Bahnhofskiosk

Predigt an die Bekehrten

Wenn Protest aus den Irrgärten des Internets hinausfindet, findet er irgendwann auf die Straße. Und wenn Gedanken zur Auflehnung mehr als nur ein Blog sein wollen, müssen sie früher oder später im Bahnhofskiosk landen. Mit Pegida und Magazinen wie „Compact“ gilt das seit einer Weile für gärende Dissidenz von rechts. Mit der neuen Zeitschrift „Veto“ hat nun endlich auch zivilgesellschaftliches Engagement sein eigenes Zentralorgan.

Nun bedeutet „Veto“ im Lateinischen „ich verbiete“, was Erbsenzählern eine feine Vorlage liefert, „Veto“ zum Vorboten einer „Verbotsgesellschaft“ zu erklären. Das ist nicht der Fall, worauf schon die verspielte Aufdröselung des Begriffes in „VEranTwOrtung“ hindeutet.

Viermal jährlich soll „Veto“ ausweislich des Editorials „eine Bühne“ sein „für die Engagierten im Land“. Mit einer frohen Botschaft ausnahmsweise mal nicht an die Feinde einer offenen Gesellschaft, sondern deren Verteidiger: „Ihr seid nicht allein!“

Insofern herkömmliche Medien gemäß ihrer inneren Dynamik tatsächlich ein allzu offenes Ohr haben für die Sorgen „besorgter Bürgerinnen und Bürger“, insofern angeblich mit den Aufgebrachten und Aufgehetzten der „Dialog gesucht“ werden muss – insofern ist „Veto“ als „Magazin für Protest und Verantwortung“ tatsächlich ein Medium der Gegenöffentlichkeit.

Freilich eine Gegenöffentlichkeit, die neben dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, verschiedenen Stiftungen (Amadeu-Antonio-Stiftung, ZEIT-Stiftung, Schöpflin-Stiftung) auch „von der Crowd“ gefördert wird.

Ermunterungsheft der Initiative „Wir sind der Osten“

Nicht nur, aber gerade im Osten mit seinen teilweise „völkisch befreiten“ Zonen ist das nicht gering zu schätzen. Weshalb es auch nicht wundert, wenn ein Ermunterungsheft wie „Veto“ eigentlich nur aus einer Initiative wie „Wir sind der Osten“ hervorgegangen sein kann, die sich voriges Jahr gründete und Menschen aus Ostdeutschland öffentlich sichtbarer machen will.

Von der Unternehmerin bis zu Sozialarbeiter, von der Journalistin bis zum Aktivisten, vom Studenten bis zur Gastronomin, vom Philosophen bis zur Literatin sind in „Veto“ Leute aus den östlichen Bundesländern versammelt, die ihrer Identität (und damit der ganzen Gesellschaft) einen positiven Drall zu geben versucht sind.

Das Layout ist so aufgeräumt, dynamisch und schroff. Gerade so, wie es die entsprechenden Bewegungen auch sein wollen. Rhythmisiert werden die Seiten im Heft durch großflächig hingeklatschte und ideologisch unbelastete Primärfarben. Als „roter Faden“ dient ein seriöses Reclamgelb. Ein Bericht über die Macht der AfD in Sachsen ist in den Farben der AfD gehalten, ein Essay über den Faschismus und die moderne Erinnerungskultur daran in Schwarz – mit Stacheldrahtapplikationen.

Bildpolitisch sind stets Akteurinnen und Akteure in Szene gesetzt. Menschen, groß. Offene Gesichter, ganzseitig. Dazu, in den laaaangen Reportagen, klassische Reportagefotografie: Demonstranten vor Sonnenuntergang, verwischte Polizisten, Graffiti in der Universitätsstadt, traurige Brachen im Osten.

Gesetzt also, ich wäre Besetzer eines Braunkohletagebaugebiets oder liebäugelte damit, den Betrieb dort zu Protestzwecken lahm zu legen – ich fände mich vor dem Hintergrund gigantischer Schaufelbagger auf dem Cover der „Veto“ wieder. Thema: „Klimagerechtigkeit: Wie radikal darf Protest sein?“

Im Aufmacher („Gretas Radikale“) geht es denn auch nicht um Rezepte für Molotow-Cocktails oder die Gründungsmodalitäten einer „Grünen RAF“, sondern um die unterschiedlichen Strategien der Bewegungen vom Hambacher Forst bis zu „Extinction Rebellion“. Ein Politikberater und ein Protestforscher kommen zu Wort, auch eine Politikerin der Grünen sagt Wohlwollendes.

