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Waidmanns Teil

In Zeiten, in denen man schon nicht raus darf (okay: sollte), bietet es sich an, wenigstens gedanklich ein bisschen rauszugehen. Die eigene Blase verlassen und so. Nicht immer mit den selben Freunden über dieselben Themen facetimen, chatten und zoomen, sondern einmal ganz etwas Anderes machen.

„Wild und Hund“ ist etwas ganz Anderes, eine eigene Welt mit eigener Optik und sogar eigener Sprache. Laut Selbstbeschreibung ist sie die „Heimat für den passionierten, engagierten, anspruchsvollen, wertkonservativen und kultivierten Jäger. Jedes Heft atmet Einzigartigkeit, Authentizität und Aufrichtigkeit“ – und das seit schlappen 126 Jahren. „Wild und Hund“ ist damit zumindest schon einmal Deutschlands älteste Jagdzeitschrift.

Das sieht sich darüber hinaus aber auch als nicht weniger als einen „Kulturträger, indem sie die bekanntesten zeitgenössischen Illustratoren beschäftigt und nach wie vor die jagdliche Belletristik in jedem Heft fördert. Kein anderes Heft auf dem Markt wird in der Politik derart beachtet wie ,Wild und Hund’.“ CSU-Mitglieder bekommen ihr Abo vermutlich mit dem Parteibuch.

Jagen scheint krisensicher

„Wild und Hund“ oder „WuH“, wie sie sich selbst lässig abkürzt, zählt also quasi zu den Legenden auf dem Zeitschriftenmarkt. Was dabei fast am beeindruckendsten ist: Sie erscheint alle zwei Wochen, es gibt also alle 14 Tage genug übers Jagen zu erzählen, um damit mehr als 100 Seiten zu füllen! Respekt.

Aber, gut, Jagen zählt eben seit Jahrtausenden zu den krisensichersten Beschäftigungen. Das sieht man vor allem an der aktuellen Ausgabe von „WuH“: der gleiche Umfang wie vor der Corona-Krise, gut mit Anzeigen gebucht – lediglich an einem winzigen Detail erkennt man, dass die Zeiten gerade ein bisschen ungewöhnlich sind: nur eine Anzeige unter „Bekanntschaften“. Und ich hatte mich schon so auf „Geiler Keiler sucht junge Brache“ gefreut.

Das Cover der Zeitschrift Wild und Hund

Wer (Fleisch) essen will, der muss auch jagen. Das darf er sogar während einer Pandemie. „Jagen in Corona-Zeiten: Was Sie wissen müssen“ ist auch gleich ein Titelthema, wenngleich der Waidmann nichts anderes wissen muss als der Pazifist. Gesellschaftsjagden (quasi die Partys unter den Jagden) sind verboten, aber allein auf weite Flur darf immer noch gezogen werden.

Ja, sorry, Pazifist, ich weiß. Alter Reflex. Für die Laiin sendet „WuH“ eben ziemlich widersprüchliche Signale aus, gleich von Beginn an. Auf dem Cover ein süßes Reh, das ein bisschen verschreckt in die Kamera blickt, und wenn man umblättert, dient ein Reh als Model für Munitionswerbung. BÄM!

Werbung für Munition in der Wild und Hund

Gegenüberliegende Seite: ein deformiertes Projektil in einer weiteren Munitionswerbung. Zweimal umblättern: drei putzige Hasen, die äußerst fotogen um eine hübsche Häsin balgen.

Oder eben nicht: Die Hasen in „Wild und Hund“ sind ebenso wenig putzig wie die Rehe süß sind. Sie sind, wie sie sind. Und das muss sich jede/r, der oder die ihre Quarantänezeiten zu viel auf Instagram verbringt, erst wieder in Erinnerung rufen: Hunde lächeln nicht, sie hecheln, und Katzen können auch nicht böse dreinschauen.

„Wild und Hund“ vermenschlicht Tiere nicht, man will sie schließlich noch erschießen.

Gewalt in prosaische Sprache gehüllt

Es ist eine interessante Ambiguität, die sich beim Durchblättern von „Wild und Hund“ aufdrängt. Der Daseinszweck des Jägers ist es, andere Lebewesen zu töten.

Das Editorial der Wild und Hund

Diese im Grunde gewalttätige Beschäftigung hat er sich im Laufe der Jahrhunderte in eine fast prosaische Sprache gehüllt, vielleicht, um der Brutalität das Brutale zu nehmen? Wildschweine sind Schwarzkittel, Füchse sind Rotröcke, und Dachse sind Schmalzmänner, die erlegten Tiere sind eine Strecke.

