Der Recherche-Marathon der EM-Reporter
Weil ja bald Europameisterschaft ist und unsere Jungs, wie man so sagt, schön fit sein sollen, wenn sie dort antreten, fährt die Fußball-Nationalmannschaft am Dienstag nochmal ins Trainingslager. Für die Journalisten, die mitreisen, um darüber zu berichten, ist das nicht so schön, denn: Das Trainingslager ist in Ascona in der Schweiz, wo die Häuschen süß im Hang stecken und unten, am Fuß, der Lago Maggiore in der Sonne glitzert, bei derzeit um die 20 Grad.
An diesem unwirtlichen Ort müssen die Reporter nun mehr als eine Woche arbeiten, also Pressekonferenzen besuchen, Trainings beobachten, solche Sachen. Außerdem ist ihnen nun das „Vorläufige Programm für akkreditierte Journalisten während des Trainingslagers in Ascona“ zugegangen. Und das ist wirklich ein, um es sportlich auszudrücken, harter Recherche-Marathon.
Angeboten wird das Programm von der Tessiner Tourismusagentur. Eine Sprecherin sagt, man wolle zeigen, was das Tessin zu bieten habe. Vieles gebe es in Deutschland ja gar nicht, „und vielleicht schreibt der ein oder andere da ja was.“ Man habe das schon einmal angeboten, in Kooperation mit dem DFB. 2008 war das, „und das war sehr gut“.
Damals richtete der DFB sein Trainingslager ebenfalls in Ascona aus, und die Journalisten kamen und schrieben. Damit das erneut so gelingt, werden den Journalisten kostenlose „Rechercheausflüge“ angeboten, finanziert von der Tourismusagentur, sagt die Tourismusagentur. Der DFB zahle nichts. Aber er ist zumindest mit Logo auf dem Cover der Broschüre, die der Tourismusverband für die Journalisten gedruckt hat. Im Editorial steht:
Wir haben für Sie thematische Ausflüge zusammengestellt, damit Sie einige der Perlen unseres Kantons entdecken können.
So, und jetzt: Bereit? Hunger mitgebracht? Feste Schuhe? Leichte Garderobe?
Am Dienstag reisen die Journalisten an, abends gibt es erst mal ein „Welcome-Dinner“ und eine „Lounge Bar“ in Locarno. Bisschen beschnuppern also, ein Häppchen essen, rumstehen. Dann Bett.
Am Mittwoch gleich arbeiten. Am Nachmittag geht’s zum „Rechercheausflug ‚Golf Club Patriziale Ascona‘, wo endlich aufgedeckt werden soll, wie dieses Golfspielen funktioniert. Die Ergebnisse der Recherche werden dann am Abend im „Putting Team-Wettkampf“ zusammengetragen und ausgewertet.
Donnerstag: „Rechercheausflug“ auf eine Teeplantage.
Am Freitag sollte jeder teilnehmende Sportjournalist zusehen, dass er das Ralph-Lauren-Polo nochmal bügelt, sonst fällt man unter Umständen auf beim „Willkommensaperitif im Yachtsport Resort“ und der „anschließenden Ausfahrt auf Segelyachten (Dauer 1 St.) auf dem Lago Maggiore“.
Am Samstag geht es dorthin, wo Journalisten eh häufig recherchieren, auch privat: zum „Tag der offenen Weinkeller“.
Am Sonntag müssen auch Sportreporter mal etwas kürzer treten; man kann ja nicht die ganze Zeit malochen. Deshalb ist heute lediglich eine „Sushi-Degustation“ vorgesehen und ein Dinner, „inklusive Weinbegleitung“.
Am Montag dann der brisanteste Termin der Recherchereise. Es geht zum Castello di Montebello in Bellinzona, wo ein „einzigartiges und unvergessliches Erlebnis“ auf die Journalisten wartet:
Nehmen Sie an der Herstellung ihres eigenen Salame dei Castelli di Bellinzona teil und entdecken Sie die Geheimnisse dieser traditionellen Tessiner Spezialität!
Zum Abschluss nehmen Sie an einer Degustation im Hof der Burg Montebello teil und genießen dabei den Blick auf die Burg Castelgrande und die Altstadt von Bellinzona.
Eine eigene Salami!
(Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass hinter dieser Wurst-Aktion der Präsentkorbhändler Martin Sonneborn steckt. Aber eher unwahrscheinlich.)
Und wir sind ja noch nicht am Ende.
Dienstag: „Entspannungsreise entlang dem Yoga-Weg“. Dann Radtour.
Mittwoch: „Flugvorführung“ in einer Falknerei. Danach: Stand Up Paddling.
Donnerstag geht es mit der Gondelbahn auf den Monte Tamaro, mit einem Kirchbesuch und Rodelbahn, was sicher sehr anstrengend wird, aber: „Anschließend können Sie sich im Splash & Spa Tamaro in Rivera vergnügen.“ Wer darauf keine Lust hat, kann auch einfach was essen gehen.
Ach, ganz ehrlich? Sportreporter müsste man sein.
