schlussfolgerung“.

Auch Beta-Film-Projekte wurden verschoben oder unterbrochen, etwa die Serie „Wild Republic“ für die Deutsche Telekom und die ARD oder „Katakomben“ für die Plattform Joyn. „Die beiden großen privaten Sender-Gruppen, ProSiebenSat.1 und RTL, haben lange vor Corona ihre Plattformen gestartet, sind sehr aktiv und beauftragen spannende Projekte“, sagt Kruedener. Das sei auch weiterhin in vollem Gange, „und sie wagen viel“:

„Ich glaube nicht, dass hier die großen Sendergruppen und Player das ganze Fiction-Segment der Konkurrenz überlassen werden.“

15 Millionen neue Netflix-Abonnent*innen

Damit spricht er eine Entwicklung an, die mit Corona deutlicher ist denn je: die Vorherrschaft der Plattformen. Netflix beispielsweise konnte nach eigenen Angaben Anfang des Jahres rund 15 Millionen neue Abonnements generieren, hauptsächlich in Europa. Und eine aktuelle Studie von Deloitte kommt zu dem Ergebnis, dass der durchschnittliche US-Verbraucher jetzt für vier verschiedene Dienste zahlt – vor Ausbruch der Pandemie waren es noch drei.

„Schon vor Covid-19 war das System in einer fragilen Balance, durch Stagnation bei den Ressourcen und Druck bei der Finanzierung von Inhalten, gerade mit Blick auf das wettbewerbsintensive Genre der Highend-Serien“, analysiert Gilles Fontaine vom European Audiovisual Observatory. „Die Pandemie hat jetzt lediglich Trends beschleunigt, die schon zuvor existent waren.“

Das sieht von Kruedener auch so. Er weist vor allem auf die neuen Produktionskooperationen hin, die vor kurzer Zeit undenkbar waren, etwa bei der Serie „Mapa“, die gemeinsam von Joyn und RBB beauftragt wurde. „Mapa“ kam zwar schon 2019 heraus, solche Kooperationen von Sendern könnten aber künftig noch häufiger vorkommen. Der Corona-bedingte Produktions-Engpass in den USA habe außerdem auch erhebliche Auswirkungen, schätzt der Medienmanager:

„Eine halbe US-Season scheint auszufallen und die deutschen Sender und Plattformen werden ihre dadurch freigewordenen Budgets eher für Eigenproduktionen einsetzen.“

Überaus optimistisch schätzt Nico Hofmann die Lage ein. Als Chef eines der größten deutschen Produktionsunternehmen, der UFA, stellt er für sein Unternehmen bisher überhaupt keinen Rückgang bei der Nachfrage fest:

„Alle Sender müssen sich überlegen, wie sie sich gegenüber den großen US-Plattformen behaupten, und dabei benötigen sie dringend attraktive Inhalte für ihre eigenen Onlineangebote, von einem Investmentstau bemerken wir nichts – uns geht es so gut wie noch nie.“

Weniger Werbung im Fernsehen

Ob das tatsächlich so bleibt? Fontaine jedenfalls wagt eine interessante Prognose zu den Folgen der Pandemie auf die Branche:

„Internetwerbung wird sich noch viel mehr durchsetzen, weil sich auch der Medienkonsum noch mehr in der digitalen Welt abspielen wird. Die Werbe-Budgets werden sich also noch mehr von den TV-Sendern wegbewegen, was das gesamte System weiter umkrempeln wird.“

6 Kommentare

  1. Warum sollte der kalkulierbare Schaden durch die „Maßnahmen“ ausgerechnet die Medienbranche verschonen, die diese Maßnahmen in ihren Formaten überwiegend unterstützt?
    „die Vorherrschaft der Plattformen“
    Diese zu verstärken, ist sehr wahrscheinlich eines der Ziele des Great Reset. China ist einerseits der große Buhmann, andererseits aber heimliches Vorbild bei der robusten Durchsetzung solcher Pläne.

  2. Der Autor hat Recht: Die Medienbranche war ohnehin in einem starken Wandel. Durch die Covid19-Krise wird diese Entwicklung verstärkt. Sie begünstigt digitale Plattformen, die durch Abos finanziert werden. Vermutlich dürften diese Abos auch im Falle einer weltweiten, sehr schweren Rezession länger Bestand haben, als die Werbegelder für traditionelle Medien. Was den Wandel weiter vorantreiben dürfte.

  3. @ST/Nr.2
    Wie günstig die Corona-Krise für die Abo-Plattformen letztendlich wird, bleibt wohl noch abzuwarten, besonders wenn man sich betrachtet, wie schnell Trump seine eigene Bevölkerung reduziert und ein großer Teil dort arbeitslos wird. Ein Abo dürfte bei knapper werdendem Geld schneller gekündigt werden, als der Kauf von Lebensmittel mit im Preis einkalkuliertem Werbekostenanteil eingestellt werden. Ob die Konsumgüterhersteller, deren Kundschaft ja auch weniger wird, diese Werbekostenanteile auch tatsächlich bei den Sendern investieren (können) ist dann natürlich die nächste Frage.