Los geht es bereits im Editorial, verfasst von einem Redakteur, der daneben zu sehen ist, wie er nicht in den Feldstecher um seinen Hals blickt, sondern versonnen in die Ferne. Denn auch ihm geht Covid-19 nahe. „Kurzum, seit die Seuche grassiert, ist nichts mehr wie es war“, schreibt er. „Angst und Ungewissheit bestimmen unseren Alltag.“

Nächster Absatz:

„Nicht nur die anstehende Bockjagd, sondern auch die Vorfreude darauf sollten wir Jäger daher ganz bewusst genießen. Zumindest der Einzelansitz ist ja noch […] erlaubt. […] Wir Grünröcke sind zu beneiden. Nichtjäger ahnen nicht im Geringsten, was ihnen entgeht.“

Schlussabsatz:

„Atmen Sie durch. Irgendwann werden Sie dann dankbar in das taunasse, geperlte Gehörn des ersten Maibocks greifen. Momente, für die es sich zu leben lohnt. Schöpfen Sie in diesen schweren Zeiten Kraft und Lebensfreude durch die Jagd.“

Mit Maibock ist übrigens kein Bier gemeint. Und in dessen geperltes Gehörn kann man erst greifen, nachdem man ihn erlegt hat. Aber, wie gesagt: Wer Fleisch essen will, muss auch wissen, wie es zustande kommt. Insofern sind Jäger viel ehrlicher und konsequenter als so ziemlich jeder, der im Supermarkt zu abgepackter Ware greift. Trotzdem: Kraft und Lebensfreude …?

Allein auf weiter Flur: Artikel in der Wild und Hund

Wenn man sich daran erst einmal gewöhnt hat, kann man „Wild und Hund“ durchaus genießen. Die Bilder sind (meistens – dazu gleich mehr) schöne Naturaufnahmen, und die Texte entbehren durch ihre ganz besondere Jagdprosa nicht einer gewissen Exotik.

„Bao, böh-böh-böh“

In einem Artikel über das Schreckverhalten von Rehen und Hirschen (die Fachbegriffe lerne ich später) beschreibt der Autor, wie man – seiner Erfahrung nach – anhand der Tierlaute erkennen kann, ob das „Stück“ gleich abhauen wird oder doch noch „zur Strecke gebracht“ werden kann:

„Doch unverhofft durchbricht ein mächtiges ‚Bao, böh-böh-böh‘ verbunden mit polternden, dröhnenden Fluchten die Stille. Wurde jetzt der vermutete Altbock vertreten?“

Artikel über das Schreckverhalten von Rehen in der Wild und Hund

Bei ihm „schmälen“ (??) die „Stücke“, sie reagieren mit Aufwerfen, gespreizten Spiegeln und spielenden Lauschern.

„Will der Waidmann auf Nummer sicher gehen, sollte er sich gut überlegen, ob er noch vor Ulenflucht über eine längere Strecke durch den Wald pirscht oder es besser im ersten Büchsenlicht versucht.“

In einem anderen Text über die Jagd auf hopfenfressendes Wild in Bayern heißt es:

„Der von mir bestätigte hoch aufhabende Sechser war kaum eine Stunde nach unserem Aufbaumen aus dem Einstand in die unterhalb von Hopfengärten idyllisch gelegene Wiese gewechselt. Es hatte keines langen Ansprechens bedurft. Eine saubere Kugel hatte den etwa vierjährigen Sechser am Platz verenden lassen.“

Wie gesagt: Es ist eine eigene Welt mit ihrer eigenen Sprache. Und bei manchen Autoren hat man das Gefühl, dass sie seit der ersten Stunde dabei sind.

Trotz aller Poesie ist „Wild und Hund“ nichts für zarte Gemüter. Einmal unbedarft umgeblättert, und schon sitzt man vor einem doppelseitigen Bild, auf dem sich ein Jagdhund am blutigen Schädel eines toten Wildschweins zu schaffen macht. In Großaufnahme.

Beitrag in der Wild und Hund über Jagdhunde

Auf der nächsten Seite entledigt ein Hund gerade einen süßen Feldhasen seiner Eingeweide. Jagen ist eben nichts für Pussies, aber auch nichts für Schoßhunde. Denn wer glaubt, er stünde im Job schon ordentlich unter Druck, sollte wissen, welche Anforderungen erst an Jagdhunde gestellt werden.

„Auf Prüfungen und auch im Jagdgebrauch sind häufig Hunde zu sehen, die in den Bringfächern versagen, da sie Wild knautschen, anschneiden oder vergraben.“

Das sollen sie offenbar (nicht nur aus ästhetischen Gründen) nicht, denn der Artikel ist drohend betitelt mit: „Das Aus als Jagdhund?“ „Knautschen“ bedeutet nämlich, dass die Hunde auf dem erlegten Wild herumkauen, sodass es Herrchen nicht mehr essen will. Sie dürfen nicht „anschneiden“, also selber fressen. Und sie sollen die Beute auch nicht vergraben, weil sonst die ganze Jagerei keinen Sinn gemacht hätte.