Falls Ihnen bald vermehrt Berichte auffallen, die das Kanton Tessin als Urlaubsregion preisen, dann wissen Sie jedenfalls, wann die Journalisten das recherchiert haben. Und der DFB steht mit lobenden Werbeworten zur Seite.
Oliver Bierhoff zum Beispiel, der Team-Manager des DFB, findet das Tessin „einmalig“, wie die Tourismusagentur schreibt, und an dem Luxus-Hotel, in dem die Mannschaft absteigt, schätze er die Gastfreundschaft und Diskretion. So wird er in der Hochglanzbroschüre für Journalisten zitiert. Und wie der Sportinformationsdienst (SID) schon 2015, mit Bezug auf Bierhoff, verbreitete, biete diese Herberge „die besten Voraussetzungen“.
Und die ersten Artikel, die von „verwunschenen Dörfern“schwärmen, in denen man „die Nähe zu Italien“ spüre, die gibt es ja auch schon. Und Fotostrecken vom Hotel. Was auch daran liegt, dass die Schweiz Tourismus und die Giardino Group, die das Hotel betreibt, bereits eine Recherchereise spendiert haben, über die zum Beispiel „Die Welt“ berichtet hat.
Die Tourismusagenturen wird das sicher alles freuen. Wie 2008.
Die Broschüre über die „Rechercheausflüge“ können Sie hier einsehen.
Nachtrag 22.5.2016. Der Pressesprecher der Nationalmannschaft hat auf unsere Anfrage hin mitgeteilt, dass die Journalisten ihre Reisen zum Trainingslager selbst buchen bzw. von ihren Redaktionen entsandt würden. Das Begleitprogramm habe die Region Tessin entwickelt; sie wolle sich „als guter Gastgeber“ präsentieren. Zum Trainingslager werden laut DFB rund 250 Journalisten erwartet.
Fußball, nach meinen erfahrungen als einer von vielen regelmäßigen Niggemeier-Blog-Leser-Kommentatoren ist aber auch eine hermetische, kritikfreie und irgendwie auch humorlose Zone, so wollen es die Fans und Macher. Spaß als Wirtschaftsfaktor.
Die Wikipedia sagt übrigens „das Tessin“. „Der Tessin“ klingt eher seltsam.
@STE
Fußball oder Fußballberichterstattung bzw.- journalismus?
Kritikfrei ganz und gar nicht, je nachdem was man liest. Leider sind ARD und ZDF an vorderster Front sich mit dem DFB und er DFL gutzustellen. Dort findet nicht der Hauch von Kritik statt, was natürlich super in den Informationsauftrag rein passt.
Ich empfehle ja gerne die FAZ Sportseiten. Mit das Beste am Markt.
Wo kann ich mich anmelden?
P.S. Lear-Jet ab Köln-Bonn bitte!
@2 Calafati: Ok, ich hab das mal geändert. Danke.
Sind so viele Businesspartner und Sekundärsponsoren, wünschen auch alle etwas TV-Logopräsenz, mehr Mitgefühl bitte, für die Gladiatoren in diesen unbarmherzigen Existenz-Kampf.
Eine Tabelle mit der Anzahl abgesandter Reporter vor Ort im Vergleich mit irgendeinem nur politisch relevanten Kongreß fände ich aber schon interessant.
Aber: Wer die nötige Anzahl altersgerechte Brand-contacts zusammenbekommt, hat recht. Auch wenn sogar Fussballjunkies wie ich sich fragen, wer so was nur guckt?
Off-topic: Hat jemand die Eröffnungsfeier zum Pokalfinale gestern gesehen? Haben da Helmut Kohl und Gerhard Meyer-Vorfelder die künstlerische Leitung übertragen bekommen?
Wer verantwortet in der DFL, ernsthaft gefragt, eigentlich derart aus der Zeit gefallene Peinlichkeiten?
@symboltroll
Abgesandte Reporter beim DFB Pokalfinale? So ca. 3. Und nun?
Danke für den Hinweis, da habe ich diesen Artikel dann doch wohl falsch verstanden.
PS: Seit wann wird das Pokalfinale eigentlich am Lago Maggiore ausgespielt?
@Boris: „Der Tessin“ wird nur für den gleichnamigen Fluss verwendet, allerdings meist unter dem einheimischen Namen „Ticino“.
Was aber definitiv falsch ist und für jeden Schweizer schrecklich klingt, ist „das Kanton“ anstelle von „der Kanton“. Man sagt zwar „das Tessin“ oder „das Appenzell“, es ist aber immer „der Kanton Tessin/Appenzell/etc.“.
Der T-Online Artikel wurde schon vor dem Termin der Reise publiziert – ergo hat die Autorin das wohl anders gelöst…nur mal so…
Ich bin neulich richtiggehend erschrocken, als mir bewusst wurde, dass ich noch nie ein Interview mit einem amtierenden Nationalspieler gesehen habe, in dem der Spieler gefragt wurde, ob er schon einmal die Produktionsstätten in Asien besucht hat, in denen fleißige Näherinnen seinen Namen auf die Trikots mit den Sternen aufbringen.