Bahnhofskiosk

Die Verschränkung von Konsum und Brutpflege

Wer liest eigentlich „Eltern“, wenn nicht einmal Eltern „Eltern“ lesen? Oder hat jemals jemand Eltern gesehen, die sich um das Magazin balgten? „Hast Du die ‚Eltern‘, Schatz? Ich muss gleich zum Friseur!“ – „Nein, die hattest Du doch gestern in der Badewanne dabei!“

Eben.

Zumindest mir ist nie in den Sinn gekommen, „Eltern“ zu lesen. Weder vor der schicksalshaften Niederkunft, wenn die Rolle als Vater noch unbekannt und die Unsicherheit so groß ist, dass sich bereits die heiteren Ratgeber von Remo H. Largo stapeln, noch in den zwölf Jahren danach, wie ereignisreich und von den üblichen Wechselfällen geprägt sie auch gewesen sein mochten.

Keine „Eltern“.

Nie lag bei befreundeten Paaren mit postnataler Belastungsstörung „Eltern“ auf dem Klo unter der „Zeit“ – höchstens mal „Nido“, das Magazin für „junge, moderne Eltern“, zu jung und modern jedenfalls für „Eltern“; man will ja nicht werden wie die eigenen Eltern, obwohl die auch nie „Eltern“ lasen.

Nie blätterte versonnen eine alleinerziehende Mutter auf dem Piratenspielplatz in „Eltern“; nie blieb auch nur eine „Eltern“ irgendwo im ICE liegen, selbst wenn das Familienabteil noch so nach säuerlichen Bäuerchen roch; nie blätterte ein besorgtes Elternpaar im Wartezimmer der Kinderärztin – wobei … doch, halt! Genau dies ist das natürliche Revier von „Eltern“.

34.000 „Eltern“ in sicheren Händen

Gedruckt werden davon knapp 200.000 Hefte, von denen rund 75.000 wieder eingestampft werden. Im Einzelverkauf gingen zuletzt rund 7.700 über die Theke, unter dem Rubrum „Sonstige“ versickern immerhin etwa 16.600 Exemplare nach Gottweißwohin. Als Abo sind derzeit rund 34.000 „Eltern“ in sicheren Händen. („Karl-Heinz, was schenken wir denn der Lisa-Marie, wenn sie uns endlich zu Großeltern macht? Hast du eine Idee? Karl-Heinz?“)

Aber satte 67.723 „Eltern“-Ausgaben arbeiten in neutralen Schutzumschlägen des „Lesezirkels“ emsig an ihrer Reichweite, die „Eltern“ auf etwa 1,01 Millionen Menschen schätzt, und an der Bewusstseinsbildung der wartenden Vormünder (m/w). Also in den Praxen der Kinder- und Frauenärzte.

Wenn das so ist, wie verdient Gruner+Jahr mit „Eltern“ dann Geld?

Er tut es, indem er dem kaufmännischen „und“ in seinem Namen alle Ehre gemacht und 2017 einen Kaufmann zum Chefredakteur ernannt hat, den Betriebswirt und Finanzexperten Bernd Hellermann. Der ist nicht einfach nur Chefredakteur, sondern, ja, wirklich: „Managing Director G+J Digital Media & Editorial Director Community of Interest Family“, also Doppeldirektor.

Über den fachfremden Hellermann ist viel Kritisches geschrieben worden, auch an dieser Stelle, aber vom Fach versteht er offenbar doch etwas. Schließlich gibt es „Eltern“ auch 2020 noch, und das seit 1966. Überdies ist der Chef selbst Vater von Bruno (4) und Theo (7), also auch biografisch ausreichend qualifiziert.

Ein gefühlter Duft von Blüten und Babypuder

Zurück zum Geld, das „Eltern“ bei der Elternschaftsindustrie einsammelt. Über dem Impressum thront noch kaiserinnengleich Marie-Louise Lewicki, über Jahrzehnte die uangefochtene Kalifin anstelle des heutigen Kalifen. Unter dem Impressum sind in löblicher Transparenz rund 60 „Hersteller“ versammelt, deren Produkte mal hier, mal da im Heft angepriesen werden – von Tischtuchbeschwerern in Banenenform (12 Euro) bis zum flauschigen Kapuzenhandtuch (29,95 Euro).

Natürlich hat jeder Krimskrams, der in Rubriken wie „Was wir lieben“ oder „Kleine Fundstücke“ vorgestellt wird, ein Preisschild. Und wie wollte man auf mehreren Seiten in die hohe Kunst des Tragetuchfaltens einführen, ohne die Hersteller der Tragetücher zu nennen?

So (und vermutlich nur so) funktioniert „Eltern“, in unentflechtbar inniger Verschränkung von Konsum und Brutpflege. Beim Durchblättern entströmt den Seiten ein gefühlter Duft von Blüten und Babypuder, es ist die publizistische Verlängerung elterlicher Geborgenheitsproduktion. Kaum ein Kindergesicht, das nicht lächeln würde, und überall hyperglückliche Eltern – wenn auch die Anzeigen für manche Mittelchen („Sei stärker als der Stress!“) bisweilen eine andere Geschichte erzählen.