Wer ficken will, muss apportieren können

Wie man den „Vierläufern“ dieses „angewölfte Verhalten“ abtrainieren kann, erklärt der Autor vermutlich sehr sachkundig, schließlich macht er das schon seit 40 Jahren. Deswegen weiß er auch: „Es gibt natürlich auch Vierläufer, die einfach keine Lust haben, den Fuchs zu tragen, und ihn daher schnell vergraben.“

Die Strafe für solches Fehlverhalten ist übrigens, dass der Hund dann nicht mehr zur weiteren Zucht verwendet wird. Wer ficken will, muss apportieren können.

„Wild und Hund“ erinnert immer wieder daran, dass Jäger eine wichtige Funktion bei der Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts einnehmen. Im Artikel über die Auswirkungen der Pandemie schreibt der Autor:

„Doch was würde das für die Jagd bedeuten? Im schlimmsten Fall das langzeitige Verbot von Gesellschaftsjagden, also Mais-, Ernte- und Drückjagden! Was in einzelnen, vor allem kleinen Waldrevieren überhaupt nicht der Rede wert ist, kann in Revieren mit großem Wiesen- und Feldanteil aufgrund der Wildschäden zum Desaster werden.“

Einen sehenswerten „Abnormen“ gestreckt

In einem anderen Artikel, der eine Bilanz der vergangenen Jagdsaison im „Wild und Hund-Testrevier“ zieht, wird erklärt, welche Tiere überhand nehmen (Dachse und Elstern) und bei welchen die vorgegebenen Quoten erfüllt werden konnten. Und doch klingt immer wieder auch ein gewisser Stolz durch, wenn bei einer Jagd besonders viele oder ganz besondere „Stücke“ erlegt werden konnten.

„Besonderes Waidmannsheil hatte Kollege Johannes Ruttmann aus dem Marketing, der das zweite Jahr in Folge aufs Blatt einen sehenswerten Abnormen streckte.“

Der „Abnorme“ hatte ein asymmetrisches Geweih, that’s it.

Eine eigentlich sehr schöne und vor allem schön fotografierte Geschichte über die Jagd in den Pyrenäen bekommt – für Nichtjäger – einen schalen Nachgeschmack durch das letzte Bild, auf dem einer der beiden Jäger stolz mit seiner Waffe und der „Trophäe“ posiert.

In der Wild und Hund wird auch mit dem erlegten Stück posiert

Das Tier vor ihm ist drapiert, als wäre es noch lebendig und in Wirklichkeit seine Haus-Gemse, die ausnahmsweise mit auf einen kleinen Ausflug in die Berge durfte. Zählt das noch zum viel zitierten „Respekt vor der Kreatur“?

Auf der Kinderseite geht’s um Blumen

„Wild und Hund“ gibt der aufgeschlossenen Neuleserin ein bisschen kalt-warm. Ein sehr ausgewogener Text beschreibt den fehlgeschlagenen Versuch, in Nordrhein-Westfalen Wisente auszuwildern, es gibt eine Seite für Kinder (auf der es jedoch sicherheitshalber um Blumen geht) sowie einen doppelseitigen Test über Wildtierkunde und Naturschutz.

Aber auch eine sechsseitige Vorschau auf die Internationale Waffenausstellung in Nürnberg im September, in der just Munition vorgestellt wird, zu der es – zufällig? – ganz vorne eine Anzeige gibt. Aber solche Zufälle kennt man ja aus vielen Magazinen.

„Zuverlässige Tötungswirkung“

Überhaupt, Munition. Gehört zum Jagen dazu, ich weiß, und die Anzeigen haben auch nichts mit dem redaktionellen Inhalt zu tun, aber bei Werbetexten wie „… das bleifreie Deformationsgeschoss mit maximaler Tiefenwirkung und hohem Restgewicht. Perfekt abgestimmt auf Reh, Sau und Hirsch“ oder „Zuverlässige Tötungswirkung dank sehr schnell ansprechender Expansionskaverne“ muss man schon erst einmal schlucken.