  4. …kürzlich habe ich gelesen, das ARD/ZDF wegen fehlender Sportsendungen ein Problem damit hätten, diese freigewordenen Sendezeiten zu füllen.
    Das zu Glauben fällt sehr schwer, insbesondere beim ZDF.
    Denen wird doch nicht dieser Rotznasenhaarträger Lichter in die Backstube entflohen sein(…noch en Tomätschen un en Zwiebelsche ohm dobei op dat Brötsche drup…“)?
    Naja, kann man ja en Knöpsche drücken und auf Euronews schalten…
    Oder ganz aus und per DAB KlassikRadio…
    Ist zwar auch meistens Konserve aber wenigstens gehen Mozart und Co. klanglich immer.
    Warum eigentlich habe ich beim Anblick von Lichter immer den dringenden Wunsch,
    mir mit einem Sturmfeuerzeug ihm gegenüberstehend eine Zigarette anzünden zu wollen?

  5. Irgendwie kann ich den Zusammenhängen dieses Artikels nicht folgen. Wir starten mit der Frage „Schlechte Zeiten für Fiktionen?“ Bei RTL: ja. Und bei ProSiebenSat1? Eigentlich nicht. Dafür aber die Werbeeinnahmen! Um das zu untermauern, wird dann ein Vertreter des Interessenverbandes der privaten TV-Anbieter zitiert, der verweist aber auf die internationale Konkurrenz, und dass diese strukturell bevorteilt wäre (weil deutsche Anbieter nicht beliebig Jointventures bilden dürfen). Als Beispiel dafür dann (u.A.) die Plattform der ÖR – die ja aber doch kaum Werbeeinnahmen generieren (müssen). Gleichzeitig steigen die Produktionskosten (ob das tatsächlich so ist, bleibt offen), hier wieder ein Beispiel der ÖR. Das davon auch die Filmförderung betroffen ist, müssen wir dann so hinnehmen, wird leider nicht weiter ausgeführt. Dann wird noch weit ausgeführt, dass werbefinanziertes Fernsehen in der Krise ist und Plattformen ala Netflix auf dem Vormarsch. Aber was hat das alles jetzt speziell für die fiktionalen Inhalte zu bedeuten? Und ist es nicht eher so, dass fiktionale Inhalte gerade besonders nachgefragt werden, wenn man sich das Repertoire von Netflix anschaut? Wollte man nur die systematische Krise des werbefinanzierten TV beleuchten – warum dann aber unter dieser Überschrift?

  6. Mich hat heute ein Gedanke bewegt und dies ist der erste Corona-Beitrag, bei dem er einigermaßen als Kommentar passt.
    Kann es sein, dass wir alle durch (aus welchen Gründen auch immer) falschen Filmen und Serien ein falsches Bild von den Jahren 1918 bis 1920 im Kopf haben?
    In einem der vielen Fact-Chacts zu Trump auf CNN wurde diese Woche erwähnt, dass in diesen Jahren in den USA die Spanische Grippe herrschte. Bei einem Artikel zu dieser Grippe waren in den vergangenen Wochen auch Bildern von Masken tragenden Menschen zu sehen. In den USA gab es während der Grippe irgendwann auch eine Maskenpflicht. Welche Maßnahmen damals in Europa getroffen wurden, ist mir leider nicht über den Weg gelaufen, aber ich gehe mal davon aus, dass man seinerzeit auch nicht tatenlos zusah.
    Schon zu Beginn der Corona-Krise war ich (als 50-Jähriger) relativ überrascht über den Vergleich mit der Spanischen Grippe. Ja, den Begriff hatte ich irgendwann mal gehört, aber wann das Ereignis zeitlich zu verorten war, war mir überhaupt nicht bewußt. Heute habe ich mir die Frage gestellt, warum man mit dem Begriff so wenig anfangen kann, obwohl es doch eigentlich so viel fiktionale Geschichten aus den betroffenen Jahren gibt. Wird das Thema da einfach immer ausgeblendet, weil man dann zu viel über die Verhältnisse der Jahre erklären müsste, was dann von der eigentlichen Handlung ablenken würde?
    Die erste Staffel von „Downton Abbey“ beginnt 1912, am Ende zieht Hugh Bonneville in den ersten Weltkrieg, aus dem er zu Beginn der zweiten Staffel zurückkehrt. Spätestens an dem Punkt hätte die Spanische Grippe in der Serie doch vorkommen können/müssen.
    Die ersten Folgen von „Boardwalk Empire“ spielen 1920. Ich könnte mich nicht daran erinnern, dass die Spanische Grippe dort in irgendeiner Form erwähnt wurde, aber irgendeiner hatte immer noch mit den Kriegsfolgen zu tun.
    Ich bin nach wie vor etwas fassungs- und ratlos darüber, dass ich so wenig über die Spanische Grippe wusste. Falsche Filme wären immerhin eine Erklärung dafür.

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