Der Ton ist durchgehend in Dur gehalten, und welche Sorgen auch immer angefallen sein mögen – „Eltern“ nimmt sie. Ganz egal, ob um es um tödliche Sonnenstrahlung (es gibt Sonnenmilch) geht oder das entsetzliche Schicksal, Einzelkind zu sein (die gehen laut eines Experten „verantwortungsvoller“ durchs Leben). Zur Not beziehungsweise „zum Glück gibt’s Arnica!“, wie das benachbarte Inserat tröstet. Oder, falls Arnica abhanden gekommen sein sollte, „patentierte Lebensfreude“ als Pflegedusche.

Eine längere Fotostrecke, gewissermaßen das Feuilleton, wird mit Bildern der argentinischen Fotografin Irina Werning bestritten, die Erwachsene ihre Kindheitsfotos nachstellen ließ. Das Buch dazu ist in Deutschland bereit 2014 erschienen, also etwas, das man einen alten Hut nennen könnte.

Dafür entschädigt aber ein nachdenklicher Text über die süße Melancholie und Vergänglichkeit, die von solchen Fotografien … eieiei, leider nicht. „Eltern“ stellt der Fotografin nur drei Fragen, darunter die, wie sie auf die tolle Idee gekommen ist und ob das nicht total aufwändig ist.

Nicht fehlen darf die „Insta-Mom“, die via Instagram sich nicht entblödet, ihren angeblichen Alltag ins Netz zu pusten – hier rührend analog abgedruckt. Wichtig für die Leser-Blatt-Bindung wiederum sind Kolumnen, Geplauder nach dem Elternabend, bei dem es um familiäres Schlafen („An Schlaf nicht zu denken“) oder Corona („C-Time“, yeah) geht, die Leserschaft also von Gleichgesinnten „abgeholt“ wird. Apropos Corona, hier schafft „Eltern“ mit „15 sonnigen Ideen“ für den Aufenthalt im Freien so etwas wie Abhilfe: „Einfach mal rennen“ oder „Einen Gang runterschalten“.

Überflüssig wie ein gedrucktes Babyphon

Wer braucht dergleichen? Leser und (überwiegend) Leserinnen eher nicht. Was ich als Vater oder Mutter nicht selbst weiß, erzählt mir der Kumpel, die Freundin, das steht irgendwo im Internet oder, wenn’s ganz dicke kommt, bei Remo H. Largo, und meinetwegen fragt man auch die eigenen Eltern.

„Eltern“ ist so beruhigend und – im Grunde dann doch – überflüssig wie ein gedrucktes Babyphon. Halb spiegelt es die eigene Aufzuchtarbeit und integriert sie als Achtsamkeitsübung en passant in den eigenen Lifestyle; so wie Leute, die demonstrativ schön wohnen, zuhause „Schöner Wohnen“ herumliegen haben. Halb ist eine Lektüre von „Eltern“ der Besuch in einem ganzheitlichen Laden, einer Art Bio-Manufactum-Wellness-Oase, in der die Verkäuferinnen extrem einfühlsam sind, so verständnisvoll, dass man gerne etwas mitnimmt – und sei es Finanzdepot zum Vermögensaufbau für den Knirps.

Vermutlich braucht eine Industrie, die ein windelweiches Werbeumfeld sucht, die Zeitschrift „Eltern“ mehr, als dass echte Eltern „Eltern“ brauchen.

3 Kommentare

  1. ..rund um die Geburt von Junior hab ich die ein paar Mal gratis gelesen / geschenkt bekommen / als Schnupperabo bekommen, aus diversen Quellen.
    Die hat mir richtig gut gefallen und ich war fest entschlossen, zu abonieren, aber dann hatte ich etwa die sechste Ausgabe in Händen und das Problem war deutlich:
    zwangsläufig wiederholt sich das komplette Programm an Tipps jedes Jahr.
    Weil jedes Baby mal Durchfall / Blähungen / Schlafprobleme / Fremdelphase etc hat ehe es ein Jahr alt wird, und weil die „Eltern“ natürlich zu diesen wichtigen Bereichen Tipps geben muss.
    Es ist schlimmer als im Gartenbaukatalog, weil da zumindest jedes Jahr andere Pflanzen gehyped werden, die unterschiedliche Probleme haben.
    Die „Eltern“ ist nunmal keine Zeitschrift, die quasi mitwächst

  2. Diese Diskrepanz zwischen real verkaufter und verdeckt verschenkter bzw. geshreddeter Auflage, dieses sich seit Jahrzehnten in die eigene Tasche lügen, das alles kommt besonders gut, wenn man dann auch noch pauschal auf die „Gratiskultur im Internet“ schimpft. Seid ehrlich zu euch selbst: Das mit der Gratiskultur war nie anders.

  3. Ein nicht kleiner Teil der „sonstigen“ Auflage dürfte Lieferungen von Baby Walz (und ggf. der Konkurrenz, keine Ahnung) beiliegen, denn daher hatte ich die Zeitschrift ein oder zweimal. Ich habe sogar mal versucht sie zu lesen, schließlich gehöre ich ja als junger Vater zur Zielgruppe, habe aber nichts gefunden, was ich nicht schon vorher gewusst hätte oder was irgendein seltsamer Meinungsartikel war, dessen These ich aber auch schon gehört hatte (und ich lese keine Elternblogs und dergleichen).
    Was der Zeitschrift also fehlt, ist in der Tat: Relevanz für die (angebliche) Zielgruppe. (Dass die Zeitschrift sich dazu nicht entscheiden kann, ob Väter „mitgemeint“ sind oder sie sich insgeheim halt doch nur an Mütter richtet, ist nochmal ein ganz anderes Problem.)

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