Aber gut, es geht ums Jagen und um Jäger, Maskulinum. (Viktoria Fuchs, Küchenchefin des Romantikhotels Spielweg, ist eine von drei Frauen, die im Heft vorkommen. Von ihr stammt das Rezept für eine Wildentenbrust mit Couscous und Staudensellerie.) Man darf sich also weder über Waffenwerbung wundern, noch über Kleinanzeigen wie diese hier unter „Vermischtes“, die in der Leserschaft von „Wild und Hund“ vermutlich eine hundertprozentige Zielgruppe finden:

„Verbindungsstudent in Bonn: Sie […] sind ein wertkonservativer Mensch, schätzen die freie Rede und die Gemeinschaft unter Gleichaltrigen, die sich als Erziehungsgemeinschaft versteht, nehmen Rat von den ,älteren Semestern‘ an, dann sind Sie herzlich willkommen!“

Hinweis auf die Verpflichtung, dass Wild und Hund Anzeigen abdrucken müsste

Der Verlag distanziert sich übrigens auf den Kleinanzeigenseiten „ausdrücklich von nicht waidgerechten Methoden der Jagd, wie z.B. das Abschießen von Wild in Zuchtgattern und das Aussetzen von Wild, um es direkt zu erlegen.“ Behauptet jedoch: „Soweit Angebote nicht gesetzlichen Vorschriften widersprechen, sind wir verpflichtet diese Anzeigen zu veröffentlichen.“

Müssen die das wirklich? Andere Verlage lehnen doch auch Anzeigen ab. Und da ist sie dann zum letzten Mal, diese eigenartige Ambiguität.

10 Kommentare

  1. Das weibliche Wildschwein nennt man Bache. Wenn es so jung ist, dass es aus Geiler-Keiler-Sicht noch brach liegt, dann heißt es trotzdem nicht Brache, sondern Frischling.

  2. Ich würde den Begriff „Pazifist“ auf die Ablehnung des Tötens von Menschen beschränken. Jäger können auch Pazifisten sein.

    Und nebenbei: Hunde „ficken“ ihre Bitches nicht, sie „belegen“ sie.

  3. Mir hat ein Jäger mal erzählt, das Jagen würde bei ihm und seinen Jagdgenossen eine ganz besondere sexuelle Erregung auslösen. Die Vorfreude und die Spannung sei etwas ganz Besonderes. Würde keiner von denen öffentlich zugeben. Diese Sprache in diesem Heft hat mich aber sofort an diesen Typen erinnert. Jagen muss sein, aber die Haltung sollte stimmen. Respekt vor dem Tier gehört unbedingt dazu. Ist nicht erkennbar in diesem Heft, das offenbar viele Jäger anspricht. Kein Respekt vor dem Tier, deswegen muss man auch diese Sprache erfinden, die das Tier nicht als Lebewesen ausweist. Das Stück. Die Strecke. Wie Frau Neudecker so schön zeigt, kann man seine Haltung so ein bisschen verschleiern. Naja, nicht wirklich – man versucht, das als professionell zu verkaufen. Sicher keine homogene Gruppe, diese Jäger, aber offenbar ein großer Teil dieser Männer, besonders wenn sie solch ein Heft abonnieren sind … Äh, nein. Nix Neues also. Aber schön, dass mit diesem Artikel mal eine etwas größere Personengruppe erreicht wird.

  4. Interessanter Bericht.
    Mich hätten noch ein paar Worte zur Schriftart des Blatt-Titels interessiert. Wirkt auf mich eher abschreckend und warum wird der Hund klein geschrieben?

    Wild Und hund Forst und Förster aka WUFF wäre meiner Meinung nach einer schönerer Titel gewesen.

  5. @Kritischer Kritiker:

    vielen Dank, sieht nach einer ersten Begutachtung schon mal weeeeesentlich besser aus :-).

    Dass eine Frau an der Spitze steht, heißt aber nicht unbedingt immer Gutes, viele Frauen kommen in dieser Gesellschaft nur voran, indem sie das Männerspiel mitspielen und vielleicht einen Tacken besser spielen und dann ebenso davonkommen. Siehe von der Leyen & Co. In einem Brief der Vorsitzenden musst ich leider die Adressatin Klöckner lesen ;-). Ein Sonderfall, aber insgesamt ist das natürlich ein ganz anderes Thema.

  6. Wieso wird „Prosa“ eigentlich ständig benutzt, als bezeichne das etwas Besonderes? Prosa ist alles, was nicht in Versen steht, sogar der Vertrag bei der DKV. Was erwartet Übermedien denn von Jägern? Dass die jetzt den ganzen Tag reimen? Oder (ich fügs der Vollständigkeit halber hinzu) in freien Versen sprechen?

    (ja, ich weiß, die meinen eigentlich „poetisch“ oder sowas… aber ich erleb das so oft mittlerweile… „oh, Prosa les ich eigentlich gar nicht… nur Romane“… „was du da schreibst, das ist ja toll, das ist ja fast schon… Prosa!“ usw.)

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