„Nicht unumstritten“: Problematisiert wird schon genug

Roger Hallam, einer der umstrittenen Gründer von „Extinction Rebellion“, wird hier immerhin als „nicht unumstritten“ apostrophiert, aber nicht weiter problematisiert und mit seiner Forderung nach „gewaltfreiem zivilem Ungehorsam“ zitiert. So ist das mit Ermunterungsjournalismus. Problematisiert wird andernorts schon genug.

„Radikal“, erfährt man zuletzt, leite sich vom Lateinischen („radix“) ab und bedeute „Wurzel“ – also den Ort, wo man die Probleme angehen müsse. Mit Steinschleudern hat das nichts zu tun, auch nicht mit visionären Umkrempelungen des bestehenden Systems. Wenn hier eine Ideologie waltet, dann die der Möglichkeit einer Weltverbesserung durch sanften Druck von unten. Theorie findet nicht statt. „Veto“ feiert die Ermächtigung zur (verantwortungsvollen!) Praxis im Rahmen des Grundgesetzes.

Hier geht es also nicht um „die Anderen“, deren Sorgen mal zu lauschen wäre. Hier geht‘s um Attac und die lange Tradition der Antifa in Göttingen. Es geht um die Probleme von Vereinen, die Nazis beim Ausstieg aus der Szene helfen wollen, den Hass im Internet und den Kampf dagegen, Aktivistinnen von Greenpeace und der Initiative „Sand im Getriebe“ beraten über Strategien im „Kampf“ gegen das Automobil – in einem Fahrradladen, versteht sich.

Ebenfalls verstehen muss sich die völlige Abwesenheit jeder Form von Hedonismus, wie sie im Magazinjournalismus ubiquitär ist. Keine Produkthinweise auf den besten Bolzenschneider für NATO-Draht, auf Klappmesser zur Selbstverteidigung, keine Tips für den Soundtrack, den Roman, den Film zum verantwortungsvollen Protest.

Kolumnistinnen und Kolumnisten wie die Rapperin Sookee oder der Moderator Tarik Tesfu schrieben über Verantwortung und Alltagsrassismus, der Musiker Trettmann aus Chemnitz wird im Porträt zum „Ost-Erklärer wider Willen“ erklärt.

„Veto“ selbst unterstützt nicht das Lebensgefühl seiner Zielgruppe. Es unterstützt seine Zielgruppe einfach dadurch, dass es „Veto“ gibt.

Eine Glosse wiederum sucht man vergeblich. Die Welt ist offenbar nicht glossierbar. Der Sound des Magazins ist ernsthaft bis beflissen, eine Mischung aus „Fluter“ (dem Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung), „Greenpeace-Magazin“ und „taz“.

Es predigt in hohem, beinahe hehrem und stets hoffnungsvollem Ton den bereits Bekehrten – und darunter auch nur jenen mit den intellektuellen Skills, die wirklich laaangen Reportagen, Kolumnen und Besinnungsaufsätze auch durchlesen zu können.

Wenn man gemein sein will – aber will man das?

Wenn „Veto“ etwas vorzuwerfen wäre, dann den Umstand, dass es die „soziale Frage“ für sich schon beantwortet hat. Angesprochen ist, wer diese Ansprache versteht und für sie empfänglich ist. Staatsbürgerkunde für die gymnasiale Oberstufe also, wenn man gemein sein will.

Aber will man das? Nö. Das Heft ist in jeder Hinsicht professionell gemacht und nimmt seine Leserinnen und Leser so ernst, wie sie es verdient haben. Ohnehin habe die Forderung nach Neutralität „inzwischen irrsinnige Züge angenommen“, sagt Journalistin Anja Reschke („Panorama“) im Heft, sie spricht von einer „Objektivitätserschütterung“.

Ethische Grundsätze sind keine Parteilichkeit, und „alle“ sind keine Zielgruppe. „Veto“ hat schlicht eine Haltung, und das hat es heute am Bahnhofskiosk nur noch selten.

3 Kommentare

  1. Falls die Veto-Macher:innen hier mitlesen: schwarze Schrift auf dunkelblauem Hintergrund (in dem AFD-Beitrag) bitte nicht mehr machen. Alles andere: Daumen hoch.

  2. Die Rezension liest sich leider – ausnahmsweise – sehr gestelzt und holprig (Beispiele: 4. Absatz, der „insofern“-Satz; Sätze wie „Ebenfalls verstehen muss sich die völlige Abwesenheit jeder Form von Hedonismus, wie sie im Magazinjournalismus ubiquitär ist.“; Inflation der Anführungszeichen etc.). Aber Message ist angekommen. :)

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